Sonntag, 18. Juli 2021

Ein kurzes Update


Da ich über E-Mail wiederholt gefragt wurde, weshalb ich keine Beiträge auf meinem Blog mehr schreiben würde, gebe ich jetzt mal ein kurzes Update von mir. 

Nein, ich bin nicht verschollen und befinde mich auch noch unter den Lebenden :-). Ich brauche lediglich eine Pause, eine Neuorientierung, auch auf meinem Blog. Mir fehlt es außerdem an Zeit, und ich dadurch meine Energien besser bündeln muss, und die ich nicht mehr in Zuckerberg & Co investieren möchte. Aus diesem Grund bin ich aus sämtlichen sozialen Netzwerken ausgetreten, weil sie mich vom Wesentlichen ablenken. Mir sind echte Kontakte wichtiger geworden. Und über Literatur und andere interessante Themen tausche ich mich als ganzer Mensch lieber bei einem gemeinsamen Abendessen in einer Lokation mit netter Atmosphäre aus. 

Meine Bücher und mein Blog sind mir nach wie vor wichtig aber es gibt so viele andere Themen, die sich mir noch zusätzlich aufdrängen. Das kennt sicher jeder von sich selbst auch.

Aber ich versuche wieder zu lesen, befinde mich gerade an der Gandhi-Biografie, die ich ein drittes Mal erneut begonnen habe, da ich zwischenzeitlich viele Unterbrechungen durch unglückliche Umstände zu verwinden hatte. 

Gandhis Leben - Eine wunderbare Autobiografie
So ein tolles Buch, wo wir Menschen, viele von uns als sittenstrenge Lehrmeister*innen unterwegs, aus der westlichen Welt uns Manches aus Gandhis Leben abschneiden könnten. Mit einer ausgeprägten Kultursensibilität verfolge ich sein schweres aber auch sein großartiges Leben ... Gandhis Vater, der mir imponiert hat, ist z.B. voller Barmherzigkeit nicht nur den Menschen gegenüber, sondern auch gegenüber den Tieren. Ich freue mich schon, darüber rezensieren zu können.


Zu viele Interessen
Mich interessieren so viele Themen, sodass ich aus Zeitgründen mehrere Bücher verschiedener Genres gleichzeitig lese, ich aber nicht jedes Buch rezensieren möchte. Vor allem der Tierschutz hat durch die aufgestockte Priorisierung an Wichtigkeit zugenommen.

Tierliebe ist kein Hobby, weil Menschenliebe auch kein Hobby ist
Tiere, wie viele von mir wissen, liegen mir auch sehr am Herzen, sodass ich über diese Wesen mehr und immer mehr wissen möchte. Unser Planet ist voller Tiere und aber auch voller Schmerz ganz besonders ihnen gegenüber. Die philosophische Seite bzw. die ethische Seite zieht mich an, hierin weiter zu forschen, um mehr Wissen zu erlangen. Mein Leseprojekt zu Den Tieren eine Stimme geben möchte ich hier auf meinem Blog später noch weiter ausweiten, aber nicht, weil Tiere mein Hobby sind, sondern weil es meine Pflicht ist, Tiere als meine Mitgeschöpfe zu betrachten. Sie haben unsere ganze Liebe und Anteilnahme verdient.


Lehrgang - Ein Webinar Basiskurs zur Tierkommunikation
In dem ganzen Stress habe ich Ende Juni abends an einer zweiwöchigen online Fortbildung zur Tierkommunikation teilgenommen, und das war immens anstrengend, weil zwischendrin sich just zu dieser Zeit mir so viel anderes und Unvorsehbares noch aufgestülpt hatte, obwohl ich die erste Woche davon extra für das Webseminar mit Urlaub belegt hatte. Nicht auszudenken, wie es ohne diesen Urlaub geworden wäre. Trotzdem war die Fortbildung aus der Retrospektive betrachtend schön, sowohl für mich und im Nachklang ebenfalls für meine Tiere sehr ertragsreich, auch wenn ich Manches durch die Zeitnot verpassen musste.

Das heißt für mich, dass ich speziell  auch diese Thematik peu a peu  ausbauen möchte. Das impliziert somit, dass ein Großteil meiner Freizeit den Tieren gewidmet sein wird. Ich möchte damit einen Beitrag leisten, die Welt mit meiner Tierliebe auch hier auf meinem Blog gerechter zu gestalten. 

Wenn ich alle Rezensionsexemplare gelesen und besprochen habe, werde ich demnach mehr Literatur über die Tiere heranziehen. Mein Blog hatte in meiner aktiven Zeit durch die hohe Besucherschaft eine große Reichweite gewonnen, die ich wieder erlangen möchte, sodass sie auch den Tieren gewidmet und ihnen nützlich sein wird, wenn sie thematisch in den Blickwinkel gesetzt werden. Ich rechne aber damit, dass ich mir dadurch eine andere Leserschaft anziehen werde.

Kommende Urlaubszeit
Doch bald beginnt für mich eine zweiwöchige Urlaubszeit, gleich Anfang August, dann strebe ich das Ziel an, endlich mal wieder ein Buch in einem Rush auszulesen; dies bedeutet für mich, in Ruhe lesen, ohne von großen Unterbrechungen gestört zu werden ... und das wird Gandhis Buch sein, der von der Seitenzahl her etwas umfangreich ist. Ich sehe zu, dass auch nach meinem Urlaub alle Rezensionsexemplare zeitnah gelesen werden. Ich bitte die Verlage dennoch weiterhin um Geduld, für den Fall, dass meine guten Absichten sich doch nicht als realisierbar erweisen sollten ...

In Gandhi bin ich gerade im zweiten Teil angekommen.

Ausstieg aus dem Lesemarathon
Und danach, wenn dies geschafft ist, steige ich auch aus dem mir selbst aufgestülpten Lesemarathon aus. Dieser Lesemarathon hat mich zusätzlich noch immens gestresst. Dies bedeutet für mich, mit meinem eigenen Lebe- und Lesetempo aufzuhören, gegen den eigenen Strom zu schwimmen. Wenn ich ein Buch lese, geht so viel in mir vor, und dasjenige es verdient hätte, beachtet zu werden, statt es für das nächste Buch zu schnell abzuhaken. Nicht die Lesequantität zählt, sondern die Lesequalität, und genau hierauf möchte ich mich fokussieren. 

Pausierung mit Prousts Briefen
Prousts Briefe weiter zu lesen empfinde ich von meinem Lese- und Schreibanspruch her als zu zeitintensiv, sodass ich schweren Herzens gezwungen bin, ihn temporär wieder zur Seite zu legen, zumindest bis ich alle Rezensionsexemplare gelesen und hier besprochen habe. Marcel Proust ist mein großes literarisches- und Lebevorbild geworden.
Ich habe ihn so sehr lieben gelernt, dass er zu meinem Buddha avanciert ist. 

Dritte Proust-Satire?
Auch plane ich eine dritte Proust-Satire zu schreiben. Evtl. eine humoristische Diskussion über die verlorene Zeit und in der Hoffnung, ähnlich wie bei Proust, über die wiedergefundene Zeit ein wenig paraphrasieren zu können. Ich ahne schon, wie diese wiedergefunde Zeit aussehen könnte. Aber dies ist erst möglich, wenn ich sie auch wirklichkeitsnah und nicht nur ideell wiedergefunden habe. Dieser Einfall ist dabei noch weiter zu reifen ... Es ist nur der Samen, der gerade vor mir liegt. 

Habe ich meine Zeit tatsächlich in den ganzen sozialen Netzwerken verplempert? Ist das die moderne verlorene Zeit, gemessen an der proustischen Zeit der Menschen in den Soirees? 

Wie spart man Zeit?
Tagtäglich frage ich mich, wie sich Zeit für die tägliche Aktivitäten einsparen lassen kann? Am liebsten möchte ich sie einfangen und festhalten, sie in Flaschen abfüllen, sie sozusagen konservieren für Notzeiten oder für Fastenzeiten wie jetzt. Oder eine Möglichkeit finden, Zeit ähnlich wie auf einem Sammelkonto einsparend zur Bank zu tragen, um auf diese gesparte Zeit zugreifen zu können, wenn es wieder eng werden sollte. Nein, es gibt aber keine Zeit-Abfüllgläser und auch keine Zeit-Sparkonten, und so versuche ich einen Zeitgewinn durch eine ganz  pragmatische Schlafreduktion
 zu erzeugen, in dem ich der Zeit etwas von meiner Zeit opfere, um damit im Umkehrschluss das Gefühl zu haben, mehr Zeit von ihr zurück zu bekommen, in dem ich sie nicht verschlafe. 

Zeitersparnis auch durch ein langsameres Leben?
Klingt ein wenig dialektisch, aber ich glaube, dass genau darin die Weisheit liegt. Lernen, loszulassen von Dingen, die man vor allem von Außen als wichtig auferlegt bekommt und dafür wieder zurück zum eigenen Lebensrhythmus finden, sehe ich irgendwie schon als eine Zeiterspanis an. ich höre gerade zum dritten Mal Sten Nadolny Die Entdeckung der Langsamkeit. Und dies bedeutet, wieder nach innen zu gehen, und selbst bestimmen, was wichtig ist, ist meine Devise geworden. Weg von dieser Viel- und  Schnelllebiegkeit. Sich frei machen von den Vorstellungen á la Mainstream unserer Gesellschaft. Denn dieser ganze Mainstream - Quatsch langweilt mich mittlerweile bis ins tiefste Mark. Alle tun das Gleiche, alle denken das Gleiche, alle reden das Gleiche, um dies mal übertrieben und ganz salopp auszudrücken. Alle finden das Gleiche gut, alle finden das Gleiche schlecht ... Nur die Wenigsten hinterfragen noch Sitten und Bräuche, geschweige denn sich selbst.


Facebook
Ich habe hier viele nette Leute kennengelernt, und alte Freund*innen  aus aller Welt sowie auch ehemalige Studienkolleg*innen aus der Goethe-Universität wieder gefunden. Welch eine Freude. Es war dadurch auch eine wirklich schöne Zeit gewesen. Doch nun befriedigt es mich dort nicht mehr, weil ich mich verändert habe. Intellektuelle Gleichgesinnte hatte ich ursprünglich mit meinem Beitritt gesucht. Aber mit der Zeit ist es mir ein zu großes oberflächliches Getue geworden, das größtenteils der Plattform geschuldet ist. Das füllt mich nicht mehr aus. Es hat sich für mich schleichend zu einem Nonsens entwickelt. Deshalb musste ich gehen ...  Eine prozessuale Entwicklung, die lange in mir gegärt hat. Nun habe ich es geschafft und bin ganz stolz darauf. Und jetzt bin ich neugierig, was sich für mich nach Facebook & Co für neue Welten auftun werden. Vor allem eine neue innere Welt, von der ich mich treiben lassen möchte. Zuckerberg wurde reich mit meinen Besuchen aber ich arm mit Zuckerberg. Er wurde definitiv zu meinem Zeit- und Krafträuber. 
Das soll nun vorbei sein. 

So, ihr Lieben, nun wisst ihr, dass ich noch lebendig bin. Vielleicht sogar noch lebendiger als zuvor. Und ihr wisst, wo ich zu finden bin. 

Ich grüße euch und passt alle gut auf euch auf, vergesst aber nicht, euer eigenes Leben zu leben, denn das ist es, worauf es in Wirklichkeit ankommt.

Ars vivendi!

Eure Mira!


Montag, 5. Juli 2021

Prousts Pläne mit seinem literarischen Lebenswerk

Weiter geht es dieses Wochenende von der Seite 694 bis 704.

In dieser Besprechung geht es hauptsächlich um Prousts Pläne, sein Romanwerk in Druck zu geben. Proust sucht einen Verleger, ist aber nicht sicher, wer es werden soll und ob es nicht vorteilhafter wäre, sein Buch auf eigene Kosten selbst herauszubringen. Er weist schon im Vorfeld dem Verleger Fasquelle auf Anstößigkeiten hin, noch bevor dieser selbst das Manuskript gelesen hat. Daran wird für mich deutlich, wie sehr Proust entweder mit einer Ablehnung rechnet, oder mit Abstrichen und Abstriche ist er nicht bereit, hinzunehmen.

Doch was das betrifft, ist Proust mit seinem Lebenswerk, das zukünftig mit dem siebten Band abschließen wird, noch längst nicht durch. Die morgige neue  Leserschaft weiß mittlerweile, dass sein Romanzyklus erst kurz vor seinem Tod fertig werden wird. Und bis dahin vergehen noch knapp zehn Jahre. Das bedeutet, einige Teile sind bis jetzt noch gar nicht geschrieben. Proust selbst weiß noch nichts von seinem Glück, dass er noch mehr Samen ausstreuen muss, um sein Lebenswerk zum Abschluss zu bringen.

In dem folgenden Brief geht es darum, dass Proust wohl in Eugène Fasquelle einen Verleger finden könnte, es für mich aber noch unsicher ist, wer der wirkliche Verleger letzten Endes tatsächlich sein wird. Ich bin gespannt und total neugierig darauf, wie Proust sich entscheiden wird. Ein kurzer Austausch mit seinem Freund A. Bibesco, der ihm eine gute Stütze ist.

An Antoine Bibesco
Ende Okt. 1912, hier ist Proust 41 Jahre alt

Du weißt ja, dass Calmette sich freundlicherweise verpflichten wollte, meinen Roman bei Fasquelle unterzubringen. Aber ich fürchte (obwohl ich ihn Fasquelle noch nicht gegeben habe), dass er dieses Werk in drei Bänden unter drei verschiedenen Titeln (oder in zwei Bänden unter zwei verschiedenen Titeln) und mit zeitlichem Abstand zwischen den einzelnen Bänden herausbringen will. Zum anderen scheint mir, dass die Revue Francaise einen günstigeren Boden für die Reifung, für die Verbreitung der Ideen bieten würde, die in meinem Buch enthalten sind. Kurz, ich möchte mein Buch auf meine Kosten (und nicht mehr wie bei Fasquelle auf Kosten des Verlegers) bei der Revue Francaise erscheinen lassen. Kannst Du sie darum bitten? Sie werden überzeugt sein, dass ich ihnen meinen meine Artikel schicken ließ, um das vorzubereiten. (694f)

Wahnsinn, wenn man bedenkt, dass es aus diesen wenigen Bänden später sieben verschiedene Teile mit unterschiedlichen Titeln noch werden sollen. Momentan kämpft Proust noch sehr um das Formale:

Das Werk wird ungefähr 1250 reichlich gefüllte Seiten zählen (bei ungefähr ebenso viel Zeilen pro Seite wie Fasquelles Édukation sentimental). Am besten wäre, es erschiene in zwei Bänden, der eine 700, der andere 550 Seiten stark. Sonst zwei zu 600 oder 3 zu 400 Seiten. Ich könnte die ersten 600 Seiten sofort in Druck geben lassen, und während der Druck anläuft, würde ich den Rest ins Reine schreiben und zugleich die Fahnen korrigieren. Sieh bitte zu, dass die Revue francaise zusagt; ich bin sehr erpicht darauf. (696)
Im Folgenden ein Brief, der direkt an den Herausgeber Fasquelle geht. Hier gibt Proust Vorgaben, wie er sein Buch verlegt haben möchte.

An Eugène Fasquelle, Verleger der Revue Francaise,
Ende Oktober 1912

Monsieur,

Monsieur Calmette schickt mir die denkbar angenehmste Nachricht, indem er mir mitteilt, dass Sie mein Werk zur Veröffentlichung annehmen. Dass es bei Ihnen erscheinen soll, überwältigt mich dermaßen, dass ich fast Angst hatte, es sei wie alles, was man sich sehr wünscht, nicht durchführbar; erlauben Sie daher, dass ich Ihnen zuallererst meinen Dank ausspreche. 

In aller Aufrichtigkeit möchte ich Sie von vornherein darauf hinweisen, dass das betreffende Werk das ist, was man früher unschicklich nannte, noch sehr viel und unschicklicher als das, was gewöhnlich erscheint. Wenn ich Ihnen in dieser Hinsicht einige Erklärungen schulde, so deswegen, weil ich Sie mit dem Manuskript des ersten Bandes, den ich Ihnen schicke und der von wenigen Stellen abgesehen sehr keuch ist, nicht über den Rest hinwegtäuschen möchte, und ich möchte auch nicht, dass Sie nach Erscheinen des ersten Bandes die beiden letzten nicht mehr veröffentlichen wollen (oder den letzten, denn vielleicht ist der ganze zweite Teil den einem einzigen starken Band unterzubringen).

Dieser zweite Teil liegt geschrieben vor, aber da er nur in Form von Heften und nicht maschinenschriftlich existiert, schicke ich ihn Ihnen nicht vorweg, das diesem Brief beiliegende Manuskript bietet ja schon genug Stoff für einen Band. (698)

Inhaltlich äußert Proust:

Eine meiner Gestalten (sie treten im Werk auf wie im Leben, das heißt, sie werden anfangs nur flüchtig gestreift und oft erst viel später als Gegenteil dessen durchschaut, was man sich zuerst dachte) tritt im ersten Teil nur ganz am Rande als mutmaßlicher Liebhaber einer meiner Heldinnen in Erscheinung. Gegen Ende des ersten Teils (oder zu Beginn des zweiten, falls das Manuskript, das ich Ihnen schicke, die Grenzen eines Bandes leicht überschreitet) lernt er sie kennen, brüstet sich mit seiner Virilität, seiner Verachtung für die verweichlichten jungen Leute usw. Im zweiten Teil nun stellt sich derselbe, ein alter Herr aus bester Familie, als Päderast heraus; Er wird in komischer Manier gezeichnet, aber man sieht, wie er, ohne dass ein unanständiges Wort fällt, einen Concierge >herumkriegt< und einen Pianisten aushält. Ich glaube, dieser Charakter - der virile Päderast, der wütend ist auf die verweichlichten jungen Leute, die Etikettenschwindel betreiben, weil sie bloß Frauen sind, dieser >Misanthrop< aus Leiden an den Männern, ganz wie manche Männer misogyn sind, die zu sehr unter Frauen gelitten haben, dieser Charakter ist, glaube ich, etwas Neues (vor allem durch die Art, wie er dargestellt ist, die ich hier nicht ausführen kann) - und deswegen bitte ich Sie, mit niemandem darüber zu sprechen. Folgendes ist in dem zweiten Teil stark anstößig. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass ich es durchaus nicht darauf angelegt habe, und der Grundzug meines Werkes dürfte für die sittliche Qualität meiner Absichten bürgen. Und indem ich Sie bitte, ein Thema >vertraulich< zu behandeln, von dem niemand weiß und dass man mir ausreden könnte, wenn es >durchsickern< würde, teile ich Ihnen im Folgenden einige Einzelheiten mit, sodass Sie von vornherein alles kennen, was Sie von Ihrer wohlwollenden Entscheidung abbringen könnte. (698f)

Im Weiteren geht es um die Suche nach dem passenden Romantitel: Die verlorene Zeit, und Die wiedergefundene Zeit. Wenn man bedenkt, dass Die wiedergefundene Zeit erst im siebten Teil erscheinen wird, das heißt, er ist noch gar nicht geschrieben, möchte ich gerade nicht in Prousts Haut stecken, wie er von seinen Ideen durchflutet wird. Dadurch ist er gezwungen, seine alte Struktur immer wieder in eine neue zu werfen; neu denken, neu entwerfen, neu gestalten … Sein Lebenswerk ist längst nicht fertig auszureifen, da immerhin noch drei / vier Teile fehlen. 

Da ich glaube, dass Sie mir nicht erlauben würden, die Ziffer I über den ersten Band zu setzen, gebe ich ihm den Titel >>Die verlorene Zeit<<. Wenn ich alles Übrige im zweiten Band unterbringen kann, nenne ich ihn >>Die Wiedergefundene Zeit<<. Und über diese Bandtitel schreibe ich als Haupttitel, der in der seelischen Welt auf eine körperliche Krankheit anspielt: Arrhythmien des Herzens. Wäre wünschenswert, dass der erste Band so umfangreich wie möglich wird, sei es auch nur, um den Schluss in einem einzigen Band unterzubringen (ich bin mir nicht sicher, ob das möglich ist). (699f)

Ich kürze mal ab, da mir die Zitate einfach zu lang sind, möchte aber nur einen Einblick geben, in welchem Prozess Proust gerade steckt, sein Lebenswerk veröffentlichen zu lassen.

In diesem Fall bestünde die verlorene Zeit aus nur einem Band, und was nicht hineinpasst, käme in >>Die wiedergefundene Zeit<<.
Bin gespannt, wie Proust auf den vollständigen Buchtitel Auf der Suche nach der verlorenen Zeit kommen wird, von dem ich mich damals, als ich begonnen hatte, ihn zu lesen, magisch angezogen gefühlt habe.

Interessant finde ich einen weiteren Brief an einen Schriftstellerfreund, in dem Proust über seinen eigenen Schreibstil schreibt. Der Brief geht an Louis de Robert. Louis de Robert *1871, gest. 1937, ist einer der Ersten, der Auszüge aus Prousts Buch zu lesen bekommen hatte, um ihn zu beraten. Doch auch die Weisheiten, die in diesem Brief stecken, Anekdoten aus seinem Roman, möchte ich gerne auch herausschreiben. 

An Louis de Robert
28. Okt. 1912

Ich bin sehr gerührt von ihrer so netten und raschen, das heißt doppelt netten Antwort, wie es in einem Sprichwort heißt >Qui cito dat, bis dat<. (Übers. >>Wer rasch gibt, gibt doppelt<<, s. Fußnote, S. 704) Erlauben Sie mir bitte, ihnen zunächst zu den Freuden und Tagen (ich weiß, man müsste sagen: zu Freuden und Tage, aber sparen wir uns diese Allerweltseleganz) etwas zu sagen, was Sie mir hoffentlich glauben, obwohl es unglaubwürdig erscheinen könnte, würde ein anderer es jemals anderem mitteilen. Als Sie mir letztes Jahr geschrieben haben, fiel mir ein, dass ich Sie ihnen hatte schenken wollen und es nie getan habe, weil ich es zu gut machen wollte: Ich hatte Madame Lemaire bitten wollen, für Sie ein Blümchen auf die 1. Seite zu malen. Und dann konnte ich nie aufstehen, zu ihr gehen (...). kurz, es kam einfach nicht dazu, und ich schicke Ihnen das Buch gleichzeitig mit diesem Brief, denn wenn ich netter sein wollte und es Ihnen immer noch nicht schickte, würde ich Gefahr laufen, überhaupt nicht nett zu wirken. In meinem Buch kommt ein kleiner Junge vor, der einem Bekannten gegenüber sehr viel zum Ausdruck bringen möchte, und als er ihm begegnet, findet er, ein Gruß könne all das bei weitem nicht ausdrücken, und er grüßt ihn nicht. Der andere vermerkt das natürlich übel. Ich will das so nicht machen wie der kleine Junge und schicke Ihnen die >>Freuden und Tage<<. (...) was den Artikel in der Renaissance Latin angeht, so wurde er zur Einleitung einer Übersetzung von Sésame et Lys umgearbeitet. Aber wenn Sie meine Sätze verschachtelt finden, was werden Sie dann erst zu diesem nicht enden wollenden sagen (...). (701f)

Ich finde diesen Brief wunderschön. Ich lese ihn immer wieder, und nicht nur diesen Ausschnitt. Doch was die Verschachtelung jener Sätze betrifft, wie Proust es selbst empfindet, ich erinnere mich, die haben mich in seinem Roman nicht gestört, vielleicht, weil ich selbst verschachtelt schreibe. Aber seine Sätze, die keinen Punkt haben finden können, haben mich genervt. Sehr häufig verlief ein Satz tatsächlich weit über eine Buchseite hinaus. Monströse Sätze, die mich daran hinderten, mir die vielen proustischen Gedanken darin zu behalten. Das habe ich wegen dieser Wiederholungen als eine Odyssee in dieser Sprachlandschaft empfunden. Immerzu die Frage, wie komme ich hier aus diesem Satzdschungel wieder heraus? Ich hatte mir dann selber fiktive Punkte gesetzt, damit die Themen in diesem Satz bei mir im Kopf und in der Seele endlich landen konnten. Sonst wären sie in einer geistigen Fata Morgana versandet und das wollte ich tunlichst verhindern. 

Ich kann Ihnen nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin, dass sie mir anbieten, mit Fasquelle zu sprechen. Ich weiß sehr wohl, wenn er es tut, da nicht meinetwegen, sondern um Calmette einen Gefallen zu tun; aber trotzdem möchte ich, dass er vorher ein wenig Bescheid weiß, wer ich bin (in literarischer Hinsicht); und ich weiß, welches Gewicht ein wohlwollendes Wort aus ihrem Mund hätte. Die werden mir damit einen wahren Dienst erweisen. Und wenn Sie den Eindruck haben, dass Fasquelle mich lieber nicht verlegen würde, sagen Sie es mir. (701ff)

In dem Brief drückst Proust auch die Sorge aus, nicht mehr genug Zeit zu haben, seinen Roman zum Abschluss zu bringen. Er ist einfach sehr krank und er spürt deutlich seine Zeitnot. Siehe dazu dortigen Brief.

Weiter geht es nächstes Wochenende von Seite 704 bis 714.

Samstag, 26. Juni 2021

Marcel Proust und der Brief an den Hund Zadig

Bildquelle: Pixabay
Es geht in die nächste Proust–Runde und setze die Briefe 
aus BD 1 weiter fort. Es gibt nach einer größeren Pause eine kleine Veränderung. Da Anne seit Herbst 2020 aus unserem Leseprojekt ausgestiegen ist und die Namensliste der Briefpartner dadurch nicht mehr fortgeführt wird, das war ihr Part, werde ich ab jetzt unter jedem Namen, den ich hier erwähne, die Personenbezeichnung in Klammern dazu setzen. Alles andere bleibt vom Schreibstil her bestehen wie gehabt.

Auf den folgenden Seiten nimmt man als Leser*in an dem langen Prozedere teil, wie Proust sein großes Werk seiner Recherche fertigmacht und sie auf den Weg zu einer Veröffentlichung bringt. Viele Gedanken über die Titelsuche, über die Struktur, über die Findung eines passenden Verlages … Doch nicht nur dies. In Prousts Briefen menschelt es wieder ordentlich, was ich wunderschön finde. Diese Briefe zaubern mir beim Lesen immerzu ein Lächeln auf die Lippen.

Neben den Briefen zu seinen Buchplänen bringe ich zudem ein Zitat zu dem Theatrophon und zu dem Hund seines Freundes Reynaldo Hahn namens Zadig mit ein.

Seite 658 bis 674

Die Veröffentlichung der Recherche ist ein enormer Prozess, sodass ich sicher mehrere Besprechungen darüber schreiben werde.

Proust ist noch unschlüssig, ob er sein Werk durch einen Verlag herausbringen möchte oder sich lieber als Selbstverleger dranmachen soll. Von Verlagsseiten scheinen ihm die Bedingungen zu hoch zu sein, möchte sich ihnen nicht beugen ... Sein Werk sei zu gesellschaftskritisch, für die damalige Zeit sogar zu anstößig, vor allem was die sexuelle Orientierung, die Homosexualität betrifft, denn Proust ist ein absoluter Tabubrecher … Er möchte keine Kompromisse eingehen.

Interessant finde ich, wie seine Recherche in einem kleinen Heftchen Carnet skizziert wird und sie darin wächst und wächst, sodass daraus mehrbändige Cahiers werden, bis sie irgendwann als ganze Buchbände vor ihm liegen. 

An Georges de Lauris, (ein Brieffreund)
März 1912

Ich bin sehr in Verlegenheit, mich im Hinblick auf dieses Buch zu entscheiden. Soll es ein Band von 800 - 900 Seiten werden? Ein Werk in zwei Bänden von je 400 Seiten? Zwei Werke von je 400 Seiten mit jeweils einem anderen Titel, unter einem gemeinsamen Obertitel? Das gefällt mir zwar weniger, ist aber den Verlegern angenehmer. Nur, soll man dann zwischen dem Erscheinen der zwei Bände eine Pause einlegen? Das läuft dem Geist des Buchs sehr zuwider. Und um eine augenfällige Einteilung zu finden, müsste man im ersten Band (wenn sie unterschiedliche Titel haben) den 1., 2., 3 und 5., Teil veröffentlichen, sodass der 4. erst im 2. Band erschiene, wobei man darauf aufmerksam machen müsste, dass er vor den letzten des ersten Bands gehört (dies, weil nach dem 5. eine Pause eintritt, aber wenn es die 5 Teile im ersten Band gäbe, hätte er 700 Seiten und der zweite nicht mehr als 200.) Aber ist das möglich? (Wenn es ein Werk in zwei unter demselben Titel gleichzeitig erscheinenden Bänden wäre, würde das gar nichts ausmachen, denn dann wäre keine Einteilung nötig, ich würde die Gesamtzahl der Seiten durch 2 dividieren und die eine Hälfte in einen Band, die andere Hälfte in den anderen stecken - übertrieben gesagt, aber letztlich in der Art.) (669)

In diesem Brief befindet sich Proust in einer großen Entscheidungsfrage, sein opulentes Romanwerk in Druck zu geben. Er erkennt selbst, dass sein Buch in einem einzigen Band definitiv zu lang ist.

 

Er bittet seinen Freund indirekt um Rat. Weitere interessante Details hierzu sind dem Brief zu entnehmen.

 

Proust sucht einen Verleger:

Träume ich oder hatten Sie mir einmal gesagt, dass Rene Blum vorübergehend bei Fayard oder ich weiß nicht wem gewesen war? Vielleicht ist er in diesen Fragen bewandert genug und könnte mich aufklären. Calmette dürfte das Buch aus übertriebener Liebenswürdigkeit Fasquelle bringen (was nicht mein Traum ist). Aber vorher will ich genau wissen, was ich verlangen darf, damit der Verleger sich nicht nur um das kümmert, was ihm am angenehmsten ist. (Ebd.)

Proust kränkelt wieder, kann nicht ausgehen, kein Theater besuchen, und nutzt zu Hause sein Thetrophon und genießt eine Oper von Debussy Pelléas et Mélisande. Folgende Textstelle hat mich tief berührt, die ich unbedingt festhalten möchte. Der Brief geht an …

… Antoine Bibesco (Diplomat)
Ende März 1911, hier ist Proust 39 Jahre alt

Ich bin äußerst erschöpft, weil ich unglücklicherweise am Theatrophon von Pelléas gehört und mich darin verliebt habe. Jeden Abend, an dem das aufgeführt wird, stürze ich mich auf dieses Gerät, so krank ich auch sein mag, und an den Tagen, an denen es nicht aufgeführt wird, übernehme ich Periers Rolle (Tenorsänger an der Pariser Oper, Anm. M. P.) und singe es mir vor und schlafe keinen Augenblick mehr. Danke nochmals für Deinen Besuch neulich, der mich so glücklich gemacht hat. Ich kann nicht mehr arbeiten! (658)

Diese Szene stelle ich mir bildhaft und auch lustig vor. Proust ist so was von lebendig, alle Sinne schwingen mit ihm mit, keine unterdrückt er. Das finde ich an ihm so wunderbar. Er ist ganz Mensch. Viele Intellektuelle könnten sich von ihm eine Scheibe davon abschneiden; sie denken, das wahre Leben spiele sich nur im Kopf ab und merken nicht, wie einseitig ihre Lebensweise doch ist, wenn sie den ganzen Tag Hochtrabendes von sich geben und der ganzen Welt ihr Wissen zur Schau stellen müssen. Hierfür liebe ich Marcel, der mir sein intellektuelles Leben in ganzheitlicher Form vorlebt. Seit ich seine Briefe lese, zieht es mich nicht mehr in diese einseitigen intellektuelle Kreisen hin ... Proust wirkt überhaupt nicht so blasiert wie der fiktive Marcel, den ich innerlich lesend häufig in seiner Arroganz abgestoßen hatte.

An Zadig (Reynaldos Hahn Hund, ein Langhaardackel; Reynaldo ist Prousts Liebhaber)
Okt. / Nov. 1911

Mon chér Zadig
Ich mag dich sehr, weil Du aus dem gleichen Grund wie ich viel Kummer und Liebe hast; und Du hättest auf der ganzen Welt nichts Besseres finden können. Aber ich bin nicht eifersüchtig, dass er mehr mit Dir zusammen ist, weil das gerecht ist und Du unglücklicher bist und mehr liebst. Ich will Dir sagen, woher ich das weiß, mein nettes Hundchen. Als ich klein war und Kummer hatte, weil ich von Mama weggehen oder verreisen oder ins Bett gehen sollte, oder weil ich ein Mädchen gern hatte, war ich unglücklicher als heute, einmal, weil ich wie Du nicht frei war, wie ich es heute bin, meinen Kummer irgend woanders loszuwerden, und also mit ihm eingeschlossen war, aber auch, weil ich in meinem Kopf angebunden war, keinen Gedanken hatte, keine Erinnerung an Gelesenes, kein Vorhaben, das mir Zuflucht geboten hätte. Und so bist du, Zadig, Du hast nie gelesen und Du hast nie Gedanken. Und Du musst hundeelend sein, wenn du traurig bist. (660)

Rührend dieser Brief … Doch stark anthropomorphistisch; nein, lieber Marcel, Tiere können unsere für Menschen gemachte Welt tatsächlich nicht lesen, so wie die Menschen die tierische Lebenswelt aber auch nicht lesen und nicht denken können ...

Weiter geht es am übernächsten Wochenende von der Seite 694 bis 704.

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Man kann nur über das gut schreiben,

was man liebt.

(Marcel Proust zitiert Ernest Renan)

 

Kennzeichen wahrer Originalität ist,
über ein nichtssagendes Thema nichts zu sagen.
(Brief an Georg de Lauris)

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Partnerschaft zwischen
Wissenschaft und Intuition!

Lesen mit Herz und Verstand!
Um die Welt, Menschen und Tiere
besser zu verstehen.

Mitgefühl für alle Mitseelen / Mitgeschöpfe
Deine Probleme könnten meine Probleme sein,
und meine Probleme könnten Deine Probleme sein.
Dein Schmerz, Mein Schmerz
Mein Schmerz, Dein Schmerz.
Wir sind alle fühlende Wesen.
(Den Tieren eine Stimme geben)

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Gehörte Bücher 2021: 13

Ich höre gerade: Sten Nadolny / Weitlings Sommerfrische
Aljoscha Long u. a. / Mit dem Herzen siehst du mehr
Hugh Lofting: Doktor Dolittle
Geo Podgast Staffel 2 / 26 Folgen zu Wissenschaft und Technik

Sonntag, 16. Mai 2021

Mohandas K. Gandhi / Mein Leben oder die Geschichte meiner Experimente mit der Wahrheit

Endlich stelle ich meinen langersehnten Mohandas K. Gandhis Autobiografie hier auf meinem Blog vor, bekannt auch als Mahatma Gandhi, der, wenn es nach meinem Leseplan ginge, schon längst hätte gelesen und rezensiert werden sollen.

Noch dazu ist wunderbar, dass Ilija Trojanow Herausgeber dieses Buches ist, den ich als Autor und Mensch auch sehr schätze und liebe. Vor allem in meinen jungen Jahren war er ein von mir viel gelesener Schriftsteller.

Klappentext  

Mein Leben

ODER DIE GESCHICHTE MEINER EXPERIMENTE MIT DER WAHRHEIT

Der Name Gandhi ist zum Synonym für gewaltlosen Widerstand und zivilen Ungehorsam geworden. In seiner berühmten Biografie legt Gandhi sich und der Welt Rechenschaft ab über sein Leben in Südafrika und Indien und den langen Kampf für die Unabhängigkeit Indiens, der ihn weit über das Land hinaus zur "großen Seele" - Mahatma - machte. Eines der bedeutendsten politischen und spirituellen Manifeste des 20. Jahrhunderts ist für unsere Zeit neu zu entdecken.

Als der junge Anwalt Gandhi 1893 mit dem Zug nach Pretoria fuhr, verwies ihn der Schaffner von der ersten Klasse in den Gepäckwagen. Der Schock dieser Diskriminierung bestärkte Gandhi in einem politischen Kampf, der für ihn zugleich zu einem Ringen um die richtige Lebensweise wurde. Er leistete ein Keuschheitsgelübde, nahm nur rohe, ungewürzte Speisen zu sich oder fastete, lebte auf der Tolstoi-Farm in Südafrika und in indischen Aschrams in besitzlosen Gemeinschaften und entwickelte nicht zuletzt gewaltlose Widerstandsformen gegen Rassendiskriminierung und Kolonialismus, die Protestbewegungen auf der ganzen Welt inspirierten. All das nannte Gandhi seine "Experimente mit der Wahrheit". In seiner Autobiographie legt er sich und der Welt Rechenschaft ab von seinem Leben in Südafrika und Indien und dem gewaltlosen Kampf, der zur Unabhängigkeit Indiens führte und ihn weit über Indien hinaus zur "Großen Seele" - "Mahatma" - machte. Eines der bedeutendsten politischen und spirituellen Manifeste des 20. Jahrhunderts ist für unsere Zeit neu zu entdecken.   

Autorenporträt

Mohandas Karamchand Gandhi, (1869 – 1948) war ein indischer Rechtsanwalt, Widerstandskämpfer, Revolutionär, Publizist, Morallehrer, Asket und Pazifist.

Ilija Trojanow
Ilija Trojanow ist durch Bestseller wie «Der Weltensammler » und Reisereportagen wie «An den inneren Ufern Indiens» einem großen Publikum bekannt. Er lebte unter anderem in Nairobi, Bombay und Kapstadt und lebt heute, wenn er nicht reist, in Wien. Für seine Romane und Reportagen wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Thalia.

Meine ersten Leseeindrücke

In diesem Band werden mir sicher einige Fragen beantwortet werden, die mir beim Lesen meiner ersten Biografie noch schuldig geblieben sind. Zu wenig weiß ich über die Kindheit dieses so großen Menschen, und hoffe, meine Lücke mit diesem Werk schließen zu können. 

Buchdaten

·         Herausgeber : C.H.Beck; 1. Edition (14. Mai 2020)

·         Sprache : Deutsch

·         Taschenbuch : 511 Seiten

·         ISBN-10 : 3406757200

Hier geht es zur Verlagsseite von C. H. Beck.

Hier geht es zu meiner Buchbesprechung.

 

Montag, 29. März 2021

Paula Stern / Tage des Aufbruchs - Die Kaffeedynastie (1)

Bildquelle: Pixabay
Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre 

Das Beste zuerst; das Buch ist groß im Herzen, was mir gut gefallen hat. Es ist gefüllt mit einer tiefen Empathie, die in großen Nöten zur wahren Menschlichkeit führt. Sowohl in der Politik, in der Freundschaft, als auch in der eigenen Verwandtschaft der Protagonistin, ohne dass es kitschig oder sentimental gewirkt hat.

Was mir nicht gefallen hat; mir war das Buch in den Zwischenetappen zu seicht. Es hat signifikant an Tiefe in den Charakteren gemangelt, sodass es definitiv zu glatt auf mich gewirkt hat, wie ich weiter unten noch besser ausführen werde. Außerdem hatte ich mir etwas ganz anderes unter dem Titel vorgestellt, und so wurden meine Erwartungen leider nicht erfüllt. Es mit dem Werk von Thomas Mann Die Buddenbrooks zu vergleichen, war ein großer Fehler. Die Kaffeedynastie ist ein reiner Unterhaltungsroman. Nicht mehr und nicht weniger.

Achtung Spoiler: Wer nicht zu viele Details erfahren möchte, so verweise ich, sich auf die Handlung zu begrenzen, auf die ersten Leseeindrücke, oder auf die allgemeine Buchbewertung am Ende dieser Besprechung.

Hier geht es zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Die noch im Elternhaus lebende Hauptfigur Corinne Ahrensberg, Ende zwanzig, ist eine junge Frau, die genau weiß, was sie möchte. Als ihr Vater Günther wegen eines schweren Schlaganfalls nicht mehr rehabilitiert werden kann und zu einem Pflegefall wird, möchte die Mutter Esther, dass Corinne zusammen mit ihrem acht Jahre älteren Bruder Alexander in das Familienunternehmen Ahrensberg einsteigt. Dadurch bekommt sie zusammen mit Alexander die Verantwortung für die Firma übertragen. Corinne hat große ideelle Pläne, möchte in die Fußstapfen ihres längst verstorbenen Großvaters Eberhard Ahrensberg treten, der Neuheiten und Wagnisse liebte, während Alexander es eher in die Fußstapfen des Vaters treibt. Ihm geht es mehr um hohe Verkaufszahlen als um Qualität, und dass Altbewährtes bleibt, wie es ist. Corinne dagegen möchte mehr Qualität und Individualität in die Kaffeebranche einbringen und setzt auf Neuerungen wie z. B. die Entwicklung und die Einführung von Fairtrade - Kaffee. Dadurch gibt es Reibereien mit dem despektierlichen Verhalten ihres Bruders, dem sie sich zu widersetzen versucht und sie sich hilfesuchend externen Rat eines anderen Fachkollegen einholt, nachdem ihr von Taktgefühl getragenes Einlenken regelrecht versagt hatte.

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Besonders gut hat mir gefallen, dass es Corinne mit viel Liebe und Geduld gelungen ist, ihrem Bruder sämtliche Fassaden von ihm abzulösen, sodass er die Chance bekam, sich in seiner Eigenart zu outen
.

Welche Szene hat mir nicht gefallen?
Eigentlich gab es gar keine Szene, die mir nicht gefallen hat, ironisch ausgedrückt. Die Protagonist*innen waren alle so verständnisvoll und gefügig. Viele Probleme wurden recht schnell gelöst, da die Figuren alles machten, was sich die zartfühlige Corinne von ihnen gewünscht hat.

Welche Figur war für mich eine Sympathieträgerin?
Großvater Eberhard Ahrensberg. Der zartbesaitete Eberhard wurde schon im Alter von 15 / 16 Jahren widerwillig in den Krieg einberufen. Widerstand zu leisten machte keinen Sinn, da sein Vater Anhänger der NSDAP war. Eberhard hatte eine sehr weiche und gutmütige Seele, sodass er überhaupt nicht auf Kämpfen und Morden ausgelegt war.

Wenn es nach ihm ginge, würde er lieber Bücher verschlingen, statt Marschieren und Kämpfen zu üben. (40)

Man nimmt in der Retrospektive an Eberhards Träumen teil, wie der Samen einer eigenen Kaffeeplantage damit im jugendlichen Alter schon gestreut wurde.

Berichte und Geschichten von fernen Ländern faszinierte ihn. Die Farben, Geräusche und Gerüche, die darin beschrieben wurden, lösten eine Sehnsucht nach der weiten Welt in Eberhardt aus. Gerne würde er nach Südamerika reisen, um einmal eine Kaffeeplantage zu sehen. Eines Tages würde er auch genau das tun. Das hatte er sich fest vorgenommen. (...) Seit er vor Jahren in einer Zeitschrift etwas über Kaffeeanbau gelesen hatte, faszinierte ihn das. So war er auch auf sein Sehnsuchtsziel Südamerika gekommen. Mit großer Sorgfalt sammelte er seit damals alles, was er zu Kaffee an Informationen erhaschen konnte. (40f)

Welche Figur war mir antipathisch?
Eigentlich keine. Oder wen soll ich hier auswählen? Eberhards Vater, der der NSDAP verschrien war und damit viele Menschenleben gefordert hat, mitunter auch sein eigenes? Doch ihn habe ich nicht als eine Figur erlebt, sondern nur als eine Beschreibung, an der ein paar Fakten und ein paar Charakterzüge festgemacht wurden.

Meine Identifikationsfigur
Keine.

Cover und Buchtitel  

Ich habe mir etwas ganz Anderes darunter vorgestellt. Als eine Kaffeedynastie im Untertitel habe ich das Buch nicht verstanden. Alles dreht sich um Corinne, während der Einfluss der letzten beiden Generationen viel zu kurz kam, auch wenn der Großvater Eberhard, der eigentliche Gründer dieser Dynastie, in der Lebensgeschichte zwar auftaucht, aber dennoch nur eine Nebenthematik bleibt. Im Fokus stehen eher die Lebensgeschichten der einzelnen Figuren, während die Gründung eines Großunternehmens nur peripher die Handlung widerspiegelt. Hier ging es mehr um das Nazideutschland, und um Eberhards Vater, der sich dem Geist der Nazis angeschlossen hatte. Die Kaffeedynastie kam hier überhaupt nicht zur Geltung. Es hätte, um dem Titel gerecht werden zu können, die Entwicklung eines Familienunternehmens, das aus drei Generationen besteht, mehr in den Vordergrund gerückt werden müssen, und das Nazideutschland, aus dem der Großvater kommt, eher an den Rand. Doch hier werden zwei Hauptthemen vorgestellt, wovon die erste Thematik die Existenzgründung der Corinne behandelt, während die zweite Thematik die Geschichte des Zweiten Weltkriegs mit dem Naziregime umfasst.

Der Hauptitel, Tage des Aufbruchs, passt lediglich in Corinnes Leben.

Das Cover selbst, von der Farbe her getragen einer Nivellierung jener Kaffeebohne, fand ich sehr ansprechend.

Zum Schreibkonzept
Das Schreibkonzept fand ich reizvoll
. Auf der ersten Seite ist eine Widmung zu entnehmen, auf den darauffolgenden Seiten findet man sämtliche Namen aller Figuren bzw. die unterschiedlichen Stammbäume und die Namen von Freund*innen einzelner Hauptfiguren. Anschließend geht es mit dem ersten Kapitel los. 22 Kapitel sind dem Buch insgesamt zu entnehmen. Quellennachweis und eine Danksagung schließen das Buch am Ende.

Die Handlung, die aus zwei Erzählsträngen besteht, wechselt zwischen Gegenwart und Vergangenheit kapitelweise einander ab.

Für alle Kaffeeliebhaber: Es gibt auch ein großes Geschenk an die Leser*innen. Man findet am Schluss der Geschichte jede Menge Rezepte rund um Kaffee und Gebäck.

Das fand ich sehr kreativ fürsorglich. Passt zu der Feinfühligkeit, die das Buch umschließt.

Einzige Bedingung: Man muss Kaffee lieben.

Meine Meinung
Ich finde den Roman nach meinem Geschmack viel zu seicht, obwohl er durchaus supergute Ansätze und wirklich große Themen wie z. B. auch Gegen das Vergessen und Gesellschaftsprobleme aufweist, die die Interaktionen und die Ereignisse zwischen den Figuren beeinflussen. Manche Szenen waren sehr gut und authentisch beschrieben. Vor allem die Szenen mit Isabella Pelzmann, die durch die Nazidiktatur massivste irreparable posttraumatische Störungen mit schwerwiegenden Folgen entwickelt hatte ... Leider konnte die Autorin diese Ebene an Tiefsinn im gesamten Roman nicht halten, weshalb sie immer wieder in dieses Seichte und Oberflächliche abgedriftet ist.

Mit wenigen Ausnahmen verlangten hartnäckige Probleme nach zu raschen Lösungen. Außerdem wurden Beziehungen viel zu schnell geschlossen, was ich als recht künstlich und zu unrealistisch empfunden hatte. Corinne lernt Noah kennen, der selbst auch ein eigenes alternatives Öko - Café besitzt. Schnurstracks waren die beiden ein Herz und eine Seele, und im Nu ein Liebespaar und im Nu lagen alle auch in Mutters Armen.

Die Figuren waren mir alle zu vernünftig, obwohl es in dem Buch große Themen gab, die die Geschichte begleitet hat. Die Fieslinge waren weg. Der Naziurgroßvater stirbt im Krieg. Corinnes dominanter Vater, der von jedermann als der Kaffeebaron bezeichnet wird, erleidet einen schweren Schlaganfall und wird dadurch in der Handlung auch ausgebremst. Der homosexuelle Alexander wird durch die Liebe seiner Schwester gefügig .... Der eifersüchtige Sebastian, der Corinne heimlich liebt, die sich aber für einen anderen Mann entscheidet, gibt sich zufrieden, wenn er schließlich in weiter Zukunft Patenonkel ihres ersten Kindes sein darf … Vermisste Personen aus dem Naziregime werden leicht wiedergefunden. Alles läuft glatt. Das meiste löst sich in kurzer Zeit in Wohlwollen auf und genau dies hat mich nicht überzeugen können. Nein, ich liebe Figuren, die Facetten haben und authentisch sind. Die Autorin hätte mehr aus ihrem Buch machen können.

Und dennoch war ich auch froh, dass das Buch nicht aus billiger Intrige bestanden hat, wie ich in meinen ersten Leseeindrücken befürchtet hatte. Ich präferiere keine Bücher, die mit schwarz-weiß, mit gut-böse Mustern gestrickt sind. Tiefe Facetten zeichnen nämlich den Menschen nicht zu reinen gut und böse, Engel-Teufel-Wesen aus, weil jeder Mensch auf seine Weise, auch wenn es schwer fällt, sich dies vorzustellen, mit diesen Un-Tugenden innerlich behaftet ist. 

Die Kaffeedynastie
Sehr interessant, sie war aber immer nur als eine Nebenthematik erfahrbar. Das Land Brasilien und das ganze Drumherum wurde viel zu wenig in die Geschichte verwoben.

Stereotypen
Die Deutschen hatten hier mit einer Ausnahme alle blonde Haare und blaue Augen. Obwohl die Autorin Nazigegnerin ist, hat sie bewusst / unbewusst genau den Deutschen porträtiert, den Hitler in seiner Rassentheorie als Arier bezeichnet hat, obwohl Hitler mit seiner Rassentheorie gescheitert ist. Manche wollen es immer noch nicht wahrhaben, dass es viele dunkelhaarige Deutsche gibt. Viele haben sogar von Natur aus einen olivfarbenen Teint. Mich wundert das nicht, denn seit eh und je sind Menschen rund um den Globus gewandert, längst sind alle Menschen vermischt. Selbst der sog. dunkelhäutige Urdeutsche kam einst aus dem Urwald, um das mal ganz platt auszudrücken. Was uns genetisch verändert hat, ist das Klima …

Mein Fazit
Wer einen einfachen Unterhaltungsroman sucht, der kommt hier voll auf seine Kosten, dafür hätte der Roman auch seine volle Punktzahl verdient. Wer aber mehr Anspruch sucht, wird eher enttäuscht werden.  

Wie ist das Buch zu mir gekommen?
Durch die Anfrage beim Verlag. Aufmerksam wurde ich durch den Buchtitel und durch Brasilien, in dem Land, in dem rund um die Kaffeebohne alles begann. Ich wurde neugierig auf die Kaffeeplantage. Ich dachte, dass Brasilien in der Geschichte einen großen Raum einnehmen würde. 

Meine Bewertung

1 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (einfach, fantasievoll)
0 Punkte: Differenzierte, facettenreiche Charaktere; 
1 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Erzähl-und Schreibstruktur
1 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
1 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein.

6 von 12 Punkten

Ein herzliches Dankeschön an den Verlag von HarperCollins für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

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Gelesene Bücher 2021: 06
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Gehörte Bücher 2021: 07

Ich höre gerade: Sten Nadolny / Das Glück des Zauberers
Aljoscha Long u. a. / Mit dem Herzen siehst du mehr
Jane Austen: Mansfield Park
Albert Einstein: Triumph des Denkens
Geo Podgast Staffel 1 / 24 Folgen zu Reisen und Tourismus
Geo Podgast Staffel 2 / 26 Folgen zu Wissenschaft und Technik

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Partnerschaft zwischen
Wissenschaft und Intuition!

Lesen mit Herz und Verstand!
Um die Welt, Menschen und Tiere
besser zu verstehen.

Mitgefühl für alle Mitseelen / Mitgeschöpfe
Deine Probleme könnten meine Probleme sein,
und meine Probleme könnten Deine Probleme sein.
Mein Schmerz, Dein Schmerz
Dein Schmerz, mein Schmerz.
Wir sind alle fühlende Wesen.
(Den Tieren eine Stimme geben)

 

Samstag, 20. März 2021

Zweite Proust - Satire/ Angekündigter Besuch

Bildquelle: Pixabay
Marcel Proust hatte mir gestern Abend von Paris aus einen Besuch zu mir nach Hause angekündigt und soeben hat er mich von unterwegs über ein Theatrophon angerufen, weil er kein Handy besitzt. Er befindet sich im Zwischenstopp und hat mir seine eingetroffene Einreise nach Deutschland und den Besuch zu mir nochmals bestätigt. Ach jeh, bin ich aufgeregt. Handy? Theatrophon? Wo um Himmelswissen sind auf öffentlichen Plätzen Theatrophons installiert?

Nirgends, sagte er, er trage auf Reisen immer ein eigenes bei sich im Gepäck mit, das er jeder Zeit ein- und auspacken könne, vor allem, um langweilige Fahrten auf den langen Autobahnstrecken, die es zu seiner Zeit nicht gab, besser überbrücken zu können. Dass man aber damit auch telefonieren könne, habe er selbst nicht gewusst. Aus purer Spielerei habe er es mal ausprobiert, und mich damit, wie man hören könne, erfolgreich kontaktiert. Ist für mich ein Wunder, mit welcher proustischen Zauberei dieses Theatrophon ein Telefon ersetzen konnte, fand aber in meiner Vorstellung keinen Platz und musste es so stehen lassen, solange die Verbindung funktioniert und das alles noch ohne eine Theaterbühne?

Autobahnstrecken? Aber wie ist er denn unterwegs? Doch nicht mit dem Zug? Nein, antwortete er mir. Mit einem Automobil. Ich wusste nicht, dass Proust Auto fahren konnte. Nein, er selbst würde auch nicht fahren. Er habe einen Chauffeur.
Marcel hat mich gefragt, ob ich heute eine Gesellschaft geben würde? Eine Soiree? Ich musste ihn daran erinnern, dass wir Corona haben und wir ein strenges auflagengestütztes Leben führen würden. Also keine Gesellschaft?, hakte er beharrlich nach. Nein, keine Gesellschaft, erwiderte ich. Wir sind ja hier nicht in Paris, wo im Vergleich zu uns die Inzidenz stetig steigt und ihnen wie ein Wunder dennoch kein Lockdown verhängt wurde.
Aaaber ich könne ihm eine Gesellschaft anderer Art offerieren, die sogar virenfrei sei. Sie biete reichlich wortgewandten, literarischen Esprit, ganz nach seinem Gusto. Jede Menge Seelenverwandte befänden sich darunter.
Nun wurde er neugierig, aber die Leitung wurde gekappt, die Verbindung gestört. Mit einem Handy wäre das nicht passiert, oder doch? Obwohl die berühmten Funklöcher auch moderne Apparate überraschen können. In der Zwischenzeit gehen mir jede Menge Gedanken durch den Kopf.
Ob er allergisch auf Katzenhaare ist? Er ist Asthmatiker und ich mache mir ein wenig Sorgen. Man kann putzen wie man will, es reicht die bloße Anwesenheit von Felltieren, um einen bronchialen Anfall auszulösen. So viel ich weiß, ist er aber Pollenallergiker.
Ich habe dennoch meine ganze Wohnung mehr als geputzt, meine Katzen gestriegelt und ihnen eine schöne Schleife um den Hals gebunden und alles für diesen ach so großen fabulierlustigen Romancier vorbereitet.
Zum Abschluss bin ich noch schnell in ein Café gehetzt, dessen Personal auch vor der Tür Bestellungen begleicht, die ich telefonisch in Auftrag gegeben habe, und konnte jede Menge Madeleines und Lindenblütentee mit nach Hause tragen.

Jetzt ist alles fertig. Ich bin ganz aufgeregt. Aber mein Freund kann nun kommen. Ich bin gut vorbereitet, auch meine Bücher in den Regalen sind gut sortiert und so warte ich nun gespannt, bis es endlich an meiner Haustüre klingelt.

Zwei Stunden sind mittlerweile vergangen und Marcel Proust ist noch immer nicht eingetroffen. Vielleicht ist es aber auch meine Ungeduld, die mir die Wartezeit so lang erscheinen lässt, denn ich freue mich so sehr auf ihn und kann es kaum erwarten, ihn bei mir empfangen zu dürfen. Die Literaturgespräche, die Proust mit seinen zahlreichen Freund*innen geführt hatte, waren meist sehr geistreich, immer so beseelt und nie trocken. Man hat just seine individuellen Ansichten daraus entlocken können, die jedes Mal von Geist und Seele getragen waren. Niemals musste er sich von seinen Partner*innen anhören, dass seine Art, über Literatur zu sprechen, zu persönlich sein würde. Oh ja, und gerade Marcel Proust ist jemand, der sein Herz auf der Zunge trägt und trotzdem wird er geachtet, denn alles ist in seinen Kreisen erlaubt. Literaturgespräche mit Witz, Charme, mit Trauer, Kummer, dann wieder mit Freude, Liebe, Glück ... Genau das gefällt mir am Austausch, weil dies Attribute sind, die sich auch in authentisch intellektuell geführten Kreisen nicht wirklich ausblenden lassen.

Parce que la vie le veut ainsi ...

© Mirella Pagnozzi


Montag, 15. März 2021

Paula Stern / Tage des Aufbruchs - Die Kaffeedynastie

 Klappentext  

Aachen 1945: Als Eberhard Ahrensberg nach Kriegsende in seine Heimat zurückkehrt, steht er vor den Scherben seiner Existenz. Der nationalsozialistische Vater an der Front gefallen, das Haus in Trümmern, die Firma aufgelöst. Doch er muss seine kleine Familie ernähren – in seiner Not beginnt er, Kaffee zu schmuggeln.

Aachen, Gegenwart: Als Erbin des bekannten Kaffee-Imperiums Ahrensberg liebt Corinne alles, was mit Kaffee zu tun hat. Doch anders als ihr Bruder setzt Corinne nicht auf Profit, sondern auf Individualität und Ursprünglichkeit. Bei ihren Recherchen in der Geschichte des Familienunternehmens entdeckt Corinne die bewegende Vergangenheit voller Glück, Verrat und Kampfgeist.

Autor*inporträt

Paula Stern liebt es zu genießen. In ihrer Trilogie »Die Kaffeedynastie« vereint sie diese Liebe mit ihrer Leidenschaft zum Schreiben und dem Interesse an historischen Ereignissen. Aus eigener Erfahrung weiß sie, wie es ist, ein Unternehmen zu leiten und mit den feinen Nuancen von Aromen verschiedenste Geschmacksrichtungen zu kreieren. Gemeinsam mit Mann und Hund lebt sie in einem kleinen Ort im Südwesten Deutschlands.

Meine ersten Leseeindrücke

Ein Buch, von dem ich gar nicht weiß, ob es zu mir passt, da ich absolut keine Kaffeetrinkerin bin. Aber ich wurde neugierig, vielleicht war es die Lust auf die Ferne, was mich so angezogen hat, weil es hier um eine Kaffeeplantage in Südamerika geht. Eine Kaffeedynastie einer deutschen, Aachener Familie von 1945. 

Bisher habe ich 64 Seiten gelesen und das Schreibkonzept finde ich ansprechend, da es sich kapitelweise mal in der Gegenwart bewegt, und mal wieder zurück geht in die Historie. Wenn ich richtig gerechnet habe, bekommt man es hier mit einer deutschen Familie aus vier Generationen zu tun, aber nur drei sind an dem Traditionsunternehmen beteilig.

Bis jetzt gefällt mir das Buch sehr gut, aber ich hoffe nicht, dass sich der Inhalt später sich nur noch an Intrigen hangeln wird, dann wird mein Interesse, das weiß ich schon jetzt, wieder abflachen. Es ist auf jeden Fall kein Thomas Mann - Buddenbrooks - Werk, das merkt man schon an der Sprache, das ich mir trotzdem erhofft hatte, selbst wenn die Gewinnbranche der Kaufmannsfamilie durch die Kaffeeplantage in Brasilien verwurzelt ist und nicht im Norden Deutschlands wie Lübeck. Ich lasse mich überraschen.

Buchdaten

·            Herausgeber : HarperCollins (27. Oktober 2020)

·            Sprache : Deutsch

·            Broschiert : 320 Seiten

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