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Samstag, 21. April 2018

Rached Kaiser / Couchsurfen als Experiment: Wirklich ein bequemes Sofa?! (1)


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre 

Ein außergewöhnliches Buch, das ich in dieser Art noch nicht hatte. Es soll ein Erzählband sein, wobei ich mir unter Erzählungen komplett etwas anderes vorgestellt habe. Es scheint mehrere Formen zu geben. Klar, Erzählungen sind kleine Prosatexte, trotzdem hatte ich etwas anderes darunter verstanden. Für mich haben Erzählungen etwas Profundes.
Mit diesem Hintergrund wusste ich erst nicht, unter welchem Label ich das Buch auf meinem Blog einordnen sollte? Ich habe jetzt das richtige gefunden, und zwar das Label Selbsterfahrung. Die Geschichten sind keine fiktiven Geschichten, sondern erfahrene Geschichten aus dem realen Leben entnommen. Sie bestehen hauptsächlich aus einfachen Dialogen und kurzen Beschreibungen des Autors vor und nach einer vorgestellten Geschichte, die auf wahre Begebenheiten beruhen. 

Die Handlung
Der 35-jährige Autor reist für 1,5 Jahre mit einem VW-T2-Bus quer durch Deutschland und beschreibt seine ersten Erfahrungen  als Couchsurfer, die er in zwölf Geschichten gepackt hat. Man fragt sich, was ein Couchsurfer ist? Das habe ich mich zu Beginn des Lesens selbst gefragt. Ein Couchsurfer ist ein Reisender, der kostenlos für ein, zwei oder mehrere Nächte bei einem Host, Gastgeber, essen und übernachten darf. Er kann sich die Stadt mit seinem Host ansehen oder auch alleine. Die meisten Hosts haben ihn auf ihren gesellschaftlichen Veranstaltungen mit eingeladen. Die Erlebnisse mit der unbekannten Stadt waren eher sekundär, da der Autor sich in seinem Buch hauptsächlich über die Beziehung mit seinen Hosts ausgelassen hat.

Wie kommt man an Kontaktdaten?
Es gibt eine kommerzielle Couchsurfing-Community, bei der man Kontaktdaten über sich hinterlassen und über den Host erwerben kann. Die ProbandInnen waren alles Frauen zwischen 19 und 28 Jahren. Vereinzelt gab es ältere Hosts.

Zum Scheibkonzept
Auf der allerersten Seite ist ein Zweizeiler von Rilke abgedruckt ... 
Das Buch beginnt mit einer Einleitung, in der der Autor seine Regeln zum Couchsurfing abgedruckt hat. Auf den späteren Seiten sind acht Couchsurfingregeln abzulesen. Die Kapitel sind durchnummeriert, in denen die Geschichten eingeordnet sind. Es sind insgesamt zwölf Geschichten, demnach zwölf Kapitel. Zu Beginn eines jeden Kapitels wird der Host mit Stammdaten vorgestellt. Der Name ist nicht vollständig. Man erfährt nur den Vornamen des Hosts. 

Stadt:
Name:
Alter:
Profilbilder:
Erstes Bild:
Zweites Bild:
Restliche Bilder:
Über die Person:
Hobbies:
Schlafplatz:

Die Bilder sind nicht mit Fotos hinterlegt. Die Personen auf den Fotos werden beschrieben. Am Ende eines Hostings ist der Titel eines Lieblingsbuchs oder der Titel eines Lieblingsfilms des Gastgebers abgedruckt.
Das Buch endet mit einem Nachwort und mit einer Selbstreflexion über Kaisers Erfahrungen nach der Reise.

Meine Meinung
Obwohl dieses Buch eine komplett andere Form von Literatur ist, habe ich die Geschichten alle interessiert verfolgt. Was sind die Gründe? Weil ich diese Privatsphäre interessant fand, über die man durch den Autor einen Blick hineinwerfen konnte. Als Dauerlektüre oder als Wiederhollektüre würde ich ein Buch dieser Art nicht nochmals lesen wollen, auch nicht von einem anderen Autor. Wer weiß, was Kaiser literarisch noch für Pläne haben wird?  Auf jeden Fall wünsche ich ihm weiterhin viel Erfolg.

Ungeklärte Fragen
Warum hat sich der Autor ausschließlich Frauen als Host ausgesucht? Hauptsächlich junge Frauen. Nur eine Dame war über sechzig und drei über dreißig. Darüber kann man munkeln ... 
Und ich habe mich gefragt, ob die Probandinnen wissen, dass deren Daten und deren persönlicher beschriebener Lebensstil in einem Buch veröffentlicht werden? Auch wenn der Familiennamen fehlt, könnte man Personen durch diese Beschreibungen leicht ausfindig machen. Ich habe alle Berichte als sehr persönlich, manche habe ich zusätzlich auch als sehr peinlich erlebt. Mich wundert es, dass Menschen freiwillig so vieles von sich öffentlich preisgeben, noch in einer Form, die nicht mehr so leicht rückgängig zu machen ist. Mir haben diese Menschen alle leidgetan, denn was erstmal gedruckt ist ... 

Cover und Buchtitel?
Das Cover ist reine Geschmackssache, passt aber wunderbar zu den Geschichten. Die zwei Damen darauf konnte ich nach dem Lesen des Buches wunderbar identifizieren, der Herr scheint der Autor zu sein. Es hat auf jeden Fall ein Wiedererkennungswert.

Mein Fazit?
Ich habe ein Inhaltsverzeichnis vermisst. Als ich nochmals die einzelnen Personen nachschlagen wollte, war es mühsam, sie wieder zu finden. Ansonsten habe ich das Buch als eine interessante, abwechslungsreiche Lektüre erlebt.

Meine Bewertung?
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
0 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein. 
10 von 12 Punkten

Weitere Informationen zu dem Buch

Vielen Dank an den Autor für das Leseexemplar.

·         Taschenbuch: 209 Seiten, 12,90 €
·         Verlag: Kaiser-Verlag; Auflage: 1. (10. Juli 2017)
·         Sprache: Deutsch
·         ISBN-10: 3000561714
___________________
Da war kein Ort auf der Welt,
den Louis lieber mochte als die Hauptstadt.
Es war nicht der Reichtum,
es war die Vielfalt.
(Aus Louis oder der Ritt auf der Schildkröte)

Gelesene Bücher 2018: 17
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Montag, 16. April 2018

Kent Haruf / Lied der Weite (1)


Lesen in der Leserunde auf 
dem Bücherforum Watchareadin

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Ein wunderschönes Buch, das sehr zum Nachdenken anregt. Ich mag den Autor aufrichtig. Er behandelt gesellschaftliche Themen recht sensibel, authentisch und facettenreich. Ich werde mich hier in meiner Besprechung nicht so ausführlich über das Buch aufhalten, da in der Leserunde auf Watchareadin jede Menge nachzulesen ist. Ich habe dort auch einiges schon geschrieben und möchte mich nicht wiederholen.

Ich habe unten noch zwei für mich ungeklärte Fragen notiert, die ich in einem Spoiler gesetzt habe, denn wer nicht zu viel von der Geschichte erfahren möchte, so bitte ich, diesen Unterpunkt zu überspringen. Die Fragen lassen sich nicht stellen, ohne etwas von den Hintergründen preiszugeben. 

Die Handlung
Es ist schwierig, über die Handlung zu schreiben, da es mehrere davon gibt. Handlungen von vielen ProtagonistInnen, wo ich eingangs ein wenig meine Schwierigkeiten hatte, sie in meinem Kopf unterzubringen, ihnen dort einen Platz zu geben, weil ich noch nicht wusste, wie ich sie in welcher Façon und in welche Beziehungsmuster einzuordnen hatte. Aber später, nach etwa einhundert Seiten, hat sich alles von selbst reguliert, die Fäden waren in der richtigen Reihenfolge geknüpft. Wie schon im Klappentext steht, lernen wir hier ein junges Mädchen namens Victoria kennen, das 17 Jahre alt ist, und noch auf die Highschool geht. Victoria ist schwanger und wird dadurch von der Mutter aus dem Haus gesperrt. Ihr Freund meint es nicht ernst mit ihr und verlässt sie, bis er eines Tages wieder auftaucht, als er erfährt, dass Victoria von ihm schwanger ist. Ein gewalttätiger Typ, der Victoria unter Druck setzt …

Das Buch beginnt allerdings mit Tom Guthrie, Familienvater zweier Söhne, Ike und Bobby, neun und zehn Jahre alt. Seine Frau, Ella, scheint an schweren Depressionen zu leiden. Später wird aber deutlich, was die Ursachen der Depressionen sind, und wie die beiden Jungen schmerzlich ihre Mutter vermissen, und welche Verarbeitungsstrategie sie wählen, den Mutterverlust zu verwinden, um die Trauer abzuschließen. Tom Guthrie ist Lehrer an der Schule von Victoria. Neben seinen Sorgen mit seiner Frau begleiten ihn auch Sorgen mit einem Problemschüler, der ihm das Leben schwer macht. Dieser Schüler vergreift sich an seine Jungs, um sich an den Lehrer zu rächen, da er ihn in amerikanischer Geschichte wegen mangelnder Leistung durchfallen lässt. Merkwürdige Ansichten hegt der Schulleiter, der keinen Wirbel auf seiner Schule haben möchte und versucht Guthrie zu überreden, dem Schüler die Prüfung als bestanden zu attestieren ...

Victorias Mutter scheint eine eiskalte Person zu sein, als ihre Tochter, von der Schule kommend, sie um Einlass bittet, regelrecht weinend vor der verschlossenen Haustüre steht und nach ihrer Hilfe ruft, dass ich diese Kälte bis zu mir im Wohnzimmer gespürt habe, und ich mich gefragt habe, ob es in Amerika kein Jugendschutzgesetz gibt? Eltern haften für ihre Kinder so lange, bis sie auf eigenen Beinen stehen können. Aber alles Weitere kann man aus der Leserunde entnehmen. Auch mit der Lehrerin von Voctoria namens Maggi Jones bekommt man es hier zu tun. Nach dem Rausschmiss der Mutter sucht Victoria Zuflucht zu der Lehrerin ihres Vertrauens, die sich für die erste Zeit ihrer annimmt. Dann sind da noch zwei alte, einsame Junggesellen, die McPharonsbrüder, die auf einer Farm leben, deren Eltern durch einen Verkehrsunfall ums Leben kamen, als sie noch Jungen waren. Seitdem leben sie alleine und von der Außenwelt abgeschirmt. Sie können scheinbar besser mit ihren Kühen umgehen, als mit Menschen und oder gar mit Frauen.

Wohin geht Victoria? Was passiert mit den Kindern von Tom und Ella Guthrie? Wie entwickelt sich die Geschichte noch weiter? Dies ist in der Leserunde oder im Buch nachzulesen

Zum Scheibkonzept
Alle ProtagonistInnen bekommen eine eigene Bühne. In jedem neuen Kapitel steht der Name jener Figur, um die es auf diesen Seiten hauptsächlich geht. Das erste Kapitel beginnt mit Tom Guthrie, anschließend folgt das Kapitel mit Victoria, weiter geht es mit Ike und Bobby etc. Die Kapitel sind nicht zu lang, aber auch nicht zu kurz. Die Geschichte, bzw. das letzte Kapitel schließt mit der fiktiven amerikanischen Kleinstadt in Colorado namens Holt, in der sich die Handlung abspielt.

Meine Meinung
Mir hat der Schreibstil des Autors gut gefallen, so gut gefallen, dass ich ihn zu meinen Schreibprojekten anreihen werde. Leider werden es nicht viele Bücher sein, die ich noch lesen kann, da der Autor schon verstorben ist. Ich glaube, er hat nur drei Bücher geschrieben, zwei davon habe ich ja nun gelesen. Ich muss noch mal recherchieren.

Cover und Buchtitel?
Das Cover finde ich gut getroffen. Es zeigt für mich die Landschaft und das Haus der Brüder McPherons.


Ungeklärte Fragen
Achtung Spoiler

Für mich sind Fragen offengeblieben, zwei davon möchte ich hier benennen.
Es geht um den Verstoß gegen das Jugendschutzgesetz bzw. um die Gefährdung des Kindeswohls; und eine Frage zur Mutterliebe.
Verstößt in Amerika Mutter/Vater/Eltern nicht gegen das Jugendschutzgesetz, wenn das eigene Kind ausgesperrt wird und dadurch in die Obdachlosigkeit entlassen wird? Dazu noch mit einem werdenden Kind im Mutterleib, wie im Fall von Victoria? Hier würde sogar das Jugendschutzgesetz für Mutter und Kind greifen, da auf beiderlei Hinsicht eine Kindeswohlverletzung vorliegt. 

Gibt es so etwas wie Mutterliebe? Wenn es so etwas wie Mutterliebe wie im Fall von Veronica aber nicht gibt, ist diese Mutterliebe tatsächlich bei fremden Menschen zu finden, wie im Fall von Maggie Jones, Victorias Lehrerin und den beiden Farmern McPherons? Ist der Autor nicht zu idealistisch hervorgegangen, da die McPherons-Brüder einfache Farmer sind, und selbst nicht viel Geld haben dürften? Sie übernehmen alle Kosten, nicht nur für Victoria, sondern auch für das kommende Baby. Da ich die Einzige aus der Leserunde bin, die sich diese Fragen gestellt hat, hat sich auch keine Diskussion darüber ergeben und werde selbst noch weiter recherchieren.

Mein Fazit?

Ein Spiegel aus der amerikanischen Geschichte? Auch wenn nicht explizit hervorgeht, wann die Handlung zu welcher Zeit sich abspielt. In der Leserunde konnte eine Mitleserin das Historische an verschiedenen Faktoren ablesen. Ihr zufolge könnte sich die Geschichte zwischen den 50ern und den 60ern Jahren des letzten Jahrhunderts abspielen.


Und hier eine literaturwissenschaftliche Rezension aus dem Deutschlandfunk.

Meine Bewertung?
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
12 von 12 Punkten


Weitere Informationen zu dem Buch

Herzlichen Dank an den Diogenes-Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

Auszeichnungen
 ›Wallace Stegner Award‹ , 2012
 ›Mountains & Plains Booksellers Award‹ , 2000
 ›Whiting Award for Fiction‹ , 1986


Buchausgabe
    • Gebundene Ausgabe: 384 Seiten
    • Verlag: Diogenes; Auflage: 2 (12. Januar 2018)
    • Sprache: Deutsch
    • ISBN-10: 3257070179

    Und hier geht es auf die Verlagsseite von Diogenes.
    Und hier geht es zur Leserunde Watchareadin.
    ___________________
    Da war kein Ort auf der Welt,
    den Louis lieber mochte als die Hauptstadt.
    Es war nicht der Reichtum,
    es war die Vielfalt.
    (Aus Louis oder der Ritt auf der Schildkröte)

    Gelesene Bücher 2018: 16
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    Gelesene Bücher 2012: 94
    Gelesene Bücher 2011: 86


    Sonntag, 1. April 2018

    Michael Hugentobler / Louis oder der Ritt auf der Schilkröte (1)

    Coverbild Louis oder Der Ritt auf der Schildkröte von Michael Hugentobler, ISBN-978-3-423-28152-2
    Lesen mit der Leserunde auf Watchareadin

    Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

    Hinter dem Buchtitel lässt sich ein Abenteuerroman vermuten, und nicht nur das, sondern auch etwas Skurriles. Denn auf einer Schildkröte zu reiten stelle ich mir unmöglich vor. Sicher gibt es Schildkröten mit großen Panzern, aber ob man darauf reiten kann, aus meiner Sicht, nein, da sie von der Geschwindigkeit her viel zu langsam sind. Dies klärt sich im Verlauf der Geschichte von selbst. Das Cover an sich finde ich wunderschön. Da hat sich der Verlag etwas einfallen lassen. Nicht so ein Nullachtfünzehn-Cover, wie man es immer häufiger auf dem Buchdeckel zu sehen bekommt, das außerdem leicht austauschbar ist.

    Ein Abenteuerroman? Ich habe ihn eher als einen Reiseroman erlebt.
    Bevor ich mit dem Buch angefangen habe zu lesen, fragte ich mich, wer Louis sein könnte? Louis hieß ursprünglich Hans Roth und ist in der Schweiz 1849 in den Bergen geboren. Weil Hans eher kleinwüchsig auf die Welt gekommen ist, und sein Kopf im Verhältnis dazu recht groß wirkte, hatte seine Mutter ihn abgelehnt. Sie konnte sich keine Zukunft für Hans vorstellen, und gibt ihrem Kind immer wieder zu verstehen, dass er in der Welt überflüssig sei.

    Hans ist ein Arbeiterkind, der Vater war von Beruf Kutscher, als dieser vier Jahre nach seiner Geburt zusammen mit der Kutsche von den Bergen stürzte …
    Hans wurde von anderen Kindern wegen seines Aussehens mit Zwerg vom Berg gehänselt, doch er ließ sich nicht unterkriegen. Mit 14 Jahren zog er von zu Hause aus, um von Ort zu Ort die Welt zu bereisen. Zu Hause hielt ihn nichts mehr.

    Mit seinem Namen Hans Roth fühlte er sich unwohl, weshalb er in eine andere Identität namens Louis Montesanto schlüpfte. Wie es dazu kam, ist dem Buch zu entnehmen.
    Louis Montesanto machte sich einen Namen als ein französischer Weltenbummler, der Reiseberichte über die Aborigines Australiens geschrieben hat. Niemand stellte seine Berichte infrage, alle glauben ihm, bis eines Tages Lügen aufgetischt werden. Louis Montesanto entpuppte sich nicht nur zu einem wissbegierigen und weisen Menschen, er entpuppte sich auch zu einem hochnäsigen Hochstapler. Schon auf den ersten Buchseiten wird man mit seinen Lügen konfrontiert, nicht nur, was der Inhalt seines Referates betrifft, sondern auch seine geschwindelte Identität, sodass Hans Roth aus dem Saal fliehen musste …

    Hans Roth ist zwar eine fiktive Figur, doch sie ist angelehnt an Louis de Rougemont, ein Schweizer, ein Abenteurer, den es tatsächlich gegeben hat. Dieser reale Louis wurde 1847 geboren und starb 1921. Ich kann nicht mehr sagen, wo ich das nachgelesen habe …
    Mehr möchte ich nicht verraten. Alles Weitere wird in der Leserunde besprochen. Aber Vorsicht, wer nicht zu viel im Vorfeld über dieses Buch erfahren möchte, diesen LeserInnen rate ich von der Leserunde ab.

    Mein Fazit?
    Mir kamen die Figuren alle ein wenig kühl vor. Ich hatte Mühe, sie zu verinnerlichen. Aber später schließlich, als ich mehr Hintergrundwissen hatte, konnte ich mich besser in diese Figuren hineinversetzen.
    Hans Roth/Louis Montesanto ist absolut kein Sympathieträger aber für das, dass er ohne Mutterliebe aufwachsen musste, hat er das Beste aus seinem Leben zu machen gewusst. Wenn es nach seiner Mutter gegangen wäre, hätte Hans Roth vor der Gesellschaft wegen seines äußeren Erscheinungsbildes im Haus versteckt werden müssen.

    Mir persönlich hat ein wenig die Authentizität der Figuren gefehlt. Viel zu kühl, viel zu distanziert kommen mir die Figuren rüber.Man hätte mehr erfahren sollen, was in den ProtagonistInnen innerlich vorgeht, weshalb sie handeln wie sie gehandelt haben ... Oder was sie denken? Was sie fühlen? Dadurch habe ich die Lesefreude vermisst. Viel zu kopflastig. 

    Meine Bewertung?
    2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
    2 Punkte: Differenzierte Charaktere
    0 Punkte: Authentizität der Geschichte
    2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
    2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
    2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
    10 von 12 Punkten

    Weitere Informationen zu dem Buch

    Vielen Dank an Watchareadin und an den dtv-Verlag für dieses Leseexemplar.

    • Gebundene Ausgabe: 192 Seiten
    • Verlag: dtv Verlagsgesellschaft; Auflage: Originalausgabe (9. März 2018)
    • Sprache: Deutsch
    • ISBN-10: 3423281529

    Hier geht es zur Leserunde. 
    Hier geht es auf die Verlagsseite vom dtv.


       Und hier die audible Version auf Youstube. Der Autor liest selbst.



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    Da war kein Ort auf der Welt,
    den Louis lieber mochte als die Hauptstadt.
    Es war nicht der Reichtum,
    es war die Vielfalt.
    (Aus: Louis oder der Ritt auf der Schildkröte)

    Gelesene Bücher 2018: 14
    Gelesene Bücher 2016: 72
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    Sonntag, 11. März 2018

    Anne Reinecke / Leinsee (1)

    Leinsee
    Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre

    Die Suche nach der verlorenen Kindheit


    Die Leserunde
    Mir hat das Buch gut gefallen. Es hat Tiefgang, ganz nach meinem Geschmack. In der Leserunde gibt es dazu eine ausgiebige Diskussion. Leider habe ich mit dem Buch wegen der Zeitknappheit erst später begonnen zu lesen ... Viele schöne Gedanken sind im Bücherforum geschrieben, dass ich nichts mehr Neues einfügen kann, weil alles schon gesagt wurde.
    Aber Vorsicht, in der Leserunde wird viel verraten, denn anders lässt sich eine Diskussion nicht führen. Meine Buchbesprechung versuche ich abzukürzen, verweise mit einem Link am Ende meiner Rezension auf die Leserunde, für die LeserInnen, die gerne die Details erfahren möchten.

    Zum Schreibkonzept
    Die Autorin beschäftigt sich in ihrem Stoff auch mit Themen, die in unserer Gesellschaft tabu sind ... Z.B. mit dem Tod und mit dem Umgang damit. Einer der Protagonisten lässt die Leiche seines Vaters aus dem Grab heben, damit diese zusammen mit seiner etwas später verstorbenen Mutter, die Ehefrau des Verstorbenen, eingeäschert werden kann. Meine Frage zu diesem Bild; Was geschieht im Auge des lesenden Betrachters, wenn der Sarg geöffnet wird, um die Leiche herauszuholen? Von selbst entsteht das Bild einer Leiche, deren Verwesungsprozess längst in Gang gesetzt war. Es sticht außerdem in der Nase der Leserin, aber womöglich tragen die Totengräber eine Maske vor dem Gesicht, wenn sie den gehobenen Sarg öffnen und die Leichenteile mit bedeckten Händen herausnehmen.

    Das Buch behandelt einen Künstlerroman. Jedes Kapitel ist mit einer bestimmten Farbe nuanciert, dass ich erst nicht wusste, was dies zu bedeuten hat. Im Forum habe ich entnommen, dass diese bildhafte Ausdrucksweise zu einem Künstlerroman passen würde. Ein farbenfroher Roman.
    Die Kapitel sind alle relativ kurzgehalten.

    Zum Inhalt
    Man bekommt es hier mit einem symbiotischen Eltern- und Künstlerehepaar namens August und Ada Stiegenhauer zu tun, die beruflich alles gemeinsam gemacht haben, bis Ada einen schweren körperlichen- und geistigen Zusammenbruch erleidet, und man ihr eine globale Aphasie diagnostiziert hat. August bekommt es mit der Angst zu tun, das Leben ohne seine Ehefrau fortsetzen zu müssen und nimmt sich das Leben ... Das Künstlerehepaar hat einen 26-jährigen Sohn namens Karl, der keinen Kontakt zu den Eltern hat aufbringen können, da er sich von den Eltern vernachlässigt gefühlt hat. Karl wurde einst auf´s Internat geschickt und er wurde dort mit einem Pseudonym angemeldet. Karl Sud, damit niemand dahinterkommen konnte, dass Karl das Kind des berühmten Künstlerehepaars Stiegenhauer sei ..
    .
    Selbst die Geburtstage des Jungen ignorieren die Eltern, da sie egozentrische, berufliche Ziele nachgingen. Karl verlässt das Internat nach dem Abitur und bricht den Kontakt zu den Eltern ab.

    Gleich auf den ersten Seiten bekommt man es mit einer Ladung heftiger Problemen zu tun. Karl, auf dem Weg zu seinem Elternhaus, erbricht in dem ICE, als er sich den erhängten Vater vorzustellen versucht ...

    In seiner Trauerphase versucht Karl sich an das Gesicht seines Vaters zu erinnern und es gelingt ihm nicht. Für die Eltern schien nicht wirklich Platz für ein Kind gewesen zu sein. Karl bekommt einen Abschiedsbrief des Vaters zu lesen, der Karls Rückzug anspricht, den er nie verstanden hätte ...

    Karl betritt sein Elternhaus, eine Villa am Leinsee.
    Er begeht eine Expedition durch dieses Elternhaus. Dies finde ich eine wunderschöne Metapher, und sie zeigt, wie fremd Karl in seinem Elternhaus ist. Die Eltern hatten einen Assistenten engagiert, der das Zimmer bewohnt hatte, was einst Karls Kinderzimmer war. Karl zieht erst mal ins Gästezimmer. Zwischen Karl und dem Assistenten entsteht ein Rollenkonflikt …

    Ein weiterer Rollenkonflikt entsteht, als Karl seine Mutter in der Klinik besucht. Als die Diagnose sich geändert hat, die Mutter wurde wieder ansprechbar und konnte selbst erneut sprechen, verwechselte sie ihren Sohn mit ihrem Mann August. Ada litt an einer partiellen Amnesie, und es war nicht sicher, ob sie sich davon erholen würde. Von dem Tod ihres Mannes wurde sie nicht unterrichtet.

    Karl kümmert sich um die Mutter und ist erstaunt, dass sie ihren Sohn nicht wiedererkennt. Er löst dieses Missverständnis nicht auf, und schlüpft in die Rolle seines Vaters. Scheinbar scheint er die vielen verbalen süßlichen Liebkosungen seiner Mutter zu genießen, Zärtlichkeiten, Zuwendungen, die er als Kind beider Elternteile vermisste ... Karl sitzt auf dem Krankenbett, als ihm die Tränen kommen. Die Mutter tröstete ihn, August müsse nicht traurig sein, denn alles würde wieder gut werden …

    Auf der Seite 102 wird das Fremde nochmals deutlich, als es um Karls Familiennamen geht. Karl Stiegenhauer; er habe länger ohne diesen Namen gelebt als mit ihm. Durch den Tod seines Vaters betrachtet Karl sich gezwungenermaßen als den neuen Stiegenhauer ...

    Es beginnt eine Bekanntschaft mit dem achtjährigen Kind Tanja, die im Garten häufig auf den Kirschbaum klettert und Karl beobachtet. Karl und das Kind fühlen sich stark zueinander hingezogen. Wenn Tanja nicht auf dem Kirschbaum sitzt, schmückt Karl die Äste mit verschiedenen Gegenständen, um Tanja zu beschenken. Es lässt vermuten, um durch die Geschenke auf sich aufmerksam zu machen. 

    Zwischen ihnen beiden entwickelt sich eine Freundschaft, und man sich als Leserin die Frage stellt, was bringt diese zwei Menschen zusammen, wo Welten zwischen ihnen liegen, was das Leben und der Altersunterschied betreffen. Wer sind Tanjas Eltern? Was halten sie von dieser Freundschaft eines erwachsenen Mannes mit einem kleinen Kind? Sind die Eltern davon in Kenntnis gesetzt? Wird man bei dieser Beziehung als Eltern nicht misstrauisch? Hat man nicht Angst, dass der unbekannte Mann pädophile Neigungen haben könnte? Fragen über Fragen …

    Beruflich ist Karl in die Fußstapfen seiner Eltern getreten, ohne dass er etwas von ihnen hatte, seelisch-emotional betrachtet. Geerbt hat er die künstlerische Begabung, aber nicht deren Liebe ... 
    Seine Beziehung mit Mara Schlüter ist alles andere als stabil. Mara erinnert mich von ihrem Charakter und von ihren Ansprüchen her an denen von Karls Eltern. Hauptsächlich auf sich fixiert, egozentrische Ziele verfolgen, ohne an Karl zu denken. Mara strahlt eine seelische Kälte aus, die mir unangenehm war. Karl fühlt sich bei ihr unwohl. Zwischen ihm und Mara entsteht ein folgenschwerer Konflikt, der die Beziehung in Frage stellen lässt.

    Mehr möchte ich nicht verraten.

    Meine Meinung?
    Schade fand ich, dass die gesamte Familie Stiegenhauer nichts getan hat, um die Konflikte, die sie untereinander hatten, zu klären. Aber das findet man in vielen Familien. Karl entwickelte sich zu einer instabilen Persönlichkeit mit depressiven Zügen, weil ihm die seelische Wärme seiner Eltern gefehlt hat. Dadurch ist er auch nicht wirklich beziehungsfähig gewesen. Eigentlich war er ein zu braves Kind. Er hätte rebellieren sollen, oder als Erwachsener die Eltern für ihr Versagen zur Rede zu stellen. Man bleibt nicht ewig Kind und man kann nicht ewig unter der Liebesarmut der Eltern leiden. Weil nichts geklärt wurde, schleppt Karl seine psychischen Probleme mit sich herum. Das Mädchen Tanja ist für mich eine Symbolfigur, die für innere Sicherheit und Stärke steht, sie steht auch für Liebe und Weichheit, sie steht für eine unbeschwerte Kindheit, weshalb sich Karl zu ihr hingezogen gefühlt hat. Tanja ist taff, sie weiß was sie will ... Und trotzdem bleiben Fragen offen, wie ich oben schon geschildert habe. Warum hat sich Tanja zu Karl hingezogen gefühlt? Stimmt etwas mit ihrem Vater nicht? Es gibt nur eine Szene, in der man Tanja zusammen mit ihrer Familie auf dem Flohmarkt gesehen hat. Ist dies ein Kunstfehler oder die Absicht der Autorin, Tanjas Eltern aus dem Spiel rauszuhalten? Ohne diese Hintergründe bleibt für mich das Verständnis dieses Romans allerdings ein wenig unbefriedigt.

    Mein Fazit?
    Ein facettenreicher Künstler- und Familienroman, über den man noch lange nachdenken wird, und immer wieder entstehen neue Fragen und neue Gedanken. 

    Zum Buchcover
    Das Cover ist total gelungen. Es ist wunderschön, passend zu dem Roman.

    Meine Bewertung?
    2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
    2 Punkte: Differenzierte Charaktere
    2 Punkte: Authentizität der Geschichte
    2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
    2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
    2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
    12 von 12 Punkten


    Weitere Informationen zu dem Buch
    ·         Gebundene Ausgabe: 368 Seiten, 24,00 €
    ·         Verlag: Diogenes; Auflage: 1 (28. Februar 2018)
    ·         Sprache: Deutsch
    ·         ISBN-10: 3257070144

    Hier geht es auf die Verlagsseite von Diogenes.
    Leserunde auf Watchareadin.
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    Gelesene Bücher 2018: 11
    Gelesene Bücher 2016: 72
    Gelesene Bücher 2015: 72
    Gelesene Bücher 2014: 88
    Gelesene Bücher 2013: 81
    Gelesene Bücher 2012: 94
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