Mittwoch, 8. Oktober 2014

Marcel Proust / Sodom und Gomorrha (6)

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Sechste von sieben Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ein paar Vorgedanken ...

In einer Literaturzeitschrift hatte ich mal vor mehreren Jahren gelesen, dass in den Werken Auf der Suche nach der verlorenen Zeit über tausend Figuren existieren würden. Dies hatte mich dermaßen abgeschreckt, weil ich unmöglich über diese tausend Personen schreiben, geschweige denn mir alles behalten kann. Dies war wohl der Grund, weshalb ich von Proust erst genug hatte. In mir spürte ich zu diesem Zeitpunkt eine innere Bremse. Ich habe zwei Jahre gebraucht, um es nun neu zu wagen, allerdings habe ich meinen Anspruch etwas heruntergeschraubt. Ich lese Proust auf meine Weise, und z.B. nicht auf die Weise von Literaturwissenschaftlern. Ich ziehe für mich das Beste heraus. Trotzdem habe ich die tausend Leute im Hinterkopf und stehe ein wenig unter dem Zwang, mir so viel wie möglich von diesen tausend Leuten zu behalten oder gar aufzuschreiben ...
Und ich mache gerne eigene Entdeckungen, und lasse mich nicht gerne von Sekundärliteratur leiten und beeinflussen. Wie sagen Prousts Leute? Ein Original zu sein ist besser als eine Kopie. Diesen Anspruch hab ich, wenn ich über meine gelesenen Bücher schreibe. Natürlich gebrauche ich auch Lexika, aber sie werden nicht zu meinen Hauptlektüren gemacht. 

Weiter geht´s.
Am letzten Montag, dem sechsten Oktober, habe ich ein paar Sätze zu Prousts Wach- und Traumzustand geschrieben. Hundertfünfzig Seiten weiter entdecke ich eine so schöne bildhafte Textstelle, in der sich Proust zu diesen beiden Bewusstseinszuständen selbst äußert. Ich muss diese Textstelle unbedingt aufschreiben, sie geht mir sonst verloren, da ich nicht vorhabe, die Bände ein zweites Mal zu lesen. Es ist ein wunderschönes Zitat:
Ich trat in den Schlaf ein, der wie eine zweite Wohnung ist, über die wir verfügen und in die wir, nachdem wir die Erste verlassen, uns für die Nacht begeben. Sie hat ihre eigene Läutevorrichtung, und wir werden darin manchmal durch das Geräusch einer Schelle geweckt, das wir ganz deutlich an unserem Ohr vernehmen, obwohl niemand geläutet hat. Sie hat ihre Bedienten, ihre besonderen Besucher, die uns dort zu einem Ausgang abholen, sodass wir uns anschicken aufzustehen, wenn wir mit einem Mal dadurch, dass wir fast übergangslos in die andere Wohnung zurückgewandert sind, die wir im Wachzustand innehaben, genötigt sind festzustellen, dass das Zimmer leer und niemand gekommen ist. Die Rasse, die es bewohnt, gleicht der der ersten Menschen androgyner Natur. Ein Mann erscheint dort nach einer Weile in Gestalt einer Frau. Die Dinge dort haben das Talent, zu Menschen, die Menschen aber das, zu Freunden und Feinden zu werden. Die Zeit, die für den Schläfer während eines solchen Schlafes zerrinnt, ist absolut verschieden von der Zeit, in der er sein Leben als wahrer Mensch verbringt. Manchmal ist ihr Lauf sehr viel rascher, eine Viertelstunde erscheint dann ein Tag zu sein, manchmal auch sehr viel langsamer, denn man meint, nur einen leichten Schlummer getan zu haben, und hat dabei den ganzen Tag geschlafen. Dann fährt man mit dem Wagen des Schlafs in Tiefen hinab, in denen die Erinnerung ihn nicht mehr einzuholen vermag und an deren Pforten der Verstand den Rückzug antreten musste. Das Gespann des Schlafs zieht wie das der Sonne in so gleichmäßigem Schritt dahin, in einer Atmosphäre, in der kein Widerstand es mehr aufzuhalten vermag, dass es eines kleinen von außen kommenden meteorischen Steinchens bedarf (…), und den regelmäßigen Schlaf zu treffen (…) ihn in einer jähen Kurve war unter Auslassung aller Zwischenetappen zur Wirklichkeit zurückzuführen, durch dem Leben schon nahe gelegenen Regionen hindurch-in denen der Schläfer bald die noch ziemlich wirren, aber bereits wahrnehmbaren, wenn auch entstellten Geräusche des Lebens hören kann; und ihn mit unerhörter Plötzlichkeit beim Erwachen landen zu lassen. Man erwacht dann aus solchem Tiefschlaf jeweils in einem Morgengrauen, ohne zu wissen, wer man ist, da man ja niemand ist, vielmehr neu und zu allem bereit, denn das Gehirn ist entleert von jener Vergangenheit, die das dahinter zurückliegende Leben war.
Marcel Proust ist abends oder nachts, wenn er von La Raspéliere zurückkehrt, recht müde, da ihn die vielen Soireen einfach auch anstrengen.
Ginge mir persönlich ähnlich, so viele Menschen um einen herum kosten auch viel menschliche Energie.

Dieser Snobismus, der die Proustbände dominiert, und der sicher auch recht anstrengend ist, ihn zu ertragen, findet man auch unter den einfacheren Leuten. Prousts Zimmerkellner spricht von seiner Schwester, die einen reichen Mann geheiratet hat und sich eine Menge darauf einbilden würde. Proust verteilt oft großzügig Trinkgelder, die von dem Zimmerkellner mit großer Dankbarkeit auf fast unterwürfiger Art entgegengenommen wird, und erzählt ihm von dem Los seiner Schwester:
Guten Abend, mein Herr. Oh! Danke, mein Herr. Wenn alle Leute ein so gutes Herz hätten, gäbe es bald keine Armen mehr. > Aber<, sagt meine Schwester, > es muss immer welche geben, damit ich jetzt, wo ich reich bin, sie gelegentlich anscheißen kann.<
Warum schreibt Proust diese Szene auf? Will er damit deutlich machen, dass Geld den Menschen verdirbt, egal in welcher Kaste er sich befindet?

Endlich erlebe ich eine Szene, in der Proust es schafft, sich der Liebe mit Albertine hinzugeben. Albertine ist allerdings diejenige, die den ersten Schritt wagt, sodass sich beide Liebkosungen hingeben. Doch hatte sie zuvor eine Flasche Apfelwein getrunken. Mut angetrunken? Für eine Frau zur damaligen Zeit war der erste Schritt sehr mutig …
Sie schien dann tatsächlich zwischen uns beiden den Abstand nicht mehr ertragen zu können, der sie gemeinhin nicht störte; unter ihrem Leinenrock drängten ihre Beine sich an meinen, dicht an meine Wangen brachte sie die ihren, die blass geworden war, über den Wangenknochen aber heiß und rot, mit etwas glühendem und Verwelktem, wie es die Mädchen aus den Vorstädten haben. In solchen Augenblicken verwandelte sie fast ebenso schnell wie ihre Persönlichkeit auch ihre Stimme, sie verlor die ihre, um eine andere, heisere, kecke, ja fast gemeine anzunehmen. Es wurde Nacht. Welche Freude war es für mich, sie so dicht neben mir zu fühlen mit ihrem Schal und ihrer Toque, und daran zu denken, dass man immer so, Seite an Seite, alle Liebenden trifft! Ich hegte vielleicht Liebe zu Albertine, wagte aber nicht, sie etwas davon merken zu lassen; wenn also Liebe in mir war, so konnte sie nur die eine Wahrheit ohne Wert sein, bis ich sie durch die Erfahrung hätte wirklich erproben können; so aber schien sie mir nicht realisierbar und auf einer anderen Ebene als mein Leben zu liegen. Was meine Eifersucht betraf, so trieb sie mich dazu, Albertine so wenig wie möglich allein zu lassen, obwohl ich wusste, dass sich völlige Heilung nur finden konnte, wenn ich mich für immer von ihr trennte. Ich konnte Eifersucht sogar verspüren, wenn ich mich neben ihr befand, richtete es aber dann so ein, dass der Umstand nicht wiederkehrte, durch den sie in mir geweckt worden war.
Nun, aber das obige Zitat sagt schon alles. Zeigt die Beziehungsstörungen, die Proust hat und man ist schon darauf vorbereitet, dass die Beziehung mit Albertine scheitern wird. Aber das habe ich schon vorausgesehen. Nach fünf Proust-Bänden lernt man ihn schon kennen, auch intuitiv. Die Eifersucht nimmt ebenfalls krankhafte Züge an. Marcel und Albertine gehen essen, und der Kellner trifft den Blick Albertines.
Ein paar Minuten lang hatte ich das Gefühl, dass man die Person, die man liebt, dicht neben sich und doch nicht bei sich haben kann. Die beiden sahen aus, als befänden sie sich in einem geheimnisvollen Zwiegespräch, das stumm verlief infolge meiner Anwesenheit und vielleicht bereits eine Fortsetzung früherer Begegnungen war, von denen ich nichts wusste, oder auch nur eines Blickes, den er ihr zugeworfen hatte, bei dem ich aber jedenfalls der störende Dritte war, vor dem man sich verbirgt. Selbst als er sich, von seinem Chef energisch zurückgepfiffen, entfernt hatte, schien es, als ob Albertine, während sie weiter aß, das Restaurant und die Gärten keineswegs nur mehr als eine beleuchtete Rennbahn ansah, auf der bald hier, bald da vor wechselnden Dekorationen der göttliche Läufer mit schwarzem Haar wieder erscheinen würde.
Aber das Schöne an Proust ist, ihm sind seine Schwächen auch bewusst …

Ein paar Seiten später erfährt man, dass er von Albertine mit so vielen Küssen bedacht wurde, dass er es schon als ein Vorrat an Küssen betrachten konnte für die Zeit, in der ohne sie war.

Albertine zeigt großes Interesse an der Architektur, sie ist durch Proust auf dieses Interessengebiet gestoßen und bittet Marcel, sich mit ihr Kirchen und Bauwerke anzuschauen. Er konnte ihr den Wunsch nicht erfüllen und lehnte ab, erfand Ausreden, doch der eigentliche Grund war, dass er sich die schönen Dinge nur alleine anzuschauen in der Lage sei.

Mein Verdacht hat sich bestätigt, dass Proust nur mit sich alleine zu tiefen Gedanken fähig ist. Jeder Austausch mit jemand anderen würde ihn geistig und seelisch zu sehr zerstreuen.

Ein anderes Ereignis hat mich ein wenig belustigt. Hat mich amüsiert. Proust erfährt die Begegnung mit einem Gerichtspräsidenten. Sie tauschen sich aus. Der Gerichtspräsident erfährt dabei von Proust die gesellschaftlichen Abendaktivitäten bei den Verdurins in La Raspéliere:
Ah! Sie fahren nach La Raspéliere ! Ich muss ja sagen, Madame Verdurin mutet Ihnen wirklich viel zu mit einer Stunde Eisenbahnfahrt im Dunkeln, nur damit Sie bei ihr zu Abend essen, und dann kommt auch noch die Rückfahrt um zehn Uhr abends bei diesem mörderischen Wind. Da sieht man allerdings, dass Sie offenbar nichts zu tun haben.
Eigentlich geht es diesem Menschen gar nichts an, mit was sich Proust die Zeit vertreibt. Aber inhaltlich gesehen hat er schon recht. Aber Proust weiß dies auch, denn er hat nicht umsonst seinen sieben Bände den Titel Auf der Suche nach der verlorenen Zeit gegeben.
Prousts Reaktion auf den Gesprächspartner? Klar, sein Gesprächspartner sei einfach nur neidisch, dass er als ein vielbeschäftigter Mensch diese Zeit nicht zur Verfügung stehen habe, um an Soireen teilzunehmen und tat ihn als gedankenlos ab, denn schließlich könne man sonst keinen Hamlet schreiben oder ihn gar lesen ...

Das ist wohl auch wahr, aber diese Leute schreiben ja nicht, und sie lesen nicht wirklich viel, obwohl sie über eine mannigfaltige Bibliothek verfügen … Man bekommt mal mit, dass jemand z.B. ein Buch von Balzac dabei hat, aber doch mehr um zu zeigen, dass er weiß, wer Balzac ist, aber nicht um des Zweckes willen.

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„Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen.
Manchmal, die Kerze war kaum gelöscht,
fielen mir die Augen so schnell zu,
dass keine Zeit blieb, mir zu sagen:
Ich schlafe ein.“
(Marcel Proust)


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Montag, 6. Oktober 2014

Marcel Proust / Sodom und Gomorrha (5)

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (4)

Fünfte von sieben Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ich habe nun mehr als die Hälfte durch und es gibt noch immer Klatsch- und Tratschgeschichten bei den vornehmen Leuten, mit denen sie sich ihre Zeit vertreiben, die nicht mehr zurückzuholen ist. Manchmal gibt es Ausnahmen, in dem die Konversationen auch mit Themen wie z. B. der Kunst, Musik, Literatur, Philologie und der Etymologie … betrieben werden. Èmile Zola z. B. war vielen recht unsympathisch, da er in der Dreyfusaffaire involviert war und sich dadurch politisch unbeliebt gemacht hatte und durch eine provokante politische Schrift, die er zur Aufklärung der Dreyfusaffaire publizierte, einen Skandal hervorrief. Zola musste fliehen, um einer Verhaftung zu entgehen. 

Doch auch hier, wenn es um wirklich interessante Themen ging, schaffen es diese vornehmen Leute nicht, länger an einem interessanten Gesprächsstoff zu verweilen und verfallen immer wieder in das alte Gesprächsmuster, in dem sie wieder über andere sich auslassen. Es würde Damen geben, die Mozart nicht von Bach zu unterscheiden wüssten.
Mit der Etymologie befassten sich die Leute ausführlicher, in dem sie französische Namen aus der Pflanzenwelt analysierten. 

Was haben diese Menschen für Erwartungen? Sie befürworten einerseits Menschen mit einer hohen Allgemeinbildung, andererseits aber lehnen sie diese gebildeten Menschen ab, wenn es ihnen nicht gelingt, das Wissen so anzuwenden, dass es sich wie ein Original und nicht wie eine Kopie anfühlt…

Marcel Proust befindet sich wieder auf Reisen. Von Balbec aus fährt er gemeinsam mit anderen Bekannten mit  dem Zug nach La Raspéliere, ein Landsitz in der Nähe von Balbec, um an der Soiree der Madame und des Monsieurs Valdurin teilzunehmen. Die einzige Dame, von der Proust kein schlechtes Bild hat und er ihr sogar sehr wertschätzend gegenübertritt.

Es wird nun wieder über Monsieur de Charlus gesprochen, homosexuell, von dem sich die anderen recht angeekelt fühlen. Noch heute gibt es viele Vorurteile gegenüber sexuell andersorientierten Männern und Frauen, obwohl sich schon so viele Schriftsteller damit befasst haben; und die wird es aus meiner Sicht auch morgen noch geben.
Zudem hat der Homosexuelle, der sich in Gegenwart eines anderen Homosexuellen befindet, nicht nur ein unvorteilhaftes Abbild seiner selbst vor Augen, das sogar bei völliger Lieblosigkeit ihn in seiner eigenen Liebe kränken würde, sondern ein anderes, ein lebendiges Selbst, das in gleicher Weise handelt wie er und also auch imstande ist, ihm in seinem Liebesleben Schaden zuzufügen.
Interessant fand ich auch die Begebenheit eines Kunstprofessors namens Elstir, der wegen seiner stilvoll mit Aquarell gemalten Bilder hoch angesehen ist, und in seinem Atelier viel arbeiten würde, wäre da allerdings nicht seine Frau, die im Gegensatz zu ihm einen schlechten Ruf genießt. Seine Frau wird als schmutzig und wenig ansehnlich bezeichnet, die keinesfalls zum Professor passen würde. Madame Verdurin hatte Elstir die Hochzeit mit dieser Frau erfolglos abgeraten. Madame Verdurin würde keine Frauenzimmer empfangen wollen und ihre Loge sei schließlich kein Stundenhotel …
Böse Worte ...

Doch Elstir brach den Kontakt zu den Verdurins vorzeitig ab. Er war auf deren Gesellschaft nicht angewiesen. 
Sie hatte es ihm gesagt, dass die Frau, die er liebte, dumm, schmutzig, leichtfertig sei und gestohlen habe. Diesmal jedoch war es ihr mit dem Bruch nicht geglückt. Gebrochen hatte Elstir zwar, doch mit dem Haus Verdurin, und er beglückwünschte sich dazu, wie Bekehrte die Krankheit oder den Schicksalsschlag segnen, der sie zur inneren Einkehr auf den Weg des Heils gebracht hat. (…) Denn schon zu den Zeiten, als Elstir dem kleinen Kreis angehörte, kam es vor, dass er ganze Tage mit irgendeiner Frau verbrachte, die Madame Verdurin mit Recht oder Unrecht für eine >>Schnepfe<< erklärte, was ihrer Meinung nach bei einem gescheiten Mann nicht ging.
Marcel Proust selbst ist ein Philosoph, wenn er außerhalb jener Gesellschaft ist, zu Hause, bei sich im Zimmer, auf seinem Bett (das Bett ist ein wichtiger Lebensort für ihn) geht er vielen interessanten Gedanken nach. Die Gedanken sind oftmals so tief, schon fast meditativ, dass er sogar von ihnen träumt, und er im Wachzustand nicht mehr sicher ist, was von seinem geistigen Stoff Traum oder Wirklichkeit ist. Da beides nicht auseinanderzuhalten ist, bezeichne ich persönlich beides als die Wirklichkeit von Proust. Die bewusste und die unbewusste Wirklichkeit ...
Proust denkt viel über die Kunst nach, über die Natur, sogar über die Schlafstörung ...

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„Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen.
Manchmal, die Kerze war kaum gelöscht,
fielen mir die Augen so schnell zu,
dass keine Zeit blieb, mir zu sagen:
Ich schlafe ein.“
(Marcel Proust)

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Samstag, 4. Oktober 2014

Marcel Proust / Sodom und Gomorrha (4)

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit 4

Unter Berücksichtigung der Buchbesprechungen dieses Bandes von eins bis drei setze ich die vierte fort. Doch zuvor verlinke ich die drei Buchbesprechungen, die ich vor zwei Jahren geschrieben habe. Mir hatte es an Ausdauer gefehlt, weshalb ich das Buch nicht beenden konnte.

Erste Buchbesprechung

Zweite Buchbesprechung

Dritte Buchbesprechung



Vierte von sieben Buchbesprechungen zur o. g. Lektüre

Weiter geht’s. Immer wieder wird man mit der Arroganz der vornehmen Leute wie Fürsten, Barone und Adligen konfrontiert, kurz; die Gesellschaft der Aristokraten, die sich zwischen Abwertung und Vorurteilen den  Mitmenschen gegenüber bewegt. Innerhalb dieser Schichten gibt es durchaus hierarchische oder noch besser gesagt kastenförmige Unterschiede, trotzdem haben alle eines gemeinsam: Es wird überall abgelästert. Jede Schicht stellt sich über die andere. Und immer wieder nimmt man an den gesellschaftlichen Konversationen teil, an den Soirees, die eher oberflächlich verlaufen. Diese Leute tun nichts anderes als reden, reden, reden:
Nichts dergleichen jedoch schien Madam de Citri das Recht zu geben, Eigenschaften zu verachten, die den ihren  glichen. Sie fand alle Menschen idiotisch, aber in ihrer Unterhaltung, ihren Briefen zeigte sie sich den Leuten, denen sie so viel Verachtung entgegenbrachte, eher unterlegen. Sie hatte im übrigen in sich ein solches Zerstörungsbedürfnis, daß die Vergnügungen, die sie suchte, als sie dem Gesellschäftsleben mehr oder weniger entsagt hatte, eine nach der anderen furchtbare, ersetzende Wirkung zu spüren bekamen.
Marcel Proust befindet sich erneut in Trauer, hat den Tod seiner Großmutter noch nicht ganz verwunden. In Gedanken geht er seinen Erinnerungen nach, die er mit seiner Großmutter erlebte. Mir scheint, sie war wie eine zweite Mutter zu ihm. Er fragt den Vater nach ihrer Adresse, was mich ein wenig irritiert hatte, wo sie doch tot ist. Sollte die Frage etwa lauten, ob die Adresse ins Jenseits führt? ... Marcel glaubte eigentlich an sowas nicht, aber es gibt so manches, in dem Proust eher widersprüchlich erscheint ...
 Er sah den Kummer, den die Großmutter erlitt und der erwachsene Enkel versuchte visuell diese mit Küssen auf dem Mund zu verscheuchen, (234).
Proust war durchaus auch ein Melancholiker, der zu leiden fähig ist.
Niemals mehr aber würde ich jenes Zucken in ihrem Gesicht ausleuchten können und jenes Leiden ihres Herzens oder vielmehr des meinigen; denn da die Toten nunmehr in uns existieren, treffen wir unermüdlich uns selbst, wenn wir uns hartnäckig an die Schläge erinnern, die wir ihnen versetzt haben. An jene Schmerzen, so grausam sie waren, klammerte ich mich mit aller Macht, denn ich spürte, daß sie aus der Erinnerung hervorgingen, die ich von meiner Großmutter hatte, und der Beweis waren, dass diese Erinnerung wahrhaft in mir gegenwärtig war. Ich fühlte, dass meine Erinnerung nur im Schmerz gründete, und hätte gewollt, dass sich die Nägel noch tiefer in mich eindrückten, die das Gedenken an sie in mir befestigten. Ich versuchte nicht, das Leiden zu mildern, es zu verschönern, mir einzubilden, meine Großmutter sei nur abwesend und vorübergehend unsichtbar, (…).
Dass Proust zu tiefen Gefühlen fähig ist, zeigt sich auch an folgendem Zitat:
Jetzt, wo ich etwas zu müde bin, um mit anderen zu leben, scheinen mir diese alten so ganz allein zugehörigen Gefühle, die ich durchlebt habe, wie es nun mal die Manie aller Sammler ist von großem Wert. Ich schließe mir selbst mein Herz auf, als wäre es eine Vitrine, und betrachte nacheinander alle die Liebeserlebnisse, die anderen niemals widerfahren werden.
Mir gefällt einfach seine Ausdrucksweise, die reich an Bildern ist.

Proust witzelt gerne über die Charaktere anderer Leute. Auch ihn erlebe ich versnobt, denn es gibt niemanden, deren Seele er nicht auf einen Sezierteller legt, und sie mit einem spitzen Messer zerlegt. Selbst den Liftboy seines Hotels analysiert er aufs Schärfste. (Marcel ist wieder nach Balbec gereist) Für mich ist Proust ebenso eine recht witzige Figur. Mein Tipp: Proust sollte sich selbst mal auseinandernehmen ...

Eine ihm unbekannte Figur mit dem Namen Cancan hält Proust erst für einen Hund. Als dürfe kein Mensch Cancan heißen ... Und als könne der Mensch seine Namenswahl beeinflussen ... 
Madame Cambremer befindet sich in der Konversation mit dem jungen Marcel. Man kann sich mit ihm nicht unterhalten, ohne dass er währenddessen nicht irgendwelche Vergleiche in die Menschen hineinlegt:
Während Madame Cambremer die Worte so heißer hervorbrachte, daß es schien, als bewege sie Kieselsteine in ihrem Mund. Dann kam das Zurückschlucken des Speichels und das instinktive Abwischen des - gemeinhin als amerikanisch bezeichneten - Schnurrbärtchen mit dem Taschenbuch.
Trotzdem, seine Bilder, die er zum Ausdruck gebraucht, gefallen mir sehr gut ...

Proust ist auch auf dem Gebiet der Liebe mehr als ambivalent und widersprüchlich. Eine echte Liebe habe ich bis jetzt vermisst. Es spielt sich viel in Gedanken ab, die ich als geistige Liebe bezeichnen möchte. Seiner Jugendliebe Albertine zeigt er sich gleichgültig, obwohl er innerlich vor Eifersucht brodelt, als er dem Gerücht nachgeht, Albertine sei in eine Frau namens Andrée verliebt. Man beobachtete sie auf einem Ball, als sie beide engangeschmiegt miteinander tanzen. Eiseskälte entsteht in Prousts Herzen. Er stellt Albertine zur Rede, doch sie versichert ihm, dass sie sich von der Homosexualität ebenso angewidert fühlt wie er. So ganz richtig konnte Proust nicht überzeugt werden, denn er ertappt sie immer wieder aufs Neue, wenn sie hübschen Frauen nachschaut. Albertine allerdings erträgt diese Proust-Kälte nicht, und läuft ihm hinterher, reist ihm schließlich bis nach Balbec nach. Genau das wollte Proust erwirken ...
Ich kenne keine Liebesszene, in der Proust eine seiner Geliebten geküsst hätte. Auch hier wird viel zu viel geredet, gemutmaßt und spekuliert. Ist das Liebe? Ist Proust überhaupt fähig zu einer wahren Liebe? Aus meiner Sicht ist Proust von seinen beiden Müttern (Mutter und Großmutter) nicht wirklich abgenabelt. Ein erwachsener junger Mann, der davon träumt, die Großmutter auf den Mund zu küssen, ist schon sehr außergewöhnlich ... Damit möchte ich nicht ausdrücken, dass Trauer um eine geliebte Person aus der Verwandtschaft nicht erlaubt ist. 

Um sich zu rächen, gibt er an, in Andrée verliebt zu sein ...
Im übrigen sollte meine Eifersucht auf die Frauen, die Albertine vielleicht liebte, ein jähes Ende finden.
Ich erlebe Proust zudem hypochondrisch, was sich an den obigen Zitaten zusätzlich belegen lässt, auch aus den anderen Werken geht dies hervor, und er ist überheblich, überheblich wie es die meisten anderen Leute seines Standes sind, hypochondrisch, wie nur er es sein kann. Dazu ist er noch ein verwöhnter junger Mann, und es amüsiert  mich, dass sich endlich jemand finden konnte, der ihm mal ordentlich das Gesicht einseift. Es ist Céleste Albaret, seine Botin und Haushälterin, die im Beisein ihrer Schwester Marie es wagt, mit einer großen Portion Ironie das zu sagen, was sich andere nicht trauen. Die Schwestern befinden sich in Marcels Hotelzimmer, während er das Frühstück einnimmt:
Oh, dieser kleine dunkle Teufel, mit Haaren wie pechschwarze Häherfedern, wie schlau und wie boshaft er ist! Ich weiß nicht, woran Ihre Mutter gedacht hat, als sie Sie unter dem Herzen trug, denn Sie haben alles von einem Vogel an sich. Schaue nur, Marie, sieht er nicht genauso aus, als ob er sich die Federn glatt streicht? Und wie flink er den Hals wenden kann! Er sieht so leicht aus, dass man meint, er lerne gerade fliegen. Ach! Sie haben Glück, dass sie sich ihre Eltern unter den Reichen haben aussuchen dürfen; was wäre sonst aus ihm geworden, wo Sie doch so verschwenderisch sind? Da wirft er jetzt sein Hörnchen fort, weil es das Bett berührt hat. Hoppla, jetzt vergisst er auch noch seine Milch, warten Sie nur, damit ich ihnen eine Serviette umbinde, Sie wissen ja doch nicht, wie man das macht; niemals habe ich jemanden gesehen, der so dumm und so ungeschickt ist wie Sie. (…) Er ist ein Herr und will uns zeigen, dass wir einen Herrn vor uns haben. Man kann ihm zehnmal die Betttücher wechseln, wenn es nötig ist, aber er gibt nicht nach. Die von gestern hatten sowieso ausgedient, aber heute sind sie gerade erst frisch bezogen, und sicher müssen sie jetzt für ihn gleich wieder gewechselt werden. Ach! Ich hatte recht, als ich sagte, er sei nicht dafür gemacht, als Armer geboren zu sein. Sieh nur, wie seine Haare sich sträuben. Er plustert sich auf, wenn er zornig ist, genau wie die Vögel es tun. Ach, du armer, kleiner Federbalg!
Mich hat dieses  Zitat und das unten folgende besonders aufgeheitert, denn nun stehe ich nicht alleine mit meinen Beobachtungen da. 

Doch Céleste ist noch lange nicht fertig:
Er kann die unbedeutendsten Dinge tun, man meint immer, man sieht den gesamten Adel Frankreichs ;) bis zum Pyrenäen in jeder seiner Bewegungen. (…) Ach! Diese Stirn, die so rein aussieht und doch so viele Dinge verbirgt, diese Wangen, die so freundlich und fröhlich sind wie das Innere einer Mandel, die kleinen seidigen Hände mit ihrem Plüsch darauf, die dabei doch Nägel haben wie Krallen ;) … Sieh nur, Marie, jetzt trinkt er seine Milch mit einer Andacht, die mir Lust macht, ein Gebet zu sprechen.
Das geht noch weiter, aber lest selbst. Und doch, ist das nicht eine schöne poetische Sprache? 

Nachgedanken:
Ich könnte mir vorstellen, dass Proust über die leeren Gespräche seines Kreises selbst recht angwiedert ist, aber er ist so darin verwoben, dass er selbst nicht anders kann, als sich über diese zu belustigen. Er wirkt auf mich wie ein Chamäleon. Man muss ein wenig wie die anderen werden, um nicht aufzufallen. Und das ist ihm gut gelungen. Denn damit hat er uns die Lebensweise jener Gesellschaft nahebringen können. Kann man so eine Gesellschaft ertragen, wo jeder über jeden spricht, ohne selbst ein wenig wie diese zu werden? Ich glaube nicht. Sonst wäre Marcel langweilig geworden und er hätte die Türen hinter sich zugezogen. Welches Leben hätte er denn dann führen können? Niemals wären diese Bücher zustande gekommen, wobei sich vieles auch wiederholt. Mir wurde schon nach dem ersten Band deutlich, was unter Auf der Suche nach der verlorenen Zeit zu verstehen ist.

Für mich hat sich des Rätsels Lösung schnell offenbart, auch wenn ich nicht alles habe herausziehen können, was z.B. ein Literaturwissenschaftler zu deuten vermag. 
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„Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen.
Manchmal, die Kerze war kaum gelöscht,
fielen mir die Augen so schnell zu,
dass keine Zeit blieb, mir zu sagen:
Ich schlafe ein.“
(Marcel Proust)

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Philipp Michel-Thiriet / Das Marcel Proust Lexikon


Ein Nachschlagewerk
Was eine Madeleine ist, weiß wohl jeder Proustliebhaber, aber wissen Sie auch, wo Combray liegt? Oder können Sie sagen, wer die Vorbilder für den lasterhaften und homosexuellen Baron Charlus waren oder die zwielichtige Odette de Crécy oder für Albertine, die den Erzähler in eine Orgie der Eifersucht versetzt? Solche Fragen und noch viel mehr beantwortet das Marcel-Proust-Lexikon mit großer Genauigkeit. Lexikalisch geordnet, infor miert es über das Leben Prousts, seine Schulerfolge und Pseudonyme, Neigungen und Vorlieben, seine Ärzte und Krankheiten, seinen Militärdienst und seine Wohnungen, seine Dienstboten und seine Reisen, seine Verwandtschaft und seine Liebesaffären mit Frauen und Männern und gibt Auskunft über Inhalt, Orte und Personen seines Werks. 
Wenn man mehrere Jahre benötigt wie ich, Proust Bände zu lesen, dann ist das folgende Proust Lexikon mehr eine große Unterstützung. Vor allem, wenn man gewisse Bände überspringt, und nicht immer die Reihenfolge von BD 1 bis BD 7 einhält. Weil ich mit dem vierten Band gar nicht zurecht kam, musste ich ihn bis zum 6. Band überspringen. Auf den nächsten Versuch kommt es an. Ich lese jetzt den vierten Band, bin nun schon auf der vierhundersten Seite und die Chancen stehen gut, ihn zu Ende zu lesen. Im Dezember nehme ich mir den fünften Band vor.

Ich kann Proust nur während meiner Urlaubszeit lesen, wenn ich viel Ruhe habe. Auch das musste ich erst herausfinden.

Proust hat 17 Jahre für diese sieben Werke benötigt. Eine Lebensaufgabe. BD 7 wurde erst nach Prousts Ableben durch den Bruder Robert veröffentlicht.

Da ich mir auch vieles aufschreibe, komme ich gut rein, auch dann noch, wenn ich einen Band übersprungen habe …

Die zweite Abbildung: Prousts Aufzeichnungen in Rohform, Quelle:  Klicke hier: Marcel Proust
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Man kann in den Dreck fallen, aber man muss nicht darin liegenbleiben.
(Hans Fallada)

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Freitag, 3. Oktober 2014

Marcel Proust / Sodom und Gomorrha

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (4)

Klappentext
Sodom und Gomorrha beginnt mit einer spektakulären Szene, der Be­gegnung zweier Männer, die von der Natur füreinander geschaffen sind: Baron von Charlus und der Westenmacher Jupien. Endlich öffnet Proust seinem Romanhelden die Augen; Marcel erhält Antwort auf die bisher unverstandenen Zeichen der Homosexualität. Nach der mondäncn Welt der Guermantes tun sich nun neue Welten auf: Sodom, die Welt der männlichen, und Gomorrha, die Welt der weiblichen Homosexualität.

Autorenporträt
Marcel Proust wurde am 10. Juli 1871 in Auteuil geboren und starb am 18. November 1922 in Paris. Sein siebenbändiges Romanwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ ist zu einem Mythos der Moderne geworden.Eine Asthmaerkrankung beeinträchtigte schon früh Prousts Gesundheit. Noch während des Studiums und einer kurzen Tätigkeit an der Bibliothek Mazarine widmete er sich seinen schriftstellerischen Arbeiten und einem – nur vermeintlich müßigen - Salonleben. Es erschienen Beiträge für Zeitschriften und die Übersetzungen zweier Bücher von John Ruskin. Nach dem Tod der über alles geliebten Mutter 1905, der ihn in eine tiefe Krise stürzte, machte Proust die Arbeit an seinem Roman zum einzigen Inhalt seiner Existenz. Sein hermetisch abgeschlossenes, mit Korkplatten ausgelegtes Arbeits- und Schlafzimmer ist legendär. „In Swanns Welt“, der erste Band von Prousts opus magnum, erschien 1913 auf Kosten des Autors im Verlag Grasset. Für den zweiten Band, „Im Schatten junger Mädchenblüte“, wurde Proust 1919 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. Die letzten Bände der „Suche nach der verlorenen Zeit“ wurden nach dem Tod des Autors von seinem Bruder herausgegeben.
Diesen Band gehe ich nun das zweite Mal an. Das erste Mal musste ich es abbrechen, es ging einfach nicht an mich. Versuche es nun erneut. Mich hat es ein wenig angewiedert, dass Proust sich von den Homosexuellen angewiedert gefühlt hat, lol.

Ich hatte schon jeder Menge Zitate gesammelt, die hole ich wieder hoch, und füge sie in die hiesige Buchbesprechung ein.

Mir fehlen in meiner Sammlung noch drei Bände. Proust kann man nicht mal über Nacht lesen, nein ich lese ihn im Schneckentempo. Das heißt, ich bin mit diesen Bänden schon seit mehreren Jahren beschäftigt.

Ich habe sie nicht alle der Reihenfolge gelsen, sondern von 1-3, BD 6, nun lese ich BD 4, im Dezember 2014 habe ich vor BD 5 zu lesen, und BD 7 Ostern 2015. Mal schauen, wie weit ich kommen werde.
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Für kleine Lebewesen wie uns
ist die Weite des Raums nur durch Liebe erträglich.
(Matt Haig zitiert Carl Sagan)

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Régis de Sá Moreira / Das geheime Leben der Bücher (1)

Lesen mit Anne

Nur ein paar Sätze zu dem Buch. Mir hat das Buch gar nicht gefallen. Es hat mich eher gelangweilt. Es ist dermaßen oberflächlich und wenig authentisch geschrieben. Diese merkwürdigen skurrilen Gestalten, die als Kunden den Buchladen betreten und schnell auch wieder verlassen, fand ich nicht wirklich anziehend und habe den Sinn ihres Auftretens und besonders in der gesamten Geschichte nicht erfassen können. Da hat mir der Klappentext besser gefallen, als der eigentliche Inhalt des Buches. Im folgenden gebe ich erneut den Klappentext rein:
Auch Bücher brauchen Liebe!
Viele wünschen sich, sie könnten von Luft und Liebe leben. Er, der Buchhändler, lebt vom Lesen, denn nur dann hat er das Gefühl, geliebt zu werden. Seine Buchhandlung ist sein Universum, die Bücher sind seine Schützlinge. Und bei jedem Klingeln seiner Türglocke ist er immer wieder bereit, seine frohe Botschaft zu verkünden: Lesen hilft und macht glücklich ...
Meine Bücherfreundin Anne hat es ähnlich empfunden, zumal sie noch jede Menge Rechtschreibfehler entdeckt hatte ... Das Buch wirkt auf mich, als habe der Autor es schnell mal über Nacht geschrieben.

Auch den Titel fand ich irreführend, nicht wirklich passend ... Eigentlich geht es hier um das geheime Leben des Buchhändlers, der Tag und Nacht in dem Laden verweilt und sich hauptsächlich mit Kräutertees ernährt.

176 Seiten? Keineswegs, denn es gibt viele große Absätze und viele leere Seiten.

Dadurch, dass ich mit dem Buch so gar nichts anfangen kann, beende ich nun meine Buchbesprechung.

Das Buch erhält von mir fünf von zehn Punkten.

Der anzuklickende Link führt zu Annes Buchbesprechung

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Für kleine Lebewesen wie uns
ist die Weite des Raums nur durch Liebe erträglich.
(Matt Haig zitiert Carl Sagan)

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Mittwoch, 1. Oktober 2014

Régis de Sá Moreira / Das geheime Leben der Bücher

Lesen mit Anne ...

Klappentext
Auch Bücher brauchen Liebe!
Viele wünschen sich, sie könnten von Luft und Liebe leben. Er, der Buchhändler, lebt vom Lesen, denn nur dann hat er das Gefühl, geliebt zu werden. Seine Buchhandlung ist sein Universum, die Bücher sind seine Schützlinge. Und bei jedem Klingeln seiner Türglocke ist er immer wieder bereit, seine frohe Botschaft zu verkünden: Lesen hilft und macht glücklich ...

Autorenporträt
Régis de Sá Moreira, Sohn einer Französin und eines Brasilianers, wurde 1973 geboren. Er wuchs in Frankreich auf und lebt zur Zeit in Paris, wo er als freiberuflicher Autor arbeitet. 
Unser zweites Buch, das Anne und ich nun gemeinsam lesen. Ich habe schon ein bisschen geschnuppert, und es riecht nach mehr ...

Das Buch hat Anne aus unserer gemeinsamen SuB-Liste ausgesucht ...





Montag, 29. September 2014

Isabel Allende / Inés meines Herzens (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Mir hat das Buch überhaupt nicht gefallen. Das zweite Allende Buch, das mich wenig inspiriert hat. Ich habe mich von Seite zu Seite durchgequält und dies bis zum bitteren Ende. Nichtsdestotrotz hat sich das Durchhalten gelohnt, denn nun ist mir bewusst, wie die Spanier nach Südamerika kamen, um bestimmte Länder wie z B. Chile im Goldfieber zu erobern. Sie kamen mit dem Schiff angereist und machten sich dran, den Kontinent auszuplündern, bis sie schließlich in Chile ihre zweite Heimat fanden. Die Spanier gründeten auch die Hauptstadt Santiago ... Sie machten die Indios zu ihren Sklaven, zu ihren Untertanen, was sich allerdings gerächt hat ... Viel Gewalt von Beginn an bis zum Ende, Gewalt auf die makaberste Art und Weise mit den verschiedensten mittelalterlichen Methoden ... So was muss ich nicht haben. Man hätte die Gewaltverbrechen ein wenig abkürzen können. Die zweite Form von Gewalt ist der Kannibalismus. Da ich beim Lesen so stringent durchgehalten habe, werde ich nicht das Bedürfnis haben, mich lange mit der Buchbesprechung aufzuhalten.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Als junge Frau verlässt Inés Suárez im 16. Jahrhundert ihr Heimatland Spanien, um auf dem wilden südamerikanischen Kontinent nach ihrem verschollenen Ehemann zu suchen. Ihn wird sie nicht mehr lebend finden, dafür aber ihre große Liebe: den Feldherrn Pedro de Valdivia, mit dem sie sich gegen alle Widerstände an die Eroberung Chiles macht. 
Wenn man den Klappentext so liest, dann glaubt man, dass das Buch eine reine Liebesgeschichte ist. Das ist es aber nicht. Nicht nur. Inés ist eine recht fortschrittliche Frau, die es wagt, sich mit den Männern dem südamerikanischen Kontinent anzunähern. Sie zeigt auch Kampfgeist ...

Wenn da nicht die Indios wären, die ihr Land heftigst zu verteidigen versuchen. Der Krieg zwischen den Indios und den Spaniern bewegt sich in die Jahrzehnte.

Das Gute ist, die Spanier wurden am Ende von den Indios besiegt. Inés erkennt den Schaden, den sie und ihre Landsleute den heimsichen Menschen gegenüber begangen haben. Ein Schaden, der nicht wieder gut zu machen ist. Die Arroganz, die die Spanier zudem noch mitbrachten, ist, die Einheimischen als unzivilisiert und rückständig abzutun. Dabei sind sie es, die Indios, die in Freiheit leben und nicht abhängig sind von materiellen Gütern. Ein junger Indio, Lautaro, der sich für mehrere Jahre geschickt in die Lebensweisen der Spanier einzuschmuggeln wusste und dort für eine Weile lebte, um heimlich deren Kampfarten kennenzulernen und fand heraus, wie er die Spanier kriegerisch ausspielen konnte.
Als Lautaro wieder zurückehrt zu seinem Volk, beginnt der Krieg von neuem. Lautaro rächte sich an den Soldaten, speziell auch den Hauptverantwortlichen namens Valdivia:
Schließlich, als der Morgen des dritten Tages graute und Lautaro sah, dass Valdivia starb, goss er ihm geschmolzenes Gold in den Mund, damit der genug bekäme von diesem Metall, das er so mochte und das über die Geschundenen in den Minen so viel Leid brachte. (389)
Dass Gold nicht das Wichtigste auf Erden ist, das machte dieser junge Indio und sein Volk den Spaniern deutlich.

Inés erkennt das Verbrechen, das an den Naturmenschen begangen wurde:
Wie in einem Albtraum, aus dem es kein Erwachen gibt, zogen grauenhafte Bilder vor meinen Augen vorbei. Ich sah die Körbe voller abgetrennter Hände und Nasen hier in meinem Haus, durch meinen Hof schleppten sich Indios in Ketten, andere starben, auf Pfähle gespießt; es roch nach versengtem Menschenfleisch, und abends trug der Wind das Knallen von Peitschen zu mir. Unermessliches Leid hat diese Eroberung gekostet … (390).
An dieser Stelle mache ich nun Schluss. Da mich diese Epoche, Anfang des 16. Jahrhunderts, sowieso nicht sonderlich interessiert, denn man spürt noch die Nachwehen des Mittelalters, war es vorauszusehen, dass mich das Buch nicht packen wird. Die Themen sind immer dieselben. Auch diese potentielle Gewaltakten waren mir zu übertrieben …

Das Buch erhält von mir fünf von zehn Punkten.

Mein Fazit:
Das Buch würde ich kein zweites Mal lesen.
__________
Man kann in den Dreck fallen, aber man muss nicht darin liegenbleiben.
(Hans Fallada)

Gelesene Bücher 2014: 66
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Samstag, 27. September 2014

Isabel Allende / Inés meines Herzens

Klappentext
Als junge Frau verläßt Inés Suárez im 16. Jahrhundert ihr Heimatland Spanien, um auf dem wilden südamerikanischen Kontinent nach ihrem verschollenen Ehemann zu suchen. Ihn wird sie nicht mehr lebend finden, dafür aber ihre große Liebe: den Feldherrn Pedro de Valdivia, mit dem sie sich gegen alle Widerstände an die Eroberung Chiles macht.

Autorenporträt
Isabel Allende wurde am 2. August 1942 in Lima/Peru geboren. Nach Pinochets Militärputsch am 11. September 1973 ging sie ins Exil. 1982 erschien ihr erster Roman La casa de los espíritus (dt. Das Geisterhaus, 1984), der zu einem Welterfolg wurde. Der dänische Regisseur Bille August verfilmte den Roman 1993. Allende arbeitete unter anderem als Fernseh-Moderatorin und war Herausgeberin verschiedener Zeitschriften. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Kalifornien. Ihr Werk erscheint auf deutsch im Suhrkamp Verlag.
Die ersten hundert Seiten habe ich schon durch und das Buch gefällt mir nicht wirklich. Werde aber durchhalten. Es sind ja nur knapp vierhundert Seiten.

Viel Gewalt ähnlich wie im Mittelalter ... .
Meine Buchbesprechung werde ich, das weiß ich schon jetzt, recht spartansich ausschmücken.

Von Allende habe ich bisher gelesen:
Amandas Suche
Das Geisterhaus
Das Portrait aus Sepia
Das Siegel der Tage
Die Insel unter dem Meer
Die Stadt der wilden Götter
Fortunas Tochter
Mayas Tagebuch
Noch zu lesen sind:
Mein erfundenes Land
Paula 
Desweiteren müssen drei Bände erst noch angeschafft werden ...
Mein Leben, meine Geister
Eva Luna
Von Liebe und Schatten
Das beste Buch, das mir von Allende gefallen hat, ist Die Stadt unter dem Meer.

Das gebundene Buch zu Inés meines Herzens habe ich bei Jokers für gerade Mal 8,00 € erworben. Wohl ein Restseller.



Donnerstag, 25. September 2014

Beate Klepper / Büchners Braut (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir recht gut gefallen und freue mich so richtig, über meine Eindrücke zu schreiben. Beate Klepper liefert mit diesem Werk biographisches Material, doch der Inhalt ist nicht chronologisch aufgebaut. Mal gibt es Sprünge in der Zeit nach vorne, mal nach hinten … Mich hat das jetzt nicht gestört, ist trotzdem gewöhnungsbedürftig. Gerade als ich mit einem Thema des jeweiligen Jahres vertraut war, wurde ich schon wieder in eine andere Zeit versetzt.

Ich gebe zur Erinnerung erneut den Klappentext rein. Der Klappentext ist auch ungewöhnlich lang, aber das Buch fordert es einfach heraus, sich schriftlich länger damit zu befassen:
Im November 1831 bezog Georg Büchner in Straßburg Logis im Haus von Pfarrer Jaeglé. Die Tochter Wilhelmine, genannt Minna, verliebte sich in diesen seltsamen Medizinstudenten, der tolles Zeug sprach und umstürzlerische Ideen hatte, und da auch er an der verständigen, beherzten Frau Gefallen fand, verlobten sie sich 1832 heimlich. An Heirat war noch lange nicht zu denken, aber während der kommenden Jahre, in denen Büchner ein unstetes Leben führen musste, standen sie in vertraulichem Briefwechsel. Wie es Büchner in Gießen erging, dass er revolutionäre Schriften und erstaunliche Stücke verfasste, polizeilich verfolgt wurde und schließlich nach Zürich ging, erfuhr Minna oft nur von Freunden oder aus den Briefen. Als er Anfang Februar 1837 an Typhus erkrankte, eilte Minna trotz aller Widerstände zu ihm. Sie war es, die seine Manuskripte rettete und später – argwöhnisch gegenüber allzu privater Neugier - deren Veröffentlichung zu überwachen suchte. Aus Erinnerungen und Briefen speist sich diese Romanbiographie einer unabhängigen Frau, die die „ewige Braut“ blieb. Gleichzeitig sehen wir einen der bedeutendsten Dichter deutscher Sprache mit ihren Augen. Die berührende Romanbiographie der Verlobten Büchners bringt zugleich sein Leben und Werk aus ihrem Blickwinkel nahe.
Büchner war Medizinstudent und er lässt die LeserInnen in den Präparationskursen teilhaben an der praktischen Erforschung toter Menschenkörper, die mit Hilfe von chemischen und alkoholischen Zusätze, wie z. B. Spiritus, konserviert werden. (Ich war selbst einmal Zeuge dieses Prozedere von zwei meiner Freundinnen, die ebenso Medizin studiert hatten.) Während mir dabei speiübel wurde, findet Büchner darin seine poetische Phase:
O, ich werde jeden Tag poetischer. Alle meine Gedanken schwimmen in Spiritus. (Lol)
In diesem Buch ist nicht Büchner die Hauptperson, nein, es ist seine Verlobte, eine Pfarrerstochter namens Minna Jaeglé, die drei Jahre älter als Büchner ist. Für eine Frau der damaligen Zeit war sie recht fortschrittlich. Mich erinnert Minna von ihrem emanzipierten Denken her ein wenig an Jane Austen …

Und trotzdem kommt Büchner auch nicht zu kurz, denn durch Minna konnten wichtige Schriftstücke von Büchner an die Nachwelt überliefert werden. Minna selbst schrieb auch Tagebuch.

Ich werde schauen, wie ich den Spagat ziehe zwischen Minna in der Rolle als Frau und Büchner als Dichter, aber mehr als ein politischer Aktivist.

Büchner war nämlich nicht nur ein Poet, er war auch ein Revolutionär. Im Untergrund entwickelte er mit anderen Kameraden Flugschriften, die die Regierung als Volkshetze deklarierte. Sie ließen Büchner daraufhin steckbrieflich suchen …

Büchner sehnte sich nach einer menschlicheren und gerechteren Regierungsform wie die der Republik, die für alle Menschen des Landes geschaffen sein sollte und die geprägt sei von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit.Vorbilder fand Büchner in den Franzosen, obwohl er die Französische Revolution nicht erleben konnte. Aber er erlebte die Franzosen auch zu seiner Zeit politisch weitaus aktiver, als dies seine Landsleute waren, die er polisch anders eingeschätzt hatte. Doch leider wurde Büchner enttäuscht, denn er fand im deutschen Volk nicht die KämpferInnen, die sich für eine bessere Gesellschaftsform hätten einsetzen sollen. Schon damals erkannte Büchner den mangelnden Kampfgeist seiner Landsleute. Selbst Minna verlor das Interesse an der Politik, da Büchner durch seine Aktivitäten nichts erreichen konnte:
Seine Ideen und Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Büchner hatte recht, die Menschen sind nicht reif für große Republiken, Gemeineigentum, Wahlrecht für alle, Bauern und Frauen eingeschlossen. Alles stockt. (237)das Volk zieht noch geduldig den Karren, auf dem die Herrschaften ihre Komödien spielen. (200)
Ein Freund beklagte: 
Welch eine Verblendung, (…), zu glauben, die Deutschen seien ein zum Kampf bereites Volk. Ich zweifle wirklich daran. Und dabei diese Stümperhaftigkeit! Die Sache war verloren, bevor sie begann. (199)
Minna erkannte nicht, dass ein einziger Mensch keine Revolution herbeiführen kann. Man würde dafür die Masse benötigen.
Ist das heute, nach mehr als zweihundert Jahren, so viel anders? Aus meiner Sicht wohl kaum …
Ein Staat sollte daran gemessen werden, wie er mit seinem Volk umgeht. (129) Wenn ein Staat die menschliche Natur missbrauche, sei es das kleinere Übel, diesen Staat zu zerstören! Wer sein Volk missbraucht, begeht Unrecht gegen Gott! (103)
Ein Gedicht aus Büchners politischer Tafel:
Wer für des Volkes Ehre fällt
Und würd er auch gehangen
Der hat auf dieser Erdenwelt
Das schönste Los empfangen.
Bücher war auch sehr sozial, spürte die ungerechte Verteilung an Gütern zwischen den reichen und den ärmeren Leuten, obwohl er selbst aus einem wohlhabenden Haus stammt. 
Es ist leicht, ein ehrlicher Mann zu sein, wenn man täglich Suppe, Gemüse und Fleisch zu essen hat. (275)
Büchner, der steckbrieflich gesucht wurde, flüchtete in die Schweiz und lebte dort als Exilant. Ihm gefiel es in der Schweiz, denn die Schweizer hätten die Republik, die Büchner sich für sich selbst und für seine Landsleute gewünscht hatte. Leider muss ich hier widersprechen, denn das Wahlrecht für Frauen wurde in der Schweiz erst in den Anfängen der 1970er Jahre eingeführt.

In den banalsten Dingen schaffte Büchner es, weltliche Gedanken zu entwickeln, die in meinen Ohren wunderschön klingen. Er liegt z. B. in seinem Bett und stellt fest, dass er zu groß dafür ist, als er mit seinen Fußzehen an das Bettende anstößt:
Ich bin zu groß für das Bett, (…). Oder das Bett zu klein für mich. Weiß Gott, mag sein, die ganze Welt ist zu klein für mich. Hoffentlich wachse ich nicht noch. Es muss unerträglich sein in einer Welt, in der alles zu klein ist, wenn man über das normale Maß hinauswächst, wie bedrängt man von den kleinen Dingen und Menschen sein muss. (91)
 Mir sind diese vielen politischen Zitate sehr wichtig. Zeigt doch immer wieder auf, wie politisch träge der deutsche Mensch war, und aus meiner Sicht noch immer ist.

Nun habe ich viel über Büchners politische Leben geschrieben und kaum etwas zu seiner Verlobten.

Minna war, wie gesagt, für ihre Zeit als Frau schon sehr weit voraus.
Nach dem Tod Büchners litt sie darunter, ihren gesellschaftlichen Status als Frau nicht wiederherstellen zu können. Sie war in der damaligen Zeit, mit ihren 26 Jahren, aus dem heiratsfähigen Alter schon heraus. Des Weiteren war sie die Braut Büchners, ohne dass es jemals zu einer Vermählung kommen konnte, um Ehefrau zu werden. Dadurch, dass sie zu Büchners Eltern den Kontakt aufrechthielt, waren auch die Erwartungen der trauernden Eltern nicht zu übersehen.
Hier würde kein neues Leben beginnen. Hier war sie eine freundlich beachtete Verwandte, die die Hand eines Toten hielt. Wie sollte sich um ihre Hand ein anderer bemühen?
Sie war keine Witwe, sie war keine Mutter und auch keine Ehefrau. Minna versuchte trotzdem aus ihrer Lage das Beste zu machen. Ihren Unterhalt verdiente sie sich als Gouvernante und als Lehrerin. Sie hätte die Möglichkeit gehabt, sich ihrem um zwei Jahre jüngeren Bruder, der beruflich nach London emigriert ist, anzuschließen, doch sie entschied sich dagegen. Sie wollte von ihrem Bruder nicht abhängig sein …

Minna ist im Alter von siebzig Jahren gestorben. Nach Büchners Tod gab es keine Gelegenheit mehr, sich neu zu verlieben, selbst dann nicht, als der Todestag Büchners schon längst verjährt ist. Und so blieb Minna indirekt ein Leben lang die Braut eines Verstorbenen.

Ich mache hier nun Schluss. Das Buch ist sehr empfehlenswert. Wer Büchner für sich noch nicht entdeckt hat, kann es in diesem Buch hier tun, bevor man sich an seine Dichtkünste heranmacht.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.
__________
Man kann in den Dreck fallen, aber man muss nicht darin liegenbleiben.
(Hans Fallada)

Gelesene Bücher 2014: 65
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Dienstag, 23. September 2014

Beate Klepper / Büchners Braut

Eine Romanbiographie

Klappentext

Der Dichter und seine Liebe
Im November 1831 bezog Georg Büchner in Straßburg Logis im Haus von Pfarrer Jaeglé. Die Tochter Wilhelmine, genannt Minna, verliebte sich in diesen seltsamen Medizinstudenten, der tolles Zeug sprach und umstürzlerische Ideen hatte, und da auch er an der verständigen, beherzten Frau Gefallen fand, verlobten sie sich 1832 heimlich. An Heirat war noch lange nicht zu denken, aber während der kommenden Jahre, in denen Büchner ein unstetes Leben führen musste, standen sie in vertraulichem Briefwechsel. Wie es Büchner in Gießen erging, dass er revolutionäre Schriften und erstaunliche Stücke verfasste, polizeilich verfolgt wurde und schließlich nach Zürich ging, erfuhr Minna oft nur von Freunden oder aus den Briefen. Als er Anfang Februar 1837 an Typhus erkrankte, eilte Minna trotz aller Widerstände zu ihm. Sie war es, die seine Manuskripte rettete und später – argwöhnisch gegenüber allzu privater Neugier - deren Veröffentlichung zu überwachen suchte.Aus Erinnerungen und Briefen speist sich diese Romanbiographie einer unabhängigen Frau, die die „ewige Braut“ blieb. Gleichzeitig sehen wir einen der bedeutendsten Dichter deutscher Sprache mit ihren Augen.
Die berührende Romanbiographie der Verlobten Büchners bringt zugleich sein Leben und Werk aus ihrem Blickwinkel nahe.

Autorenporträt
Beate Klepper, geboren 1965 in Coburg, lebt in München. Neben Erzählungen veröffentlichte sie die Romanbiographie „Tumult der Seele -- Lichtenberg und Maria Dorothea Stechard“ sowie „Spiel hinter den Masken“, einen Roman über die Theaterwelt des 18. Jahrhunderts.
Ich besuchte als Kind die Georg-Büchner-Grundschule in Riedstadt-Goddelau. Georg Büchner wurde nämlich in Goddelau im Okt. 1813 geboren. Und Goddelau ist meine Heimatstadt, da ich selbst dort aufgewachsen bin.
Später zog Büchner mit seiner Herkunftsfamilie in die Residenzstadt Darmstadt, in meine Geburtsstadt.

Ich vermische gerade ein wenig die Fakten Büchners mit meinen persönlichen. Es ist ein gutes Gefühl, wenn gute und bekannte Dichter aus der Gegend stammen, aus der man selber kommt.

Georg Büchner wohnte in Darmstadt in der Grafenstraße. Sich dies als gebürtige Darmstädterin bildlich vorzustellen, ist eine geistige Wohltat, wobei heute die Grafenstraße, ein Einkaufszentrum, nicht wirklich zu den Attraktionen an Wohngegenden zählt. Aber man weiß, dass Darmstadt im Zweiten Weltkrieg, besonders die Innenstand, stark zerbomt wurde, und sie nach dem Krieg schnellstmöglich wieder aufgebaut werden musste, da nicht genug Häuser/Wohnungen für die Bevölkerung zur Verfügung standen.

Ich kenne Darmstadt im neuen Stil, Büchner kennt die Stadt vor 201 Jahren, als es noch keine Weltkriege gab.

Des Weiteren bewegte sich Büchner auch viel in Frankfurt Main, in meiner Alma Mater. Auch hier sind mir viele Straßennamen und Zentren bekannt, wie z.B. die Konstablerwache und die Hauptwache.

Ich habe mich in dem Buch schon reingelesen. Die ersten hundert Seiten habe ich durch, und ich finde das Buch sehr interessant.









Montag, 22. September 2014

Isabel Allende: Amandas Suche (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich gestern Abend noch zu Ende bekommen, das 476 Seiten umfasst. Ich war recht gespalten. Irgendwie kam mir das Buch ein wenig wie ein Experiment vor. Allendes alter Erzählstil ist zwar beibehalten worden, neu ist, dass sie darin einen Krimi gesponnen hat. Irgendwie fand ich den Inhalt nicht wirklich passend und so langweilte ich mich. Doch dann kam schließlich die Wende, auf den letzten 100 bis 120 Seiten ...
Der Krimi entpuppte sich zu einem Psychothriller, der nun die Spannung bis zur letzten Seite umgab.

Zur Erinnerung gebe ich nochmals den Klappentext rein:
Amanda ist lebensklug und ausgesprochen eigensinnig. Sie wächst in San Francisco auf, der Stadt der Freigeister. Ihre Mutter Indiana führt eine Praxis für Reiki und Aromatherapie und steht im Mittelpunkt der örtlichen Esoterikszene. Der Vater ist Chef des Polizeidezernats und ermittelt in einer grausamen Mordserie. Auf eigene Faust beginnt Amanda Nachforschungen dazu anzustellen, unterstützt von ihrem geliebten Großvater und einigen Internetfreunden aus aller Welt. Doch als Indiana spurlos verschwindet, wird aus dem Zeitvertreib plötzlich bitterer Ernst. Und Amanda muss über sich hinauswachsen, um die eigene Mutter zu retten. Amandas Suche von Isabel Allende erzählt den Weg einer furchtlosen jungen Frau, die mit allen Mitteln verteidigt, was sie liebt – ein fesselnder Roman über das kostbare Band zwischen Müttern und Töchtern und die lebensrettende Kraft der Familie.
Ansonsten war mir der Inhalt nicht wirklich authentisch genug. Bis zur ca. 350. Seite wäre es das schlechteste Buch gewesen, das ich von Allende bisher gelesen habe. Bis hierhin hätte ich ihr nur fünf von zehn Punkten gegeben. Die letzten hundert Seiten haben wiederum ihre zehn Punkte verdient. Darin sieht man meine Ambivalenz zu dem Werk, meine Haltung als Leserin.
Auch gab es in dem Roman ein paar Sachfehler, diese entdeckt aber selbst.

Desweiteren habe ich nicht wirklich viel zu dem Buch zu sagen, habe dieses Mal so gar nicht das Bedürfnis, mich nun auch noch schriftlich damit zu befassen.. Wenn mir ein Buch gefällt, dann sprudelt es in mir, so dass ich mich vom Schreiben nicht abhalten kann ... Dieses Buch zählt leider nicht dazu. hier müsste man mich zum Schreiben zwingen.

Das Buch ist trotzdem lesenswert. Nur weiß ich nicht, ob es nicht besser ist, zu warten, bis die Taschenbuchausgabe rauskommt, um nicht ganz so viel Geld ausgeben zu müssen. Der gebundene Band kostet knapp 25,00 €.

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Man kann in den Dreck fallen, aber man muss nicht darin liegenbleiben.
(Hans Fallada)

Gelesene Bücher 2014: 64
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Donnerstag, 18. September 2014

Isabel Allende / Amandas Suche

Klappentext
Amanda ist lebensklug und ausgesprochen eigensinnig. Sie wächst in San Francisco auf, der Stadt der Freigeister. Ihre Mutter Indiana führt eine Praxis für Reiki und Aromatherapie und steht im Mittelpunkt der örtlichen Esoterikszene. Der Vater ist Chef des Polizeidezernats und ermittelt in einer grausamen Mordserie. Auf eigene Faust beginnt Amanda Nachforschungen dazu anzustellen, unterstützt von ihrem geliebten Großvater und einigen Internetfreunden aus aller Welt. Doch als Indiana spurlos verschwindet, wird aus dem Zeitvertreib plötzlich bitterer Ernst. Und Amanda muss über sich hinauswachsen, um die eigene Mutter zu retten.Amandas Suche von Isabel Allende erzählt den Weg einer furchtlosen jungen Frau, die mit allen Mitteln verteidigt, was sie liebt – ein fesselnder Roman über das kostbare Band zwischen Müttern und Töchtern und die lebensrettende Kraft der Familie.

Autorenporträt
Isabel Allende wurde am 2. August 1942 in Lima/Peru geboren. Nach Pinochets Militärputsch am 11. September 1973 ging sie ins Exil. 1982 erschien ihr erster Roman La casa de los espíritus (dt. Das Geisterhaus, 1984), der zu einem Welterfolg wurde. Der dänische Regisseur Bille August verfilmte den Roman 1993. Allende arbeitete unter anderem als Fernseh-Moderatorin und war Herausgeberin verschiedener Zeitschriften. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Kalifornien.
Das Buch ist ein Krimi, und bin gar nicht gewohnt, von der Autorin Krimis zu lesen. Ist schon sehr gewöhnungsbedürftig.

Somit setze ich nun das Isabel Allende Lese-Projekt fort, indem ich alle Bücher der Autorin mir vornehme zu lesen. Allerdings in Zeitabständen.

Gelesen habe ich von Isabel Allende bisher:
Das Geisterhaus
Das Portrait aus Sepia
Das Siegel der Tage
Die Insel unter dem Meer
Die Stadt der wilden Götter
Fortunas Tochter
Mayas Tagebuch
Noch zu lesen sind:
Inés meines Herzens
Mein erfundenes Land
Paula 
Desweiteren müssen drei Bände erst noch angeschafft werden ...
Mein Leben, meine Geister
Eva Luna
Von Liebe und Schatten


Mittwoch, 17. September 2014

Felix Franzis / Glücksspiel (1)

Autorenporträt
Felix Francis, geboren 1953 als jüngerer Sohn des Bestsellerautors und Ex-Jockeys Dick Francis. Er firmierte bei vier Büchern als Co-Autor seines Vaters und leistete die Recherchearbeit für viele weitere. Bevor er eigene Thriller in der Tradition seines Vaters zu schreiben begann, arbeitete er als Physiklehrer. Felix Francis lebt in England.
Das Buch habe ich bei mir auf der Dienststelle mit meiner Klientel gelesen, in der ich einmal wöchentlich eine Literaturgruppe leite.
Für eine  Gruppe ist es mit seinen 437 Seiten ein recht umfangreiches Buch, an dem wir viele Monate gelesen haben. Begonnen hatten wir im April dieses Jahres und haben es heute beendet.

Das Buch ist sehr gut angekommen. Den Leserinnen hat es gut gefallen. Es war kein blutrünstiger Krimi und hielt ein wenig Spannung bereit.

Zwischendrin, nach dem Empfinden meiner Leserschaft, gab es immer mal wieder ein paar Durststrecken. Und trotzdem habe ich mich gefreut, dass sie alle eine große Ausdauer haben aufbringen können, ohne aus der Gruppe vorzeitig ausgestiegen zu sein.

Mir selbst hat das Buch nicht so gut gefallen, da ich sowieso keine Krimis mag. Es gibt Ausnahmen, aber dieser Krimi zählt nicht zu den Ausnahmen. Mir war auch der Protagonist total unsympathisch ...
Das Buch enthält einen ziemlich langen Klappentext, der mit allen wesentlichen Informationen behaftet ist, ohne dass ich noch irgendetwas hinzufügen müsste.

Und hier der Klappentext:
Online-Poker in Amerika, Subventionsbetrug in Brüssel und Millionendeals in der Londoner Finanzwelt – Ex-Jockey und Finanzberater Nicholas Foxton muss alles geben, um bei diesem Spiel nicht der Verlierer zu sein .
Felix Francis' »Debüt« startet mit einem lauten Knall: Gleich in der ersten Zeile fallen während des Grand National drei Schüsse – und Herb Kovak geht vor 60 000 Zeugen tot zu Boden; keiner hat etwas gesehen. Nicholas »Foxy« Foxton, Ex-Jockey und während der letzten fünf Jahre Kovaks Arbeitskollege bei der Londoner Investmentfirma Lyall & Black, stand dabei direkt neben ihm. Doch damit nicht genug: Als Foxton überraschend zu Kovaks Testamentsvollstrecker ernannt wird, bleibt auch die Ermittlungsarbeit an ihm hängen; die Polizei nämlich verwendet all ihre Kräfte darauf, Foxton selbst eines weiteren Mordanschlags zu überführen. Und so startet ein Glücksspiel, wie es im Buche steht, bei dem Nicholas Foxton nicht einmal alle Mitspieler kennt – und doch immer einen Zug voraus sein muss,
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Man kann in den Dreck fallen, aber man muss nicht darin liegenbleiben.
(Hans Fallada)

Gelesene Bücher 2014: 63
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86










Montag, 15. September 2014

Nadine Gordimer / Ein Mann von der Straße (1)


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Anfangs bin ich schwer in die Geschichte reingekommen, als ich dann schließlich drin war, hat mich das Buch nicht mehr losgelassen. Es gibt selten Bücher in dieser Art, was die Ausarbeitung fremder Kulturen und Migrationsthematiken betreffen. Viele AutorInnen, die z.B. über arabische und oder über südliche Länder schreiben, äußern sich eher abfällig, und meist sehr klischeehaft. Anders Nadine Gordimer, die als Weiße in Südafrika aufgewachsen ist und dort gelebt hat und viel Rassismus miterlebt haben muss. Sie schreibt respektvoll von anderen Kulturen. Frei von Klischees und Vorurteilen. Habe auch im Internet gelesen, dass sie 1991 den Literatur-Nobelpreis erhalten hat. Sie ist sehr alt geworden. Sie verstarb im Juli dieses Jahres im Alter von 91 Jahren.

Auf dem Profil sah sie schon sehr alt aus. Ich sah sie das erste Mal, als ich im Internet ein wenig über das Buch recherchiert habe, da mein Band, der von 2004 ist, schon eher als veraltet gilt. Ein ungewohntes Foto. Aber mich schrecken solche Bilder nicht ab.

Das Buch ist glücklicherweise noch immer erhältlich, allerdings im Taschenbuchformat. 

Ich habe vor, mir von der Autorin noch weitere Werke anzuschaffen.

Das Buch hat mich überrascht. Ein Ende, das nicht voraussehbar war. Und solche Überraschungen liebe ich.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Julie ist eine Tochter aus wohlhabendem Hause. Sie lebt und arbeitet in Johannesburg. Als ihr Wagen mitten im Verkehr der Großstadt den Geist aufgibt, lernt sie den hilfsbereiten Mechaniker Abdu kennen. Er hält sich illegal in Südafrika auf. Julie und Abdu verlieben sich ineinander. Als er ausgewiesen wird, folgt sie ihm in sein Heimatland. Aber Abdu hat einen großen Traum: Er will nach Amerika ...
Ein Mann von der Straße ist jemand, der kein Zuhause hatEin klassischer Obdachloser macht sich die Straße zu seiner Heimat, doch dieser heimatlose Mann ist ein anderer ...

Nun gehört Abdu auch zu den Menschen, die fast nirgends in der Welt wirklich willkommen sind, geschweige denn sich irgendwo heimisch fühlen. Selbst in seiner Heimat fühlt er sich nicht wohl. Er kommt aus einem arabischen Land, welches Land, das scheint der Autorin nicht wichtig zu sein, gibt sie zumindest nicht an, vielleicht, weil alle arabischen Länder gesellschaftlich und politisch ähnlich strukturiert sind.

Abdu hat viele westliche Länder um Asyl gebeten und wiederholt Ablehnung hinnehmen müssen. 
Inmitten der Zusammenkunft sieht Julie in dem Paar Menschen von der Art ihres Vaters, die durch die Welt ziehen, wie es ihnen gefällt, und die überall willkommen sind, während jemand anders als ölverschmierter Mechaniker verkleidet ohne einen Namen leben muss. (55)
Klar, die Reichen sind willkommen, bringen Vermögen mit, sind auf die Wohlfahrt eines Landes nicht angewiesen.

Abdu lernt in Johannesburg die dreißigjährige Julie kennen. Und es ist wie Liebe auf den ersten Blick ... Es entsteht recht schnell eine intime Bindung ...

Abdu soll des Landes verwiesen werden ... Julie setzt sich für ihn ein. Sucht Anwälte auf, von denen sie glaubt, sie könnten für ihn das Asylrecht durchboxen. Doch leider sahen die Anwälte auch keinen Ausweg im Asylgesetz. Abdu habe sich schuldig gemacht, indem er gegen das Asylrecht verstoßen habe, da er illegal eingewandert sei, Illegalität sei ein Strafgesetz, dazu noch mit einem falschen Namen. 

Abdu fliegt wieder zurück in seine Heimat. Julie zieht mit, obwohl ihr Vater sie gewarnt hatte, dass sie als Frau in einem arabischen Land keinerlei Rechte haben würde. Julies Liebe zu Abdu ist so stark, dass sie die Konsequenzen alle in Kauf zu nehmen bereit ist. 

Abdu riet ihr ebenfalls ab, da sie als eine freie junge Frau in seiner Heimat unmöglich so unabhängig leben könne wie sie es im weißen Südafrika gewohnt sei.

Julie lässt sich nicht abbringen …

Sie lernt Abdus Heimat kennen und  auch den richtigen Namen. Ich bleibe aber bei Abdu, weil der Name kürzer ist.
Abdu kommt in der Tat aus einem sehr kleinen Dorf, in dem es auch viel Wüste gibt. Die Wüste wird hier auch als eine Metapher gebraucht, die im Gegensatz zu Wasser für wenig Abwechslung und  wenig Veränderung steht.

So, hier an dieser Stelle, nachdem Julie der Familie vorgestellt wurde, erwartete ich als Leserin nun das Ringen Julies mit der Sippschaft und der fremden Kultur, wie man das so aus manch anderen Büchern und TV-Sendungen her kennt. Steinigung, Folter, Flucht, um ein paar Schlagworte zu nennen ... Schließlich verfügt jede Gesellschaft über einen sog. Sippenkodex, und dieser für Fremde zu Komplikationen und Risiken führen kann. Man hat schon so viele Bilder im Kopf ... Doch im Gegenteil. Julie integriert sich recht schnell in der Familie und in der neuen Kultur. Sie wird lieb gewonnen und hat doch keine Probleme mit Abdus Heimat. Südafrika? Dahin möchte sie nicht wieder zurück, obwohl sie aus einer wohlhabenden Familie stammt, und sie hier im Dorf ein eher ärmliches Leben antrifft.

Abdu ist es, der Probleme mit seinem Land hat:
Wahnsinn. Wahnsinn, zu glauben, dass sie es hier aushalten könnte. Er war wütend - auf dieses Haus, dieses Dorf, diese seine Leute; weil er ihr noch andere unerträgliche Dinge sagen musste, ihr ein für alle Mal sagen musste, was ihre ahnungslose Dickköpfigkeit mit ihm hierher zu kommen, bedeutete, da sie es bei all ihren Privilegien nicht geschafft hatte, dass er in ihrem Land bleiben durfte. (130)
Er ersucht nun in vielen westlichen Ländern weiterhin politisches Asyl, aber ohne Erfolg.

Er fühlt sich in der Heimat einfach nicht wohl. Sein Leben ist auf das Einfachste reduziert. Er will mehr. Er will studieren, einer richtigen Tätigkeit nachgehen, etc. und will mit falschen Göttern leben …
"Die Welt ist ihre Welt. Gehört ihnen. Regiert von Computern, vom Internet - Sieh mal hier, der Westen, einundneunzig Prozent aller Computer. Wo du herkommst, Afrika, insgesamt nur zwei Prozent, und die meisten davon in deinem Land. Das Land hier? Nicht mal genug, um in der Statistik vorzukommen!Wüste. Wenn man in der Welt vorkommen will, muss man die, wie du sagst, christliche Welt dazu bringen, dass sie einen reinlässt, das ist der einzige Weg." (167)
dass sie einen reinlässt. Dieser Satz hat mir imponiert. Macht noch mal deutlich, wie sehr man von Gesetzen eingeschränkt wird, und dass so etwas wie Freiheit nicht für alle Menschen auf der Welt existiert. Was für die Menschen aus der westlichen Welt ein Selbstverständnis ist, bleibt für viele Menschen muslimischer Herkunft nur ein Traum.

Abdu gibt nicht auf. Nach wie vor ist er zielstrebig …
Er erzählte Julie nicht, was er vom ersten Tag an tat, wenn er früh am Morgen in die Hauptstadt aufbrach. Es suchte jeden auf, den er kannte, bediente sich aller denkbaren Strategien, die ihm dabei zu Ohren kamen, um Einwanderungsvisa für jene wohlhabenden Länder der Welt zu beantragen, aus denen er noch nicht ausgewiesen worden war. Australien, Kanada, die USA, egal, nur fort von den Vorwürfen, der Schande seiner schmutzigen Heimat. (145)
Abdu ringt mit sich. Er möchte nicht das Leben seiner Vorfahren leben. Er möchte nicht das Leben leben, das die Menschen auch von der Regierung vorgeschrieben bekommen … Er möchte ein modernes Leben, er möchte eine Politik ohne Korruption. Doch nicht nur er, viele Männer seines Alters sehnen sich danach. Und sicher auch Frauen. Nicht alle stimmen z. B. den religiösen Lebensformen zu. Sie wollen frei sein vom Glauben, den sie aufgezwungen bekommen, Sie möchten eine Trennung zwischen Kirche und Staat:
Diese jungen Männer wollen den Wandel, nicht die Belohnung des Himmels. Den Wandel, den andere Länder schon im alten Jahrhundert geschafft haben, den Wandel unter den Bedingungen des neuen. Sie wollen diese Länder einholen! Mit Wahlen, die nicht gefälscht sind oder für ungültig erklärt werden, wenn die Opposition gewinnt; knallharte Geschäfte mit dem Westen aus einer Machtposition heraus, keine arschkriecherische Knechtschaft mehr (sie bringen das richtige Vokabular aus dem Westen mit, wenn ihnen auch sonst alles verweigert wurde); Wandel mit einer Stimme im Internet, nicht vom Minarett, einer Stimme, die fordert, von den Finanzgöttern dieser Welt gehört zu werden. (183) 
Dieses Zitat zeigt, dass es viele Menschen in den muslimischen Ländern gibt, die nicht mit den Lebensweisen ihres Landes einverstanden sind. Sie fühlen sich vom Staat und auch oft von der Familie fremdbestimmt. Nicht alle zieht es in die Moschee oder ins Minarett. Sie sehnen sich nach einem Leben, über das sie selbst entscheiden können. Wenn es für einen Mann schon so schwer ist, aus diesem System auszubrechen, wie sollen Frauen dies erst schaffen?

Abdu bekommt von seinem Onkel die Autowerkstatt vermacht. Der Sohn des Onkels ist tot und ihm fehlt ein Erbe. Die ganze Familie fordert von Abdu, das Angebot anzunehmen. Abdu aber lehnt das Angebot ab und zeigt damit Mut und Größe, auch auf die Gefahr hin, die Erwartungen seines Onkels zu enttäuschen …
„Niemand in diesem Dorf, in diesem Land, hat etwas damit zu tun, warum ich das Angebot nicht annehmen kann, mit dem du mich geehrt hast, Onkel Jaqub. Ich habe kein Interesse an der Regierung. Sie wird mich nicht regieren. Ich gehe nach Amerika." (197)
Gelingt es Abdu, ein Visum nach Amerika zu bekommen? Das lest selbst.

Ich halte dieses Buch für ein Unikat, denn endlich schreibt eine moderne Autorin über die Träume von jungen Menschen aus den arabischen Ländern. Sie alle als rückständig zu bezeichnen, wäre mir zu einfach.


Und nun ein paar wenige Abschlussgedanken:
Werden wir gefragt, in welches Land man hineingeboren werden möchte? Was haben Menschen für Alternativen, deren Leben von einer dreifachen Regierung vorherbestimmt wird?

Neben einem autoritären Regime steht oft die Familie als Institution noch im Hintergrund, aus der es auch nicht immer leicht ist, auszubrechen, da die Familie hier oft die Einhaltung der Gesetze überwacht. 

Die dritte Form wäre die Regierung des anzustrebenden Einwanderungslandes, die über strenge Migrations- und Asylgesetze verfügt; das heißt, dass diese Menschen, die in der Fremde eine neue Heimat suchen, auch nicht wirklich willkommen sind. Viele und langwierige Hürden gilt es da zu überwinden.

Das Buch erhält von mir wegen der anfangs erwähnten Ansichten zehn von zehn Punkten.
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Man kann in den Dreck fallen, aber man muss nicht darin liegen bleiben.
(Hans Fallada)

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