Donnerstag, 7. Juni 2012

Elias Canetti / Die Blendung (2)



Es folgt nun die zweite Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

ISBN-10: 3596512255
Auf den weiteren Buchseiten zieht gemeinsam mit der frisch vermählten Frau Therese viel Chaos in das Leben des Professors ein... . Mit dem Sex nach der ersten Nacht hat es gar nicht geklappt, obwohl seine Gattin es ihm so einfach wie möglich gemacht hat ... . Eine Muschel, der Erzähler gebraucht diese Metapher, die man nicht erst öffnen muss, und trotzdem ergriff Kien die Flucht in den Toilettenraum, zog sich seine Hose aus und schluchzte wie ein Kind.

Therese will die Wohnung nun mit anständigen Möbeln bestücken und schafft ohne die Zustimmung seines Gemahls Bett, Kommode und Nachttopf in die Bibliothek an, die sie durch eine Möbelfirma zukommen lässt. Kien rebelliert:

"Und der Nachttopf?"
" Der Nachttopf?" Die Vorstellung eines Nachttopfs in der Bibliothek verblüffte ihn.
" Der kommt vielleicht so unters Bett?"
" Was fällt dir ein!"
Die Wohnung besaß vier Zimmer und es wurde ein Vertrag aufgesetzt, und darin wurden die jeweiligen Zimmer auf das Paar verteilt schriftlich fixiert. Doch Therese schaffte es, drei Zimmer zu erhalten, da das eine Zimmer neben der Küche mehr einer Kammer gleicht, worin sie auch selbst wohnte, als sie noch die Haushaltsdame des Professors war. Ebenfalls wurden in dem Vertrag die Redezeiten festgehalten, da dem Professor überhaupt nicht danach ist, selbst wenn er nun verheiratet ist, sich auf ein Geschwätz einzulassen und so hat er sich über den Vertrag absichern wollen.

Das Problem mit den Möbeln weitete sich später noch aus:
 Die Möbel existieren für ihn so wenig, wie das Heer von Atomen in ihm und um ihn. >Esse percipi<, Sein ist wahrgenommen werden, was ich nicht wahrnehmen, existiert nicht.
 Auch dies fand ich ein schönes Zitat, weil es doch auch der Wahrheit entspricht, ein Kern von Wahrheit.

Therese wird immer unbequemer, stellt Forderungen und weigert sich, weiterhin wie eine Dienstbotin zu schaffen. Sie beklagte ihm die mangelnde Zeit, die besser dafür eingesetzt wäre, um weitere Möbel anzuschaffen.
"Mit dem Kochen morgen ist es nichts. Ich habe keine Zeit. Ich kann nicht alles auf einmal machen." Neugierig auf die Wirkung ihrer Worte hielt sie inne. Sie rächt sich für seine Schlechtigkeit. Sie brach den Vertrag und redete bei Tisch. " Soll ich mir was Schlechtes anhängen lassen wegen einem Mittagessen? Mittagessen isst man jeden Tag. Das Schlafzimmer kauft man nur einmal. Eile mit Weile. Ich koche morgen nicht. Nein!"
Therese ist wütend, weil es mit dem Sex nicht klappt  und überhaupt wenig mit ihrem Mann gemeinsam unterhält, außer, dass  sie gemeinsam aber getrennt in der Wohnung des Professors leben. Das macht sie wütend, und fragt sich, ob ihr Mann ein Mann sei. Auf der Seite 174 findet Therese ihren Mann auf dem Boden seiner Bibliothek regungslos liegen, als er von der Leiter seines Regales gestürzt ist und glaubt ihn für tot. Sie ist wütend, dass er den Boden mit seinem Blut beschmutzt:
Das ist ja kein Blut. Oder hat der Mann ein richtiges Blut? Flecken machen kann er mit dem Blut, das ist alles.
Blut steht für den Lebenssaft, den Therese nicht nur in der ausbleibenden Sexualität bei ihm vermisst. Und man bekommt den Eindruck, des Professors Blut zirkuliere in eine seiner Gehirnhälfte.


Des Professors Geliebte ist eigentlich gar nicht Therese, sondern seine Bibliothek und die Bücher seine und deren Kinder. In großer Bitterkeit wendet er sich sprechend seiner Bibliothek zu und beklagt ihr sein Leid:
 "Seit einiger Zeit, genauer gesagt, seit dem Einbruch einer fremden Macht in unser Leben, trage ich mich mit dem Gedanken, unsere Beziehung auf eine starke Basis zu stellen. Eure Existenz ist vertraglich gesichert; doch sind wir, glaube ich, klug genug, um uns über die Gefahr nicht zu täuschen, in der ihr, einem rechtsgültigen Vertrages zum trotz, schwebt."
Der Professor identifiziert sich mit dem Leid seiner Bücher, vielmehr mit deren Vorfahren. Einst galten die Chinesen, 213 vor Christi, als die ersten Bücherverbrenner der Welt durch Kaiser Shi-Hong-Ti und durch seinen Minister Li-Si. Kien spricht mit den Büchern in tiefer Trauer wie andere zu leidgeplagten Menschen:
An eure noch alte und stolze Leidensgeschichte brauche ich euch im einzelnen nicht erinnern. Ich greife bloß einen Fall heraus, um ausschlaggebend vor Augen zu führen, wie nahe Liebe und Hass beieinander wohnen. In der Geschichte eines Landes, das wir alle gleicherweise verehren, eines Landes, wo man euch Aufmerksamkeit über Aufmerksamkeit, Liebe über Liebe und selbst den euch gebührenden göttlichen Kult erwies, gibt es ein furchtbares Ereignis, ein Verbrechen von mythischer Größe, das ein Machtteufel auf Einflüsterungen eines noch weit käuflicheren Beraters an euch verübt hat. (…) Dieser rohe und abergläubische Verbrecher, (s. oben, Anm. d. Verf.) war selbst viel zu ungebildet, um die Bedeutung von Büchern, aufgrund deren sein Gewaltsregiment bestritten wurde, richtig einzuschätzen. Aber sein erster Minister, selbst ein Kind seiner Bücher, ein festlicher Renegat also, wusste ihn in einer geschickten Eingabe zu dieser nie unerhörten Maßnahme zu veranlassen. (…) Die mündliche Tradition sollte zugleich mit der schriftlichen ausgerottet werden. (…) Werke über Medizin, Pharmakopöe, Wahrsagekunst, Ackerbau und Baumzucht - durchaus praktisches Gesindel also.
Ich gestehe, dass der Brandgeruch jener Tage mir heute noch in die Nase sticht. Was half es, dass drei Jahre später den barbarischen Kaiser sein wohlverdientes Schicksal ereilte? Er starb zwar, aber den toten Büchern war damit nicht geholfen. Sie waren und blieben verbrannt. 
 Diese Trauer um die verbrannten Bücher kann ich auch selbst gut nachvollziehen, wenn mir auch der Brandgeruch nicht in der Nase sticht :D. Dass der Professor die verbrannten Bücher als tote Bücher tituliert, ist für mich auch nachvollziehbar. Ich finde die Gedankenwelt des Professors eigentlich recht sympathisch, schade ist nur, dass er das geistige Leben nicht mit dem gesellschaftlichen und reellen Leben verbinden konnte. Da mir dieses Problem aus meiner Berufspraxis nicht gerade unbekannt erscheint, so stellt sich mir doch auch die Frage, was denn in seinem Leben widerfahren ist, dass er sich vor dem wirklichen Leben so sehr scheut, seine ganze Kraft und Lebenselixier in die Wissenschaften steckt?

Kien Sucht in der chinesischen Philosophie eine Erklärung für dieses Verbrechen, wobei die Erklärung, die er dort findet, könnte auch aus der Bibel stammen:
Sie handeln und wissen nicht, was sie tun; sie haben ihre Gewohnheiten und wissen nicht, warum; sie wandeln ihr ganzes Leben und kennen doch nicht ihren Weg: so sind sie, die Leute der Masse.
Auch in diesem Zitat steckt ein großer Kern Wahrheit. An anderer Textstelle geht es weiter:
Immer und ausnahmslos nehme man sich vor den Leuten der Masse in acht, ruft uns der Meister Mong mit diesen Worten zu. Sie sind gefährlich, weil sie keine Bildung, also kein Verstand haben. Einmal ist es nun geschehen, dass ich die Sorge um eure leibliche Pflege und menschenfreundliche Behandlung über die Ratschläge des Meisters Mong stellte. Diese meine Kurzsichtigkeit hat sich schwer gerächt.
Auch diese Textstelle stimmt mich ein wenig traurig bis nachdenklich, da ich auch derselben Meinung bin, dass die Masse einfach nur ein angepasster Laufträger ist... . Und doch ist es nicht nur die Masse, denn, wenn ich an den Nationalsozialismus denke, so befanden sich sehr viele kluge Köpfe darunter, Ärzte, Juristin, Chemiker ... die alle geschlossen mit ihrer Wissenschaft die Ausrottung von Juden beschleunigten. Aber letztlich war es die Masse, die diesen Menschen jene Macht übergaben und sich ihnen anvertrauten. Weshalb haben die klugen Köpfe keinen Widerstand geleistet, und deren hohe Intelligenz die Massentötung nicht verhindern konnten, statt Giftgas...  zum Töten zu erfinden. Weshalb haben Sie Ihre Intelligenz nicht eingesetzt, um diese Menschen zu retten? 
Hierbei habe ich schon ein wenig Mitgefühl für den Professor und vielleicht ist es die pure Enttäuschung über das viele Elend seit Menschengedenken und er sich aus diesem Grunde von den leiblichen Menschen zurückgezogen hat aber nicht nur. Man erfährt auch ein wenig von seiner Kindheit, auf die ich in der nächsten Buchbesprechung eingehen werde, sollten sich noch weitere Informationen zusammentragen, so dass es sich lohnt, sich darüber auszutauschen.
 Der Charakter und nicht das Staubtuch macht den Menschen.
Oder: der Charakter und nicht der Gebildete macht den Menschen, verehrter Herr Professor aber sicher haben Sie dasselbe gemeint.
____________

"Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen ." (T. Fontane)

UB:

Dickens: Schwere Zeiten
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Osorio: Mein Name ist Luz
Remarque: Der schwarze Obelisk
Rahom: Stein der Geduld
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

Gelesene Bücher 2012: 40
 


Mittwoch, 6. Juni 2012

Elias Canetti / Die Blendung (1)



Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

ISBN-10: 3596512255
Das Buch fesselt mich von der ersten Seite bis zu hundertsten und es mir schwer fällt, eine Lesepause einzulegen. Aber es wird jetzt auch Zeit, ein paar Gedanken festzuhalten. Es sind so viele schöne Textstellen und ich mir jetzt viel Zeit nehmen möchte, diese hier aufzuschreiben. 

Kurz möchte ich nur sagen, dass ich den Protagonisten Kien, vierzig Jahre alt, total für interessant halte, aber es stellt sich sehr schnell heraus, dass er menschlich ein absoluter Versager ist. Interessant ist auch, dass sein Bruder Peter in Paris Gynokologe ist, dann aber zum Psychiater sich weiterfortbildete. Ich glaube, Kien benötigt einen Psychiater, *grins*. Aber nicht einen, der so weit weg ist, sondern am besten einen in seiner absoluten Nähe... . 

So, und nun zum Buch:

Schmunzeln musste ich schon auf der ersten Seite, als ich die Bekanntschaft eines neunjährigen Schuljungen namens Franz Metzger machen durfte, der, wenn er die Wahl hätte, sich lieber für das Buch als für die Schokolade entscheiden würde. Der Junge liest so viel, dass sein Vater ihm schließlich die Bücher verbot. Das habe ich auch in meiner Grundschulzeit erlebt. Man hat mir die Bücher weggenommen, weil ich zu viel las und ich mir dadurch die Augen verderben würde. (Meine Augen waren ja schon verdorben, bevor ich überhaupt lesen konnte, und Ich glaube, dass es manchen Eltern regelrecht erschreckt, wenn sie Bücherwürmer aufziehen, könnten ja gescheiter werden als sie selbst :D. )

Zurück zum Buch: 

Prof. Kien ist völlig begeistert von dem Jungen und lädt ihn bei sich zu Hause ein, um ihm ein paar Bildbände zu China und Indien zu zeigen, da der Junge große Begeisterung und Vorwissen zu diesen, und anderen Ländern zeigte. Der Junge nahm die Einladung des Professors sehr ernst und persönlich. Nun, was aus der Einladung allerdings geworden ist ... . Besser selbst nachlesen, eine Szene, die mich betroffen gemacht hat, wenn diese für mich auch nicht unerwartet kam.

Auf Seite 15 denkt Kien durch den Jungen an seine eigene Kindheit zurück, als er so süchtig nach Buchhandlungen und Bibliotheken wurde. Und mir gefiel dabei folgendes Zitat:

Ein Buchhändler ist ein König, ein König kein Buchhändler.
Kien verbascheut den Alltag anderer Menschen, er lebt völlig in seiner Bücherwelt, noch besser in seiner eigenen Bibliothek umgeben von zweihundertfünfzigtausend Büchern, in der er seinen wissenschaftlichen Forschungen nachgeht.  Kien  spricht als Sinologe, China und Japankenner, viele östliche Sprachen und doch ist er wie stumm. Er drückt sich lieber schriftlich aus, und belegt das schriftlich Ausgedrückte am liebsten noch mit vielen Zitaten.

Später erfährt man, dass Kien von Studenten gar nichts halten würde, und man müsse sie in den Prüfungen bis zum Alter von dreißig Jahren durchfallen lassen, um somit eine ausgiebige Selektion zu bewirken, denn


an mittelmäßigen Köpfen sei ohnehin kein Mangel. Vorlesungen, die er abhalten, könnten, da er an seine Hörer die höchsten Forderungen stellen müsste, nur auf wenig Zulauf rechnen. Bei Prüfungen käme voraussichtlich kein einziger Kandidat durch :D. Er würde seinen Ehrgeiz darin setzen, die jungen, unreifen Menschen so lange durchfallen zu lassen, bis ihr dreißigstes Jahr erreicht und sei es aus Langeweile, sei's aus beginnendem Ernst, einiges, wenn auch vorläufig nur weniges gelernt hätten. ( Oh, der Fachkräftemangel lässt rufen, Anm. der Verf.)... Schon die Aufnahme von Menschen, deren Gedächtnis man nicht sorgfältig geprüft habe, in die Hörsäle der Fakultät, käme ihm bedenklich und zumindest nutzlos vor. Zehn nach schwersten Vorprüfung ausgewählte Studenten würden, blieben sie unter sich, unzweifelhaft mehr leisten, als wenn sie sich unter hundert träger Biernaturen :D, die üblichen an den Universitäten, mischten.
Wenn Kien seinen täglichen Spaziergängen nachgeht, so führt er ständig ein Notizheft mit Bleistift mit sich, um sich die Dummheiten, die sich auf der Straße, außerhalb seiner Bibliothek, zutragen, zu notieren.


Es folgte die Begebenheit, welche wieder die Dummheit der Menschen illustrieren sollte. Ein angewandtes Zitat, immer ein neues, bildete den Beschluss. Die gesammelten Dummheiten las er nie; ein Blick auf das Titelblatt genügte. In späteren Jahren dachte er sie herauszugeben, als Spaziergänge eines >Sinologen< .
Interessant finde ich auch die Wohnstätte des Protagonisten. seine Wände sind alle mit Büchern tapeziert, und besitzt in den Wohnräumen außer seines alten Diwans und seinem Schreibtisch keine weiteren Möbelstücke, da er Möbelstücke als pure Verschwendung betrachtet, die den Büchern nur den Platz rauben würden.


Nirgends ein Tisch, ein Schrank, ein Ofen, der das bunte Einerlei der Regale unterbrochen hätte. Den Besitz einer reichhaltigen, geordneten und nach allen Seiten hin abgeschlossenen Bibliothek, in der ihn kein überflüssiges Möbelstück, kein überflüssiger Mensch von ernsten Gedanken ablenkte.
Kien beschäftigt auch eine Haushälterin, die für ihn kocht und seine Bibliothek von dem Staub befreit. Mit ihrer Arbeit zeigte er sich sehr zufrieden, sprach aber nie seine Wertschätzung ihr gegenüber aus, er dachte sie nur im Stillen für sich. Wenn er seine Mahlzeiten auf seinem Schreibtisch zu sich nahm, wo er mit vielen Gedanken beschäftigt ist und von ihnen sich nicht zu trennen beabsichtigte, so war er gar nicht in der Lage zu beurteilen, ob ihm das Essen schmeckt, auch wusste er nicht, was er gerade für eine Mahlzeit zu sich nahm, denn,


das Bewusstsein bewahre man für mögliche Gedanken; sie nähren sich von ihm, sie brauchen es; ohne Bewusstsein sind sie nicht denkbar. Kauen und verdauen versteht sich von selbst.

Ich bin sehr angetan von diesem Zitat, weil es doch auch eine gewisse Wahrheit beinhaltet. und ich selbst finde es auch gut, wenn man auf solche Banalitäten nicht so viel an Bedeutung abgewinnt, allerdings nicht in dieser so scharfen Ernsthaftigkeit wie dies bei unserem Professor der Fall ist.

Viel Verständnis hat unser Krösus auch nicht für behinderte Menschen, dann wäre er von einer Behinderung betroffen, so würde er sich auf jeden Fall das Leben nehmen und dasselbe würde er auch diesen Menschen raten. 
Mich macht Kien recht neugierig, aber mit ihm zu tun möchte ich im realen Leben nicht wirklich.

er lebt sehr intensiv in seiner Bücherwelt, dass er quasi gar nicht mehr zu unterscheiden weiß, was Wirklichkeit und was Fiktion ist.


Plötzlich, er weiß nicht, wie ihm geschieht, verwandeln sich die Menschen in Bücher. Er schreit laut auf und stürzt besinnungslos in die Richtung des Feuers. Er rennt, keucht, beschimpft sich, springt hinein und sucht und wird von fliehenden Leibern gefressen. Die alte Angst ergreift ihn, Gottes Stimme befreit ihn, er entkommt und betrachtet vom gleichen Fleck das gleiche Schauspiel. Vier Mal lässt er sich zum Narren halten. Die Geschwindigkeiten der Geschehnisse nimmt von mal zu mal zu. Er weiß, dass er in Schweiß gebadet ist.
Diese Textstelle verdeutlicht nochmal, wie intensiv der Professor in seiner Welt lebt.

Seine Bedienstete interessiert sich eigentlich zu seinem Erstaunen auch für Literatur, und so leiht er ihr ein Buch, aber ein Buch, das er in der Jugendzeit schon gelesen und an vielen Klassenkameraden weiter verliehen hatte und dadurch reichlich abgenutzt ist. Die gute Haushaltsdame bekam nur aus dem Grunde dieses Buch ausgeliehen, weil sie viel zu dicke Finger habe und aus seiner Sicht recht ungebildet sei, so dass er ihr mit gutem Gewissen dieses abgenutzte Buch auszuleihen in der Lage ist, ohne zu befürchten, dass dem Buch noch mehr Schaden zugefügt werden könnte.
Romanen steht Kien eher abfällig gegenüber, da von ihnen kein Geist fett werden könne :D. 

Den letzten Satz, der Geist könne von Romanen nicht fett werden, finde ich so toll im Ausdruck ausgewählt, wenn ich die Meinung mit ihm allerdings auch nicht teile, obwohl ich selbst diese Erfahrung einst einmal machte, als ich ab dem Beginn meines Studiums die Romane alle ablegte und ich erst seit August 2010, wo mein Studium schon längst abgeschlossen war, wieder mit Romanen zu lesen begonnen habe. 

Auf der siebzigsten Seite macht unser Freund eine fragliche Entdeckung, was die Behandlung des abgegriffenen Buches durch die Haushaltsdame betrifft, die das Buch von dem vielen Schmutz zu reinigen versuchte und es in Schutzpapier kleidete, weil sie den Wert des Buches erkannte, was dem Professor in Erstaunen versetzte:


Sie sagte nicht > kostet < , sie sagte > Wert < hat. Sie meinte den inneren Wert, nicht den Preis. Und er hatte ihr immer vom Kapital vorgeschwärzt, das in seiner Bibliothek steckte. Diese Frau musste ihn verachten. Sie war eine großartige Seele. Da saß sie nächtelang über alten Flecken und plagte sich mit ihnen ab, statt zu schlafen. Er gab ihr sein lumpigstes, abgegriffenstes, schmierigste Buch, aus Gehässigkeit, sie nahm es in liebevolle Pflege. Sie hatte Erbarmen, nicht mit Menschen, da war es keine Kunst, sondern mit Büchern. Sie ließ die Schwachen und Betrübten zu sich kommen. Des letzten, verlassenen, verlorenen Wesens auf Gottes Erdboden nahm sie sich an.
 Mit diesem Zitat wird auch noch einmal deutlich, dass die Bücher für den Professor Menschen sind, einige davon lädiert, schwach, betrübt und verlassen... .

Durch diese Erkenntnis mit seiner Haushälterin gerät er ins Hadern, flüchtet somit zurück in seine Bibliothek und greift seinen Konfuzius an, den er duzt, er spricht wohl regelmäßig mit ihm, auch mit den anderen längst verstorbenen Autoren, während er mit den lebenden Menschen absolut auf Distanz steht:


"Ich glaube einige Bildung zu haben!" schrie er Konfuzius von fünf Schritt Entfernung an, "ich glaube auch einigen Takt zu haben. Man wollte mir einreden, dass Bildung und Takt zusammengehören, dass eines ohne das andere unmöglich ist. Wer mir das einreden wollte? Du!" Er scheute sich nicht, Konfuzius zu duzen. "Da kommt plötzlich ein Mensch ohne einen Funken von Bildung daher und hat mehr Takt, mehr Herz, mehr würde, mehr Menschlichkeit als ich und du und deine ganze Schule der Gelehrten zusammengenommen!"
Nun kommt es zu der großen Wende, und Kien nimmt seine Haushälterin zur Frau. Vor dem Altar war er recht hilflos, ich spare mir aber die Details und vor der ersten Nacht erst recht, indem er die Frau mit einer Muschel verglich, die durch ihre langen Kleider schwer an sie heranzukommen sei, wobei ich glaube, dass die erste Nacht gar nicht stattgefunden hat. Weitere, und zwar lustige aber gleichzeitig ernste Abläufe sind dem Buch zu entnehmen und so mache jetzt hier erst mal Schluss. Die zweite Buchbesprechung ist für morgen geplant... .
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 "Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen ." (T. Fontane)


UB:

Dickens: Schwere Zeiten
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Osorio: Mein Name ist Luz
Remarque: Der schwarze Obelisk
Rahom: Stein der Geduld
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

Gelesene Bücher 2012: 40








 




 

Elias Canetti / Die Blendung

 


Achtung: Es gibt hier ein Problem mit dem Schreibprogramm, wie z.B. Unterschiedliche Schriftgröße und Schriftart. Obwohl die Einstellungen korrekt sind, zeigt es nicht das Layout an, das ich gewählt habe.


ISBN: 978-3-596-51225

 

 Klappentext

Kien, ein bedeutender Sinologe, führt in seiner 25.000 Bände umfassenden Bibliothek ein groteskes Höhlenleben. Seine Welt ist im Kopf, aber sein Kopf ist ohne Sinn für die Welt. Als er, von seiner Haushälterin zur Ehe verführt, mit dem ganz »normalen« Leben konfrontiert wird, kann er sich nur noch in den Wahnsinn »retten«. Dieser Roman, 1935 in Wien zum ersten Mal veröffentlicht, nimmt in der Literatur des 20. Jahrhunderts einen zentralen Platz ein. Wie Joyce’ ›Ulysses‹ ist ›Die Blendung‹ eine mächtige Metapher für die Auseinandersetzung des einsam reflektierenden Geistes mit der Wirklichkeit.


Autorenportrait im Klappentext

Elias Canetti, 1905 in Rousse (Rustschuk)/Bulgarien geboren, studierte nach Aufenthalten in England und Frankfurt Naturwissenschaften in Wien und schrieb seinen großen Roman »Die Blendung«. 1938 musste er Österreich verlassen und emigrierte mit seiner Frau Veza nach England, wo sein soziologisches Hauptwerk »Masse und Macht« entstand. Seit den späten 60er Jahren lebte er in London und Zürich, wo er 1994 starb. Elias Canetti erhielt 1981 den Nobelpreis für Literatur.

 

Wie ich zu dem Buch kam

Ich befand mich gestern auf Entdeckungsreise in der Bahnhofsbuchhandlung in Frankfurt Main. Canetti ist mir zwar als ein recht anspruchsvoller Autor ein Begriff, aber gelesen habe ich bisher von ihm noch nichts. Das Buch hat mich nicht nur wegen der Liebe zu den Büchern durch den Protagonisten angesprochen, sondern weil es auch ein  psychiatrisches Thema mitbringt, und ich mir parallel zu meiner Berufspraxis großes Interesse erhoffe. Ich habe aber auch gehört, dass der Inhalt nicht ganz so einfach zu verstehen ist. 

 Ich werde es bald selbst erfahren. 

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 "Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen ." (T. Fontane)


Luca Di Fulvio / Der Junge, der Träume schenkte (1)



Erste und unvollendete Buchbesprechung zu diesem Werk

Ich werde das Buch nicht weiter lesen, auch werde ich das Buch nicht weiter verschenken, stattdessen es in den Müll werfen. In dem Buch geht es hauptsächlich um Vergewaltigungen in Übermaß. Es besitzt ein hohes Potential an Gewalt. Ich glaube nicht an eine so schwarze und einseitige Welt.
Das Buch erfüllt meinen literarischen Ansprüchen ganz und gar nicht und so möchte ich meine Zeit nicht weiter mit solchen BASTEI LÜBBE Büchern vergeuden, wo so viele andere und wirklich gute Bücher noch auf mich warten.
Des weiteren tauchen Begriffe wie "Rasse" auf. Für einen Gegenwartsautoren echt enttäuschend, wobei mir bewusst ist, dass viele, viele ItalienerInnen sehr rassistisch eingestellt sind. Nicht anders als bei uns hier in -D-.

Ich möchte den DUDEN zitieren, damit ihr mir glaubt, dass der Begriff Rasse tatsächlich disputabel ist:

Sprachtipp:
Ob der biologische Begriff der Rasse auch auf Menschen Anwendung findet, ist inzwischen wissenschaftlich höchst umstritten. Wenn auf entsprechende Unterschiede Bezug genommen werden muss, sollten deshalb Ausweichformen wie Menschen anderer Hautfarbe gewählt werden.
© Duden - Das Synonymwörterbuch, 5. Aufl. Mannheim 2010 [CD-ROM]


Das war das erste und letzte Buch von BASTEI LÜBBE.

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  "Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen ." (T. Fontane)

UB:

Dickens: Schwere Zeiten
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Osorio: Mein Name ist Luz
Rahimi: Stein der Geduld
Remarque: Der schwarze Obelisk
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

Gelesene Bücher 2012: 40

 


Montag, 4. Juni 2012

Luca Di Fulvio / Der Junge, der Träume schenkte



ISBN-10: 3404160614
Klappentext
New York, 1909. Aus einem transatlantischen Frachter steigt eine junge Frau mit ihrem Sohn Natale. Sie kommen aus dem tiefsten Süden Italiens - mit dem Traum von einem besseren Leben in Amerika. Doch in der von Armut, Elend und Kriminalität gezeichneten Lower East Side gelten die gnadenlosen Gesetze der Gangs. Nur wer über ausreichend Robustheit und Durchsetzungskraft verfügt, kann sich hier behaupten. So wie der junge Natale, dem überdies ein besonderes Charisma zu eigen ist, mit dem er die Menschen zu verzaubern vermag ...



Autorenportrait
Luca Di Fulvio, geb. 1957, lebt und arbeitet als freier Schriftsteller in Rom. Sein vielseitiges Talent ermöglicht es ihm, mit derselben Leichtigkeit sowohl packende Thriller für Erwachsene als auch fröhliche Geschichten für Kinder zu schreiben (letztere veröffentlicht er unter Psyeudonym). Einer seiner vorherigen Thriller, "L'Impagliatore", wurde unter dem Titel "Occhi di cristallo" für das italienische Kino verfilmt. Bevor Di Fulvio zum Schreiben kam, hat er in Rom Dramaturgie studiert, und sein Lehrmeister war kein Geringerer als Andrea Camilleri.

Das Buch klingt zwar interessant, aber das einzige, was mir nicht behagt, ist der Verlag. Bastei-Lübbe ist eigentlich bekannt für Groschenromane. Sprachlich erwarte ich keinen Krösus :D. Aber da ich in letzter Zeit viele Klassiker gelesen habe auf einem hohen Niveau, so darf es jetzt auch mal etwas Seichtes sein. Mein erstes Buch von Bastei-Lübbe.

Mich interessiert jetzt das Buch nicht, weil Kind und Mutter aus Sizilien kommen, sondern wie Amerika, das Land der Freiheit, mit ImmigrantInnen damals umging, da Amerika hier bei uns als ein Vorzeigestaat deklariert wurde. Ich glaube nicht, dass Amerika damals fremde Leute mit offenen Armen ins Land einreisen ließ.

Das Buch habe ich wieder abgebrochen, es konnte meinen Ansprüchen alles andere als gerecht werden. 
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 "Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen ." (T. Fontane)

SuB:

Di Luca: Der Junge, der Träume schenkte
Dickens: Schwere Zeiten
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Osorio: Mein Name ist Luz
Remarque: Der schwarze Obelisk
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

Gelesene Bücher 2012: 40






Marcel Proust / Sodom und Gomorrha (3)

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit BD 4


Dritte von sieben Buchbesprechungen zur o. g. Lektüre

Proust langweilt mich zurzeit wieder mal und macht mich müde. Er hat die Wirkung einer Schlaftablette :D. Momentan, auf den folgenden Seiten, ist Swann, der im BD 1 die Hauptrolle spielte, die Gesprächsnummer eins, über den geklatscht wird, aber nicht, weil Swann Männerorientiert, Transvestit oder ein Zwitter ist, nein, weil er der Dreyfuss-Affäre angehört. Swann ist selbst Jude und jetzt wird über ihn geklatscht. In Frankreich galten Juden, ähnlich wie in Russland, nicht als Franzosen, sondern als Ausländer. Unmöglich die Vorstellung, ein Franzose könnte Jude sein... . Und Franzosen, die Anhänger der Dreyfuss-Affäre waren, galten als Landesverräter und wurden aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Es wird also mal wieder im Hause Guermantes viel geklatscht, sowohl Männer als auch Frauen.  Desweiteren wird Swann hintenrum vorgeworfen, eine falsche Ehe eingegangen zu haben, *gähn*, Leut, das Leben ist kurz, was interessieren mich solche privaten Belange anderer Leute? 
Ehrlich gesagt interessiert mich die ganze Homo-Thematik überhaupt nicht, da ich keinerlei Vorurteile gegen diese Leute hege und ich meine Meinung dazu schon lange gebildet habe... . Ich kann mich nur wiederholen, es ist gut, dass nicht jeder Mensch zur Fortpflanzung beiträgt, sonst würde der Planet Erde aus allen Nähten platzen. Und wenn die Natur nicht wollte, dass es solche Wesen gibt, dann hätte sie sie auch nicht erschaffen :).
Ich möchte Proust nicht abwerten, ich habe nach wie vor Achtung vor ihm und ich bin sicher, dass in dem Buch noch vieles passieren wird, wobei Proust eher handlungsarm schreibt, und mehr über die Gespräche der feinen Leute spircht, auch recht kritisch, aber ab und zu passiert auch mal etwas :D.

Ich habe beschlossen, Proust zu vertagen und krame ihn wieder hervor, wenn ich vieeeel Zeit zur Verfügung habe. 

 

 "Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen ." (T. Fontane)

SuB:


Di Luca: Der Junge, der Träume schenkte

Dickens: Schwere Zeiten
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
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Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Osorio: Mein Name ist Luz
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Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

Gelesene Bücher 2012: 40

Sonntag, 3. Juni 2012

Marcel Proust / Sodom und Gomorrha (2)

  Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Bd 4


 Zweite von sieben Buchbesprechungen zur o.g. Lektüre 


Oh, Marcel Proust scheint ein riesen Problem zu haben. Er hegt genaue Vorstellungen davon, wie Frau und Mann sich zu geben haben, ebenso das Verhalten von Menschen aus anderen Nationen, liest sich recht etiketten- und klischeehaft. Würde Proust heute leben, so würde er alle Frauen für Zwitterwesen halten, weil wir mittlerweile nicht nur Hosen tragen... :D. Und trotzdem sind wir fortpflanzungsfähig... . 


ItaliernInnen hält Proust durchweg für raffiniert und Deutsche durchweg für grob. Eine Paarung von beidem ergibt ein Gemisch der Charaktere, eine sog. Anpassung :D. Der Deutsche wird raffiniert, die Italienerin wird grob. Oh, wie gut, dass unsere Natur viel intelligenter ist, die uns eine Welt schenkt, in der  Pflanzen, Tiere, Gesteine, und Menschen in Wirklichkeit vielfältig und bunt ist. Und wie arm wir doch wären, würden die Menschen tatsächlich nur in schwarz- weiß Kategorien existieren. Dann wären alle ItalierInnen gleich und alle Deutschen ebenso... . Aber wer will das schon? Wer will gleich sein wie der Andere, gleich sein wie z.B. der Nachbar? Irgendwo bestehen wir unbewusst auf unsere ureigene Individualität. Ja, und wir haben ein Recht darauf. Weg mit diesen Stereotypen und Klischees :-).


Wer hat nicht schon (…) bemerkt, wie sehr die normalsten Paare sich schließlich einander angleichen, ja zuweilen sogar ihre Eigenschaften vertauschen? Ein ehemaliger deutscher Kanzler, Fürst Bülow, hatte eine Italienerin geheiratet. Auf die Dauer konnte man auf dem Pincio feststellen, wie viele italienische Raffinertheit hat der germanische Gatte und wie viele deutsche Grobheit die italienische Fürstin angenommen hatte.


Aber weshalb Proust diesen Vergleich zieht , damit möchte er auch beweisen, die obige Theorie lasse sich auch auf die  Homosexualität schließen, als müsse diese sich ebenso abfärben :D.


Ich möchte nicht zu hart zu Proust sein, aber emanzipierte Frauen, die es zu dieser Zeit durchaus auch gab, gehen bei ihm mit  Sicherheit mit schlechtem Urteil durch. Frauen, die Bücher gelesen und Zigaretten konsumiert haben, auf Pferden breitbeinig mit Reiterhosen und Stiefeln ritten, die Bücher schrieben und versuchten in die Politik zu gehen, u.v.a.m. damit hatte er sicher seine Probleme:


Im Ministerium sagt man, ohne dass man damit irgendetwas speziell Boshaftes äußern wollte, dass in dieser Ehe der Mann die Weiberröcke, die Frauen die Hosen anhaben. Doch lag darin mehr Wahrheit, als man meinen mochte. Madame de Vaugobert war ein Mann.


Und das nur, weil sie Hosen trug. Solche Frauen verweichlichen ihre Männer, somit bezeichnet er dies als ein Abfärben der Homosexualität bzw. von Zwitterwesen.


Es gibt noch viele, viele Textstellen, gepaart mit Naturbetrachtungen ... . Bitte selber lesen.






 

Marcel Proust / Sodom und Gomorrha (1)

 Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Bd 4


 Eine von sieben Buchbesprechungen zur o.g. Lektüre


Ich habe nun die ersten fünfzig Seiten gelesen und schon auf den ersten Seiten wird recht schnell deutlich, welche Themen mich in diesem Band begleiten werden. Doch manche Handlungen sind mir schon bekannt aus den letzten drei Bänden. In der aristokratischen Gesellschaft, besonders die der Damen, finden Plaudereien schon morgens um 10:00 Uhr statt. Die Männer beginnen erst abends zu plaudern, indem sie gewisse Soirees bilden :D. So kann man ein wenig neidisch werden, dass diese Damen morgens nicht aufstehen um arbeiten zu gehen, oder um ihre Familie zu versorgen, denn auch darum kümmern sich die Hausangestellte, nein, eigentlich müssten sie gar nicht aufstehen :D aber sie stehen auf, um Gesellschaften zu geben und zu halten. Diese täglichen Mattinées :D  enden gegen 12:00 Uhr Mittag.

Wenn ich nur diese viele Zeit zur Verfügung hätte und das viele Geld, was würde ich da nicht alles mit meiner Zeit nur anstellen?

Das Hauptthema in diesem Buch ist die Homosexualität. Proust versucht anhand von Naturbetrachtungen diese den Figuren in seinem Buch zu begreifen, wobei an vielen Stellen deutlich wird, dass für ihn Homosexualität eher etwas Krankhaftes, als etwas Abnormales, in der Natur spricht man von einer Unart, die nicht überlebenswert ist, da Liebende mit demselben Geschlecht nicht fortpflanzungsfähig sind. Der junge Marcel scheint auf der Suche nach der sexuellen Orientierung zu sein. Es ist bekannt, dass der reale Marcel männerorientiert lebte. 

Und getrennt voneinander werden die beiden Geschlechter Zugrunde gehen;
Wobei sich mir die Frage stellt, ob es natürlich ist, wenn alle Menschen der Erde sich fortpflanzen würden? Da ist es doch klug von der Natur geregelt, wenn es auch solche Menschen gibt, die nicht fortpflanzungsfähig sind. Bei sieben Milliarden Erdbewohnern ist der Planet sowieso schon überbevölkert.

Marcel beobachtet allerdings noch, doch manchmal bekomme ich sogar den Eindruck, dass die Homosexualität eher etwas Kriminelles, als ein Verbrechen an die Natur aufgefasst werden könnte. Festgelegt hat sich Marcel noch nicht. 

Um näher bei der Natur zu bleiben - und die Vielzahl dieser Vergleiche ist in sich selbst umso natürlicher, als ein und derselbe Mensch, wenn man ihn ein paar Minuten lang beobachtet, sukzessive ein Mensch, ein Vogelmensch, ein Insektenmensch usw. zu sein scheint-, hätte man auch sagen können, es handele sich um zwei Vögel, ein Männchen und ein Weibchen, von denen das Männchen seine Avancen macht, das Weibchen aber (…) mit keinem Zeichen auf dieses Treiben antwortet, sondern ohne Verwunderung sein Freund anschaut, mit einer achtlosen Lässigkeit, dies bestimmt für verführerischer und, nachdem das Männchen den ersten Schritt getan hat, für das einzig zweckmäßige hält, derweil es sich auf das Glätten seiner Flüge beschränkt.

Marcel spricht hier von einer Romanfigur namens Monsieur de Charlus, ein zwittriges Wesen, körperlich eher Mann als Frau, der sich allerdings damenhaft kleidet und sich mit rotem Lippenstift die Lippen färbt.
Proust teilt die Menschen auch in verschiedene Rassen ein. Unter den verschiedenen Rassen fallen Frauen, Männer, Homosexuelle, Zwitter… .

(…) Er sähe aus wie eine Frau: Er war eine! Er gehörte zu der Rasse jener Menschen (…) deren Ideal männlich ist, gerade weil sie von weiblichem Temperament sind, und die im Leben nur scheinbar den anderen Männern gleichen; da, wo jeder in seinen Augen, durch die er alle Dinge der Welt betrachtet, eine bestimmte Silhouette hätte auf seiner Iris eingezeichnet trägt, schwebt diesen nicht eine Nymphe, sondern ein Ephebe vor.  (Lt. DUDEN - EPHEBEN ein wehrfähiger junger Mann im alten Griechenland, Anm. d. Verf.) 

Wobei er die Homosexuellen als Zwitterwesen bezeichnet. Für mich sind Zwitter eigentlich jene Menschen, die beide Geschlechter besitzen. bei Marcel ist es eher so, dass Monsieur de Charlus wie ein Mann zwar aussehen, sich aber wie eine Frau geben würde. Allerdings ist mir in den letzten drei Bänden gar nicht aufgefallen, dass dieser Monsieur eine Neigung in diese Richtung haben könnte. Ich kann mir vorstellen, dass dieser Anblick für die damalige Zeit recht schockierend war, das ist es ja heute noch, und ganz besonders in den katholischen Ländern.

Die Homosexualität zu begreifen stellt für den Erzähler Marcel eine große Hürde dar. Homosexualität sei schwerer zu verstehen und zu begreifen, und es sei auch schwerer diese zu verzeihen, als es bei Kriminellen der Fall sei:
Eine Rasse, auf der ein Fluch liegt und die im Glück und Meineid leben muss, dass sie weiß, dass ihr Verlangen, das, was für jedes Geschöpf die höchste Befähigung im Dasein ausmacht, für sträflich und schmachvoll (...) ist.
Dieses Zitat zieht sich noch arg in die Länge, da ich aber niemanden erschlagen möchte mit meinen vielen Textpassagen, so habe ich es einfach abgekürzt, aber das Wesentliche kommt auch abgekürzt gut herüber.

Ich freue mich, dass heute der Begriff Rasse überholt und veraltet ist, auch wenn dies noch nicht bei allen Menschen angekommen ist. Aber was bekümmern mich andere Menschen, solange ich mich um meine Entwicklung schere.

Für den Erzähler erweist sich die Homosexualität als nicht heilbar.

Das Buch ist noch seeeeehr dick und bin recht neugierig, was sich diesbezüglich noch tun wird.





Marcel Proust / Sodom und Gomorrha

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit 4




Verlag: Suhrkamp
Frankfurter Ausgabe 2004
TB, Seitenzahl: 886
19,00 €
ISBN-10: 351845644X

Klappentext

"Sodom und Gomorrha" beginnt mit einer spektakulären Szene, der Begegnung zweier Männer, die von der Natur füreinander geschaffen sind: Baron von Charlus und der Westenmacher Jupien. Endlich öffnet Proust seinem Romanhelden die Augen; Marcel erhält Antwort auf die bisher unverstandenen Zeichen der Homosexualität. Nach der mondänen Welt der "Guermantes" tun sich nun neue Welten auf: Sodom, die Welt der männlichen, und Gomorrha, die Welt der weiblichen Homosexualität. Bei der Soiree der Fürstin von "Guermantes" erlebt Marcel einen Höhepunkt seiner gesellschaftlichen Karriere und erkennt, wie die Welt von Sodom jene der Gesellschaft überlagert und unterläuft. Die Ambivalenzen in seiner Beziehung zu Albertine und sein Verlangen nach neuen Liebesabenteuern begleiten ihn von Paris nach Balbec, wo auch der zwielichtige Geiger Morel wieder in Erscheinung tritt.

Autorenportrait

Marcel Proust, geb. am 10. Juli 1871 in Auteuil, starb am 18. November 1922 in Paris. Sein siebenbändiges Romanwerk 'Auf der Suche nach der verlorenen Zeit' ist zu einem Mythos der Moderne geworden. Eine Asthmaerkrankung beeinträchtigte schon früh Prousts Gesundheit. Noch während des Studiums und einer kurzen Tätigkeit an der Bibliothek Mazarine widmete er sich seinen schriftstellerischen Arbeiten und einem nur vermeintlich müßigen Salonleben. Es erschienen Beiträge für Zeitschriften und die Übersetzungen zweier Bücher von John Ruskin. Nach dem Tod der über alles geliebten Mutter 1905, der ihn in eine tiefe Krise stürzte, machte Proust die Arbeit an seinem Roman zum einzigen Inhalt seiner Existenz. Sein hermetisch abgeschlossenes, mit Korkplatten ausgelegtes Arbeits- und Schlafzimmer ist legendär. 'In Swanns Welt', der erste Band von Prousts opus magnum, erschien 1913 auf Kosten des Autors im Verlag Grasset. Für den zweiten Band 'Im Schatten junger Mädchenblüte' wurde Proust 1919mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. Die letzten Bände der Suche nach der verlorenen Zeit wurden nach dem Tod des Autors von seinem Bruder herausgegeben.

Gelesen habe  ich von Proust BD 1 - BD 3 und zwei Biografien. Proust kann ich nur lesen, wenn ich Urlaub habe ... .

 

 


Mittwoch, 30. Mai 2012

Thomas Mann / Der kleine Herr Friedemann



 Fischer TB-ISBN 978-3-596-51135-8

Eine Novelle von vierundvierzig Seiten!


Ja, mir hat sie gut gefallen, wobei mir der Anfang und der Schluss nicht wirklich realistisch erschienen sind.

Der Protagonist der Erzählung ist der dreißigjährige Johannes Friedemann, Sohn der Konsulin Friedemann, Vater Konsul verstarb durch eine schwere Krankheit kurz nach seiner Geburt. Als Säugling von einem Monat fiel J. Friedemann vom Wickeltisch, weil niemand nach ihm schaute. Er befand sich alleine im Raum, obwohl er noch zwei ältere Schwestern besaß  Und ebenso die Amme war zugegen, aber auch sie verletzte ihre Aufsichtspflicht, da sie wohl mit anderen Dingen beschäftigt war. Der Amme galt der alleinige Vorwurf nach Meinung der Konsulin..






Im Alter von einundzwanzig Jahren verstarb seine Mutter.

 Friedemann war gezeichnet und von Trauer, von einer tiefen inneren Trauer... .

Seine beiden großen Schwestern waren nicht besonders hübsch, auch besaßen sie kein großes Vermögen und hatten sonst keine anderen weiblichen Reize, so dass sie ehelos blieben. Der Erzähler  gebraucht den Begriff "hässlich". Die Schwestern seien recht hässlich.

Friedemann war auch nicht besonders hübsch, ebenso im Knabenalter. (Die Details dazu bitte selber nachlesen.), wobei ich nicht weiß, ob das der Grund sein muss, partnerlos zu bleiben. Menschen besitzen eine Aura, Charme, etc. mit denen man vor anderen Menschen brillieren und Sympathien erwecken kann, selbst wenn man nicht dem Schönheitsideal entspricht. Schönheit / Hässlichkeit sind relative Bezeichnungen und Menschen sind recht oberflächlich, wenn sie andere nur nach Aussehen und Vermögen beurteilen. Demgegenüber scheint der Erzähler auch ein wenig Wert auf das Schönheitsideal zu legen :D.

Wenn ein Säugling vom Wickeltisch fällt, stirbt man da nicht? Frage, Frage, Frage ... .

Freidemann lebte eher zurückgezogen, auch als Kind vermied er Einladungen. Meist trug er schon im jungen Alter so etwas wie eine Trauermiene. lief auch recht gekrümmt, dadurch dass er oft den Kopf nach unten trug... . Er kränkelte auch immerzu... .

Sein Kopf saß tiefer als je zwischen den Schultern , seine Hände zitterten, und ein starker, stechender Schmerz stieg ihm aus der Brust in den Hals hinauf. Aber er würgte ihn hinunter, und richtete sich entschlossen auf, so gut er das vermochte. "Gut", sagte er zu sich, "das ist zu Ende. Ich will mich niemals um das alles bekümmern. Den anderen gewährt es Glück und Freude, mir aber vermag es immer Gram und Leid zu bringen. Ich bin fertig damit. Es ist für mich abgetan. Nie wieder".

Friedemann geht einem musischen Hobby nach, er spielt Violine, aber ich habe immer den Eindruck, dass er über das Gewöhnliche nicht hinauszukommen versucht. Ob das das Hobby ist oder berufliche Leistungen.

Nach der Schule, er war siebzehn Jahre alt, ging er in die Kaufmannslehre und ging einem geregelten Lebensablauf nach. Auch hier war kaum Tiefgang zu spüren.

Als seine Mutter starb, verlor er sich wieder in seinem Pathos, was eigentlich auch verständlich ist, aber Friedemann ging mit Schmerzen nochmals anders um als andere:

Das war ein großer Schmerz für Johannes Friedemann, den er sich lange bewahrte. Er genoss ihn, diesen Schmerz, ergab sich ihm hin, wie man sich einem großen Glücke hingibt, er pflegte ihn mit tausend Kindheitserinnerungen und bedeutete ihm aus als sein erstes starkes Erlebnis.

Der Erzähler hat aber keinerlei Verständnis für den armen Herrn Friedemann, und bringt das Beispiel eines Naturschauspiels, dass ein Spaziergang zur Frühlingszeit draußen in den Anlagen vor der Stadt, der Duft einer Blume, der Gesang eines Vogels - ob man für solche Dinge nicht dankbar sein konnte?

Der Erzähler vergleicht ihn mit einem Epikuräer. So richtig gut kenne ich mich mit Epikur nicht aus, aber ich erinnere mich, dass es etwas mit Selbstgenügsamkeit zu tun hat und dass Menschen, sowohl im ideellen als auch materiellen Sinne, die nicht viel besitzen, die Kunst erwerben könnten, sich auch an Wenigem zu freuen.
Der mangelnde Ehrgeiz Friedemanns würde dazu passen.

Friedemann liebte nicht nur die Musik, sondern er liebte auch das Theater, das er regelmäßig besuchte.

Eines Tages lernt er die hinzugezogenen Herr und Frau Oberstleutnant von Rinnlingen kennen. Frau Rinnlingen zeigt sich Friedemann sehr zugewandt. Es knüpft sich eine recht interessante aber fragwürdige Beziehungen zwischen den beiden. Doch auch in dieser Kontaktknüpfung macht Friedemann eher einen Schritt nach vorne und zwei wieder zurück. Obwohl er sich in Frau Rinnlingen verliebt hat, gibt er sich recht hilflos wie ein Kind. Und doch gibt er sich schließlich nach langem hin und her einen Stoß und suchte die Lady zu Hause auf.

Friedemann habe ich sehr schnell durchschaut aber Frau von Rinnlingen war mir ein wenig rätselhaft, denn einerseits versuchte sie Friedemann zu verführen und andererseits kam es mir so vor, als würde sie mit ihm ihre Spielchen treiben. Als Frau von Rinnlingen vorgibt, sich für Friedemanns Schwächeleien zu interessierten, ich gehe mal davon aus, dass es eher Neugierde als echte Anteilnahme war, da Friedemann, wie oben schon gesagt, von seinem Auftreten her sich wie ein Bündel Elend zeigte, und das reizt Frau Rinnlingen, ihn zu provozieren. Sie nimmt ihn irgendwie auf die Schippe, nach dem Friedemann ihr von seinem Gesundheitszustand Bericht erstattet hatte:

"Auch ich bin viel krank", fuhr sie fort, ohne die Augen von ihm abzuwenden;" aber niemand merkt es. Ich bin nervös und kenne die merkwürdigsten Zustände."

Auf den folgenden Seiten kann man entnehmen, dass in den verschiedenen anderen Szenen Frau von Rinnlingen recht kalte Blicke auf ihn wirft.

Nach einer gesellschaftlichen Veranstaltung der Rinnlingen, an der auch Friedemann teilnahm, fühlte er sich alles andere als wohl. Seine Gefühle zu dieser Frau nehmen immer mehr zu, je mehr sie sich für sein Leid zu interessieren zeigt:

Müde und abgehetzt er sich fühlte, und wie doch alles in ihm in qualvollem Aufruhr war! War es nicht das Beste, noch einmal um sich zu blicken und dann hinunter in das stille Wasser zu gehen, um nach einem kurzen Leiden befreit und hinüber gerettet zu sein in die Ruhe? Ach, Ruhe, Ruhe war es ja, was er wollte! Aber nicht die Ruhe im leeren und tauben Nichts, sondern ein sanft besonderer Friede, erfüllt von gutem, stillen Gedanken.

Eigentlich sehnt er sich nach dem Tod, aber nach einem ganz besonderen Tod, an stillen Gedanken hängen zu dürfen, drückt doch auch ein wenig das Bedürfnis nach Leben aus. Denken bedeutet ja auch Leben…

Die beiden treffen sich an einem Tag und Frau von Rinnlingen gibt sich Friedemann gegenüber, was seine Leiden betreffen, weiterhin recht interessiert:

"Seit wann haben sie ihre Gebrechen, Herr Friedemann?" fragte sie. " Sind Sie damit geboren?"
Er schluckt hinunter, denn die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Dann antwortete er leise und artig:
" Nein, gnädige Frau. Als kleines Kind ließ man mich zu Boden fallen; daher stammt es."
"Und wie alt sind Sie nun?" Fragte sie weiter.
"Dreißig Jahre, gnädige Frau."
" Dreißig Jahre", wiederholte sie. " Und Sie waren nicht glücklich, diese dreißig Jahre?"
           (...)

Nun kommt die Wende, als Friedemann sich ihr ganz in Selbstmitleid auflöst, seinen Kopf jammernd in ihren Schoß legt, so lässt daraufhin die vornehme Dame Friedemann fallen, indem sie ihn sogar noch zum Boden hin, Richtung Fluss, stößt:

Und dann, plötzlich, mit einem Ruck, mit einem kurzen, stolzen, verächtlichen Lachen hatte sie ihre Hände seinen heißen Fingern entrissen, hatte ihn am Arm gepackt, ihn seitwärts vollends zu Boden geschleudert, war aufgesprungen und in der Allee verschwunden.
Er lag da, das Gesicht in Graß, bereut, ist außer sich, und ein Zucken lief jeden Augenblick durch seinen Körper. Er raffte sich auf, tat zwei Schritte und stürzte wieder zu Boden. Er lag am Wasser.-
Was geht eigentlich in ihm vor, bei dem, was nun geschah? Vielleicht war es dieser wollüstuge Hass, den er gefunden hatte, wenn sie ihn mit ihrem Blick gedemütigte, der jetzt, wo er, behandelt von ihr wie ein Hund, am Boden lag, in eine ihr sinnige Wut aussagte, die er betätigen musste, sei es auch gegen sich selbst… ein Ekel vielleicht vor sich selbst, der ihn mit einem Durst erfüllte, sich zu vernichten, sich in Stücke zu reißen, sich auszulöschen…

 Mir kamen heute noch Gedanken, dass Friedemann zu einer reifen Liebe gar nicht fähig war, denn sonst hätte er sich eine Frau gesucht, die noch ungebunden wäre, und in der Bindung der Austausch beidseitig wäre. Doch für solche Bindungen war seine Seele nicht wirklich reif genug. Für ihn war die vornehme Frau Rinnlingen unbewusst ein Mutterersatz. Je mehr diese Frau sich für seine Leiden interessierte, desto stärker fühlte er sich ihr emotional hingezogen. Und dass Frau Rinnlingen ihn so fallen lässt, ist eine unbewusste Reaktion, ihn durch´s Fallenlassen wachzurütteln. Man hat das ja im Leben oft, dass Menschen, die sich nach außen hin wie arme, hilflose Opfer geben, von anderen gerne geneckt und provoziert werden. Opfer suchen sich ihre Täter - im schlimmsten Fall sind solche Menschen empfänglich für jegliche Form von Gewalt. Die Welt ist ja so böse, und ich armer Friedemann bin von ihr immer so schlecht behandelt worden.
__________________
"Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen ." (T. Fontane)

UB:

Dickens: Schwere Zeiten
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Osorio: Mein Name ist Luz
Proust: Sodom und Gomorrha
Remarque: Der schwarze Obelisk
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

Gelesene Bücher 2012: 36

Montag, 28. Mai 2012

Hans Fallada / Damals bei uns daheim 7





Ich habe feuchte Augen bekommen, denn ich bin durch mit der Autobiographie und mir ist Fallada und dessen Familie total ans Herz gewachsen. Hans Fallada hat einen großen Platz in meinem Herzen errungen.

Hans Fallada hat genau einen Tag vor mir Geburtstag und ist gerade mal siebzig Jahre und einen Tag vor mir geboren. Aber er selbst wurde leider nur vierundfünfzig Jahre , vielleicht überlebe ich ihn . Wäre er älter geworden, sicher hätte er noch weitere Bücher verfasst. Aber es ist wie es ist. Jeder Todeszeitpunkt ist der richtige. Es gibt keinen falschen, vgl. T. Mann. Der Wille zum Glück.

Zur Erinnerung:

Hans Fallada, ist, wie dies aus dem Klappentext hervorgeht, nur sein Pseudonym, denn ich möchte gerne erinnern, dass er mit richtigem Namen Rudolf Ditzen heißt. Aber für mich bleibt er Hans Fallada, solange auf den Büchern kein anderer Name steht... .

Ich habe heute auf einer anderen Seite gelesen, dass Fallada doch an einer traumatischen Neurose litt, die Krankheitserscheinungen in der vorliegenden Autobiografie allerdings noch keine Rolle spielen. Ich vermute mal, dass sie später im erwachsenem Alter, zum Ausbruch kam, aber wohl in der Kindheit schon latent angelegt war, wie an manchen Textstellen angedeutet wurde.
In seinem Werk "Der Trinker", so glaube ich, lassen sich eigene Erfahrungen ableiten... . Mal sehen.

Ich werde über die Pathologie in der Biografie zu Fallada "Mehr Leben als ein Leben", geschrieben von Jenny Williams, hoffentlich mehr erfahren.

Die Familie zieht nach Leipzig um und Hans das Gymnasium wechseln muss. Für die Eltern stellt sich die Frage, welches Gymnasium das geeignetere wäre. Auf dem einen Gymnasium würde Hans ein halbes Jahr untergestuft werden, in die Obertertia, und würde aber ohne Aufnahmeprüfung an der Schule aufgenommen werden, während er auf dem anderen Gymnasium ein halbes Jahr übergestuft werden würde, käme in die Untersekunda. Der Vater empfiehlt die zweite Alternative, und Hans schließt sich den väterlichen Empfehlungen an, aber es ist sehr viel Schweißarbeit gefordert. Denn Hans muss im Anschluss von vielen Einzelstunden die Aufnahmeprüfung für die Untersekunda bestehen. Der Vater meldet Einzelstunden in der Schule an, so dass Hans keine Zeit mehr bleibt für Hobbys, da er acht Stunden täglich bis zur Prüfung mit Hilfe verschiedener Fachlehrern pauken, pauken, pauken muss, und sich die Paukerei zu Hause fortsetzte.

Nach der Aufnahmeprüfung wartet der Vater vor der Tür auf seinen Sohn, und Hans bemüht sich, eine grimmige Fassade aufzusetzen, doch wer kennt seine Kinder besser als ein Fallada-Vater. Der Vater grinst in die Fassade hinein und ist sich sicher, dass Hans die Prüfung bestanden hat. Tja, Hans Schauspieltalent versagen eben bei solchen Vätern.

Der Vater ist überaus stolz auf seinen Sohn und möchte seinen Eifer belohnen. Er dürfe sich etwas wünschen und er wolle gewiss auch nicht sparen. Hans wünscht sich ein Fahrrad und der Vater ist völlig entsetzt, weil ihm nicht bekannt war, dass Hans Fahrradfahren könne. Sie machen vor einem Fahrradgeschäft Halt:


Nun wohl, mein Sohn, hier ist eine stille Straßen, und so wirst du nun erst einmal eine kleine Prüfung ablegen vor mir und dem Händler. Erst dann wird zum Ankauf geschritten. Du kommst heute aus den Prüfungen nicht heraus , Hans".

Auch hier besteht Hans seine Prüfung und bekommt das beste Rad, das der Händler zu bieten hat.


Das Rad hat einhundertfünfunddreißig Mark gekostet, Vater hat mir etwas Solides, etwas fürs Leben gekauft. Nur die krumm nach unten gebogene Lenkstange hatte er abgelehnt.
"Nein, nein, ich kenne das! Die sitzen so wie Affen auf dem Rade. Ich möchte dich doch nicht in dieser Richtung ermuntern, Hans, ich gebe noch immer nicht die Hoffnung auf, dass du dich mit den Jahren zum Menschen entwickelst. "
Wenn Vater den Sohn neckte, war er immer in allerbester Stimmung.

Diese Szene fand ich einfach auch sehr schön, die Vater-Sohn-Beziehung, die ich unbedingt festhalten wollte, damit sie vielerorts wenigstens auf dem Papier reell bleibt.

Als ich die Szenen mit dem Fahrradkauf gelesen hatte, überkam in mir der der leise Verdacht, ob Fallada mit dem Fahrrad nicht verunglücken werde. Hans Fallada erwies sich in seiner gesamten Kinderzeit als extrem unfallgefährdet, deshalb war mir der Verdacht so nahe, der sich später auch bestätigt hatte.

Hans erlitt einen so bösen Unfall, auf die Details möchte ich nicht eingehen, dass er über einen längeren Zeitraum in der Klinik rehabilitiert und versorgt werden musste und sein Fahrrad ward nie mehr gesehen. Und hier ein kleiner Textauszug aus Falladas Sicht:


Aber, wie schon früher gesagt, ich war damals fast Fatalist, ich nahm auch diesen Unfall hin, wie ich anderes hingenommen hatte. Es war nun einmal so, dass sich ausgesprochenes Pech im Leben hatte, damit musste ich mich eben abfinden. Am Anfang Frühling, Ferien, Untersekunde, neues Rad. Am Ende: Winter, nacharbeiten in der Schule, doch noch Obertertia, das zertrümmerte Rad war verschwunden, und es gab keinerlei Aussicht auf ein neues. Ja, alle Anstrengungen bei Herrn Dr. Dackelmann waren doch umsonst gewesen. Umsonst hatte ich den Verdacht eines Holzkopfes durch übermäßiges Büffeln zu zerstreuen versucht. Umsonst war ich an vielen Winternachmittagen hinterher an Professor Muthesius durch das dunkelnde Schulzimmer gestampft. Umsonst hatte ich die Prüfung >glänzend< bestanden. Ich kam nicht in die Untersekunde, ich wurde in die Obertertiar gesetzt. Ich hatte kein halbes Jahr übersprungen, ich hatte eines verloren!

Szenenwechsel: Hans macht zu Hause eine enttäuschende Entdeckung, als er in der Bibliothek seines Vater ein Buch findet mit dem Titel: Wie erziehe ich unseren Sohn Benjamin - ein Ratgeber für deutsche Eltern.

Hans konnte nicht glauben, dass sich die Eltern solcher Bücher annehmen und schämte sich für seinen Vater bis ins Mark. Fallada geht leider nicht darauf ein, was an dem Buch so skandalös ist, und so bleibt mir einfach wieder mal die Vermutung, mit der ich mich einsam zurückziehen muss. Natürlich geht da auch die Fortpflanzung hervor, und sicher die Erhaltung der Art . ... .

Ich stelle die Hypothese auf, dass der Ratgeber rassistisches Gedankengut hat, und das lässt vermuten, weshalb die Kinder Karl May nicht lesen durften. Nun ja, ich schätze mich als eine recht aufmerksame Leserin ein, ich hätte ja auch die Karl-May -Szene einfach überlesen können. Das habe ich aber nicht gemacht... . Und mich interessiert das nach wie vor brennend.


Das Lesezeichen steckte an einer bestimmten Stelle, und ich las los. Und las. Und dann versteckte ich das Buch scheu an seinem alten Platz, ich schämte mich, dass Vater das gelesen hatte, und ich schämte mich noch mehr, dass ich wusste, Vater hat dies gelesen ...

Hier hat der junge Hans aufgehört, seinen Vater zu idealisieren aber hier beginnt sein Leben als erwachsener Mann ... , und Fallada diese neue Lebensphase als recht schmerzvoll erlebt.

An dieser Stelle mache ich Schluss und ich bleibe weiterhin dran mit einigen Fragen, die mir noch offen geblieben sind. Lücken, die ich gerne noch schließen möchte.

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Ich gebe dem Buch neun von zehn Punkten. Deshalb neun und nicht zehn, weil manche Infos nur angedeutet wurden und ich Vermutungen anstellen musste, die sich bis zum Schluss der Lektüre nicht aufklären ließen.

Neun Punkte und nicht weniger aus dem Grunde, weil Fallada in verschiedene Erzählstränge wechseln konnte, ohne dass die Autobiografie, wie ich schon an anderer Stelle erwähnte, keine Chronologie aufwies, und man trotzdem nicht die Orientierung verliert. Ich fühlte mich als Leserin gut in dem Buch geführt. Das Buch war sehr interessant erzählt und wirkte auf mich recht authentisch. Es hat mich neugierig gemacht, weitere Biografien zu lesen. Ich fange gleich morgen an zu bestellen.
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"Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen." (T. Fontane)

SuB:

Dickens: Schwere Zeiten
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Osorio: Mein Name ist Luz
Proust: Sodom und Gomorrha
Remarque: Der schwarze Obelisk
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

Gelesene Bücher 2012: 36