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Donnerstag, 7. April 2016

Jens Andersen / Astrid Lindgren - Ihr Leben (1)


Ich möchte mich erneut recht herzlich für dieses tolle Rezensionsexemplar beim DVA-Buchverlag bedanken.

Lesen mit Anne ...


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ich bin von dieser Biografie von Jens Andersen sehr angetan gewesen. Sie hat mich so tief berührt, dass ich über mehrere Nächte von Schweden geträumt habe.

Einen Traum habe ich noch deutlich in Erinnerung. Es war ein Landschaftstraum, umgeben von einem wunderschönen See, an dem ich mich allein befand. Nun, was hat dieser Traum denn mit Astrid Lindgren zu tun? Auf dem zweiten Blick wurde er mir schließlich verständlich. Mich hat das Thema Einsamkeit sehr beschäftigt, denn die Einsamkeit ist ein Thema, das in dieser Biografie recht häufig behandelt wird, und ich dem so gut nachfühlen konnte. Ich bin schon als Kind immer sehr gerne alleine gewesen. Und wie oft macht man die Erfahrung, dass man sich gerade unter Menschen recht einsam fühlen kann. Viele Menschen haben mit dem Alleinsein ein Problem, es macht ihnen Angst, sodass die Einsamkeit in einer Industrienation doch recht negativ besetzt ist. Doch nicht bei Astrid Lindgren. Selbst aus ihrem eigenen Erleben heraus und in ihren Kinderbüchern ist die Einsamkeit ein großes Thema, denn die jungen ProtagonistInnen sind fast alles einsame Wesen, die daraus aber Potenziale schlagen und keineswegs daran verzweifeln ...

Vieles war mir in dem Buch nicht neu, da ich schon andere Bücher von Astrid Lindgren und über sie gelesen habe. Aber die vorliegende Biografie ist aus meinem Leseerlebnis heraus, wie ein anderer Mensch Astrid Lindgren beschreibt, eine der authentischsten überhaupt. Die Texte waren gut durchstrukturiert und die vielen Fotos, darunter auch jede Menge Familienporträts, hat Andersen miteinfließen lassen. Dieser ganze Mix zwischen Text und Bildmaterial hat das Buch so richtig aufleben lassen.

Einige Gedanken, mit denen sich Astrid Lindgren beschäftigt hatte, fand ich auch in meinen eigenen Gedanken wieder, wie z. B. die kritische Nutztierhaltung in Form von Tierfabriken; doch auch die politische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus Hitlers über Tagebucheintragungen fand ich höchst interessant; und die fatale Steuerpolitik Schwedens hat mich beschäftigt. A.L. hatte von ihrem Einkommen als Schriftstellerin 102% Steuern an den Staat entrichten müssen. Literarisch versiert sagt sie den Kampf gegen diese absurde Steuerpolitik an ... Und das Allerwichtigste waren noch jede Menge reformpädagogische Gedanken und Aktivitäten. Astrid Lindgren setzte sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit für die Rechte der Kinder ein … Sie hatte sich auch mit den Büchern von Ellen Key vertraut gemacht, eine schwedische Reformpädagogin, die von 1849 bis 1926 gelebt hat, die Astrid Lindgren als großes Vorbild diente. Key schrieb Über das Recht des Kindes, seine Eltern selbst auszusuchen. Natürlich ist das symbolisch gemeint. Doch diese Thematik findet sich auch in einem der Kinderbücher von Astrid Lindgren wieder, wie z.B. in Rasmus und der Landstreicher. Und was ich zusätzlich ganz interessant fand, Key schrieb auch über die Seelenmorde in den Schulen. Seelenmorde, ein harter Begriff, doch er drückt genau das aus, was manche Kinder auch heute noch an Schulen durchmachen müssen, wenn sie nicht den Vorstellungen jener Bildungseinrichtung entsprechen …

Ein paar Sätze zu ihrer Herkunft möchte ich noch schreiben. Astrid Lindgren wuchs in  Näs, bei Vimmerby, auf. Sie wurde 1907 als zweites von vier Kindern vom Pfarrhofpächter Samuel August Ericsson und seiner Ehefrau Hanna Ericsson geboren. Die Eltern lebten streng religiös, was für die damalige Zeit normal war. Astrid Lindgren verlebte hier eine recht glückliche Kindheit. Sie beschreibt ihre Kindheit als die glücklichste Zeit ihres Lebens. Sie war ein sehr verspieltes Kind, und das blieb sie noch bis ins hohe Alter. Mit siebzig Jahren kletterte sie z.B. noch auf Bäumen. Sie starb 2002 mit 95 Jahren in Stockholm. Drei Jahre vor ihrem Tod erlitt sie einen Schlaganfall und wurde zu einem Pflegefall. Ihre Tochter Karin Nyman kümmerte sich bis zum Tod um ihre Mutter.

Als Erwachsene hatte Astrid Lindgren kein so einfaches Leben mehr. Sie gebär im Dezember 1926 als neunzehnjähriges Mädchen ihr erstes Kind, ein uneheliches Kind, das sie vor der schwedischen Gesellschaft zu verbergen versuchte. Sie brachte das Kind, Lasse, die ersten Jahre schweren Herzens heimlich und anonym bei einer Pflegemutter unter. Sie liebte ihr Kind über alles, und nach jedem Besuch fiel ihr die Trennung sehr schwer ... Dessen ungeachtet, dass ihre Eltern streng religiös lebten, lernten sie schließlich ihren unehelichen Enkel doch noch zu akzeptieren, sodass A. L. Lasse zu den Eltern bringen konnte, nachdem die Pflegemutter ernsthaft erkrankte. Die Großeltern lernten Lasse zu lieben wie ihr eigenes Kind ... Das ist doch eine immense Entwicklung vonseiten der Eltern/Großeltern, die mir imponiert hat.

Über Verhütungsmittel war Astrid Lindgren nicht richtig aufgeklärt. Obwohl der Kindsvater deutlich älter war als sie, da er sich schon in den reiferen Jahren befand, kümmerte er sich auch nicht um die Verhütung. Astrid Lindgren warf ihm Verantwortungslosigkeit vor  …

Nicht nur das Paar-Beziehungsleben von Astrid Lindgren zu  zwei wichtigen Männern wird hier sehr eindrucksvoll beschrieben, sondern auch die freundschaftlichen und beruflichen Kontakte greift Andersen auf. Es existieren dazu jede Menge Briefe zu FreundInnen und zu ihren Fans jeden Alters. Dadurch wird deutlich, wie Astrid Lindgren in ihrem Leben in der Beziehung zu anderen Menschen, bedeutsamen und weniger bedeutsamen, gewirkt hat. Sie blieb in der Öffentlichkeit immer menschlich und immer souverän.

Beruflich war Astrid Lindgren auf vielen Gebieten erfolgreich. In den ersten Jahren arbeitete sie als Sekretärin und als Stenotypistin und arbeite sich hoch als Lektorin in einem Verlag, doch hauptsächlich war sie als Schriftstellerin tätig. In dem Verlag lektorierte sie ihre eigenen Manuskripte ...

In den jungen Jahren hatte sich Astrid Lindgren vehement gesträubt, Schriftstellerin zu werden, obwohl ihre LehrerInnen zu ihrer Schulzeit dazu geraten haben.


Mein Fazit?

Das Buch ist sehr, sehr spannend geschrieben, man möchte gar nicht mehr mit dem Lesen aufhören. Viele Punkte habe ich hier nicht erwähnt. Es gibt noch Vieles zu entdecken.

Es werden in der Biografie zusätzlich jede Menge Werkproträts zu den Kinder- und Jugendbüchern Astrid Lindgrens vorgestellt und kurz behandelt. Im Anhang hat uns der Biograf Andersen eine Liste erstellt, auf der alle ihre  Kinderbücher abgebildet sind. Es gab ein paar Bücher, die mir zuvor unbekannt waren. Nun bin ich so neugierig geworden, dass ich mir die Trilogie zu Kati in Amerika, Italien und Paris bestellt habe. Ich habe aber noch vor, mir Rasmus und der Landstreicher auch noch zuzulegen. Rasmus macht sich als Waisenkind auf die Suche nach neuen Eltern, die er sich selbst aussuchen möchte …

Die Biografie von Andersen, die ich als sehr lebendig und als recht empathisch erlebt habe, werde ich zu gegebener Zeit ein weiteres Mal lesen.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.


Nachtrag zum Telefongespräch mit Anne, 8.4.2016

Anne hat das Buch auch schon durch, und es hat ihr auch sehr gut gefallen. Dies war zu Astrid Lindgren ihre erste Biografie, und für sie war alles neu. Wir haben heute Abend telefoniert und über viele Szenen gesprochen, die wir nicht schriftlich festgehalten haben, wie z.B. der sensible Umgang mit ihren Kindern Lasse und Karin. Man wünscht jedem Kind eine Mutter wie Astrid Lindgren. Auch wenn sich heute in der Erziehungsmethode so manches verändert hat, gibt es noch immer sehr viele Kinder, die von ihren Eltern in jeder Form wie z.B. psychisch, sexuell oder körperlich missbraucht werden. 



Das Buch ist in München in der Deutschen Verlags-Anstalt erschienen und ist unter
der ISBN-Nummer  978-3-421-04703-8 erhältlich. 
___________
Will man glücklich sein, muss es aus einem selbst kommen
 und nicht von einem anderen Menschen.
(Astrid Lindgren)


Gelesene Bücher 2016: 15
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Donnerstag, 11. Februar 2016

Astrid Lindgren / Zum Donnerdrummel (1)

Ein Werk-Porträt 

Hrsg. Paul Berf und Astrid Surmatz

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

  
In dem Buch sind sehr viele Kinderbücher von Astrid Lindgren in gekürzter Form abgedruckt, die im Anschluss besprochen werden. Da ich sowieso die Absicht habe, mir die Kinderbücher später erneut vorzunehmen, habe ich einige Geschichten darin übersprungen. Diese werde ich auf später verschieben, so mache ich es dann Henning Mankell gleich, der auch die Lindgren-Bücher im erwachsenen Alter ein weiteres Mal gelesen hat. Die Bücher nochmals zu lesen, im Alter, wo man dem kindlichen Humor schon längst entwachsen ist, stelle ich mir wundervoll vor, vor allem, wenn man innerlich selbst ein bisschen Kind geblieben und offen für diese Art von Humor ist.

Astrid Lindgren hatte eine glückliche Kindheit. Dieser glücklichen Kindheit haben wir die vielen schönen Kinderbücher von ihr zu verdanken. Nur wenige Menschen hatten zu ihrer Zeit dieses Glück. Pippi Langstrumpf war ihr erstes Kinderbuch. Wer wünschte sich nicht, ein bisschen wie Pippi zu sein? Souverän, autonom, sozial, reich, gutmütig, tierlieb, stark, klug und gerechtigkeitsempfindend. Alles, was man braucht, um sich gegen diese engstirnige Erwachsenenwelt durchzusetzen, und trotzdem ein gutes Leben haben. 
Eine kleine Pippi sollte eigentlich jeder in sich bewahren. Zu schnell ordnet man sich Regeln unter, die andere für einen machen. Und wie oft gibt man sich zu leicht zufrieden. Pippi hingegen ist eine Rebellin - sie macht Sachen, die sie richtig findet. Als Kind versteht man zuerst gar nicht, was sie eigentlich Verbotenes oder Falsches tut. Erst wenn man älter wird und sich anpasst, erst wenn man die Bevormundung und die gängigen Normen akzeptiert hat, wundert man sich über Pippi. Es ist schade, dass Kindern durch Erziehung ihre Wildheit und Unverstelltheit genommen wird. Dabei ist gerade dieses Unbändige der Kinder so herrlich!
Ich unterscheide zwischen der Film-Pippi und der Buch-Pippi. Beide Medien haben mich geprägt. Doch der Humor, so finde ich, kommt im Buch viel stärker zur Geltung als im Film. Im Film wird man zu sehr von den absurden filmischen Spektakeln abgelenkt, als dass man auf die Wortwahl achtet. Auf einigen Seiten wurde ich so zum Lachen angeregt, dass ich mich richtig darauf freue, die Bücher wieder zu lesen.

Als Annika und Tommi die neunjährige Pippi kennengelernt haben, wundern sie sich, dass Pippi so ganz ohne Eltern in der Villa Kunterbunt lebt:
>>Wohnst du hier ganz allein?<<
>>Aber nein, Herr Nielsson und das Pferd wohnen ja auch hier.<<
>>Ja aber ich meine, hast du keine Mama und keinen Papa hier?<<
>>Nein, gar nicht.<<
>>Aber wer sagt dir, wann du abends ins Bett gehen sollst und all so was?<<
>>Das mach ich selbst. (…) Erst sage ich es ganz freundlich, wenn ich nicht gehorche, dann sage ich es noch mal streng, und wenn ich dann immer noch nicht hören will, dann gibt es Haue.<<
Auch dieser Dialog brachte mich so richtig zum Lachen.

Nächstes Beispiel:
>>Am besten, ihr geht jetzt nach Hause, (…) damit ihr morgen wiederkommen könnt. Denn wenn ihr nicht nach Hause geht, dann könntet ihr nicht wiederkommen. Und das wäre schade.<< 
Diese Form von kindlicher Logik finde ich einfach genial. Auch die Szene, als Pippi sich als Sachensucher bezeichnet, amüsierte mich. Hier werden die Wertvorstellungen, die von den Erwachsenen aufgeladen werden, ein wenig verschoben. Pippi hat Freude auch an Gegenständen, die in den Augen der Erwachsenen eigentlich völlig wertlos sind.

Auf Seite 165 bezeichnet sich Pippi als schüchtern. Kann man sich nicht vorstellen. Pippi und schüchtern. Pippi ist zu einem Kaffeekränzchen bei den Settergrens eingeladen, Settergrens, so heißen Annika und Tommi mit dem Familiennamen. Pippi bemüht sich sehr, anständig aufzutreten, um das Geschwisterpaar nicht zu blamieren. Sie schenkt der Frau Settergren einen Knicks und sagt:
>>Ich bin nämlich sehr schüchtern, und wenn ich mich nicht selber kommandiere, dann würde ich in der Diele stehen bleiben und nicht wagen, hereinzukommen.<< 
Sich selber kommandieren. :).

Pippi Langstrumpf wurde in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Für die einen stellte sie eine Revolution im Kinderzimmer dar, andere sahen in Pippi eine unangenehme Figur, die an der Seele kratzt. 
Welch ein Glück für mich, dass die Kinder nichts dagegen hatten, von Pippi an ihren Seelen gekratzt zu werden. Aber es gab Erwachsene, die baten, Gott möge sie vor Pippi bewahren. Um das zu verstehen, braucht man bloß die Leserbriefspalten der Zeitungen damals zu studieren.
Für viele war sie nicht erwünscht. Mit einigen bösen Fantasien wurde Lindgren zudem noch konfrontiert: 
Da gab es beispielsweise einen Mann, der vorschlug, man solle mir einen Mühlstein um den Hals binden, damit man mich in der Tiefe des Meeres versenken könne. Und da war die Frau, die im Radio eine Sendung über >>diesen wahrlich widerwärtigen Frechdachs<< gehört hatte. Verhämt wollte sie nun wissen: >>Gibt es bei uns wirklich so wenig gute Kinderliteratur, dass man einen solchen Nonsens veröffentlichen muss?<< 
Während die einen das Buch vehement zurückgewiesen hatten, haben es andere umso mehr willkommen geheißen. In Deutschland wurde Lindgren von dem Hamburger Verlag namens Friedrich Oetinger mit Handkuss umworben. Friedrich Oetinger war Ende der 1940er Jahre noch ein recht kleiner Verlag und schwamm in roten Zahlen. Mit Astrid Lindgrens Erstlingswerk hatte er einen guten Riecher und riskierte die Veröffentlichung der Pippi Langstrumpf. Und  hierzu aus der Sicht Lindgrens: 
Friedrich Oetinger muss Menschenkenntnis besitzen - denn sonst könnte er nicht mit überempfindlichen, leicht erregbaren, umständlichen und schwierigen Individuen, wie es die Autoren sind, umgehen. Er muss literarisches Verständnis haben - denn sonst könnte er ein gutes Buch nicht erkennen. Und er muss ein guter Kaufmann sein - denn sonst hätte er bald keinen Verlag mehr. Friedrich Oetinger besitzt diese drei Eigenschaften, meine ich. Welch ein Glück, dass solch ein Mann an jenem Vorfrühlingstag 1949 zu mir kam. 
Und Oetinger hatte sich nicht getäuscht. Noch heute zählt er zu einem bedeutenden Kinder- und Jugendbuchverlag. Und als klein kann man ihn nun wahrlich nicht mehr bezeichnen.

Das Werk Pippi Langstrumpf wurde von vielen Literaturwissenschaftlern, Pädagogen, Lehrern und Eltern belächelt und abgelehnt. Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Diese verhalten sich oft, als wären sie die Päpste der Literatur.
Viele Erwachsene machten sich Sorgen, dass die Kinder Pippi nachahmen würden. Doch wer Pippi Langstrumpf verbieten wollte, der sollte auch Märchen verbieten. Kein Kind der Welt ahmt den Figuren aus dem bösen Märchen nach ...
Im >Trostbuch<, wie Lindgren die >>Brüder Löwenherz<< nennt, wird er jedoch zur >>recht gefährlichen Spielsache für junge Menschen<<. Als am gefährlichsten wird freilich Astrid Lindgren empfunden und das ist sicher richtig. Denn hier ist eine Frau, die unbeirrt zuerst an die Kinder denkt, für die sie schreibt, und die genau weiß, was die Kinder brauchen und >>dass ich die Kinder auf meiner Seite habe. Aber alle anderen?<<Allen anderen ist zu raten, es wie die Kinder zu machen, Bücher selbst zu lesen und sich so wenig wie die Kinder eine Meinung aufreden zu lassen. 
In dem Buch Brüder Löwenherz thematisiert die Autorin ein Tabuthema und zwar den Tod. Und wieder regt sich die halbe Welt darüber auf, dass der Tod in den Kinderbüchern nichts zu suchen habe ... In dieser Geschichte verarbeitet Lindgren ein wenig den Tod ihres frühverstorbenen Sohnes ...

Astrid Lindgren wurde mit Vorstellungen konfrontiert, dass z. B. eine „freie Erziehung“ den Kindern schaden könnte. Sie, selbst Mutter von zwei Kindern, konnte diese Sorgen aus eigener Erfahrung nun nicht bestätigen. Sie habe ihre Kinder frei erzogen und trotzdem hätten sie Pippis Lebensstil nicht nachgeahmt. Kinder würden Bücher anders lesen als Erwachsene, für die hauptsächlich alles vernünftig, logisch, und gut durchdacht sein müsse. Es seien eher ganz andere Missstände, die die Kinder in Wirklichkeit negativ beeinflussen würden, Missstände, über die sich niemand aufregen würde, wie z. B. starre Regeln, permanente Reglementierungen und Gewalt im TV.

Die Achtung vor dem Kind sei genauso wichtig wie die Achtung vor dem Erwachsenen.
Behandelt eure Kinder mit ungefähr der gleichen Rücksicht, die ihr wohl oder übel euren erwachsenen Mitmenschen zeigt. Schenkt den Kindern Liebe, mehr Liebe und noch mehr Liebe, dann kommen die Manieren von allein. 
Lindgren vermutet hinter jedem Diktator das mal einst gewesene Kind, das z. B. aus einer Gesellschaft kommt, die körperliche und seelische Züchtigungen in der Erziehung verherrlicht hat.

1978 erhielt Astrid Lindgren den Friedenspreis. Sie sprach sich gegen jede Form von Gewalt aus, äußerte pazifistische Ambitionen. Auch die autoritäre Erziehung lehnt sie kategorisch ab. Lindgren setzt sich für den Weltfrieden ein, kommuniziert via Briefkontakt auch mit Politikern, z.B. mit Gorbatschow, indem beiden das Hauptanliegen ist, die   Kinder politisch in den Mittelpunkt zu stellen.
An den Frieden denken heißt an die Kinder denken. Niemand hat das Recht, auf internationaler Ebene so zu handeln, dass die Kinder, wo sie auch leben, der Zukunft beraubt und Opfer der unbedachten Politik der Erwachsenen werden. (Aus einem Brief Gorbatschows an Astrid Lindgren)
Es seien nicht die Kinderbücher, nicht die antiautoritäre Erziehung, die die Kinder verderben würden:
Sie sehen und hören und lesen es täglich, und schließlich glauben sie gar, Gewalt sei ein natürlicher Zustand. Müssen wir ihnen dann nicht wenigstens daheim durch unser Beispiel zeigen, dass es eine andere Art zu leben gibt? 
Astrid Lindgren war ihrer Zeit um einiges voraus. Ich denke dabei an die 1968er Studentenrevolte, in der sich die jungen Intellektuellen für eine bessere Welt eingesetzt haben. Eine Welt, die frei von Kriegen ist. Auch forderten sie eine gewaltfreie Erziehung …

Lindgren hat den Kampf schließlich als Kinderbuchautorin international gewonnen. Die Bücher wurden in vielen Sprachen übersetzt. Man konfrontierte sie mit der Frage, ob sie sich nun als eine erfolgreiche Autorin wie eine Heilige fühlen würde? Die Frage fand ich schon recht merkwürdig, vor allem den Begriff >Heilige< fand ich unpassend gewählt. Umso mehr gefällt mir die Antwort dazu: 
Nein, warum sollte ich das tun. Ich habe nicht das Gefühl, über einem einzigen Menschen zu stehen. Was du da anscheinend sagen willst, geht mich nichts an. Das alles ist doch nur Eitelkeit und vergebliche Liebesmühe. Wir sind doch alle gleich und alle sind kleine süße Kinder gewesen, die erwachsen geworden sind und sterben werden. Was hat man da schon davon, in über 50 Sprachen übersetzt zu sein? Aber wenn >>the big bang<< kommt und kein Mensch mehr weiß, dass es einmal jemanden wie zum Beispiel Mozart gegeben hat, darüber kann man schon traurig sein. 
Mein Fazit?

Dieses Werk-Porträt habe ich ein wenig wie eine Astrid-Lindgren-Bibel erlebt. Ich werde sie sicher, wenn ich ihre Bücher neu gelesen habe, immer mal wieder herauspacken und mir die Buchgespräche vornehmen und diese mit meinen Leseerfahrungen vergleichen.

Und es gibt sogar einige Bücher, die ich gar nicht gekannt habe, wie z.B. das Märchen von Pomperipossa in Monismanien, die Kati-Werke oder Ronjas Räubertochter. Ronjas Räubertochter kenne ich nur vom Hörensagen, ist erst in den 1980er Jahren hier in Deutschland erschienen. 1980 hatte ich mit Lindgren längst abgeschlossen. Welcher Jugendliche liest noch Kinderbücher? Aber im fortgeschrittenen Alter kann das Interesse neu entfacht werden.

In dem Werk-Porträt erfährt man auch die Entstehungsgeschichten, wie z.B. der von Pippi Langstrumpf. Pippi Langstrumpf feiert dieses Jahr ihren 71. Geburtstag. Wer erfand die Pippi Langstrumpf?
Die Tochter Lindgrens lag sehr krank im Bett, mit hohem Fieber, im Delirium bat sie ihre Mutter, eine Geschichte über Pippi Langstrumpf zu erzählen. Das hat mir schon sehr imponiert.

Diskutiert werden noch jede Menge anderer Fragen und Themen, z.B. auch über die kritische Haltung von Nutztieren … Auch den Tieren gibt Lindgren ihre Stimme.

Des Weiteren findet man neben Mankell noch andere bekannte AutorInnen, die selber mit den Lindgrenbüchern groß geworden sind. Und jede Menge Interviews und viele, viele Fotos sind in dem Buch enthalten. Das macht das Ganze noch ein wenig lebendiger.

Nun habe ich aber genug geschrieben. Ich möchte nicht mehr verraten und verweise auf das Buch, das von mir zehn von zehn Punkten erhält.

In meinem Regal befinden sich noch drei ungelesene Autobiografien, werde demnach noch viel Gelegenheit haben, mehr über Lindgrens Leben zu berichten, weshalb ich mich in dieser Buchbesprechung mehr auf die Werke bezogen habe. Das Buch heißt im Untertitel nicht umsonst Ein Werkporträt. Leserinnen und Leser, die sich mehr für das Leben Lindgrens interessieren, und die Kinderbücher eher zweitrangig betrachten, werden hier auf jeden Fall auch fündig werden. Ansonsten rate ich zu echten Auto/Biografien.
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Wer sich im Vertrauten verirrt
oder in der Fremde verloren geht,
braucht nur eine fürsprechende Seele,
um sich gerettet zu fühlen.
(Petra Oelker)


Gelesene Bücher 2016: 07
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Gelesene Bücher 2011: 86




Montag, 25. November 2013

Astrid Lindgren / DAS ENTSCHWUNDENE LAND (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Auf dem Cover abgebildet ist das Elternhaus von Astrid Lindgren.

Astrid Lindgren hat wirklich Glück mit ihren Eltern gehabt. Man kann sich ja Eltern nicht aussuchen, so wie Eltern sich ihre Kinder ebenso nicht aussuchen können. Die Eltern verhielten sich sehr vorbildlich. Lindgrens Vater, der seine Frau mehr als liebte und umgedreht auch, war es wichtig, die Liebe, die er empfand, nicht vor den Kindern zu verbergen. Der Vater, Samuel August, lebte ganz nach dem Bilde Pohlem, der gesagt haben soll:
(... ) Es täte Kindern gut, zuzusehen, wie ihre Eltern sich herzen.
Und nun aus der Sicht von Astrid L.:
Einen zärtlicheren Bauern, wie es mein Vater war, hat es nie gegeben, zumindest war es bei smäländischen Bauern unerheblich, seine Gefühle so unverhohlen zu zeigen, wie Samuel August es tat. Wir Kinder waren es gewohnt, tagtäglich zuzuschauen,wie unser Vater, und sei es auch nur für einen kurzen Augenblick, unsere Mutter umarmte und sie herzte .(37)
A. L. durchlebte gemeinsam mit ihren drei Geschwistern eine glückliche Kindheit. Sie genossen die Freiheit, sich so zu entfalten, wie die Kinder es für ihre Entwicklung brauchten. Dennoch mussten die Kinder viel auf dem Gutshof mithelfen. Der Respekt zu den Erwachsenen war trotzdem gegeben. Sie widersprachen ihnen nicht und gingen den Aufgaben ohne Murren nach.

A. L. interessierte sich schon sehr früh für Bücher. Allerdings war es schwierig, an diese heranzukommen. Bücher waren für die Bauersleute eher eine Rarität, da sie gar keine Zeit zum Lesen hatten. Auch hier hatte A. L. Glück, als sie an eine Lehrerin geriet, die ihr half, Bücher zu erwerben. Große Glückseligkeit:
Ein Buch ganz für sich allein zu besitzen - dass man vor Glück nicht ohnmächtig wurde! Noch heute weiß ich, wie diese Bücher rochen, wenn sie funkelnagelneu und frisch gedruckt ankamen, ja, denn zunächst einmal schnupperte man daran und von allen Düften dieser Welt gab es keinen lieblicheren. Er war voller Vorgeschmack und Erwartungen.(…)Dann war man plötzlich zehn Jahre alt und ging in die Oberschule. Im Lehrerzimmer gab es eine Schulbibliothek, und darauf stürzte ich mich wie eine Besessene und verschlang alles, was es dort gab. In diesen Jahren zwischen zehn und dreizehn verschlingt man ja Bücher, und auch ich futterte alles Erreichbare, gleichgültig, ob ich es mir aus der Schulbibliothek holte oder von Mitschülern lieh, die mit Büchern besser ausgestattet waren als ich. Ich las die ganze lange Reihe von Sagen und Geschichten, vom Trojanischen Krieg bis zu Robinson Crusoe  und Onkel Toms Hütte, dazu alles, was ich von Jules Verne ergattern konnte, (…) und dann all die wunderbaren Mädchenbücher. Dass es überhaupt so viele nette und lustige Mädchen in der Welt gab, die einem plötzlich ebenso nahe standen wie Geschöpfe aus Fleisch und Blut! (74f)
Interessant fand ich, dass Pippi Langstrumpf keine Erfindung von A. L. ist. Erfunden hat sie ihre kranke Tochter, die im Fieberwahn lag und ihre Mutter bat, über Pippi Langstrumpf eine Geschichte zu erzählen.
>>Erzähl mir was von Pippi Langstrumpf.<< Ich tat ihr den Gefallen und dachte mir eine närrische Range aus, die zu dem Namen passen konnte, und musste bald entdecken, dass uns eine Pippi ins Haus geschneit war, die wir nicht wieder los werden konnten.(78)
A. L. war eine begabte Schülerin, der man es schon in den jungen Jahren ansah, dass sie eines Tages mal Schriftstellerin werden würde. Aber sie war entsetzt, wenn man sie als die zukünftige Schriftstellerin bezeichnete. Sie hatte gar nicht vor, Schriftstellerin zu werden.

A. L. war auch eine geborene Pädagogin. Dank ihrer glücklich durchlebten Kindheit, dank ihrer vorbildlichen Eltern, besaß sie ein ungeheures Wissen, mit jungen Menschen pädagogisch umzugehen.
Wie weckt man in Kindern das Interesse an Büchern? Sie spricht zu den Erwachsenen:
Was erwünscht und erhofft ihr euch noch für euer Kind? Womöglich hegt ihr gar sehr hohe Erwartungen und träumt davon, dass es eines Tages zu denen gehört, die die Welt verändern und sie zu einem besseren Platz für die Menschen machen? Einige müssen ja in jeder Generation zu den Wegbereitern der Menschheit gehören, warum nicht auch euer Kind? Ja, aber dann müsst ihr ihm den Weg zum Buch weisen! Und das muss jetzt gleich geschehen, denn findet es den Weg nicht als Kind, dann findet es ihn nie und wird auch nie ein Weltverbesserer, glaubt mir! Ihr könnt einmal die Probe aufs Exempel machen: nehmt jetzt zehn lebende Menschen, die ihr hoch schätzt und von denen ihr meint, dass sie wirklich etwas für die Menschheit geleistet haben, geht zurück bis in ihre Kindheit, blättert die Jahre um, und ich bin davon überzeugt, ihr findet zehn kleine Leseratten. (85)
Auch A. L. spricht von dem Reichtum, den Bücher einen stellen, und ebenso beschreibt sie sie als  wichtige Wegbegleiter:
Eines aber könnt ihr tun, ihr könnt dem Kind zeigen, wo Trost zu finden ist, wenn es traurig ist, und wo Freude und Schönheit zu finden sind, wenn das Leben in grau erscheint, und über dies könnt ihr ihm Freunde schenken, die nie enttäuschen… (86)
Interessant fand ich auch den Appell an die Erwachsenen, sich schriftlich so einfach wie möglich auszudrücken, so dass es auch Kinder verstehen.
Ein bedeutender Schriftsteller hat einmal zu mir gesagt: >>meines Erachtens ist die beste Art zu schreiben, so einfach zu schreiben, dass selbst ein Kind es verstehen kann.<< Und doch schrieb er für Intellektuelle Erwachsene: Wie viel nötiger ist es dann erst, dass alle, die für Kinder schreiben, sich so ausdrücken, dass sie von Kindern auch verstanden werden. Einfach schreiben ist auch oberhalb des Niveaus von fünfjährigen keine Schande, es braucht deshalb noch lange nicht banal und dürftig zu sein. Die Dichter erzählen uns von Leben, Tod und Liebe, dem zutiefst menschlichen, meistens in so schlichten Worten, dass jedes Kind sie verstehen kann - ist dir das schon mal aufgefallen? Wenn Du ein Rezept haben möchtest, dann nimm das von Schopenhauer: >>Man brauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge.<<(92f)
Das Zitat von Schopenhauer hat mich tief berührt. Finde ich gut. Und mit diesem Zitat beende ich nun meine Buchbesprechung!

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Man brauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge!
(Schopenhauer zitiert von Astrid Lindgren)

Gelesene Bücher 2013: 73
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