Sonntag, 29. August 2021

Stefanie vor Schulte / Junge mit schwarzem Hahn (1)

Bildquelle: Pixabay

“Es wäre schön,
wenn die Fähigkeit, 
sich in andere hineinzuversetzen, 
nicht verloren ginge.” (2021, 229)

Ein wunderbares, märchenhaftes Buch mit deutlichen Bezügen zur realen Welt, die die Leser*in zwar fiktiv in eine andere Epoche zu führen scheint, für mich schon fast mittelalterlich; eine Handlung von Krieg, Armut, Gewalt, Aberglauben und jede Menge skurriler Figuren, doch wenn diese als Symbole betrachtet werden, konnte eine besondere Affinität zur Gegenwart hergestellt werden. Dadurch habe ich das Buch als zeitlos empfunden. 

Mich hat diese Geschichte durch die Tiefe der Sprache von der ersten bis zur letzten Seite dermaßen bewegt, dass ich diesen Martin ungewollt mit in meine nächtlichen Träume genommen habe und es sehr bedauere, mich beim Schreiben dieser Buchbesprechung zurücknehmen zu müssen, weil meine Erlebnisse wieder andere sind als die der Anderen. Die Figuren dringen, so lebendig wie sie sind, in meinen Verstand und in meine Seele ein, und ich kann nichts dagegen tun. Auf einmal sind sie in mir drin, die sich so schnell nicht mehr aus mir herausbewegen lassen, bis ich mich lange genug mit ihnen beschäftigt habe und sie von selbst wieder verschwinden.

Ich habe die Buchbesprechung in zwei Abschnitten geteilt, zwar nicht numerisch, nur mit einem Trennstrich markiert, weil ich im zweiten Abschnitt noch eine kleine Diskussion anschließen möchte. Fragen über Fragen, die sich mir gesamtgesellschaftlich durch das Buch noch aufgetan haben. 

Hier geht es zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Die Protagonisten dieser Handlung sind der elfjährige Martin und sein schwarzer sprechender Hahn, der namenlos ist. Der Hahn wurde Martin in die Wiege gelegt und begleitet ihn als Freund, Helfer und vor allem als Führer auf seinem schwierigen Lebensweg.

In deinem Leben gibt es Unerklärliches, damit du zum Erklärlichen gelangst. (53)
Martin ist allein, mittellos, hat weder Eltern noch Geschwister. Doch als er noch Familie hatte, wurde er so schlecht behandelt, dass er der Meinung war, dass er ohne Familie besser dran wäre.

Es ist kein Kind der Liebe. Es ist aus Hunger und Kälte gemacht. (12)

Martin lebt in seinem Dorf, weg von seiner Familie, weg von seinem grausamen Vater, der alle seine Geschwister und die Mutter getötet hat. Die Welt wirkt hier recht düster, dunkel und trostlos. Die Menschen wenden sich von ihm ab, sind ihm gegenüber misstrauisch, weil Martin anders ist. Seine kluge und sanftmütige Art lässt die Menschen skeptisch werden. Dazu sind die meisten noch abergläubig und meiden Martin auch wegen seines schwarzen Hahns.

Den (Hahn) hat der Junge immer dabei. Auf der Schulter hocken. Oder im Schoss sitzen. Verborgen unter dem Hemd. Wenn das Vieh schläft, sieht es aus wie ein alter Mann, und alle im Dorf sagen, es wäre der Teufel. (6)

Eine besondere Beziehung sucht Martin in dem Maler, der neu in das Dorf kommt, um für die Kirche ein Altarbild anzufertigen. Martin schließt sich dem Maler an, als er schließlich weiterzieht, um nach neuen künstlerischen Aufträgen zu suchen. Im Gegensatz zu den anderen Menschen nimmt der Maler Martin und seinen tierischen Freund bei sich auf. Er bietet Martin dadurch einen gewissen Familien- und Heimersatz. Er scheint der einzige Mensch zu sein, der Martin versteht.

Wie sie einander Wärme geben, indem sie gackern und witzeln, sich das Maul zerreißen, sich miteinander wohlfühlen, wie Säue im Schlamm. Der Maler kennt diese Frauen, die schneller als ein Wiesel zu den Nachbarn rennen, um über andere zu lästern, sich lustig zu machen, über jemanden, der ihnen nicht passt, weil er allein schon durch seine Existenz, wie der Junge, ihre ganze schweinchenhafte Zufriedenheit in Frage stellt. Anmaßend sind sie. Sie lügen und schummeln. Eigentlich sind sie dumm, aber auf eine ungute Art pfiffig. Wie soll das Kind überleben, wie soll die Moral bestehen, zwischen diesen selbstgefälligen Männern und den giftigen Frauen? (60)
Doch auch der Maler hat seine Schwächen, vor allem mit dem Alkohol, und dadurch Martins Vertrauen auf die Probe stellt, bedingt auch als der Hunger des Malers die Existenz des Hahns gefährdet.

Und da weiß Martin, dass er den Maler eines Tages verlassen muss. Und es tut ihm weh. Der Maler schnarcht und schläft seinen Rausch aus, während Martin noch lange in die Nacht starrt und nun erkennt, dass erst die Liebe zu jemanden den Weg zu Schmerz und Angst ermöglicht. (88)

Auf der Reise mit dem Maler lernt Martin einen Reiter kennen, der Kinder stiehlt und sie an einen anderen mysteriösen Ort bringt. Martin möchte eines der Kinder retten. Brüskiert fällt der Maler ihm in den Rücken, und versucht es ihm auszureden. Allerdings lässt Martin sich von seinem Vorhaben nicht abbringen:

Ein gerettetes Leben ist alle Leben. (90)
Doch auch eine Liebesgeschichte spielt sich hier ab. Martin verliebt sich in ein schlagfertiges und selbstbewusstes hübsches Mädchen. Franzi, die so arm ist, dass sie trotz ihres jugendlichen Alters in einer Kneipe arbeiten muss, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Doch Martin spürt auch die Verletzlichkeit dieses Mädchens, die in ihrer Schönheit begründet liegt.

Sie ist 14, zieht sich das Tuch um die Schultern. Der Wind weht ihr das Haar in die Augen. Sie ist sehr schön, und die Männer bekommen Lust, ihr wehzutun. (7)

Welche Szene hat mir nicht gefallen?
Das waren jede Menge Szenen. Die Figuren habe ich größtenteils als dermaßen skurril erlebt, dementsprechend skurril waren auch deren Lebensweisen und deren Handlungen. Zusammengefasst waren das Szenen verschiedenster Figuren, die dermaßen abgestumpft in ihrer düsteren Lebenswelt gelebt haben, ohne jemals den Versuch unternommen zu haben, etwas daran zu verändern. Düsternis ist hier nicht eingegrenzt in Armut und Mittellosigkeit. Auch die gut Betuchten stellten leidliche und bemitleidenswerte Existenzen dar.

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Ganz klar hat mir die Szene gefallen, in der Martin es gelungen ist, die Fürstin in ihrem Schloss auszutricksen, um die geraubten Kinder zu retten.

Welche Figur war für mich eine Sympathieträgerin?
Martin, der schwarze Hahn, Franzi und der Maler, weil sie die eigentlichen Licht- und Hoffnungsträger darstellen.

Welche Figur war mir antipathisch?
Das Trio Henning, Seidel und Sattler, die zu eingefahren und zu träge waren, aus ihrem Leben etwas zu machen. Sie lassen sich lieber vom Skatspielen im Gasthaus ablenken und mit einem Schlüssel in der Hosentasche begraben.

Dazu noch die Fürstin. Die nach außen hin angeblich alles für ein glückliches Leben besaß; Macht, Prestige, Vermögen und ironisch gesagt; geklaute Kinder. Sie lässt sich die Reinheit in ihren Hallen bringen, weil sie seelisch selbst dermaßen unrein ist, dass man dies schon fast riechen kann. (Das meine ich ernst. Ich konnte die Fürstin riechen), während sie alle äußeren Tugenden erfüllt, ist sie innerlich ein mickriger Mensch geblieben, der irgendwann in der Entwicklung stehen geblieben ist, weil er aus meiner Sicht alle Energien in die Besitztümer und in die Macht investiert hat. Nach außen hin gewachsen, nach innen hin geschrumpft.

Meine Identifikationsfigur
Behalte ich dieses Mal für mich.

Cover und Buchtitel 
Den Buchtitel und das Cover fand ich gut und künstlerisch gelungen und ansprechend.
Der Blumenkranz auf Martins Kopf und die Blumen im Hintergrund, sehe ich hier ein Herz?, drücken etwas Weiches und Liebliches aus. Die blauen Kleider? Für mich ist Blau eine spirituelle Farbe, die für Seelentiefe steht …

Allerdings habe ich auf dem Cover den schwarzen Hahn vermisst. Auf der Schulter des Jungen wäre er gut platziert, und so komplettiere ich das Bild für mich innerlich im Stillen. 

Korrektur: Dank meiner Bloggerkollegin Petra Gleibs weiß ich nun, weshalb der schwarze Hahn auf dem Cover fehlt. Das Cover entspricht dem Gemälde von Pablo Picasso Der Junge mit der Pfeife. Ich hatte es irgendwie versäumt,  mir alle Klappentexthinweise, auch die etwas versteckten, in Augenschein zu nehmen, denn der Verlag selbst hat darauf verwiesen. Weiteres ist in den letzten Kommentaren dieser Seite zu finden. 

Auch habe ich gesehen, dass ich vergessen habe, meine Tabelle mit der Bewertung einzupflegen. Das hole ich nach, wenn ich am Rechner sitze. Aber auf jeden Fall hätte das Cover wegen des fehlendes Hahns keineswegs Punkte verloren. Dennoch lasse ich den Hahn in meiner Vorstellung auf der Schulter des Jungen sitzen.  

Zum Schreibkonzept
Die Handlung spielt sich auf 227 Seiten ab und ist in 31 Kapiteln gesplittet. Im Anschluss ist ein dreiseitiges Interview mit der Autorin abgedruckt.
Der Schreibstil; die Sätze sind manchmal recht kurz gewählt, dafür aber wie Pfeilspitzen sehr treffsicher. 

Meine Meinung
Ich habe mir am Ende die symbolische Frage gestellt, welcher Menschentyp in der Lage wäre, eine Welt von dem Bösen zu retten? Antwort? Das sind Menschen mit reinem Herzen, zu denen auch Martin zählt. Dabei musste ich an die Trilogie Herr der Ringe denken. Auch hier war es der junge Frodo Beutlin, der als einziger dazu befähigt wurde, diesen gefährlichen Ring, der dunkle Mächte anzieht, zu zerstören, während sein alter Onkel Bilbo Beutlin ihn ewig lang im Geheimen bei sich trug. Die dunklen Mächte, die an diesem Ring energetisch behaftet waren, schreckten ihn nicht ab, nicht mal dann, als Mittelerde schließlich bedroht wird. Doch auch Frodo kämpfte am Ende noch mit den Mächten dieses Ringes, hatte Schwierigkeiten, ihn in die ewige Verdammnis des Höllenfeuers zu werfen.

Zurück zu Martin. Er hatte ein schweres Leben, seine Herkunft war von schweren Schicksalsschlägen geprägt. Dennoch ist Martin ein Mensch geblieben, der die Reinheit seiner Seele nicht verloren hat. Er ist sensibel, mitfühlend und setzt sich für andere Menschen ein, in dem er z. B. gestohlene Kinder rettet, um sie den Eltern zurückzubringen. Er hat nichts, wovon der Mensch glaubt besitzen zu müssen, um ein glückliches Leben führen zu können. In seiner ganz bescheidenen Art ist Martin dennoch ein junger Mensch, der sehr viel besaß.

Martin sind die Menschen nicht gleichgültig. Er besitzt jede Menge Beobachtungsgabe, Feinfühligkeit, Weisheit und inneres Wissen, um mithilfe seines tierischen Freundes die Probleme anzugehen, anstatt wegzuschauen, während die Erwachsenen größtenteils abgestumpft sind. Sie nehmen die Ungerechtigkeit und die Nöte in der Welt in nur einer recht destruktiven Form wahr, dichten ihren eigenen Reim darauf und bringen dadurch noch mehr Dunkelheit in die Dunkelheit.

Was hat mir neben der Rettung der Kinder ganz besonders gefallen?
Die Ausgänge zwischen Martin, dem Maler und dem Hahn. Ich hatte während des Lesens schon sehr um die Existenz des Hahnes gebangt ... Und bin so glücklich über die Ausgänge, dass sich meine Hypothesen hierbei nicht erfüllt haben.

Von den Erwachsenen war der Maler der Einzige, der sein Verhalten kritisch dem Jungen und dem Hahn gegenüber durch schwierige Momente hinterfragen konnte und daraus auch konstruktive Konsequenzen hat ziehen können. Das hat ihn mir richtig sympathisch werden lassen.

Die Botschaft: Wir sind unseren Schwächen nicht hilflos ausgeliefert
Dazu habe ich die Botschaft vernommen: Dass wir Menschen unseren Charakterschwächen nicht hilflos ausgeliefert sind. Man kann an ihnen arbeiten und diese in Stärke umwandeln, um zu mitfühlenden Wesen zu werden, wie uns dies der Maler vorgelebt hat.

An der Fürstin wurde für mich deutlich, wie armselig ihre Reichtümer, ihre Macht und ihr Prestige nur waren. Sie selbst war nicht mal glücklich, sie musste Kinder stehlen lassen, Kinder, die in der Seele rein sind und sie aus meiner Sicht dadurch die Aufgaben hatten, das Leben der Fürstin zu erhellen. Ihre weltlichen Werte sind nicht wirklich die Dinge, auf die es im Leben ankommt. Sie sind nur solange wichtig, solange man sich innerlich nicht verliert und im selben Zug Mensch bleibt. Aber geht das? Sich mit großem äußeren Prunk schmücken und gleichzeitig bescheiden bleiben?

Die Parallele zur Gegenwart?
Auch wenn der Mensch heute nicht mehr diese existenziellen Nöte erleiden muss, ist er deshalb kein besserer Mensch. Heute streiten Menschen z. B. um Bagatellen. Meine Parallele, die ich sehe, ist, um nochmals auf das Anfangszitat dieser Besprechung einzugehen: Die Unfähigkeit, sich durch die Empathielosigkeit in andere Menschen und (Kulturen) hineinzuversetzen, sind häufig Streitthemen, die ich in der Gesellschaft und in den Medien beobachte. Die eigene Kultur und die eigenen Schwächen werden z. B. zu wenig hinterfragt, während die einer fremden Person und deren Herkunftskultur umso kritischer angegangen werden. 

Kinder wegsperren in der aktuellen Corona-Politik
Kinder stehlen und wegsperren sehe ich als eine Parallele in unserer Zeit bezogen auf die Corona-Politik durch die Politiker, die im Namen der Pandemie absurde Gesetze verabschieden. 

Oder Menschen, die Macht haben und noch mehr Macht haben wollen und noch mehr und noch mehr, und man nur eines bei ihnen wachsen sieht, ist deren Narzissmus, und innerlich entwickeln sie eine Seele wie die der Fürstin in diesem Buch.

Oder der Gaukler: Was gaukelt er uns vor? Dabei denke ich an die vielen suchtmachenden Computerspiele, die die Menschen von realen Problemen ablenken. Süffisante Politiker, die versuchen, uns manipulative Sichtweisen aufzudrängen ... Schließlich verwandelt sich der Gaukler in einen Henker ... Sich eine falsche Welt vorgaukeln zu lassen, kann am Ende sogar zum Verhängnis werden.

Diese sollten nur ein paar Beispiele darstellen ... 

Überwindung des Aberglaubens?
Obwohl wir längst das Mittelalter überwunden haben, existiert unbewusst noch immer dieser Aberglaube schwarzen Tieren gegenüber. Lt. Tierschutz in Tierheimen und anderswo werden schwarze Tiere nur sehr schwer vermittelt. Da müssen wir nicht über den Aberglauben anderer Länder reden, nein, hier vor unserer Haustüre kämpfen schwarze Tiere ums Überleben.

Kurzer Bezug zur Online-Talkrunde /  Gedanken der Autorin, von denen ich nur ein paar mir hierfür herausschreiben werde
Ich erinnere mich an die Online-Talkrunde vom Donnerstagabend: Martin bleibt menschlich in unmenschlichen Zeiten. Er habe einen Hang dazu, mit Schicksalsschlägen positiv umzugehen.

Erwachsene würden ihre Haltung nicht mehr überdenken. Sie glauben, mit ihrer Entwicklung abgeschlossen zu haben und haben aufgehört, ihr eigenes Verhalten zu hinterfragen.

Mein Fazit
Mich hat das Buch total fasziniert. Schade, dass ich mich aus persönlichen Gründen zurücknehmen muss. Ich kann gar nicht verstehen, dass manche mit dem Schreibstil der Autorin nicht klargekommen sind oder erst später damit warm werden konnten, wenn man dies aus den Rezensionen anderer Internet-Seiten herausliest. Mich haben die Worte der Autorin von Anfang an dermaßen ergriffen, dass sie sofort wie ein Fluidum in meine Seele geflossen sind und im Stillen weitergewirkt haben.

Summa summarum
Martin bringt den Menschen die Würde zurück!!!!
Dadurch war das Buch für mich ein Licht- und Hoffnungsträger, da es Mut macht, trotz harter Schicksalsschläge ein guter Mensch zu bleiben bzw. zu werden, was aber nicht heißt, makellos durchs Leben ziehen zu müssen.

Daher. Tolles Buch. Tolle Sprache. Tolle Figuren. Tolle Botschaft.

Wie ist das Buch zu mir gekommen?
Durch den Verlag bin ich auf dieses Buch aufmerksam geworden.

Meine Bewertung

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck, Fantasievoll
2 Punkte: Differenzierte, facettenreiche Charaktere 
2 Punkte: Authentizität der Geschichte;
2 Punkte: Erzähl-und Schreibstruktur, Gliederung: Ungebunden
2 Punkt: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein.

12 von 12 Punkten plus 2 Highlight Punkte. / 14 Pkt.

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Telefongespräch mit Bücherfreundin Anne

Mit Anne konnte ich völlig ungeschminkt über die Erfahrungen, die mich mit diesem Buch verbunden hatten, reden. Wir haben uns über die darin beschriebene Problematik menschlicher und gesellschaftlicher Art ausgetauscht und Bezüge zur aktuellen Lage hergestellt. Dazu noch die tolle Sprache, indem ich ihr manches Zitat einfach nur vorlesen musste. Ein besonderes Erlebnis teilte ich ihr mit:

Eine wichtige und persönliche Erfahrung mit meinem eigenen Haustier durch dieses Buch / Ein Erlebnis, das einem Wunder gleicht
Ich hätte richtig Lust, mit der Autorin unter vier Augen über dieses Buch zu sprechen. Über dieses Wunder, das ich innerlich bezogen auf mein eigenes Tier über die Tierkommunikation habe erfahren können, über das ich nicht hier, sondern an anderer Stelle im Blog allerdings noch schreiben werde, wo es thematisch noch besser passt.

Menschliche Probleme nur in der literarischen Welt sichtbar?
Wir nehmen literarisch menschliche Probleme auf, im Buch sind sie uns wichtig, intellektualisieren darüber, decken uns noch mit Fremdwörtern ein, um sophisticated zu sein ... , während diese im realen Leben eher als zu persönlich, zu profan, zu trivial abgestempelt werden, sobald man versucht, auf diese aufmerksam zu machen, und dazu, wenn es noch Einzelschicksale sind. Wie entstehen diese Diskrepanzen vielerorts unter den Intellektuellen? Damit müssen nicht unbedingt die eigenen Probleme gemeint sein, sondern die, die man selbst in einer Gesellschaft sozial-politisch beobachten und ansprechen möchte, so stößt man häufig auf taube Ohren und wird mit Totschlagargumenten abgespeist.

Wir lesen meist unkritisch über sozial- und gesellschaftliche Probleme anderer Länder, und atmen unbewusst erleichtert auf, dass man nicht zu dieser zurückgebliebenen Personengruppe gehört, weil es in den eigenen Reihen fortschrittlich zuzugehen scheint. Und genau das ist nicht mein Stil des Lesens und des Umgangs. Diese stark wertenden Betrachtungsweisen maße ich mir nicht an, sie anderen aufzustülpen. Und dabei tun Menschen anderer Nationen auch nichts anderes, was wir hier tun. Uns in ein System einfügen und angepasst leben, um dazuzugehören.

Jeder Mensch kann nur mit dem klarkommen, was er bei seiner Geburt in die Wiege gelegt bekommen hat, um daraus das Bestmögliche zu machen. 

Erlaubt sind hierbei häufig nur die Themen, die aus der Presse vorgegeben sind, und diese Themen sind schon von den Journalist*innen sehr selektiert und gefiltert bearbeitet. Und das genau sind die Gründe, die mich langweilen und geistig träge stimmen lassen. Man hört überall nur noch dasselbe und über die gleichen Themen reden, und die Argumente sind auch immer die gleichen. Selbst in Bücherforen beobachtet man dieses Verhalten zunehmend. 

Einige andere, aus der nicht lesenden Bevölkerung, reden lieber in belehrender, sittenstrenger Form über die Schwächen ihrer Mitmenschen, über die anderer Länder, eigene sind schwer aushaltbar. Abweichende Gedanken und Meinungen werden verprellt. Die möchte niemand hören, und dabei merken viele nicht mal, wie abgedroschen ihre Worte klingen, weil sie nur nachgeplappert und aus ihren Mündern kommend eigentlich schon völlig verbraucht sind, ohne darüber mal selbst nachgedacht zu haben. Viele lassen denken, und benutzen Gedanken, Ideen anderer wie die der Politiker, der Zeitungen, die schnell produzierend in die Gesellschaft hineingeworfen wurden ... Abstand von der eigenen Sichtweise und den eigenen Maßstäben zu nehmen und versuchen, die Dinge aus der Sicht des anderen zu verstehen, das geht nicht immer mehr verloren, ich glaube, es ist schon verloren gegangen und hoffe, dass diese Fähigkeit zu uns zurückfinden wird. Das bedeutet, sich z. B. auch in einen Kriminellen oder in einen Attentäter hineinversetzen zu können, um zu verstehen, was diesen Menschen zu einem Kriminellen bzw. zu einem Attentäter gemacht hat.

Dankeschön
Ich danke der Autorin Stefanie vor Schulte für diese so wunderbare Lektüre und für das Interview und wünsche ihr von Herzen den Buchpreis für das beste Romandebüt. Die Daumen sind hierbei ganz feste gedrückt.

Ich danke dem Diogenes-Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar und für die Einladung zur tollen Online-Talk-Runde, die ich als sehr aufschlussreich erleben durfte. Gerne hätte ich mehr darüber geschrieben, aber jetzt ist bei mir die Luft raus. Doch die Talk-Runde hat mir geholfen, eigene Worte für diese Besprechung zu finden. Es war gut, damit gewartet-  und nicht gleich nach dem Lesen mit dem Schreiben losgelegt zu haben.  

Ich danke Anne-Marit Strandborg für das tolle Gespräch. 


Hierbei kann ich folgende Bücher empfehlen:
Im Grunde gut, von Rutger Bregmann (Mein Fazit hierzu: Nicht nur im höheren Westen unserer Weltkarte leben gute Menschen ...).
Ian McEwan: Die Kakerlake (Mein Fazit hierzu: Nicht nur im unteren Westen und anderswo unserer Weltkarte laborieren manipulative und korrupte Politiker ...).

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Gelesene Bücher 2021: 08
Gelesene Bücher 2020: 24
Gelesene Bücher 2019: 29
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Auditive Bücher: Sten Nadolny /Weitlings Sommerfrische
Aljoscha Long u. a. / Mit dem Herzen siehst du mehr
Leo Tolstoi: Wo Liebe ist, da ist auch Gott
Marcel Proust: Der geimnisvolle Briefeschreiber
Amélie Nothomb: Klopf an dein Herz
Marcel Proust: In Swanns Welt

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Partnerschaft zwischen
Wissenschaft und Intuition!

Lesen mit Herz und Verstand!
Um die Welt, Menschen und Tiere
besser zu verstehen.

Mitgefühl für alle Mitseelen / Mitgeschöpfe
Deine Probleme könnten meine Probleme sein,
und meine Probleme könnten Deine Probleme sein.
Mein Schmerz, Dein Schmerz
Dein Schmerz, mein Schmerz.
Wir sind alle fühlende Wesen.
(Den Tieren eine Stimme geben)


11 Kommentare:

Anne hat gesagt…

Ja, Mira, es ist echt schade, dass man menschliche Probleme kaum noch menschlich miteinander bereden oder sachlich diskutieren kann. Zumindest hier im Netz. Aber was hier im Netz ausartet, schwelt ja im Realleben auch schon.
Frodo, Martin: Es scheinen die jungen Leute zu sein, die die Welt vor dem Bösen retten können.
Liebe Grüße, Anne-Marit

Mirella Pagnozzi hat gesagt…

Ja, liebe Anne, wobei ich das Netz nicht mal meine. Das ignoriere ich. Ich spreche von Menschen aus dem reellen Leben, denen man nicht mal aus dem Weg gehen kann.
Gute Nacht, Mira

Jasmine hat gesagt…

Liebe Mira,
Das ist falsch, diesen Menschen aus dem Weg gehen zu wollen. Aber wahrscheinlich hast Du das eher symbolisch gemeint.
Das Buch liegt nun auch bei mir und wartet nur noch darauf, endlich gelesen zu werden. Bin so gespannt. Schon mit Deiner Buchvorstellung hast Du mich neugierig gestimmt. Und Deine Rezension dazu? Es ist Wahnsinn, was Du alles herauszufinden weißt, und was die Figuren mit Dir machen und welche Verknüpfungen Du so findest? Da könnte ich richtig neidisch werden, wie die Bücher mit Dir leben oder Du mit Ihnen 😆? Wo hast Du das nur her? Wie machst Du das?

Ganz liebe Grüße von Jasmine

Mirella Pagnozzi hat gesagt…

Liebe Jasmine,
beneide mich bloß nicht um meine literarischen Fähigkeiten, denn das sind Fähigkeiten, die ausgrenzend sind ... leider 🤔.

Zur anderen Sache: Bestimmten Menschen aus dem Weg gehen wollen habe ich so gemeint, wie ich es geschrieben habe. Nix mit Symbolumhüllung und Verschleierung.
Die meisten erwachsenen Menschen hören nicht mehr richtig zu und sind dermaßen von ihrer Denkweise überzeugt, dass ich häufig Gänsehaut bekomme, wie sie mir zweifellos ihr Weltbild offen darlegen, in dem es nur Gewinner und Verlierer gibt. Reiche und Arme. Fähige und Unfähige. Gute und Böse und natürliche zählen sie sich als erstes immer zur ersten Kategorie. Das halte ich nicht immer aus. Hier, bei diesem Welt- und Menschenbild, hätte eine Figur wie Martin sozialpolitisch keine richtige Überlebenschance. Und es gibt Länder außerhalb von Deutschland, in denen es jede Menge Martins gibt. Die zwar nach außen hin wenig besitzen, aber innerlich findet man große Herzen und große Tugenden, ähnlich wie die von Martin. Die großen Herzen … wollen allerdings nicht gesehen werden, und wenn, dann werden diese ausländischen Martins als naiv und dümmlich charakterisiert. Ich sehe es wie die Autorin; die meisten Erwachsenen sind einfach fertig mit ihrer Entwicklung, man kommt selbst mit großer Empathie an sie nicht dran, um sie zum Nachdenken zu bewegen. Deshalb möchte ich ihnen aus dem Weg gehen, weil ich diese Ungerechtigkeit anderen Menschen gegenüber in meiner Seele als schmerzhaft empfinde. Das Wissen, dass es überall auf der Welt trotz Kulturunterschiede solche, und solche und nochmal solche ... Menschen gibt, dieses Wissen muss ihnen abhanden gekommen sein. Und daran sind auch die Medien nicht ganz unschuldig. Wir müssten mehr auf unsere innere Stimme hören, wie dies die vielen Ghandi-isten tun. Damit wir uns selbst besser spüren können und damit auch unsere Mitmenschen bzw. alle Mitgeschöpfe des gesamten Planeten.
Viele wichtige Themen sind mittlerweile kaputtgeredet, ohne dass die Welt damit besser gemacht worden ist. Äußerlich vielleicht schon, aber innerlich sind wir immer noch Kannibalen wenn wir dürften, und das meine ich jetzt tatsächlich symbolisch.
LG, Mira

Jasmine hat gesagt…

Ja, Mira, wie Du das immer so schön ausdrücken kannst. Ich glaube, die meisten Menschen verstehen nicht was Du meinst und sind auch nicht so sensibilisiert wie Du es bist. Als ich Diesen Post gelesen habe, musste ich mich fragen, was wir unter Glück verstehen? Kann "Glück" für alle gleich sein? Hierbei relativiert sich Glück, was uns allerdings durch die Medien wie z. B. der Werbung als einheitliches Glück vorgegaukelt wird; würde hier der Gaukler aus dem hiesigem Märchen passen? Wie gesagt, ich habe das Buch noch nicht gelesen.

Mirella Pagnozzi hat gesagt…

Warum diskutieren wir so viel über ein Kopftuch einer Muslimin? Es gibt Frauen mit Kopftücher, die sind glücklich, in unseren Augen aber rückständig. Warum diskutieren wir so viel über die Gewalt von Kindern muslimischer Herkunft, aber nicht über deutsche Kinder, die hier Gewalt erfahren? Die Jugendämter haben alle Hände zu tun mit deutschen Familien.

Warum muss jeder Abitur machen, wenn ein anderer als Nichtabiturient auch sein Glück finden kann? Welche Chancen haben Menschen in unserer Gesellschaft mit Bildungsdefiziten?

Warum muss man eine schlanke Figur haben, um glücklich zu sein? Manche sind genetisch dazu nicht ausgestattet und können gar nicht diese schlanke Figur erwerben? Deshalb unglücklich?

Warm muss man blonde Haare haben, um hübsch zu sein?

Und so weiter und so fort.

Ich bin jetzt weg, Jasmine, mache es gut. Solltest Du noch etwas schreiben, ich antworte Dir morgen Abend.

Alles Liebe und noch einen schönen Abend
Mira

Anne hat gesagt…

Du bringst es auf den Punkt, liebe Mira. Genau diese Fragen stellt sich nämlich kaum jemand. Die meisten Menschen nehmen als gegeben hin, was ihnen Politik, Medien und Werbung vorgaukeln.
Ich habe ja seit meiner Jugend mit dem Gewicht zu kämpfen. Und von allen Seiten wurde mir gezeigt, wie unnormal ich praktisch war, weil ich zu viel Kilos auf den Rippen habe. Heute, mit fast 60 Jahren, bin ich endlich so weit, mich so zu akzeptieren wie ich bin.
Liebe Grüße, Anne-Marit

Mirella Pagnozzi hat gesagt…

Liebe Anne,
Das ist ja wirklich krass. Wie viele Jahre an Glück Du verloren hast, ehe Du es hättest finden können und das auf Kosten der gesellschaftlichen Anpassung. Ich habe heute Morgen wieder ein tolles Diogenes Hörbuch auf meinen Ohren und ich mir daraus ein wunderschönes Zitat habe entnehmen können, das auch nochmals unterstreicht, was ich gestern geschrieben habe. Wir sollten lernen, mehr nach innen zu gehen und auf die innere Stimme zu hören. Und dafür ist es nie zu spät, Anne, solange man noch am Leben ist.

"Klopf an den Herz, denn dort sitzt dein Genie".
(Alfred de Musset)

Ich setze dieses Zitat zusätzlich in meine Signatur. Entnommen habe ich es aus dem Hörbuch "Klopf an dein Herz" von Am'elie Nothomb.

Einen lieben Gruß in die Runde von Mira

Michaela hat gesagt…

Liebe Mira,
ich habe das Buch nun auch ausgelesen. Mal ganz ehrlich, dieser Martin wirkt doch nicht wie ein elfjähriges Kind? Ich habe ihn viel zu reif für sein Alter erlebt.

Dazu noch Der Vater; der die Mutter und die Geschwister
getötet hat, das kann man weder als Erwachsener noch als Kind nicht einfach so wegstecken, ohne einen psychischen Schaden zu erleiden.

Und die Pfeife in seiner Hand konnte ich auch nicht zuordnen.

Liebe Grüße
Michaela

Mirella Pagnozzi hat gesagt…

Liebe Michaela,
ja, da hast Du recht. Martin wirkt sehr reif für sein Alter. Erstens ist die Geschichte für mich ein Märchen, immer etwas von der Realität abgehoben, etwas verzerrt und überspannt, zweitens ist für mich Martin "nur" eine Metapher.

Und Kinder aus der damaligen Zeit mussten eben tatsächlich durch die existenziellen Nöte früher erwachsen werden. Kindsein war nur für reiche Kinder ein Luxus. Das passt schon, finde ich. Da gab es so etwas wie Gefährdung des Kindeswohls noch nicht, wie es das Jugendamt heute definieren würde.

Die Pfeife in der Hand? Für was hat man Bloggerfreund*innen? Damit man etwas spicken kann, lach. Auf Petra Gleibs Blog www.lesenueberall.com habe ich entnehmen können, das das Cover aus einem Picasso Gemälde stammen würde, "Der Junge mit der Pfeife". Obwohl wir früher in Kunst Picasso durchgenommen hatten, ist mir dieses Gemälde nie in die Quere gekommen. Dann muss man ein wenig googlen, um die Bedeutung des Gemäldes zu eruieren. Der rosa, dann der blaue Junge passt total zu der Geschichte ... Interessant fand ich den blauen Anzug, blau als Träger des gesamten Weltschmerzes. Hm, für mich ist blau noch immer eine Farbe der Tiefe, eine introvertierte Farbe ... Habe ich niemals mit Schmerz in Berührung gebracht.

Aber hier ein Link zu dem Gemälde:

https://de.uobjournal.com/2746-description-of-the-painting-pablo-picasso-the-boy-wi.html

Ich kann Dir wirklich auch den Blog von Petra Gleibs empfehlen. Das bedeutet aber nicht, dass wir immer diesele Meinung haben.

Viel Spaß und alles Liebe
Mira

Mirella Pagnozzi hat gesagt…

Moin, Michaela,
Wie konnte ich denn selbst nur so blind sein? Auf das Picasso-Gemälde wurde von dem Diogenes Verlag schon im Klappentext des Buches verwiesen. Normal übersehe ich sowas nicht. Grummel, grummel ... Wahrscheinlich war ich innerlich zu sehr mit dem Inhalt verbandelt. Hierbei danke an Petra Gleibs, die mir die Augen geöffnet hat. Aber ich habe daraufhin alle Picasso-Bücher vom Speicher runter geholt, schwere Bildbände und tatsächlich ist darin das Bildmotiv zu der Thematik "Die rosa und blaue Periode" nicht enthalten, weil mir das auf jeden Fall ins Auge geschossen wäre als eine Liebhaberin der Surrealisten. Von Picasso hatte ich mich dann schließlich getrennt, weil er die Frauen in seinen Bildern so sehr verunstaltet hat. Ich hatte damals eine Biografie über ihn gelesen, und das hat noch meine Beobachtung bestärkt, dass Picasso tatsächliche ein Frauenverachter gewesen sein soll. Nach dieser Biografie wollte ich mit ihm seelisch und geistig nichts mehr zu tun haben, was mir scheinbar gut gelungen ist.
Schönen Sonntag euch allen, Mira