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Mittwoch, 3. Mai 2017

Cristina De Stefano / Oriana Fallaci (1)

Ein Frauenleben

Lesen mit Tina 

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Eine starke Frau, diese Oriana Fallaci, die zusammen mit ihrer Herkunftsfamilie sämtliche Klischees sprengt. Äußerlich wie auch innerlich …

Was sie alles als Frau in einer männerdominierten Welt geleistet hat, ist wirklich enorm.

Oriana, deren Namen aus Marcel Prousts Figuren stammt. Wer die sieben Proust-Bände gelesen hat, ist eine Madame Oriane de Guermantes mehr als vertraut ... Wie kamen die beiden Eheleute Edoardo und Tosca Fallaci zu Proust? Zuerst etwas zur Herkunft. Oriana kam im Juni 1929 zu Welt. Geboren wurde sie in Florenz und sie war das erste Kind von drei weiteren Kindern. Die Eltern waren sehr arme Leute. Aber sie besaßen recht viele Bücher. Die Wohnung besaß wenige materielle Güter, aber sie war reich an Büchern. Obwohl die Fallacis sehr wenig Geld zur Verfügung hatten, kauften sie sich die Bücher, wenn auch nur auf Raten. Sie waren sehr belesen. Ganz untypisch für eine arme Familie. Die Bücher hatten für sie einen hohen ideellen Wert. Dies allein hatte mir schon sehr imponiert, dass Bücher einer armen Familie so bedeutend sein können. Die Fallacis betrachteten die Bücher als das Tor zur Welt, und so wuchs Oriana auch mit dieser Bücherliebe auf. Das Tor zur Welt passt exakt zu Orianas Leben, die im erwachsenen Alter überall auf der Welt journalistisch tätig wurde. Ihre journalistische Ausbildung absolvierte sie in ihrem geliebten Land Amerika, das Land, das ihre zweite Heimat wurde.

Orianas Kindheit und Jugend ist nicht ganz einfach verlaufen. Sie musste als die Erstgeborene den Jungen in der Familie ersetzen. Der politisch aktive Vater Edoardo nahm seine Tochter überall mit, denn …
… auch als Mädchen kann man dienen. (…) Um zu vermeiden, dass seine Frau sich allzu sehr ängstigt, teilt Edoardo seiner Frau Tosca nicht mit, wann er seine Tochter auf Einsatz schickt. (2016, 19).

Oriana wuchs in einer sehr kalten Welt auf. Sie war gerade mal zehn Jahre alt, als der Faschismus in Italien ausgebrochen ist. Der Vater mischte sich als Antifaschist unter die Partisanen und kämpfte im Untergrund für Freiheit und Gerechtigkeit. Oriana bekam vom Vater den Auftrag, antifaschistische Flugblätter zu verteilen, d. h. sie war schon recht früh politisch aktiv … Früh trat sie in die Fußstapfen ihres Vaters.

Oriana hat viel Elend gesehen und hat dadurch auch den Glauben an Gott recht früh verloren. Sie bezeichnete sich selbst als eine Atheistin, als ihr eine Ungerechtigkeit mit den Nonnen widerfahren ist: 
Die Nonnen im Kloster sagen zu ihr, sie solle alles als Geschenk für den Heiland am Altar zurücklassen. >>Kurz darauf bin ich heimlich noch einmal in die Kirche zurück, um nachzusehen, ob das Jesuskind alles aufgegessen hatte, und das Essen war weg. Doch nicht einmal die Bananenschale lag mehr da, und auch das Silberpapier der Schokolade war verschwunden. Mir kam der Verdacht. Ich verließ die Kirche, ging einen Flur entlang, und da saß auf einem Mäuerchen die Nonne, die meine Banane aß. (39f)

Oriana geht nach der Schule auf die Universität und versucht es mit einem Medizinstudium, das sie aber wegen der Armut selbst finanzieren muss. Das wurde ihr mit der Zeit zu anstrengend, und sie brach das Studium wieder ab und engagierte sich hauptsächlich journalistisch …

Oriana hatte eigentlich den Wunsch, Schriftstellerin zu werden, da sie aber nicht wusste, wie sie sich diesen Wunsch erfüllen konnte, blieb sie weiterhin journalistisch tätig. Ihre Art zu schreiben ist  nach deutscher Art sehr ungewöhnlich. Sie pflegte einen polemischen Ton, aber immer mit Herz und Verstand bei der Sache. Vorurteile konnte sie schnell ablegen, sobald sie sich als falsch erwiesen haben. Oriana wurde als Kriegsberichterstatterin viel in Krisengebieten eingesetzt, wie z. B. im Iran, Indien, Türkei, Südamerika etc. Mit der Zeit genoss sie international große Beliebtheit … Sie hatte Erfolg, sie verschaffte sich auch bei den Patriarchen hohen Respekt. Für mich erwies sich Oriana Fallaci nicht wirklich als Italienerin, für mich war sie ein Weltmensch …

Und dennoch, durch Orianas genossene Erziehung zahlte sie auch einen hohen Preis. Sie lebte nicht wirklich ihre Rolle als Frau, und war auch nicht beziehungsfähig, und erlebte mehrere Zusammenbrüche was die Partnerwahl betraf. Dadurch blieb auch ihr Kinderwunsch unerfüllt. Selbst durch den Beruf, umgeben von vielen Menschen, war sie bis zu ihrem Tod eine sehr einsame Frau.

Weiteres ist dem Buch zu entnehmen …

Mein Fazit zu dem Buch?

Meine Lesepartnerin Tina und ich hatten dieselben Empfindungen. Wir sind beide der Ansicht, dass Oriana Fallaci eine sehr bedeutende Persönlichkeit war, die viel Achtung verdient hat, und trotzdem war sie uns auch zu anstrengend, dass wir uns eine Freundschaft mit ihr schwer vorstellen konnten.

Und wir haben uns die Frage gestellt, was aus ihr geworden wäre, wenn vor ihr ein Junge geboren wäre? Sicher, sie bekäme eine klassische Mädchenerziehung. Aber Oriana hatte noch drei Schwestern, die alle eine gute Schulausbildung erhielten, und sich wahrscheinlich die ältere Schwester zum Vorbild nahmen, da auch sie politisch aktiv und journalistisch tätig wurden. Den Eltern war es also schon wichtig, auch den anderen Mädchen trotz der Armut eine hohe schulische Ausbildung zukommen zu lassen.

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein

Zwölf von zwölf Punkten.

 Weitere Informationen zu dem Buch

Ich möchte mich recht herzlich beim Bloggerportal, btb-Verlag, für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar bedanken.

·         Taschenbuch: 352 Seiten, 12,00 €
·         Verlag: btb Verlag (12. September 2016)
·         Sprache: Deutsch
·         ISBN-10: 3442714168

Und hier geht es auf die Buchbesprechung von Tina.

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Es ist ganz gleich, ob man reich oder arm ist,
alle hungern nach etwas.
(Per J. Andersson)

Gelesene Bücher 2017: 17
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Montag, 17. April 2017

María Dueñas / Wenn ich jetzt nicht gehe (1)

Lesen mit Anne 

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Nun bin ich seit gestern mit dem Buch durch und meine Meinung dazu hat sich nicht geändert. Ein sehr dickes Buch, an dem ich über einer Woche lang gelesen habe. Es hat sich sehr gezogen, es plätscherte so dahin.

Mich haben die Figuren so kalt gelassen. Ich konnte mich für keine wirklich begeistern. Auch die darin vorkommende Welt kommt mir sehr kalt und berechnend vor, es herrschen hauptsächlich materielle Werte. Jeder versucht, sein Kapital auf Kosten anderer aufzuschlagen. Langweilige Themen. Die wirklich interessanten Themen wie z. B. der Rassenkampf in Mexiko wird nur peripher erwähnt. Wird nur kurz angerissen, auch wenn die schwarzen Figuren in dem Erzählstrang zwar mitziehen, aber sie bleiben dennoch Nebenrollen. Da muss ich an Isabel Allende denken mit ihrem Buch Die Insel unter dem Meer, auch im Suhrkamp-Verlag erschienen, das bei mir deutlich besser abgeschnitten hat. Hier wird der Rassenkampf zwischen den Sklaven und den Amerikanern in den Mittelpunkt gestellt. Das Buch ist viel authentischer geschrieben. Ich habe dieses Buch regelrecht geliebt und habe jede Zeile verschlungen ... Diese Erfahrung konnte ich leider mit diesem vorliegenden Buch nicht machen.

Das Cover auf dem Buchband erfüllte sich erst auf der letzten hundertsten Seite.

Insgesamt hat die Autorin lange gebraucht, ein wenig Spannung auf ihre Seiten zu bringen. Das Politische, das Zwischenmenschliche und diese so kurze Lovestory konnten mich einfach nicht überzeugen.

Ich bin von Anfang an nicht richtig reingekommen, während meine Lesepartnerin Anne-Marit zuerst auf den ersten Seiten einen superguten Start fand, der sich aber bei ihr auch nicht halten konnte, und so brach sie das Buch schließlich nach 332 Seiten ab.

Mein Fazit zu dem Buch?
Dennoch würde ich nicht sagen, dass das Buch nicht lesenswert ist, siehe Bewertung unten, die mir zu einer fairen Beurteilung verhelfen soll. Jede LeserIn, die sich von dem Buchtitel und dem Klappentext angesprochen fühlt, sollte das Buch auch selbst lesen, da die Meinungen und die Geschmäcker recht subjektiv ausfallen können. Hierbei gebe ich zur Erinnerung erneut den Klappentext rein:
Mauro Larrea erhält eine Nachricht, die seinen Ruin bedeutet. Einst in den Silberminen Mexikos reich geworden, kämpft er um eine neue Chance und trifft auf die Frau, die sein Schicksal entscheidet … Wenn ich jetzt nicht gehe ist eine abenteuerliche Jagd nach dem Glück, ein Roman über die Kraft des Neuanfangs und packende, bewegende Literatur.In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist Mexiko-Stadt der Mittelpunkt der Neuen Welt und Mauro Larrea einer ihrer wohlhabendsten Bewohner. Er nennt einen Barockpalast sein Zuhause, besitzt Minen, Ländereien, Kutschen, Pferde, Logen überall … Jahre zuvor kam er mit nichts ins Land, als Witwer, als Vater zweier Kinder. Sein kühner Aufstieg begann. Doch jetzt soll nach zwanzig Jahren Arbeit im Bauch der Erde alles verloren sein, wegen einer einzigen Entscheidung! Hals über Kopf verlässt er die Stadt, versucht sein Lebensglück ein zweites Mal zu machen und begegnet Soledad Montalvo, einer schönen, einer klugen, einer unberechenbaren Frau.

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
1 Punkte: Differenzierte Charaktere
1 Punkte: Authentizität der Geschichte
1 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus

Sieben von zehn Punkten.


Weitere Informationen zu dem Buch:

Ich möchte mich recht herzlich beim Insel/Suhrkamp-Verlag für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar bedanken. 

D: 24,00 € 
A: 24,70 € 
CH: 34,50 sFr

NEU
Erschienen: 06.03.2017
Gebunden, 589 Seiten
ISBN: 978-3-458-17702-9 

Auch als eBook erhältlich.

Und hier geht es auf die Verlagsseite von Suhrkamp und Insel.
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Es ist ganz gleich, ob man reich oder arm ist,
alle hungern nach etwas.
(Per J. Andersson)

Gelesene Bücher 2017: 15
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Montag, 3. April 2017

Ian McEwan / Kindeswohl (1)


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Ich habe lange dafür gebraucht, obwohl es nur 224 Seiten hat. Es ist halt kein Buch, bei dem man wie ein Schnellzug so durch die Seiten rast. Viele interessante, aber sehr ernste Themen werden darin behandelt. Ich habe schon auf Facebook dazu geschrieben, dass das Buch sehr viele ethische Fragen aufwirft, auf die man keine 08/15-Antworten finden kann. Hauptsächlich geht es um die aktive und die passive Sterbehilfe, und über lebenserhaltende Maßnahmen. Eine Gradwanderung, denn wann darf ein Mensch über sein Schicksal selbst entscheiden, und wann nicht, vor allem, wenn es um minderjährige PatientInnen geht, wie in diesem Band, das mit dem treffenden Buchtitel Kindeswohl deklariert ist.

Auf den ersten Seiten bekommt man es mit siamesischen Zwillingen zu tun und man mit der Frage konfrontiert wird, ob die Medizin das Recht hat, nach der Geburt ein Zwilling zu töten, um das andere zu retten? Die Kirche sagt nein, das sei allein Gottes Willen, zu entscheiden, auch wenn dabei das Risiko besteht, dass beide Kinder sterben. Aber einfach hat es auch das Gesetz nicht, denn … 
… (d)as Gesetz selbst hatte ähnliche Probleme, erlaubte es Ärzten doch andererseits, bestimmte unheilbare Patienten ersticken, verdursten oder verhungern zu lassen, und verbot andererseits die sofortige Erlösung durch eine tödliche Spritze. (2016,37)

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Familienrecht ist das Spezialgebiet der Richterin Fiona Maye am High Court in London: Scheidungen, Sorgerecht, Fragen des Kindeswohls. In ihrer eigenen Ehe ist sie seit über dreißig Jahren glücklich. Da unterbreitet ihr Mann ihr einen schockierenden Vorschlag. Und zugleich wird ihr ein dringlicher Gerichtsfall vorgelegt, in dem es um den Widerstreit zwischen Religion und Medizin und um Leben und Tod eines 17-jährigen Jungen geht.

Brisant geht es schließlich in den Szenen zu, als es um den siezehnjährigen Adam geht, der an Leukämie erkrankt ist. Er und seine Familie sind Mitglied einer religiösen Sekte, die eine Bluttransfusion verbietet, obwohl sich diese lebensrettend auf das Leben des Jungen auswirken könnte. Der Junge selbst lehnt die Bluttransfusion ab, da er von den Eltern und von der Kirchengemeinde stark beeinflusst ist. Das Krankenhaus wendet sich an das Gericht. Richterin Fiona wird beauftrag, sich dieses Falls anzunehmen. Sie entscheidet in diesem wie auch in anderen Fällen über Leben und Tod. Erstaunlich, dass selbst Adams Eltern ablehnend der Bluttransfusion gegenüberstehen. Sind Kinder nicht das Wichtigste, was Eltern besitzen können? Wie dieser Rechtsstreit ausgetragen wird, möchte ich an einem kurzen Zitat belegen. Im Gerichtssaal, ein Dialog zwischen Dr. Carter, der den Jungen im Krankenhaus behandelt und der Anwalt des Mandanten Mr Grieve:
>>Sie stimmen mir doch zu, Mr. Carter, (…) dass es ein fundamentales Recht eines jeden Erwachsenen ist, über seine ärztliche Behandlung frei zu entscheiden?<<
>>In der Tat.<<
>>Und dass eine Behandlung ohne die Einwilligung eines Patienten eine Verletzung seiner persönlichen Freiheit darstellen würde, womöglich gar eine Körperverletzung?<<
 >>Das sehe ich auch so.<<
>>Und Adam ist doch, nach den gesetzlichen Bestimmungen, fast schon erwachsen.<<
>>Auch wenn er morgen früh achtzehn werden würde, wäre er heute noch minderjährig.<< (76)

Das Streitgespräch setzt sich noch lange fort, es bleibt also spannend, wie es letztendlich entschieden wird.

Die Richterin Fiona Maye, die beruflich mit vielen unterschiedlichen Menschenschicksalen zu tun bekommt, hat eigene Sorgen. Ihr Mann begeht einen Seitensprung, weil sie beruflich zu sehr eingespannt ist, und kaum noch Zeit hat, sich im Rahmen ihrer Ehe um die eigenen Bedürfnisse und um die sexuellen Bedürfnisse ihres Mannes zu kümmern. Ihr Mann macht ihr ein Geständnis ... Es kommt zu einem Eklat.

In diesem Ehezwist kommt einem die Frage auf, ob Fionas Mann nicht das Recht hätte, seine sexuellen Bedürfnisse mit einer anderen Frau zu befriedigen, wenn die eigene Frau dafür nicht mehr zu gewinnen sei? 


Mein Fazit zu dem Buch?

Wie oben schon gesagt, hat mir das Buch sehr gut gefallen, sodass ich vorhabe, mir erstmal noch zwei andere Bücher von dem Autor vorzunehmen und so denke ich dabei an Die Nussschale und an Abbitte. Wenn diese beiden Bücher bei mir ebenso gut ausfallen sollten, erkore ich auch diesen Autor zu meinen Favoriten, und mache daraus ein Leseprojekt. 

Auch das Cover hat mich sehr angesprochen. Kein Foto, sondern ein Gemälde des jungen Adams. Anfangs wusste ich mit diesem Profil noch gar nichts anzufangen, da der Ehezwist der beiden Eheleute im Vordergrund stand, und ich dieses Cover noch gar nicht einzuordnen wusste ...  Auch den Titel fand ich gut gewählt.

Allerdings wurde Adam auf der Seite 112 mittig als schwarzhaarig und mit dunklen Augen beschrieben. Das entspricht aber nicht dem Profil auf dem Bild. Der Junge hat hier blaue Augen, und die Haare sind eher braun und mit schwarzen Strähnen abgebildet. Sollen die schwarzen Strähnen ein Kompromiss sein? Denn darf ein englischer Junge nicht schwarzhaarig sein? Und müssen es bei einem Engländer immer blaue Augen sein? Ist die Natur tatsächlich so einseitig? Nein, das ist sie eigentlich nicht, nur der Mensch ist es, der es nicht schafft, die Natur, so wie sie ist, und zwar bunt, zu akzeptieren …

Aber alles andere fand ich passend, insgesamt fand ich das Buch sehr gut gelungen.

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus

Zehn von zehn Punkten.


Weitere Informationen zu dem Buch:

Ich möchte mich recht herzlich für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar beim Diogenes Verlag bedanken.

   Taschenbuch: 224 Seiten, 12,00 €
    Verlag: Diogenes; Auflage: 1 (24. August 2016)
    ISBN-10: 3257243774

Und hier geht es auf die Website von Diogenes.
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Gelesene Bücher 2017: 14
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Mittwoch, 22. März 2017

Peter Longerich / Wannseekonferenz (1)

Der Weg zur >> Endlösung <<

75. Jahrestag der Wannseekonferenz am 20. Januar 2017


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mich so ziemlich betroffen gestimmt. Nicht, weil ich etwas Neues gelesen und erfahren habe, nein, weil die politische Lage mich hier ohnmächtig stimmt. Auch ist sie in meinen Augen total absurd. Es fällt mir schwer, daran zu glauben, dass Menschen anderen Menschen so etwas Bestialisches antun können … Wenn ich mir vorstelle, wie diese Männer sich am 20.01.1942 in einer Luxusvilla über eine schnelle Endlösung beraten haben; ich stelle mir dabei Kinder vor, Säuglinge, selbst davor machten sie keinen Halt. Ich werde nicht viel zu dem Buch schreiben, weil es mir sehr nahegeht. Ich stelle mir vor, wie Mütter in der Gaskammer ihre Kinder festgehalten haben, um ihnen die Angst zu nehmen. Wann haben diese Mütter von ihren Kindern losgelassen, als sie selber an dem Erstickungsprozess beteiligt waren? Schwangere Frauen in der Gaskammer? Männer, die von ihren Familien getrennt wurden. Es gibt keine Gräber von diesen Opfern ... 

Interessant fand ich, dass es nicht irgendwelche Männer waren; es waren größtenteils Männer mit einer akademischen Ausbildung. Richtig gescheite Leute, die ihre Intelligenz nutzten, um jüdische Menschen auszurotten.
15 Männer, darunter zehn mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium, unter ihnen wiederum neun Juristen, von den acht einen Doktortitel führten, diskutierten diese Fragen, so ist dem Protokoll zu entnehmen, unter angenehm äußeren Umständen, in einer geradezu idyllischen Umgebung, in engagierter, sachlicher und sachkundiger Form; sie vertraten in Detailfragen durchaus unterschiedliche Standpunkte, ohne dass nur einer das Gesamtprojekt, den Mord an 11 Millionen Juden, infrage stellte. (2016, 8)

Ich versuchte mir so eine Konferenz vorzustellen, mich in diese Männer hineinzudenken. Was macht die Menschen zu dem, was sie sind? Was sind das für Männer, deren Gespräche permanent mit Mordgedanken gefüllt sind? Ein zu planender Massenmord eingeleitet mit verschiedenen Methoden, durch Hunger, Erschöpfung, Krankheit, Erschießung und am Ende durch Vergasung. Es gab in dem Buch noch Textstellen, wo diese Nazis bei der Vergasung unter den Duschen von außen zugeschaut haben, wie diese Menschen an dem Gas erstickt sind.
Auf Heydrich wurde später ein Attentat verübt, der kurze Zeit darauf an den Folgen starb. Kam dieses Attentat zu spät? Es gab genug andere Vertreter, die diese Vernichtungspläne weiter umgesetzt haben.
Die Wannseekonferenz leitete damit eine Weichenstellung ein, in deren Verlauf das Wann, das Wie und das Wo der >>Endlösung<< neu bestimmt wurde. Die Vernichtung der europäischen Juden wurde nun zu einem Projekt, das nicht mehr in großen Teilen nach Kriegsende, sondern vollständig bereits während des Krieges durchgeführt werden sollte; die >>Endlösung<< der europäischen >>Judenfrage<< sollte nicht mehr in den besetzten sowjetischen Gebieten stattfinden, der Schwerpunkt wurde viel mehr in das besetzte Polen verlegt; (129f)

Ich ahne, was mit Deutschland und mit dem Rest Europa passiert wäre, hätte Hitler seinen Krieg gewonnen. Nur aussprechen wage ich es nicht.

Mein Fazit zu dem Buch?

Nach dem Lesen und während des Lesens, wie ich oben schon geschrieben habe, konnte ich nicht aufhören, mich in diese Männer hineinzuversetzen. Wenn ich mir vorstelle, tagtäglich mit mörderischen Gedanken beschäftigt zu sein, und das noch über viele Jahre, so frage ich mich, wie eine menschliche Seele nur in der Lage sein kann, solche Energien in sich auszuhalten, und diese nach außen hin zu produzieren? Welche seelische Last tut man sich selbst damit an? 

Dabei sind in dieser Mordmaschinerie nicht nur sechs Millionen Juden umgekommen, sondern auch andere Menschen, die nicht in diesem Nazi-Regime gepasst haben. 

Demnach, auch wenn es belastend ist, wäre das Buch unbedingt zu empfehlen. Der Autor hat seinen Stoff gut verständlich einbringen können. Es geht nicht unbedingt darum, etwas Neues zu erfahren. Es geht um das Erinnern, damit eine belastende Geschichte nicht wiederholt wird. Diese Wannseekonferenz war mir von der Thematik her so noch gar nicht bewusst, welch einem Prozess sich die Nazis ausgesetzt haben, um diese Orgie der Gewalt, die mit dem Tod enden sollte, an Menschen anzuwenden.
Zusätzlich gut fand ich, dass der Autor seine Thematik nicht zu sehr aufgebauscht hat. 

Zehn von zehn Punkten.

Weitere Informationen zu dem Buch

Broschiert: 224 Seiten
Verlag: Pantheon Verlag; Auflage: 3 (14. November 2016)
Sprache: Deutsch, 14,99 €
ISBN-10: 3570553442

Ich möchte mich recht herzlich beim Verlag Pantheon für das zur Verfügung gestellte Exemplar bedanken. 

Und hier geht es auf die Verlagsseite von Pantheon.

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LIEBE FÜR ALLE
HASS FÜR KEINEN
(www.ahmadiyya.de)

Gelesene Bücher 2017: 12
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Sonntag, 19. März 2017

Jonas Karlsson / Das Zimmer (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mich richtig gepackt. Woran hat das gelegen? Die Thematik besitzt schließlich keine kriminalistische Kulisse, sondern sie beschreibt ausschließlich die banale Welt eines Arbeitsalltags in einem Großraumbüro. Was ist daran so spannend? Der Autor hat es gewusst, seine Thematik so anzupacken, dass sie mich als Leserin nicht mehr losgelassen hat. Ein wenig surreal der Hintergrund seiner Geschichte.

Das Zimmer ist nämlich für mich ein surreales Motiv. Erst dachte ich, Björn, der Protagonist und Icherzähler, leidet an einer Zwangs- und Wahnvorstellung, an einer Schizophrenie, aber zum Ende hin konnte ich mich doch nicht für eine psychische Störung entscheiden.

Auf den ersten Seiten entwickelte ich ein Geschlechterproblem: Ich dachte erst, der Protagonist sei eine Frau. Habe dabei unbewusst den Klappentext und das Bild auf dem Cover ignoriert. Viele Episoden kannte ich von mir selbst. Ich würde also nicht unbedingt sagen, dass der exzessive Ehrgeiz und damit verbunden das enorme Leistungsdenken im Berufsleben eher eine männliche Domäne ist, denn wer ist das nicht heutzutage, ehrgeizig und leistungsorientiert im Beruf? Als die Geschichte aber immer abstrusere Formen annahm, konnte ich mich von dieser Figur wieder distanzieren, deren Namen Björn auf den folgenden Seiten mittlerweile gefallen war.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Von unausstehlichen Kollegen umgeben, in ein Großraumbüro gepresst, kann Björn sein Glück kaum fassen, als er eines Tages ein kleines, geheimes Zimmer entdeckt. Ein Büro nur für sich, auf demselben Stockwerk, im Flur gleich neben der Tonne für das Altpapier und dem Aufzug. Hier drinnen sind das Chaos und die Enge der Bürowabenwelt vergessen, Björn hat plötzlich Spaß an seiner Arbeit. Alles wäre gut, gäbe es da seine Kollegen nicht. Die treibt Björns bizarres Verhalten fast zur Verzweiflung. Und zu allem Übel tun sie auch noch so, als existiere dieses Zimmer überhaupt nicht.
Nun erwiesen sich mir Björns KollegInnen nicht wirklich als unausstehlich, wie dies aus dem Klappentext hervorgeht. Ein dermaßen unkollegialer Typ wie Björn einer ist, der muss eben so behandelt werden, wie seine KollegInnen ihn behandelt haben. Unausstehlich war mir demnach eher Björn selbst, der menschliche Schwächen bei anderen definitiv nicht dulden konnte, und während er sich permanent aufwertete, wertete er andere ab … Björn möchte sich hocharbeiten, und sein Ziel ist, es von seiner Position bis in die Chefetage zu schaffen.

Björn hatte noch nicht lange die neue Dienststelle angetreten, als er schon nach ein paar Tagen seinen Kollegen Hakan zur Rede gestellt hatte. Hakan hatte seinen Schreibtisch gegenüber von Björn. Er wirkte mit seinen Akten dermaßen unsortiert, sodass viele Arbeitspapiere auf Björns Schreibtisch landeten. Doch auch Hakans äußere Erscheinung widerte Björn an. Nach dem Gespräch, als beide wieder an ihren Schreibtischen zurückgekehrt waren, kommen Björn über Hakan folgende Gedanken:
Wahrscheinlich war er diese Art deutlicher und effektiver Ermahnungen nicht gewöhnt. Höchste Zeit, dass du dich daran gewöhnst, dachte ich. Gut möglich, dass ich eines Tages dein Chef sein werde. (31)  
Björn wird immer auffälliger. Er zieht sich, wenn er sich von der Arbeit ein wenig ausruhen möchte, in dieses ominöse Zimmer zurück. Das stößt bei seinen KollegInnen auf, es kommt zwischen ihnen und Björn zu einem Eklat, sodass ein Gespräch zwischen ihm, seinen KollegInnen und dem Chef stattfindet. Björn äußert seinen Ärger:
Zunächst einmal ist mir aufgefallen, dass einige einen unnötig scharfen Ton anschlagen. Man ist mir mit einer recht unfreundlichen Haltung begegnet und hat sich nicht sonderlich darum bemüht, dass ich mich hier wohlfühle, was vermutlich daran liegt, dass ihr euch über mich ärgert. Das ist nicht weiter verwunderlich, kreative Menschen sind schon immer auf Widerstand gestoßen. Es ist ganz natürlich, dass einfach gestrickte Personen Angst vor Sachkenntnis haben. (70)

Die KollegInnen beschweren sich, dass Björn merkwürdige Dinge an der Wand tun würde, und geistig total abwesend wäre.

Das Gespräch gerät aus den Fugen. Die Rollen zwischen Björn und seinem Chef vermischen sich. Es ist Björn, der sich erlaubt, den KollegInnen Anweisungen zu geben, um das Gespräch zu beenden:
>>Lasst euch das eine Lehre sein<<, sagte ich in einem etwas milderen Ton. >>Was haltet ihr davon, wenn wir nun zu unseren jeweiligen Arbeitsaufgaben zurückkehren und diesen für euch alle so ausgesprochen peinlichen Zwischenfall nie mehr erwähnen. Wenn jeder Einzelne von euch bereit ist, ab heute offen und ehrlich zu sein, wenn ihr nie mehr versucht, mir derartige Streiche zu spielen, um mich aus dem Konzept zu bringen, bin ich bereit, einen Schlussstrich unter die Angelegenheit zu ziehen. Einzig und alleine, weil mir vollkommen bewusst ist, dass Intelligenz und Ausstrahlung allen Mittelmäßigen schon immer ein Dorn im Auge gewesen sind. Einzig und allein deshalb bin ich bereit, euch zu verzeihen. Kleine Menschen können nicht immer etwas dafür, dass sie gelegentlich der Versuchung erliegen, umzustürzen und den Leuten über ihnen zu schaden<<. (72) 

Die KollegInnen ziehen sich wieder an ihre Plätze zurück. Das Gespräch wird allerdings zwischen Björn und seinem Chef fortgesetzt. Das Gespräch endet damit, dass der Chef Björn zu einem Psychiater schickt…

Da das Buch gerade mal 172 Seiten hat, möchte ich nicht mehr verraten.


Mein Fazit zu dem Buch?

Eine recht authentische Geschichte; Erfahrungen, die sicher jeder Berufstätige aus seinem Arbeitsalltag kennen wird. Solch eine Figur, wie Björn sie ist, gönnt man keinen Chef-Titel. Und hier, in dieser Geschichte, habe ich schon ein wenig gezittert, Björn könnte neben seiner Verrücktheit und neben seiner Spießigkeit seinen Aufstieg zum Vorgesetzten schaffen. Björn ist allerdings nur eine Figur, die auch hätte eine Frau sein können. In dieser Form wäre sie genauso unausstehlich ... 

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus

Zehn von zehn Punkten.


 Weitere Informationen zu dem Buch

·         Gebundene Ausgabe: 176 Seiten
·         Verlag: Luchterhand Literaturverlag (11. April 2016)
·         17,99 €
·         ISBN-10: 3630874606

Ich möchte mich recht herzlich für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar beim Verlag Luchterhand bedanken. 

Und hier geht es auf die Verlagsseite von Luchterhand
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Liebe für alle.
Hass für keinen.
(www.ahmadiyya.de)

Gelesene Bücher 2017: 11
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86