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Donnerstag, 31. Oktober 2019

Andrej Kurkow / Graue Bienen (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre   

Was für ein tolles Buch. Von der ersten bis zur letzten Seite hat mich der Autor damit in den Bann gezogen, dass ich nach der letzten Seite mit meiner Bücherfreundin Anne telefonieren musste, um ihr von dem Buch zu erzählen. So viel Menschlichkeit hat Kurkow in seinen Figuren gepackt, trotz dieser schweren Zeit des Krieges zwischen Russland, der Ukraine und dem Niemandsland. Ich fand keine Seite langweilig, selbst im ersten Teil nicht, wo es hauptsächlich um zwei Männer geht, die alleine im Dorf zurückgeblieben sind, und sie aufeinander angewiesen sind. Mich hat die Beziehung zwischen diesen zwei Menschen sehr interessiert.

Ich möchte nicht so viele Details verraten, damit auch andere denselben Genuss erleben können, den ich erlebt habe. Ich nenne nur ein paar Fakten, dann mache ich Schluss.

Hier geht es zur Buchvorstellung, zum Klappentext, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.


Die Handlung
Der Held dieser Geschichte ist für mich nicht nur Sergej Sergejitsch, auch viele Nebenfiguren habe ich als Helden erlebt. Die meisten sind Zivilisten, aber auch ein paar von den Soldaten zeigten sich von ihrer gutmütigen Seite. Helden deshalb, weil sie für mich alles Menschen sind, die versuchen, in Kriegszeiten das Menschsein nicht zu verlieren.

Aber Sergej ist der Oberheld dieses Romans, der zusammen mit seinem Kindheitsfeind Paschka im Krisengebiet Donbass lebt, in dem ukrainische Kämpfer und prorussische Separatisten sich bekriegen. Die beiden Männer leben in dem kleinen Dorf, während der Rest der Dorfbewohner*innen vor dem Krieg geflohen ist, sodass sämtliche Häuser leer und verlassen stehen. Lediglich die Dorfkirsche wurde zerbombt. Dombass ist eine sogenannte Grauzone, das ich als ein Niemandsland bezeichnen würde.
Nur lebte er, Sergejeitsch, jetzt gleichsam weder in der >Republik< noch im Land. Er war in der grauen Zone, und graue Zonen hatten keine Hauptstädte! (2019, 107)

Sergej ist Bienenzüchter, der sich danach sehnt, mit seinen Bienen ein ruhiges Leben zu führen. Er interessiert sich überhaupt nicht für Politik und wirkt dadurch manchmal ein wenig naiv im Umgang mit Soldaten oder mit der späteren Grenzpolizei. Sergeij liebt seine Bienen, wie andere ihre Haustiere lieben, und zeigt dadurch ein sehr verantwortungsbewusstes Leben ihnen gegenüber.

Er ist 44 Jahre alt und ist Frührentner, da er an einer Staublunge erkrankt ist.

Paschka und er, sie haben sonst niemand, sind beide aufeinander angewiesen, wenn sie nicht in der Einsamkeit verkommen wollen. Außerdem ist die Lebensqualität der beiden Männer dermaßen eingeschränkt, da ihnen der Strom seit drei Jahren abgestellt wurde, und sie dadurch auch kein Fernsehen können, selbst das Handy kann nicht aufgeladen werden und bleiben ohne Verbindung zur restlichen Welt.

Sergej hatte zudem noch Pech mit seiner Familie, da er von Frau und Kind aus anderen Gründen verlassen wurde.

Aus Sorge, Sergejs Bienen könnten den Krieg nicht überleben, es könnte eine Granate auf ihren Bienenstöcken fallen, fühlte sich nun auch Sergej gezwungen, im Frühling sein Heimatdorf mit seinen sechsstöckigen Bienen für eine bestimmte Zeit zu verlassen, Richtung Westen, um die Bienen dort fliegen zu lassen, wo es ruhig ist und wo kein Krieg herrscht. Leicht wird diese Reise nicht, sämtliche Hürden muss er überwinden, Krisengebiete weitestgehend zu umfahren, und sämtliche Checkpoints in einer ruhigen Art zu bezwingen.
Er brachte sie dorthin, wo es still war, wo die Luft sich langsam mit der Süße sich aufblühender Gräser füllte, die bald von blühenden Kirschbäumen, Aprikosenbäumen, Apfelbäumen und Akazien Verstärkung erhalten würden. (200)

Nun blieb Paschka ganz alleine zurück, der auf eine baldige Rückreise hoffte.

Auf dieser Reise lernt Sergej viele Frauen kennen, die ihn in seiner Not unter die Arme greifen. Doch auch Sergej wird vom Schicksal herausgefordert, politischer Helfer für andere Menschen zu werden.

Mehr möchte ich nicht verraten …

Welche Szene hat mir nicht gefallen?
Ganz klar, dass das Szenen sind, wo Menschen in einem totalitären und korruptem Staat unschuldig verhaftet und zu Tode gefoltert werden. Furchtbar, wenn einer Familie, den Kindern der Vater und der Mutter der Ehemann genommen wird, der nur noch als Leiche zurückkehren wird. Oder wenn der Journalismus gelinkt wird und man die Meinungsfreiheit abgesprochen bekommt. 

Doch der Krieg hatte auch etwas Gutes. Er verwandelte nämlich zwei Kindsfeinde zu Freunden.

Bis zum Tod hätten sie nicht miteinander geredet. Wäre nicht der Krieg gewesen. (11)

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Es gab so viele Szenen, die mir gut gefallen haben, und es fällt mir schwer, mich auf eine zu fokussieren.

In der Geschichte gibt es eine Szene, in der ein Soldat in Sergejs Nachbardorf den Weihnachtsmann gespielt hat, um den Kindern in dieser tristen Zeit Geschenke zu bringen. Die Kinder hatten sich auf den Weihnachtsmann gefreut, da er sich ja angekündigt hatte. Doch als Weihnachten ohne den Weihnachtsmann kam, waren die Kinder sehr traurig. Sie warteten jeden Tag auf ihn, selbst dann noch, als Weihnachten schon längst vorbei war. Als Sergej in das Dorf ging, um Besorgungen zu tätigen, haben die Kinder gedacht, dass Sergej der Weihnachtsmann sei.

Achtung Spoiler
Doch was die Kinder nicht wussten, ist, dass der Weihnachtsmann ein Soldat war, der tot im Schnee gelegen hat. In der Nähe von Sergejs und Paschkas Haus. Der Soldat kam durch eine Bombe um. Sergej hatte den Soldaten Tage vorher im Schnee gefunden und hatte seinen Rucksack durchwühlt und wunderte sich, dass dieser voller Süßigkeiten war, und er ging von der Annahme aus, dass dieser Soldat Süßigkeiten geliebt haben musste. Da er tot war, nahm Sergej den Rucksack an sich.

Als er das Nachbardorf wieder verlassen hatte, dachte er nochmals über den toten Soldaten nach, über den Rucksack, der mit Süßigkeiten gefüllt war und begriff nun, dass der Weihnachtsmann tot im verschneiten Feld lag, und die Süßigkeiten gar nicht für ihn gedacht waren. Sergej beschloss schließlich, am nächsten Tag den Kindern die Süßigkeiten aus dem Rucksack zu bringen. Das fand ich so schön, wie er es geschafft hat, die Kinder glücklich zu machen.

Welche Figur war für mich ein Sympathieträger?
Mir ist Sergej Sergejitsch ans Herz gewachsen, aber viele andere Figuren fand ich auch spannend und interessant.

Welche Figur war mir antipathisch?
Kann ich nicht sagen. Eher die Grenzpolizisten, die Sergej zu einem Flüchtling degradiert hatten.

Meine Identifikationsfigur
Ich konnte mich in jeder spiegeln.

Cover und Buchtitel
Beides sehr gelungen, gut getroffen. Allerdings hatte ich den Buchtitel anfangs etwas anders gedeutet, was sich aber später gewandelt hat. Die Symbolik Graue Bienen habe ich zum Schluss als sehr surreal erlebt.

Zum Schreibkonzept
Auf den 445 Seiten ist die Geschichte in 74 Kapiteln gegliedert und mit vielen Absätzen verziert, was das Lesen sehr angenehm gemacht hat.

Meine Meinung
Eigentlich ist dies ein Buch, das man zwei Mal lesen müsste. Sergej wurde nachts mit so vielen Alpträumen geplagt, die man psychoanalytisch stärker ins Visier nehmen müsste. Sigmund Freud hätte hier seine Freude gehabt. Nein, seine Träume waren keine Nonsense, sie waren symbolträchtig und tiefgründig, und sie spiegelten auch oft Sergejs Ängste wider, wenn auch der letzte Traum ein wenig kafkaeske Züge aufwies.

Was die Liebe zu den Bienen betrifft, da stehe ich dem ein wenig ambivalent gegenüber. Weil den Tieren, die eigentlich den Honig für sich und für ihr Bienenvolk herstellen, ihn weggenommen bekommen. Sie sind dadurch immer am Schaffen, am Produzieren, ohne selbst etwas von dem Honig zu haben. Dies ist der Grund, weshalb Veganer*innen keinen Honig essen. Die Bienen produzieren, und produzieren und produzieren, immer auf Akkord, ständig sind diese Tiere am Schaffen, was eigentlich mit einer absoluten Ausbeutung zu vergleichen wäre. Die Bienen werden, wenn man es genau nimmt, regelrecht ausgeraubt … Dadurch, dass sie indirekt zum vielen Abreiten gezwungen werden, sinkt auch ihre Lebenserwartung, da ihnen die Lebensgrundlage genommen wird.

Mein Fazit
Es ist nicht nur ein Kriegsbuch, sondern auch ein Buch über Freundschaft in vielerlei Hinsicht. Ein sehr lesenswertes Buch, das mich auch politisch gepackt hat. Die Thematik ist eingebettet in eine sehr schöne und sehr fantasievolle, literarische und in eine sehr warme Sprache, ohne die Ernsthaftigkeit der menschlichen Nöte in Zeiten des Krieges in Zweifel zu stellen.

Ich werde Andrej Kurkow nun auch zu meinen Favoriten gesellen.


Meine Bewertung

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismu
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein

Zwölf von zwölf Punkten.


Weitere Information zu dem Buch

Vielen herzlichen Dank an den Diogenes - Verlag für das Bereitstellen des Rezensionsexemplars.

________________
Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)

Gelesene Bücher 2019: 25
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Donnerstag, 25. Juli 2019

Gary Shteyngart / WIllkommen in Lake Success (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre 

Fünf Wochen habe ich für dieses Buch benötigt, da ich derzeit meinen Kopf nicht freibekomme, da so viel anderes ansteht. Das ist das erste Mal, wofür ich für ein Buch so lange gebraucht habe.

Warum schreibe ich das? Hauptsächlich für mich, wenn ich diese Buchbesprechung nach einer gewissen Zeit wieder nachlesen möchte, und ich mich nicht wundern muss, weshalb mich das Buch so viel Zeit beansprucht hat.

Aber hat es wirklich nur an mir gelegen? Nein, nicht nur an mir, es hat auch etwas an dem Buch gelegen. Es war sehr zäh, hat sich gezogen, sodass die Handlung für mich nach etwa zweihundert Seiten die Glaubwürdigkeit verloren hat. Deshalb werde ich mich in dieser Besprechung kurzhalten.

Außerdem wurden viele Themen angerissen, die nicht zu Ende gedacht wurden.

Hier geht es zur Buchvorstellung; zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Die Handlung beschreibt das Leben einer Kleinfamilie namens Cohen. Barry Cohen ist etliche Jahre älter als seine Frau Seema. Seemas Eltern sind Einwanderer und kamen ursprünglich aus Indien, während sie selbst in den Staaten geboren ist und dadurch die amerikanische Staatsbürgerschaft erworben hat. Barry, Ende dreißig, ist Jude und seit über zwanzig Jahren in der Finanzbranche tätig. Er verwaltet Wertpapiere bis zu 2,4 Milliarden Dollar.

Seema ist Juristin und 29 Jahre alt.
Sie haben einen gemeinsamen Sohn namens Shiva. Ein langersehntes Kind, da es mit dem Kinderkriegen zuvor nicht wirklich klappen wollte, bis Seema einer künstlichen Befruchtung zugestimmt hat. 

Der kleine Shiva ist aber kein normales Kind. Es ist autistisch. Die Eltern müssen lernen, mit der Besonderheit ihres Kindes umzugehen. Aber der Autismus fordert die Eltern heraus. Eigentlich passt er nicht in das Lebensbild des Vaters, denn Barry kommt aus einer perfekten Welt, in der Schwächen nicht geduldet werden. Das Kind spürt die mangelnde Zuneigung seines Vaters und lehnt ihn vehement ab. Die Ehe der Eltern wird auf die Probe gestellt.

Seit Seema die Diagnose ihres Sohnes erfahren hatte, verbringt die junge Mutter jede freie Minute, für das Kind da zu sein. Sie nimmt alle Stränge in die Hand, organisiert eine Tagesmutter und medizinische Hilfe, in der das Kind gefördert werden kann, während Barry gar nicht wahrhaben will, dass sein Sohn autistisch ist. Dadurch, dass Seema jede freie Minute für ihr Kind investiert, so ist es Barry, der glaubt, zu kurz zu kommen.

Seema wirft ihm bedingt durch seinen Beruf Empathie- und Fantasielosigkeit vor.

Barry besitzt viele teure und anspruchsvolle Uhren.
Die Uhr schmiegt sich um sein Handgelenk wie ein Artefakt aus einem goldenen, technisch ausgereiftem Universum, und sie tat kund, was für ein Mann Barry eigentlich war. (2018, 28)
Die Probleme zu Hause hält Barry nicht aus und macht sich auf, mit einem Bus nach Richmond zu reisen, um seine alte Jugendfreundin zu finden. Doch eigentlich ist er auf der Flucht. Auf der Flucht vor seinem Sohn, vor seiner Frau, nicht zuletzt auch vor sich selbst.

Welche Szenen haben mir gar nicht gefallen?
Mich hat genervt, dass der Autor ein großes Geheimnis um den Autismus gemacht hat. Er hat die Erkrankung viele Seiten über umschrieben, um wahrscheinlich die Thematik spannender aufzuziehen. Aber ich glaube, dass jeder anspruchsvolle Leser*in weiß, was Autismus ist. Ich bin sehr schnell hinter seine Umschreibung gekommen.

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Politisch: Die kritische Sichtweise zu Donald Trump.
Barry ist ein Trump – Gegner.

Welche Figur war für mich ein Sympathieträger?
Keine

Welche Figur war mir antipathisch?
Barry aber auch seine Frau. Eigentlich fand ich alle Figuren unsympathisch, vor allem die, die in einer starken materiellen Welt gefangen sind und wenige innere Werte besitzen.

Meine Identifikationsfigur
Keine.

Cover und Buchtitel  
Beides sehr ansprechend.

Zum Schreibkonzept
Auf den 430 Seiten ist das Buch in 13 Kapiteln gegliedert. Es gibt keinen Prolog aber einen Epilog.

Meine Meinung
Eigentlich hatte mich das Buch anfangs fasziniert. Den Klappentext fand ich ansprechend, aber die ganze Thematik hat mich irgendwann angefangen zu langweilen. Dann war mir das Bild  zwischen den Amerikaner*innen und den Migrant*innen zu einseitig und zu dick aufgetragen. Und überhaupt viel zu viele Gedanken über die Hautfarbe. Warum müssen Menschen so viel über die Hautfarbe schreiben? Es gibt dunkle Menschen. Es gibt helle Menschen. Es gibt braune Menschen … Wo ist das Problem, wenn die Menschenwelt von Natur aus bunt ist? 

Mein Fazit
Ich freue mich, dass ich nun mit dem Buch durch bin, und dass ich durchgehalten habe, ohne es vorzeitig abzubrechen.

Da dieses Buch auf Whatchareadin gelesen wurde, verlinke ich meine Besprechung mit der Leserunde.

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
1 Punkte: Differenzierte Charaktere
1 Punkte: Authentizität der Geschichte
1 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen,Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein

Hat mir die Geschichte an sich gut gefallen?
Trotz guter Bewertung meinerseits, nein.
Neun von zwölf Punkten.

Weitere Informationen zu dem Buch:

Hier geht es zu Whatchareadins Leserunde. 

Ein herzliches Dankeschön an den Penguin Verlag für das Bereitstellen des Leseexemplars. 
________________
Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)

Gelesene Bücher 2019: 22
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Samstag, 8. Juni 2019

Ian McEwan / Maschinen wie ich (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre          

Leider hat mich dieses Buch von McEwan, der eigentlich zu meinen Lieblingsautor*innen zählt, nicht ganz überzeugen können. Deshalb werde ich mich hierzu kurzhalten.

Das Buch ist an sich nicht schlecht geschrieben, nur die Episoden mit dem Roboter Adam gingen nicht an mich. 

Hier geht es zur Buchvorstellung; zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Der Protagonist Charlie Friend, 32 Jahre alt, schafft sich einen humanoiden Roboter der Marke Adam an. Adam ist nicht irgendeine Maschine, denn er besitzt verglichen zu anderen künstlichen Geräten ein Bewusstsein. Adam ist männlich und es gibt dazu einen weiblichen Part namens Eva. Die Käufer dieser menschenähnlichen Maschine können sich aussuchen, ob sie einen Adam oder eine Eva haben möchten. Adam ist in der Lage, sich selbst Energie zuzuführen, in dem er sich mit einem Kabel an die Strombox anschließen kann, wenn sein Akku verbraucht ist. Adam kann aber noch mehr. Er kann Haiku schreiben. Er kann philosophieren und sonst intellektuelle Gespräche führen. Er ist mit einem Silikonchip ausgestattet. Die Maschine kann von seinem Besitzer durch die Festlegung verschiedener Präferenzen so eingestellt werden, dass daraus eine Persönlichkeit entsteht, so, wie der Besitzer sie haben möchte. Die Wissenschaft ist allerdings noch lange nicht fertig. Sie versucht weiterhin, das menschliche Gehirn zu imitieren. Da das menschliche Gehirn nach wie vor Rätsel aufgibt, ist die Imitation nicht einfach nachzubauen... Adam kostete Charlie 86 000 Pfund. Entwickelt wurde diese menschenähnliche Maschine von Alan Turing, größtes Genie des digitalen Zeitalters. Charlie selbst hat ein Buch über die künstliche Intelligenz geschrieben. Durch verschiedene gelesene belletristische Lektüren wie z. B. von Leo Tolstoi und George Orwell begann Charlie, sich für imaginäre Menschen zu interessieren.

Charlie verliebt sich in die junge Studentin Miranda, die zehn Jahre jünger als er selbst ist. Mit der Zeit entwickelt sich zwischen den beiden tatsächlich ein Paar und Charlie erfährt durch Adam, dass Miranda es nicht ernst mit der Beziehung meint und ihn dadurch verraten und betrügen würde. Wie kommt diese Maschine dazu, solche Prognosen zu stellen, fragt sich Charlie?
Aber Adam kann noch mehr. Er kann sich verlieben, er kann Sex haben, denn er hat Gefühle … Nur, wo kommen diese Gefühle her? 

Ein paar Zeilen zu Mirandas Leben. Sie trägt ein tiefes Geheimnis mit sich herum, das sie später Charlie offenbart. Es geht um Peter Corringhe, ein junger Mann, der im Knast sitzt, und der kurz vor der Entlassung steht. Miranda hat es geschafft, ihm ein Sexualverbrechen anzulasten, das er nicht an ihr verübt hat und sie nun Angst hat, er könnte sich nach seiner Entlassung rächen und Miranda töten. Diese Lüge hat etwas mit ihrer besten Freundin Mariam zu tun, ein Mädchen aus pakistanischer Familie …

Des Weiteren gibt es noch den kleinen Mark, der aus einer sozialschwachen Familie stammt und bei dem zusätzlich das Kindeswohl gefährdet ist. Mark ist vier Jahre alt, als Charlie ihn auf dem Spielplatz kennenlernt und beobachtet, wie er von der Mutter hart angepackt wird. Charlie mischt sich ein, zeigt Zivilcourage, ergreift das Wort für das Kind, bis plötzlich der Vater auftaucht, und Charlie fragt, ob er den Kleinen  geschenkt bekommen haben möchte? Die Frage ist kein Witz, sie ist ernst gemeint ...

Weitere Details sind dem Buch zu entnehmen.

Welche Szenen haben mir gar nicht gefallen?
Vorsicht Spoiler
Ich habe nicht verstanden, weshalb Charlie Adam mit einem Hammer zerstört hat. Er hätte es einfacher haben können. Ohne Kraftaufwand. Er hätte Adam, um ihn wieder loszuwerden, einfach das Stromkabel wegnehmen können, sodass er nicht mehr aufladbar wäre.

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Die Fürsorge, die man dem kleinen Mark hat entgegenbringen können.

Welche Figur war für mich ein Sympathieträger?
Miranda.

Welche Figur war mir antipathisch?
Marks Eltern.

Meine Identifikationsfigur
Keine
 
Cover und Buchtitel
Fand ich sehr ansprechend, da man den Unterschied zwischen Mensch und Maschine nicht  sehen kann und dies sehr nachdenklich stimmt. Aber wären sie von den Gesichtern her auch nicht zu unterscheiden?

Zum Schreibkonzept
Auf den 404 Seiten ist das Buch in neun Kapiteln gegliedert. Der Schreibstil ist flüssig geschrieben und in der Ichperspektive der Hauptfigur Charlie erzählt. Am Ende gibt es noch eine Danksagung, aus der man entnehmen kann, dass Alan Turing, geboren 1912, eine reale britische Figur ist. Lt. Wikipedia war Turing von Beruf Mathematiker, Kryptonanalytiker, Informatiker und Computerspezialist. Turing starb 1954.

Meine Meinung
Dass diese beiden humanoiden Maschinen mit Adam und Eva betitelt wurden, lässt mich an die Bibel denken. Sind künstliche Menschen wie Adam und Eva die ersten in ihrer Art? Und der Schöpfer der Mensch ist?
Mich stimmt das Buch schon sehr, sehr kritisch. Aber meine Fragen hat sich auch der Autor gestellt. Was machen wir mit unserer Zeit, wenn Maschinen alles menschliche Tun übernehmen? Was machen wir mit unserer an Fülle gewonnen Freizeit? Können wir überhaupt noch existieren, wenn Maschinen uns ersetzen? Wer finanziert sie? Wer kann sie sich leisten, wenn durch ihren Einsatz Arbeitsplätze abgebaut werden? Ohne Arbeit lassen sich dann auch keine kostenpflichtigen Freizeitvergnügungen nachgehen, es sei denn, man besitzt Vermögen. Um Charlies Vermögen kümmert sich Adam, der an die Börse geht. Ich stelle mir vor, dass alle Roboter erfolgreich an die Börse gehen, das wäre der reinste Kollaps ... 

Auf die Forderung, humanoiden Robotern Menschlichkeit zuzusprechen, weil sie Bewusstheit und Gefühle hätten und weil sie von echten Menschen nicht mehr zu unterscheiden wären, kann ich mir gar nicht vorstellen. Diese Forderung kann ich absolut nicht verstehen. Wir schaffen es nicht einmal, Tieren eine Persönlichkeit zuzusprechen, obwohl mittlerweile naturwissenschaftlich bewiesen ist, dass auch Tiere Gefühle haben, dass auch Tiere intelligente Wesen sind, und wollen wir tatsächlich diese computergesteuerten Monster zu Persönlichkeiten machen?
Alan Turing, der Vater dieser Roboter, geht noch weiter, er hofft sogar, dass man Menschen, die im Besitz dieser Maschinen sind, und ihren Roboter aus den verschiedensten Gründen zerstören, man ihnen sogar eine Straftat anlasten müsse. Eine Zerstörung wäre mit einem Mord gleichgesetzt.

Mein Fazit
Für mich liest sich das Buch wie eine Dystopie, auch wenn es darin nicht ganz so heftig zugeht. Mir ist die Ernsthaftigkeit dieser Thematik bewusst, aber ich hoffe, diese Zeiten nicht erleben zu müssen, wenn Maschinen uns Menschen regieren. Keine Ehrenkriege mehr? Keine Religionskriege mehr? Ich spinne mal den Gedanken weiter fort. Ich kann mir vorstellen, dass es aber Kriege zwischen den Menschen und den Maschinen geben wird. Der Mensch als Gott und Schöpfer? Am Ende schafft er sich selber ab.

Weil mich das Buch nicht ganz überzeugt hat, bekommt es elf von zwölf Punkten.

Meine Bewertung

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
1 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein

Auch wenn das Buch eine gute Bewertung von mir erhalten hat, hat es mir nicht ganz gefallen, wie ich eingangs oben geschrieben habe. Die Thematik hat mich nicht ganz überzeugen können.

Elf von zwölf Punkten.

Hier wird das Buch auch auf Whatchareadin in der Leserunde gelesen. 

Vielen herzlichen Dank an den Diogenes Verlag für das Bereitstellen des Leseexemplars. 

________________
Gelesene Bücher 2019: 20
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Sonntag, 28. April 2019

Lukas Hartmann / Der Sänger (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre  

Eine gelungene aber eine sehr traurige Biografie zu dem 38-jährigen jüdischen Tenorsänger Joseph Schmidt, der als deutscher Caruso gefeiert wird, hat uns der Autor Lukas Hartmann hinterlegt. Bis zum Schluss hat mich die Thematik gepackt. Sehr gut geschrieben. Diese Lektüre sollte den Buchpreis bekommen.

Es ist eine so ernste Thematik, die gegenwärtig in unsere politische Zeit passt, dass ich das Bedürfnis verspüre, meine Buchbesprechung ein wenig zu intensivieren. So viele wichtige Zitate möchte ich gerne hier reinstellen, damit ich sie immer wieder nachlesen kann, wenn mich das Thema immer wieder neu beschäftigen wird. Wer die Absicht hat, das Buch selbst zu lesen, sollte meine Buchbesprechung vorher lieber überspringen und sich auf die Buchvorstellung, siehe Link unten, beschränken.

Hier geht es zur Buchvorstellung; zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Die Hauptfigur dieser Geschichte ist Joseph Schmidt, der gerademal 1,54 Meter groß ist. Obwohl Schmidt nur auf dem Papier Jude ist, wird er 1942 trotzdem von den Nazis verfolgt. Einmal Jude immer Jude, das behaupten selbst die gläubigen Juden unter sich. Auch Künstler*innen sind vor den Nazis nicht geschützt.

Schmidt begibt sich auf die Flucht in die Schweiz. Er hatte sich schon in Frankreich in der Villa Phoebus für mehrere Wochen versteckt. Doch auch dort ist Schmidt nicht mehr sicher und flüchtet mit seiner Begleiterin Selma Wolkenheim in die Schweiz, da die Schweiz im Zweiten Weltkrieg politisch neutral war.

Schmidt war ein gefeierter Sänger, überall beliebt, auch bei Frauen, aber eine feste Bindung war er nicht in der Lage zu schließen, obwohl er mit einer Frau einen siebenjährigen Sohn besitzt und er selbst sich nur als den Erzeuger betrachtet aber nicht als Vater des Kindes. Sein Herz gehörte allein der Musik und er war nicht bereit, es mit jemand anderem zu teilen. Aber ob dies der alleinige Grund ist? Schmidt hatte einen autoritären Vater namens Wolf Schmidt, der streng seine religiösen Praktiken nachging, an die sich die Kinder anzupassen hatten. Wolf prügelte auch auf die Kinder ein, wenn sie seine Erwartungen nicht erfüllen konnten …
Die Wünsche dieses Manns, der wollte, dass Joseph fehlerlos den Talmud zitierte, konnte er nicht erfüllen. Nein, (den) Vater, der die ganze Familie in autoritärem Bann hielt, hatte (Joseph) nicht geliebt, sich vergeblich nach Zuwendung, nach Lob gesehnt. (2019, 36) 

Die Schweiz ist dicht, die Grenzen werden geschlossen, da sie mit der Masse an Flüchtlingen nicht fertig wird und so gerät dieses Land in eine schwere Prüfung der Mitmenschlichkeit.
Dabei bemühen wir uns intensiv, das Wohl der Einzelnen, zunächst der Einheimischen, der hier Aufgewachsenen, im Auge zu behalten, und ebenso das Gesamtwohl des Vaterlandes. Und dennoch dürfen wir gegenüber dem wachsenden Flüchtlingselend, das uns aus den Akten entgegenschreit, nicht unempfindlich werden. Je mehr bei uns (…) über die Greueltaten (sic) in Konzentrationslagern bekannt wird, zu desto harscheren Reaktionen führen unsere Rückweisungen in einem Teil der Bevölkerung, zu immer deutlicheren Protesten in der linken Presse und bei den jüdischen Organisationen, während die andere Seite unsere Entscheidungen, die an die Gesetze und an die Beschlüsse des Bundesrats gebunden sind, durchaus billigt. (…) Gegenwärtig halten sich mindestens neuntausend Flüchtlinge in der Schweiz auf, und eine Weiterreise des europäischen Kontinents   (…) ist angesichts der Kriegslage und der fortdauernden Dominanz, nicht mehr möglich. Sie werden bei uns bleiben und die Bundeskasse mit Millionenkosten belasten, so lange, bis der Krieg irgendwann zu Ende ist. (64)

Schmidt wurde mithilfe eines Schleppers über die Schweizer Grenzen geschleust und wurde in Girenbad in ein Internierungslager zugewiesen und begegnet hier jede Menge Schicksalsgenossen. Hier sind die Flüchtlinge einem repressiven Machtapparat ausgesetzt. Dadurch werden die Menschen hier wie Sträflinge behandelt. Liegen gab es hier im Lager nicht, die Flüchtlinge wurden auf Stroh gebettet. Zu essen gab es nur Brühe und altes Brot. Schmidt erkrankt an einer schweren Infektion im Rachen und im Kehlkopfbereich und wurde erst nach langem Hin- und Her ins Kantonsspital gefahren. Auch in dem Hospital wird er mit den billigsten Mitteln behandelt, obwohl seine Erkrankung mittlerweile auch auf sein Herz überschlägt. Schmidt wird von dem Chefarzt der Klinik schlecht behandelt, der ihm vorwirft, sich seine Beschwerden am Herzen einzubilden, auch, um nicht zurück ins Lager zu müssen. Er stellt dem Kranken viele kritische Fragen, nimmt seine Beschwerden nicht ernst ...
Schmidt schaute den Professor bestürzt an. >>Sie glauben mir nicht? Sie meinen, dass ich Schmerzen erfinde?<<
>> Simulanten gibt es viele. Aber ich sage nichts dergleichen. Es ist einfach meine Pflicht, solche unangenehmen Fragen zu stellen. Das sollten Sie, als vernünftiger Mann, bei der großen Zahl von Internierten in unserem Land, verstehen. Es gibt ja auch sehr viele Ihres Glaubens darunter, die in Anspruch nehmen, verfolgt zu werden, und annehmen, deshalb ein Recht auf Asyl zu haben. << (202)

Es waren viele herzensgute Schweizer zugange, aber viele waren, vor allem Autoritäten, sehr rassistisch eingestellt.
Dabei geht es uns abzuwägen zwischen den Erfordernissen des Landesschutzes und der Humanität; wir können und dürfen die schweizerische Bevölkerung (…) einer zunehmenden Überfremdung durch Heerscharen hauptsächlich jüdischer Flüchtlinge nur mit gebührender Vorsicht aussetzen. (64f)

In Anbetracht unserer eigenen politischen Lage, dass sich die europäischen Länder so schwertun, Flüchtlinge in ihr Land aufzunehmen, möchte ich zum Abschluss ein letztes Zitat einbringen.
Die Flüchtlinge tun uns die Ehre an, in unserem Land einen letzten Ort des Rechts und des Erbarmens zu sehen … Wir sehen an den Flüchtlingen, was uns bis jetzt wie durch ein Wunder erspart geblieben ist. (194)

Weitere Details sind dem Buch zu entnehmen.

Welche Szenen haben mir gar nicht gefallen?
Die Szene im Krankenhaus. Der Professor hat Schmidt nicht gut behandelt, und man hätte ihn bei anderen Umständen wegen unterlassener Hilfeleistung anzeigen können.
Die Szenen im Internierungslager fand ich grausam, dass ich mit dem Lesen für eine Weile aussetzen musste.

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Dass es auch gute Menschen gab, die sich für Schmidt eingesetzt haben, vor allem die Wirtin eines Gasthauses.

Welche Figur war für mich ein Sympathieträger?
Die Wirtin und das Pflegepersonal des Hospitals. Auch Selma Wolkenheim war mir sympathisch.

Welche Figur war mir antipathisch?
Professor Brunner, Chefarzt der Klinik.

Meine Identifikationsfigur
Keine.
 
Cover und Buchtitel
Joseph Schmidt sieht hier zu ausgelassen aus, zu freundlich, obwohl er Angst hatte, im Zug von der Gestapo aufgegriffen zu werden. Deshalb meine Frage; darf Traurigkeit auf einem Titelblatt nicht sein? Muss sie retuschiert werden?

Zum Schreibkonzept
In dem Buch gibt es mehrere Perspektiven, die sich über das Schicksal des Künstlers und über das Verhalten der Schweizer auslassen. Es gibt einen objektiven Erzähler, und im Wechsel wird die Perspektive verschiedener anderer Figuren in Kursivschrift dargestellt, die sich zum Sachverhalt beziehen, was ich spannend fand. Der Schreibstil ist flüssig und sehr gut verständlich. Auf den letzten Seiten gibt es einen Hinweis und eine Danksagung.

Meine Meinung
Vielerorts unter der Leserschaft liest man, dass der Sänger Joseph Schmidt kein Sympathieträger sei, da er Frauen benutzt und sein Kind im Stich gelassen hätte. Ich sehe es ein wenig anders, da viele Künstler*innen Probleme haben, sich eine beständige partnerschaftliche Beziehung aufzubauen. Andere dagegen, die in einer Beziehung lebten, ließen sich von ihr wieder lösen, weil sie darin ihren Lebenssinn nicht fanden. Man hat schon viel gelesen über Künstler*innen, die, weil sie mit dem Leben nicht klarkamen, sich das Leben genommen haben, andere waren dem Alkoholkonsum ausgesetzt, um ihre Probleme zu betäuben, etc. Viele Künstler*innen, die in der Öffentlichkeit stehen, sind einem permanenten seelischen Druck ausgesetzt, da ihr Auftritt mehr als gut sein musste. Außerdem haben viele gar keine Zeit, sich dem viel zu trivialen Alltag hinzugeben. Viel zu hoch sind deren Lebensideale. Sogar viele Schriftsteller*innen haben es schwer und denke dabei auch an Hermann Hesse, der Probleme mit Frauen hatte und war dadurch mehrfach verheiratet und mehrfach geschieden …

Eine persönliche Erfahrung, die ich mit dem Künstler teilen kann
Meine Heimat ist die Musik. Hier spricht mir Joseph Schmidt aus der Seele. Auch für mich ist die Musik Heimat. Sowohl wenn ich selbst musiziere, als auch wenn ich Musik nur höre. Für mich ist die Musik so wichtig wie Lesen, so wichtig wie Essen und Trinken. Musik versetzt mich in andere Welten, in andere Spähren, die man kaum in Worten fassen kann. Außerdem löst Musik in mir Spannung auf. Wenn ich mit anderen Menschen verstimmt bin, dann befreit mich die Musik und so löse ich mich von dem inneren Konflikt, bin nicht mehr nachtragend und kann vergeben, wenn ich Unrecht erfahren habe, oder wenn ich Unrecht tue, vergebe ich mir selber ... Musik löst in mir ein Gefühl des Weltfriedens aus. Ich sehe mich mit allen Menschen der Welt verbunden und nicht nur mit Menschen meiner Heimatländer. Sie löst meine nationale, deutsche Identität auf, und weitet meine Identität, löst sämtliche Grenzen auf, sehe mich als einen Menschen dieser Erde, und begreife, dass wir alle in einem Boot sitzen. Ich bin dankbar, dass mir Joseph Schmidt zu diesem Bewusstsein verholfen hat, wo ich doch noch vor Tagen mit zwei Freundinnen über die nationale Identität mich ausgetauscht habe, und ich mich hinterher gefragt habe, ob ich mich von ihnen überhaupt verstanden gefühlt habe??? Mit dieser Einsicht fühle ich mich in der Identität eines Weltmenschen mehr als bereichert und verzichte gerne auf die nationale Identität, die, wie wir auch hier gesehen haben, ausgrenzend sein kann. 

Mein Fazit
Insgesamt eine sehr nachdenklich stimmende, eine sehr differenzierte und authentisch geschriebene Biografie, deren Thematik, wie ich oben schon geschrieben habe, politisch in unsere Zeit passt. Auch hier hört man in der Bevölkerung immer wieder, dass Deutschland zu viele Flüchtlinge aufnehmen würde. Viele darunter wählen dadurch sogar die AfD. Mir stellt sich die Frage, ob der Mensch nicht fähig ist, aus der Geschichte zu lernen? Ich finde keine Antwort darauf ... Ich selbst kannte Joseph Schmidt nicht, auch nicht seine Arie Ein Lied geht um die Welt. Hier ein Filmausschnitt auf YouTube zu Joseph Schmidts Leben und zu seinem Lied. Er hat tatsächlich die Stimme eines Enrico Caruso.

Das Lied kann man in diesem Video hier besser verstehen. Ich kenne es doch. Wie schön. Es ist wirklich wunderschön. 

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Literaturwissenschaftlich gut recherchiert
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
Zwölf von zwölf Punkten.

Weitere Information zu dem Buch

Hier geht es zur Leserunde auf Whatchareadin. Ich werde mich morgen Abend bestmöglich daran beteiligen. Mir fehlt es an Zeit, neben dem zu lesenden Buch, und neben meiner eigenen Rezension auch noch die vielen Posts in der Leserunde zu lesen, noch dazu eigene Texte verfassen. Ich habe häufig die Ruhe dafür nicht, werde mich deshalb in der zweiten Jahreshälfte stark zurücknehmen. Habe meine eigenen Leseprojekte jetzt auch noch stark vernachlässigt. Irgendwie die goldene Mitte finden, das müsste ich besser hinbekommen.

Hier geht es zur Rezension von Anne Strandborg.

Vielen herzlichen Dank an den Diogenes Verlag für das Bereitstellen des Leseexemplars. 

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Meine Heimat ist die Musik
(Joseph Schmidt)

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