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Donnerstag, 16. August 2012

Hans Fallada / Wolf unter Wölfen (5)


 Fünfte Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
 (Von Seite 600 - 950)
 
 Ich bin mittlerweile so drin in der Lektüre, und bin mit dem Inhalt und den Literaturfiguren dermaßen vertraut, dass ich gar nicht mehr so den Drang verspüre, weitere Kommentare zu verfassen. Vielleicht liegt das daran, weil das Thema recht umfangreich behandelt wird, und man die weiteren Verläufe eher bis zum Schluss abwarten möchte, denn schließlich behandelt Fallada hierin auch ganz primitive Themen von wichtigen Literaturpersonen, s.u. wie z.B. Familien-, Ehe- und Liebesproblematiken auf drei Genrationen verteilt. Sicher hat die damalige politische Lage auch das Seine beigetragen, wenn Ehepartner kriseln und drohen auseinanderzubrechen... . Aber ansonsten finde ich diese Themen eher zeitlos..., wenn eine Ehefrau recht spät, nach fünfundzwanzig Ehejahren erst merkt, dass sie ihren Mann gar nicht mehr liebt. Sicher bringen die erschwerten Lebensumstände dies verstärkt zur Geltung... Bitter, dass diese politische Lage, insbesondere die Geldentwertung nötig war, um die Eheprobleme zu erkennen. Welche vergeudeten Jahre...

Ab der ca. 750. Seite wechseln die Protagonisten. Wolfgang Pagels und Petra Ledigs Lage hat sich zwar verändert, aber sie treten nur noch im Hintergrund auf. Im Mittelpunkt des Romans stehen dann vielmehr Rittmeister Joachim von Prackwitz, seine Frau Eva und die pubertierende fünfzehnjährige Tochter Violet, die ich oben mit den Familienproblemen meinte.

Rittmeister von Prackwitz ist bei seinem Schwiegervater nicht gern gesehen und es gibt immer Probleme mit der Zahlung der Pacht... . Über weitere weitreichende Details möchte ich mich nicht näher äußern und verweise auf das Buch... .

Violet, die körperlich sehr reif ist, aber seelisch noch ein Kind, und sie bei den Männern gerne ihre sexuellen Reize zeigt, lacht sich einen Leutnant an, mit dem sie es sehr ernst meint, so ernst, dass sie im Geheimen Pläne hegt, mit ihm nach England durchzubrennen und dort heimlich zu heiraten. Ihre Mutter kommt ihr auf die Schliche, versucht aus ihr den Namen ihres Liebhaber herauszupressen, doch als Violet eher Lügengeschichten erfindet, die die Mutter ihr nicht abnimmt, bekommt sie über einen ziemlich langen Zeitraum Stubenarrest... . Es beginnt ein Machtkampf zwischen Mutter und Tochter... .

Violet ist pfiffig, wickelt sogar ihren Vater um den Finger. Der Vater braucht lange, bis er endlich die Listen seiner Tochter durchschaut. Es folgt ein Zitat, das mir sehr gut gefallen hat:

Ein Kind kennt die Fehler seiner Eltern besser als die Eltern die Fehler ihrer Kinder. Ein Kind sieht erbarmungslos scharf, nicht Liebe, nicht Sympathie bestechen sein Auge auf den ersten Entdeckungsreisen in die Neue Welt.

In Berlin ist ein Putsch geplant, zum 1. Oktober 1923, an dem der Rittmeister sich als Putschist zu beteiligen beabsichtigt. Es sollte eine neue Währung her, und die Inflation begraben, um wieder normale Lebensverhältnisse zu schaffen. Der Rittmeister hat sich ein teures Automobil gekauft, weil er vom Reichsheer versprochen bekommen habe, dass er das Geld wieder zurückerstattet bekommen würde. Dieser zeigte wohl ziemlich viel Vertrauen, vielleicht auch eine große Portion Naivität, denn es liest sich aus dem Kontext angedeutet heraus, dass der Putsch wohl scheitern wird und er niemals das Geld für sein Automobil zurückerstattet bekommen würde. Sein Schwiegervater warf ihm vor, er habe dumm gehandelt, da er sich das Geld nicht im Voraus habe geben lassen. ... . Kaum dass sie Geld haben, ihre Pacht zu bezahlen, verschwendet der Rittmeister das Geld für ein Automobil, das, ganz zum Leidwesen seiner Frau, nicht wirklich lebensnotwendig sei. 

Nun bin ich einfach nur gespannt, ob es überhaupt einen Putsch geben-, ob es zu einer Revolution reichen-, und was aus der jungen Violet wird. Und natürlich interessieren mich Wolfgang Pagel und Petra Ledig auch noch, da ich auch sicher bin, dass sie zum Ende hin nochmals in den Mittelpunkt gestellt werden... .
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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

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Dienstag, 14. August 2012

Hans Fallada / Wolf unter Wölfen (4)


 Vierte Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
   (Von der Seite 450 - 600)


Petra Ledig befindet sich noch immer im Frauengefängnis und macht dort Bekanntschaft mit einer älteren Inhaftierten namens Auguste, die sich ein wenig mütterlich der Petra annimmt. Sie stellt Petra viele persönliche Fragen und somit erfährt sie die Gründe ihrer schuldlosen Gefangenschaft und über die Beziehung zu ihrem Freund Wolfgang Pagel, u.a.m. 

Sie steht ihr besonders was die Beziehung zu dem Glücksspieler Wolf betrifft mit großen Ratschlägen bei, und ich bei so viel Weisheit der alten Dame, besonders was das Männerbild betrifft, doch auch arg schmunzeln musste:

Es mag ja sein, (…) dass er ein ganz guter Mann ist, wie du sagst. Er tut was für deine Bildung, sagst du - na schön, soll er das tun, wenn es ihm Spaß macht. Besser wäre es, er täte was für deine Herze und was für deinen Magen, aber da kommt er sich natürlich nicht so klug vor wie bei den Büchern. Ein guter Mann, sagst du. Aber Kindchen, das ist doch kein Mann, das sollte vielleicht mal einer werden! Was im Bett ein Mann is, das is noch lange kein Mann, das glaub´ner alten Frau. Das bildet die jungen Mädchen euch bloß ein! Und wenn du das so weiter machst mit ihm, mit Verwöhnen und immer Paratsein, und Muttern is auch noch im Hintergrund mit`nem hübschen, dicken Geldsack - dann wird doch nie ein Mann daraus, aber aus dir wird ein Misthaufen, Gott verzeih mir meine Worte!"

Auguste hält viel von Petra und hat die Absicht, diese sofort nach der Haftentlassung bei sich als stellvertretende Geschäftsführerin einzustellen. Auguste ist selbständig, führt ein Geschäft verschiedener Kaufobjekte, auch Wäsche, hat einige Angestellte, und sie selbst hat auch Kohle, leidet aber unter einer merkwürdigen Zwangserkrankung. Bei ihr wiederholt eingelieferte Kleidungsstücke, die mit Brillantknöpfen versehen sind, diese näht sie aus den Kleidungsstücken heraus und behält sie, obwohl Auguste sich selbst Brillantknöpfe leisten könnte. Diese Art von Diebstahl hat sie eigentlich gar nicht nötig aber sie sagt selbst, dass sie immer wieder in Versuchung komme und von den Brillantknöpfen nicht ablassen könne. Selbst ihr Verteidiger versucht sie immer wieder zu Raison zu bringen. 

Dadurch, dass dies eine Wiederholungstat ist, müsse sie länger im Knast einsitzen und rechnet mit etwa sechs Monaten. Auguste allerdings trägt es mit Humor, obwohl sie vor diesen sechs Monaten richtige Angst hat, die sie aber nicht zeigen möchte, wie sich ein paar Textstellen weiter herauslesen lässt:

Und da sitze ich also und denk: sechs Monate Kittchen sind ja soweit ganz gut, Ruhe brauchst du auch einmal wieder - aber was ist mit dem Geschäft, noch dazu in diesen Zeiten?

Die Art ihres Humors hat mich ein wenig amüsiert.

Petra versucht ihre Straftat zu verstehen, und ertappt sich bei dem Gedanken ob Auguste ihr wirklich die Wahrheit darüber gesagt habe, als sie schließlich die Schwäche mit den Brillantknöpfen mit ihrer Schwäche zu Wolf vergleicht: 

Was für mich der Wolf ist, das sind für Mutter Auguste die Knöpfe. 

Welch ein absurder Vergleich, einen Mann mit Knöpfen  gleichzustellen, was aber nicht heißen soll, dass dieser Vergleich nicht berechtigt ist... .


Und nun verschafft Auguste Petra eine Arbeitsstelle, und sie ihr alle Formalitäten erklärt. Ihre Aufgabe besteht in erster Linie darin, kaufmännische Administration zu bewältigen, da ihre Arbeiter so gut wie gar nicht mit Zahlen umgehen könnten. Aber sie würde kein Gehalt beziehen, um Petra vor Wolf zu schützen. Auguste, die über sehr gute Menschenkenntnisse verfügt, weiß sehr wohl, dass Petra, sobald sie Geld in den Händen hält, dieses ihrem Wolf überbringen würde. Und was mit dem Geld geschieht, das weiß man ja nun. Petra würde wieder Hunger leiden...  Als Gegenleistung für ihre Arbeit dürfe sie  die Wohnung im Hause von Auguste einziehen, und hätte dazu auch Kost und Logis frei. In dem Haus befindet sich eine Köchin, die für sie kochen würde.
Ich finde das ein faires Angebot.

Nun folgt eine lustige Textstelle. Petra wird eingewiesen, wie sich in der Wohnung zu verhalten habe:

Und ich habe mir gedacht, du wohnst in meiner Wohnung und schläfst in meinem Bett, und im Badezimmer wäschst du dich… aber in der Wanne darfst du nicht, da geht die Emaille  von kaputt oder wird streifig, mit der Emaille hier weiß ich allein Bescheid. Das musst du mir in die Hand versprechen, dass du mir die Wanne nicht anrührst !- So schmutzig wirst du ja auch gar nicht, dass du dich baden musst - die Dreckarbeit machen die Männer. :D :D :D

Nun geht es rein in die Spielstube. Es ist mitten in der Nacht. Eine Zeit, in der sich am besten spielen lässt. Hier erfährt man, dass Wolf wohl nicht aus Liebe zum Geld spielt, sondern ausschließlich aus Liebe zum Spiel. Das geht auch aus seinem Charakter gut hervor, da er nie die Absicht hatte, Geld auszugeben, Geld zu stapeln, nein, er hat es nur gebraucht, um zu spielen. Die Summen belaufen sich auf die Millionen und Milliarden, bedingt durch die Inflation. Pagel hat einen ganzen Berg von Geldscheinen gewonnen und kann noch immer nicht mit dem Spielen aufhören. Je größer seine Gewinnerträge sind, desto größer wächst seine Spielleidenschaft. Diese Szene hat mich doch auch innerlich irgendwie berührt. 

Zurück in die Gesellschaft; wie geht der Mensch mit der Wirtschaftskrise, mit der Geldentwertung um? Wie geht er mit der Lebensmittelknappheit um? Wie verkraftet er sie? Je dickfälliger und je trickreicher der damalige Mensch war, so der Erzähler des Romans, desto gelassener überbrückte er diese tristen Zeiten.

Und die Anständigen sind die Doofen. (Denn wer) nicht nimmt, dem wird genommen. Wer nicht beißt, der wird gebissen.

Aber auf der Seite 595 gibt es eine optimistische Textstell, die irgendwie auch zu Fallada passt. Denn Fallada ist keineswegs ein Pessimist, nein, es gelingt ihm zwar sehr gut das Böse im Menschen in seinen Büchern zu reflektieren, aber er sieht auch das Gute in ihm. Und das finde ich immer recht angenehm, denn er selbst sagt, dass in jedem Bösen auch das Gute steckt. Aus einem anderen Buch von ihm habe ich mir ein Zitat gemerkt, das vom Sinn her ungefähr so lautet:  

Wäre die Welt tatsächlich so grausam, dann wäre sie schon längst dem Untergang geweiht.

Und in diesem Buch, auf Seite 595 sagt er: 

Kein Mensch kann sagen, wie er wurde, was er wollte. Aber manchmal bekommen wir einen Zipfel vom Wissen zu erfassen, ein Stück Weg, ach, ein Stücklein nur liegt klar hinter uns… dann werden wir böse mit uns, es ist uns nicht recht, wir schütteln die quälenden Gedanken aus dem Kopf. Wir sind recht so, wie wir sind; und dass wir nichts anderes geworden sind, daran haben wir keine Schuld. Darüber brauchen wir nicht nachzudenken!-

Ich teile zwar nicht alles an dem Zitat, weil ich schon der Meinung bin, dass der Mensch auch an sich arbeiten kann, vor allem wenn er mit seinen Charakterzügen andere Menschen einschränkt, aber vom Sinn her gesehen, hat Fallada recht. Jeder Mensch hat das Recht, so zu sein wie er ist. Denn jeder Mensch hat dafür seine bewussten oder unbewussten Gründe. 

Somit beende ich die heutige Besprechung!

Anmerkung der Autorin: Fettdruck im Text durch mich hervorgehoben.
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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

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Hans Fallada / Wolf unter Wölfen (3)


 Dritte Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Noch einmal Szenen aus dem Gefängnisalltag, diesmal aus dem Frauengefängnis, in dem es keine weiblichen Wärterinnen gibt, sondern nur männliche... . Durch die Inflation leben in einer Zelle, die ursprünglich für zwei Liegen gedacht war, nun sechs Inhaftierte. Die Liegen wurden übereinandergestapelt, und zu Hochbetten gemacht... . Auch Petra Ledig befindet sich noch immer in der Anstalt, und sie hat die Hoffnung aufgegeben, dass Wolf sie dort herausholen wird...  . 

Es gibt viel Gezeter in der paar qm kleinen Zelle. Darunter befindet sich auch eine drogenabhängige kranke Frau, die unter starken Entzugserscheinungen steht und eigentlich in die Klinik müsste... .

Petra ist diejenige, die an der Zellentür pocht und um Hilfe schreit, da die kranke Frau sich nicht nur als selbstgefährdend erweist, sondern auch eine Gefahr für die anderen Frauen darstellt.

Die Wärter verweigern zur Sperrstunde erst den Zutritt in die Zelle, da man ihnen sonst sexuelle Annäherung nachsagen könnte... . Doch Petra lässt nicht locker und erreicht schließlich, dass die Wärter die Zelle betreten, allerdings aus der räumlichen Distanz heraus, und geben vielmehr Anweisungen und Befehle, als dass sie selbst aktiv werden. Der Umgangston war auch recht primitiv und achtungslos den inhaftierten Frauen gegenüber:

"Du alte Vogelscheuche da auf der Matratze, nimm eine Wolldecke! Kannst auch was tun! Du andere auch!"

Die kranke Frau wurde eher ausgetrickst, indem sie feste in eine Decke eingerollt wurde und man ihr anschließend Salz zum inhalieren gab. Erst glaubte die Frau an die Droge, doch kurze Zeit darauf erkannte sie den Betrug. Wie diese Szene ausgeht, ist offen geblieben.

Die Inflation drückt sich nicht nur in der Geldentwertung aus, sondern auch die Arbeit vieler Menschen verlor ebenso an Wert:

Es laufen (…) jetzt so viele Menschen auf ihre Arbeit. Arbeiten, überhaupt etwas tun ist plötzlich für sie sinnlos geworden. Solange sie einen festen, greifbaren Wert dafür am Ende der Woche, des Monats in die Hand bekamen, hatte auch die ödeste Büroarbeit für sie einen Sinn. Der Marksturz hatte ihnen die Augen geöffnet. Warum leben wir eigentlich? Fragen sie sich plötzlich. Warum tun wir was? Irgendwas? Sie sehen nicht ein, warum sie etwas tun sollen, bloß um ein paar vollkommen wertlose Papierlappen in die Hand zu bekommen. (…) Die Entwertung ist der infamste Betrug am Volke…

Es ist ja nicht so, dass ich das erste Mal über die Folgen einer Inflation lese. Jeder hatte mal Geschichtsunterricht. Aber es macht immer wieder von neuem dermaßen betroffen, als würde man das erste Mal davon hören, sobald das Thema neu auftritt. Eine verschuldete Regierung wird von ihren Schulden befreit, während ein sparsamer arbeitender Mensch in umgekehrter Folge seine Ersparnisse von einen Tag auf den anderen verliert.

Wolf Pagel ist noch immer spielsüchtig. In dem Buch hat man es mit vielen labilen Menschen zu tun. Dazu gehört nicht nur Pagel und die drogenabhängige Frau, und der vom Krieg gezeichnete hochtraumatiserte Baron Bergen, sondern auch Petra Ledig gehört dazu, die nie ein richtiges Elternhaus besaß und stattdessen recht früh für sich selbst sorgen musste. Für solche Mädchen blieb oftmals nur der Weg in die Prostitution. Ein Jahr lang, dann lernte sie Wolf kennen und es wird verständlich, weshalb sie sich so an ihn hängt und bis auf die Hoffnung, von ihm geliebt zu werden, keinerlei Ansprüche an ihn stellt. Sie toleriert sogar seine Spielsucht, mit der Pagel die Existenz der beiden riskiert.

Die Probleme, die sich nach dem Ersten Weltkrieg dem Volk stellten, waren zwar kollektiver Art, und trotzdem entwickelte sich so etwas wie ein Einzelkämpfertum. Viele ehemalige Soldaten sehnten sich nach dem Zusammenhalt zurück, den sie im Krieg unter Kameraden erfahren haben. Deutlich wird dies, als Wolf Pagel zwei ehemalige Kumpanen ihn bei seinen Problemen zur Seite stehen möchten, und ihm Hilfe anboten, die aber eher der Neugier galten, um herauszufinden, wo Pagel sich nachts nur herumtreibt:

"Vielleicht können wir Ihnen raten", fuhr Studmann mit sanfter aber eindringlicher Überredung fort. " Besser wäre noch, wenn wir Ihnen irgendwie tatkräftig helfen könnten, Pagel", sagte er sehr eindringlich. "Als Sie damals auf Tetelmünde vorgingen, fielen Sie mit dem Maschinengewehr hin. Sie haben sich nicht einen Augenblick besonnen, meine Hilfe anzunehmen. Darum soll in Berlin nicht gelten, was in Kurland galt-?"
" Weil", sagte Pagel finster, "wir damals für eine Sache kämpften. Heute kämpft jeder für sich allein-und gegen alle."

Ich finde diese Szene ein wenig makaber, obwohl mir dieses Einzelkämpfertum nicht fremd ist, da auch wir heute davon betroffen sind, wenn auch auf einer völlig anderen Ebene.

Im Folgenden geht es um Literatur, und mich der Umgang mit dieser ein wenig schmunzeln ließ, weil doch Fallada hierbei ein wenig übertrieben hat. Zwei Frauen unterhalten sich über Literatur. Frau von Teschow, eine Baronin, lässt sich von ihrer Freundin Jutta Goethes Gedichte vorlesen. Bei einigen Versen zeigten sie sich recht empört, und ich gar nicht weiß, was daran so anstößig sein soll. Aber wahrscheinlich muss man sich in die damalige Zeit hineinversetzen, denn was für uns heute normal ist, war damals noch verpönt:

Das kleine Füßchen tritt und tritt,
Da denk ich mir das Mädchen,
Das Strumpfband denk ich auch wohl mit,
Ich schenkt´s dem lieben Mädchen…"

Wahrscheinlich drückt der Vers eine sexuelle Annäherung aus. Die Baronin und die Vorlesende zeigen sich Goethe gegenüber entsetzt:

 Und das will ein Staatsminister sein?

Was machen die beiden Damen mit dieser Textstelle in dem Versbuch? Nun, ganz einfach; sie kleben diese Seite einfach mit Kleister zu :) :) :). Und das nicht nur aus Goethes Gedichten, nein, dieselbe Handhabung auch mit den Werken anderer Dichter, die ihre sexuelle Sehnsucht in lyrischer Form verpackten. Und wenn es nur ein Wörtchen ist, wie z.B. Busen-Buschen-Sebusche, alles anstößige Begriffe, die dafür sorgten, dass die beiden lesende Damen die Buchseite zukleisterten.

Auch Schiller wurde verpönt, den man z. B. wegen Kabala und Liebe niemals der Jugend zu lesen geben dürfe... .

So, hier mache ich mit dem dritten Teil schluss!
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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

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Montag, 13. August 2012

Hans Fallada / Wolf unter Wölfen (2)


Zweite Buchbesprechung zur o. g. Leküre

Ich bin gestern Nacht mit Fallada ins Bett gegangen. Manche Szenen in dem Buch müssen sich erst einmal setzen, weil sie mir einfach zu  absurd erscheinen und es mir an Sprache fehlt, diese auszudrücken :D :D :D. 

Ich musste eine Nacht darüber schlafen, um Worte zu finden... . 

Petra Ledig befindet sich im Hof, angezogen mit einem Sommermantel ihres Freundes, andere Kleider besitzt sie ja nicht mehr, und wartet auf Wolf, der die Absicht hatte, sich mit ihr auf dem Standesamt zu vermählen, so dass er mit hübschen Kleidern, mit Nahrungsmitteln und mit Geld zurückkehren wollte. Doch Wolf lässt auf sich warten... .

Petra ist total ausgehungert und übergibt sich auf dem Hof. Zufälligerweise kommt ein Polizeiinspektor vorbei, der sich auf dem Weg zur Arbeit befindet, und befragt das ärmlich aussehende Mädchen. Er gibt sich zwanzig Minuten mit ihr ab, zu lang, um noch pünktlich seinen Dienst auf dem Revier anzutreten, was ihm äußerst peinlich wäre. 

Nun kommt das Absurde:
Damit er seine Unpünktlichkeit kaschieren kann, nimmt er Petra Ledig einfach fest und stellt sie auf dem Revier mit dem Haftbefehl wegen Erregung des öffentlichen Ärgernisses vor.

Und nun sitzt Petra Ledig für einen längeren Zeitraum unschuldig im Knast, damit der Beamte sein Zuspätkommen als ein dienstlicher Auftrag deklarieren konnte... . 

Den Ausgang dieser Szene lasse ich offen, da ich nicht zu viel verraten möchte.

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Sonntag, 12. August 2012

Hans Fallada / Wolf unter Wölfen (1)

Erste Buchbesprechung der o. g. Lektüre 

Nun habe ich das Wochenende gut genutzt, schon mal 260 Seiten in dem Buch gelesen zu haben, auch wenn ich noch einen riesen Berg vor mir sehe.

Allerdings packt mich das Buch nicht so sehr wie die anderen Werke, die ich von Fallada gelesen habe. Ich werde mit vielen der Figuren nicht wirklich warm und betrachte diese eher mit einer ungewöhnlich großen inneren Distanz, zumal ich nicht auf jede Persönlichkeit eingehen werde. 

Am meisten beschäftigt mich der Protagonist des Romans, namens Wolfgang Pagel, genannt Wolf... . Ein junger Mann von 24 Jahren. Er leidet unter einer Spielsucht, mitten in der Inflation in dem Nachkriegsdeutschland des ersten Weltkriegs, und die Summen, um die es dort geht, dreht sich mir ja schon der Kopf... . Komme später darauf näher zu sprechen... . Bei Fallada ist es schon fast normal, dass in seinen Büchern meist Figuren mit einer "Geisteskrankheit" auftreten. Ich passe mich der Ausdrucksweise des Autors an, selbst wenn meine Ansicht dazu eine andere ist, denn als Geisteskrankheiten nennt er psychische Leiden, was zu der damaligen Zeit Usus war ... .

Ich habe woanders schon geschrieben, dass Menschen, die eine Wirtschaftskrise und die Inflation überlebt haben, Lebenskünstler waren... . Unvorstellbar, dass eine Stange Brot zehntausend Mark kostete. Und die Gehälter wurden sehr unpünktlich ausgezahlt, wenn überhaupt:

Der Staatsgerichtshof verurteilte eine Prinzessin wegen Begünstigung des Hochverrats und Meineid  zu sechs Monaten Gefängnis - aber der Dollar steht auf vierhundertvierzehntausend Mark gegen dreihundertfünfzigtausend am dreiundzwanzigsten Am Ultimo, in einer Woche, gibt es Gehalt - wie wird der Dollar dann stehen? Werden wir uns zu Essen kaufen können? Für vierzehn Tage? Für zehn Tage? Für drei Tage? Werden wir Schuhsohlen kaufen, das Gas bezahlen können, das Fahrgeld-? Schnell, Frau, hier sind noch zehntausend Mark, Kauf was dafür. Was, ist gleichgültig, ein Pfund Mohrrüben, Manschettenknöpfe, die Schallplatte-oder einen Strick, uns aufzuhängen… nur schnell, Lauf, rasch-!

Wolf pflegt eine Beziehung zu einem jungen Mädchen, die Petra Ledig heißt. Doch Wolf kann sich nicht mit dem Namen Petra anfreunden, da ihm der Name zu biblisch sei und ihn an Petrus erinnern lässt und deshalb nennt er seine Freundin einfach Peter. :D Petra lässt ihn gewähren, und überhaupt stellt sie keinerlei Ansprüche an die Beziehung oder an Wolf selbst. Mit dem Nachnamen Ledig kann er sich sehr wohl anfreunden und ist auch der Meinung, dass sie auch so bleiben könne. Daraus geht hervor, dass Wolf sein Mädchen nicht wirklich liebt, was auch an anderen Textstellen bestätigt wird, mir aber noch ein wenig fraglich ist, was er mit dem Mädchen letztendlich will. Wolfgang Pagel stammt aus einer wohlhabenden Familie, die so wohlhabend ist, dass sie auch der Inflation zu strotzen weiß, während viele andere Menschen Hunger leiden müssen, so auch seine Freundin Petra Ledig.

Petra zeigt Wolf gegenüber wenig Selbstbewusstsein, da sie alle Menschen, die wohlhabend sind, als die klügeren und als die besseren Menschen betrachtet:

Es kam ihr immer wie ein Märchen vor, dass sie, eine kleine Verkäuferin, ein uneheliches Kind, das gerade am Versacken gewesen war, in solche Häuser gehen durfte, in denen die gebildeten Menschen saßen, die sicher nie etwas erfahren hatten von all dem Schmutz, den sie so genau hatte kennenlernen müssen. Allein hätte sie sich nie hierher gewagt, obwohl ihr die-Stumm geduldeten - Elendsgestalten an den Wänden bewiesen, dass hier nicht nur Weisheit gesucht wurde, sondern auch Wärme, Licht, Sauberkeit und eben das, was auch eher aus den Büchern aufstieg: feierliche Ruhe.

Petra Ledig fängt nun auch an, sich für Bücher zu interessieren und lässt sich von Wolf gerne erzählen, aus welchem Buch er gelesen hat. Petra möchte von ihm geliebt werden und nicht nur des Körpers wegen, sondern hauptsächlich wegen ihrer Wesensart. Oft ist sie in Gedanken versunken und äußert daraufhin ihrem Freund, dass sie so schrecklich dumm sei:

"Ich lerne und ich lerne auch gar nichts! Ich werde ewig dumm bleiben!"  
Aber auch dann wieder lachte er nicht über solchen Aufruf, sondern ging freundlich ernst darauf ein und meinte, im Grunde sei es natürlich ganz egal, ob man wisse, wie Käse gemacht werden. :D :D :D. Denn so gut wie der Käsemacher lerne man es doch nie wissen. Dummheit sei, wie er glaube, etwas ganz anderes. Wenn man sich nämlich sein Leben nicht einzurichten wisse, wenn man nicht aus seinen Fehlern lerne, wenn man sich immer wieder unnötig über jeden Dreck ärgere und wisse doch ganz genau, in zwei Wochen sei er schon vergessen, wenn man mit seinen Mitmenschen nicht umgehen könne - Ja, all dies, erscheine ihm recht Dummheit. 
Interessant fand ich, als Wolf seine Mutter als Beispiel erwähnt, die recht spießige Lebensansichten pflegt, die hauptsächlich gegen Menschen gerichtet sind, die entgegen ihrer Vernunft in ihr Leben treten:

Ein wahres Musterbeispiel sei seine Mutter, die, soviel sie auch gelesen und erfahren habe und so klug sie auch sei, ihn nun glücklich mit lauter Liebe und Besserwissen und Gängeleien auf dem Haus getrieben habe, und er sei doch wirklich ein geduldiger, umgänglicher Mensch (Sagte er.) Sie, Petra, dumm-? Nun, sie hätten sich noch nicht einmal gestritten, und wenn sie auch oft kein Geld gehabt hätten, schlechte Tage hätten sie darum doch nicht gehabt und grimmige Zornesmienen auch nicht. Dumm-?! Was Peter denn meine? Natürlich genau das, was Wolf auch meinte! Schlechte Tage? Grimmige Miene? Sie hatten die allerherrlichste Zeit von der Welt miteinander gehabt, die schönste Zeit ihres ganzen Lebens-schöner konnte es nun überhaupt nicht mehr werden! Im Grunde war es ihr ja auch ganz egal, ob sie dumm oder ob sie nicht dumm war (klug kam trotz all seiner Erklärung nicht in Frage), solange er sie nur gerne hatte und ernst nahm.

Ein Fünkchen Wahrheitskern steckt wohl in dem oben genannten Zitat, aber nur ein Fünkchen. Petra ist gar nicht fähig, ihren Wolf zu sehen wie er ist. Die Liebe zu ihm führt sie in die Abhängigkeit, so dass sie alles an ihm duldet, sogar die Spielsucht, mit dem Ziel, dass er ja nur bei ihr bleibt. Eigentlich auch eine recht labile Persönlichkeit... .

Petra Ledig wird in dem Mutterhaus ihres Freundes alles andere als geduldet. Wolf sucht den Kontakt zu seiner Mutter nur noch sporadisch auf. Doch in dem Elternhaus wird trotzdem zu jeder Mahlzeit für Wolf miteingedeckt. Den Vater gibt es schon lange nicht mehr, er ist früh verstorben. Doch Wolf ist immer verschuldet. Er verspielt das ganze Geld, sogar die Kleider von Petra werden eingelöst und so bleibt Petra fast nackt in dem Zimmer zurück und wartet auf ihn... . 

In dem Haus seiner Mutter lebt seit zwanzig Jahren auch eine Bedienstete, Minna, die sehr gut die familiären Verhältnisse dort durchschaut. Es folgt nun ein Zitat, das mich hat ein wenig schmunzeln lassen, aus dem Gespräch zwischen Minna und Wolfs Mutter:

"Der junge Herr" meinte Minna, "hat es immer zu leicht gehabt. Er hat keine Ahnung, wie ein armer ein Mensch Geld verdient. Erst haben Sie ihm alles leicht gemacht, gnädige Frau - und jetzt tut es das Mädchen. Manche Männer sind so - das ganze Leben brauchen sie ein Kindermädchen - und es ist komisch, sie finden auch immer eins."

Um an Geld zu kommen, verkauft Wolf ein Gemälde aus der Familie, dass er sich bei der Mutter erpresst hat. Der Kunsthändler, der bekannt ist in Wolfs Familie und er alle Gemälde des Hauses kennt, wundert sich über den Verkauf des wertvollen Kunstobjektes. Doch Wolf hakt ein, dass man ohne Bilder sehr wohl leben könne aber nicht ohne Geld :D. Auch hier, so finde ich, steckt wieder eine große Portion Ironie.

Szenenwechsel:

Wir befinden uns in einer Strafheilanstalt, in der die Häftlinge heftig protestieren, weil sie schlecht versorgt werden. Das Brot ist hart und  ungenießbar. Mehr bekommen sie nicht zu essen. Unangemeldeter Besuch eines Reporters, jemand von der Sozialdemokratischen Pressekonferenz, der die Absicht hat, die Häftlinge darüber zu interviewen, ob sie mit Lebensmitteln ausreichend versorgt werden. Der Direktor versucht sich zu rechtfertigen in der Form, dass die Einrichtung nur mit minderwertigem Mehl beliefert werde, und sie keine andere Möglichkeit habe, Vollwertbrot  herzustellen. Doch der Reporter lässt nicht locker:

Direktor: "Ich kann es nicht ändern, das Brot ist nicht gut - aber was soll ich machen?! Unsere Verpflegungssätze hinken um vier Wochen hinter der Geldentwertung drein. Ich kann kein vollwertiges Mehl kaufen - was soll ich tun?!"
"Anständiges Brot liefern. Schlagen Sie doch Krach im Ministerium. Machen Sie Schulden für die Justizverwaltung, alles gleich - die Leute sind nach Vorschrift ausreichend zu beköstigen."
"Jawohl", sagte der Direktor bitter. "Ich riskiere Kopp und Kragen, damit meine Herren genug zu Essen haben. Und draußen hungert das unbestrafte Volk, was?" 

In dem letzten Satz steckt doch eine große Portion Ironie. Schließlich macht die Inflation ja nicht vor den Kerkertüren halt. Und es ist doch ein wenig makaber, dass es Gesetze gibt, die vorschreiben, dass die Häftlinge ausreichend versorgt werden müssen, während die Menschen draußen Hunger leiden. Ich wage mir kein Urteil zu bilden, weiß selbst nicht, was richtig und falsch ist, aber mir geht es um die Ironie, die ihre Berechtigung hat. Könnte eine Regierung auch für das gesamte Volk einstehen, vor allem für die, die wenig haben, fände ich das noch ein bisschen gerechter. Ich habe Verständnis für die Häftlinge, aber auch Mitleid für das hungernde Volk... .

Interessant finde ich auch die Romanfigur namens Baron von Bergen. Eine stark vom  Krieg gezeichnete traumatisierte Persönlichkeit, der mit dem Paragraphen 51 in einer psychiatrischen Heilanstalt geschlossen untergebracht ist. Baron von Bergen bezeichnet sich selbst als geisteskrank, auf mich macht er ein wenig den Eindruck eines Paranoikers. Er ist aus der Heilanstalt geflohen, geht in ein Hotel, und geißelt ein paar Leute hinter verschlossener Hoteltür und zwingt diese, in Übermaß Kognak zu konsumieren, sonst würde er sie erschießen. 

Wer nicht trinkt wird erschossen. Ich habe den Paragraphen 51, mir passiert nichts. Ich bin der Reichsfreiherr Baron van Bergen. Kein Polizist darf mich anfassen. Ich bin geisteskrank.-Trinkt! (…) Ich konnte das Schießen im Felde nicht vertragen, alle schossen immer nur auf mich. Seitdem schieße ich allein.-Trinkt!"


Interessant fand ich auch die Ansicht vieler zurückgekehrter Soldaten, die sich ein wenig als Helden feiern, auch wenn der Krieg als verloren galt und sie andere Kameraden eher verachten, die "Nie wieder Krieg" rufen. Sie werden als Feiglinge, als Drückeberger und als Verräter beschimpft. Es ist nicht so, dass jeder Mann, der aus dem Krieg zurückgekehrt ist, zu einem Pazifisten wird. Das war bei Remarque so, und auch bei Borchert. Nein, es gibt viele Soldaten, die immer wieder zurück in den Krieg marschieren würden, und sie würden immer wieder von neuem töten, töten, töten... . 
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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

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Montag, 28. Mai 2012

Hans Fallada / Damals bei uns daheim 7





Ich habe feuchte Augen bekommen, denn ich bin durch mit der Autobiographie und mir ist Fallada und dessen Familie total ans Herz gewachsen. Hans Fallada hat einen großen Platz in meinem Herzen errungen.

Hans Fallada hat genau einen Tag vor mir Geburtstag und ist gerade mal siebzig Jahre und einen Tag vor mir geboren. Aber er selbst wurde leider nur vierundfünfzig Jahre , vielleicht überlebe ich ihn . Wäre er älter geworden, sicher hätte er noch weitere Bücher verfasst. Aber es ist wie es ist. Jeder Todeszeitpunkt ist der richtige. Es gibt keinen falschen, vgl. T. Mann. Der Wille zum Glück.

Zur Erinnerung:

Hans Fallada, ist, wie dies aus dem Klappentext hervorgeht, nur sein Pseudonym, denn ich möchte gerne erinnern, dass er mit richtigem Namen Rudolf Ditzen heißt. Aber für mich bleibt er Hans Fallada, solange auf den Büchern kein anderer Name steht... .

Ich habe heute auf einer anderen Seite gelesen, dass Fallada doch an einer traumatischen Neurose litt, die Krankheitserscheinungen in der vorliegenden Autobiografie allerdings noch keine Rolle spielen. Ich vermute mal, dass sie später im erwachsenem Alter, zum Ausbruch kam, aber wohl in der Kindheit schon latent angelegt war, wie an manchen Textstellen angedeutet wurde.
In seinem Werk "Der Trinker", so glaube ich, lassen sich eigene Erfahrungen ableiten... . Mal sehen.

Ich werde über die Pathologie in der Biografie zu Fallada "Mehr Leben als ein Leben", geschrieben von Jenny Williams, hoffentlich mehr erfahren.

Die Familie zieht nach Leipzig um und Hans das Gymnasium wechseln muss. Für die Eltern stellt sich die Frage, welches Gymnasium das geeignetere wäre. Auf dem einen Gymnasium würde Hans ein halbes Jahr untergestuft werden, in die Obertertia, und würde aber ohne Aufnahmeprüfung an der Schule aufgenommen werden, während er auf dem anderen Gymnasium ein halbes Jahr übergestuft werden würde, käme in die Untersekunda. Der Vater empfiehlt die zweite Alternative, und Hans schließt sich den väterlichen Empfehlungen an, aber es ist sehr viel Schweißarbeit gefordert. Denn Hans muss im Anschluss von vielen Einzelstunden die Aufnahmeprüfung für die Untersekunda bestehen. Der Vater meldet Einzelstunden in der Schule an, so dass Hans keine Zeit mehr bleibt für Hobbys, da er acht Stunden täglich bis zur Prüfung mit Hilfe verschiedener Fachlehrern pauken, pauken, pauken muss, und sich die Paukerei zu Hause fortsetzte.

Nach der Aufnahmeprüfung wartet der Vater vor der Tür auf seinen Sohn, und Hans bemüht sich, eine grimmige Fassade aufzusetzen, doch wer kennt seine Kinder besser als ein Fallada-Vater. Der Vater grinst in die Fassade hinein und ist sich sicher, dass Hans die Prüfung bestanden hat. Tja, Hans Schauspieltalent versagen eben bei solchen Vätern.

Der Vater ist überaus stolz auf seinen Sohn und möchte seinen Eifer belohnen. Er dürfe sich etwas wünschen und er wolle gewiss auch nicht sparen. Hans wünscht sich ein Fahrrad und der Vater ist völlig entsetzt, weil ihm nicht bekannt war, dass Hans Fahrradfahren könne. Sie machen vor einem Fahrradgeschäft Halt:


Nun wohl, mein Sohn, hier ist eine stille Straßen, und so wirst du nun erst einmal eine kleine Prüfung ablegen vor mir und dem Händler. Erst dann wird zum Ankauf geschritten. Du kommst heute aus den Prüfungen nicht heraus , Hans".

Auch hier besteht Hans seine Prüfung und bekommt das beste Rad, das der Händler zu bieten hat.


Das Rad hat einhundertfünfunddreißig Mark gekostet, Vater hat mir etwas Solides, etwas fürs Leben gekauft. Nur die krumm nach unten gebogene Lenkstange hatte er abgelehnt.
"Nein, nein, ich kenne das! Die sitzen so wie Affen auf dem Rade. Ich möchte dich doch nicht in dieser Richtung ermuntern, Hans, ich gebe noch immer nicht die Hoffnung auf, dass du dich mit den Jahren zum Menschen entwickelst. "
Wenn Vater den Sohn neckte, war er immer in allerbester Stimmung.

Diese Szene fand ich einfach auch sehr schön, die Vater-Sohn-Beziehung, die ich unbedingt festhalten wollte, damit sie vielerorts wenigstens auf dem Papier reell bleibt.

Als ich die Szenen mit dem Fahrradkauf gelesen hatte, überkam in mir der der leise Verdacht, ob Fallada mit dem Fahrrad nicht verunglücken werde. Hans Fallada erwies sich in seiner gesamten Kinderzeit als extrem unfallgefährdet, deshalb war mir der Verdacht so nahe, der sich später auch bestätigt hatte.

Hans erlitt einen so bösen Unfall, auf die Details möchte ich nicht eingehen, dass er über einen längeren Zeitraum in der Klinik rehabilitiert und versorgt werden musste und sein Fahrrad ward nie mehr gesehen. Und hier ein kleiner Textauszug aus Falladas Sicht:


Aber, wie schon früher gesagt, ich war damals fast Fatalist, ich nahm auch diesen Unfall hin, wie ich anderes hingenommen hatte. Es war nun einmal so, dass sich ausgesprochenes Pech im Leben hatte, damit musste ich mich eben abfinden. Am Anfang Frühling, Ferien, Untersekunde, neues Rad. Am Ende: Winter, nacharbeiten in der Schule, doch noch Obertertia, das zertrümmerte Rad war verschwunden, und es gab keinerlei Aussicht auf ein neues. Ja, alle Anstrengungen bei Herrn Dr. Dackelmann waren doch umsonst gewesen. Umsonst hatte ich den Verdacht eines Holzkopfes durch übermäßiges Büffeln zu zerstreuen versucht. Umsonst war ich an vielen Winternachmittagen hinterher an Professor Muthesius durch das dunkelnde Schulzimmer gestampft. Umsonst hatte ich die Prüfung >glänzend< bestanden. Ich kam nicht in die Untersekunde, ich wurde in die Obertertiar gesetzt. Ich hatte kein halbes Jahr übersprungen, ich hatte eines verloren!

Szenenwechsel: Hans macht zu Hause eine enttäuschende Entdeckung, als er in der Bibliothek seines Vater ein Buch findet mit dem Titel: Wie erziehe ich unseren Sohn Benjamin - ein Ratgeber für deutsche Eltern.

Hans konnte nicht glauben, dass sich die Eltern solcher Bücher annehmen und schämte sich für seinen Vater bis ins Mark. Fallada geht leider nicht darauf ein, was an dem Buch so skandalös ist, und so bleibt mir einfach wieder mal die Vermutung, mit der ich mich einsam zurückziehen muss. Natürlich geht da auch die Fortpflanzung hervor, und sicher die Erhaltung der Art . ... .

Ich stelle die Hypothese auf, dass der Ratgeber rassistisches Gedankengut hat, und das lässt vermuten, weshalb die Kinder Karl May nicht lesen durften. Nun ja, ich schätze mich als eine recht aufmerksame Leserin ein, ich hätte ja auch die Karl-May -Szene einfach überlesen können. Das habe ich aber nicht gemacht... . Und mich interessiert das nach wie vor brennend.


Das Lesezeichen steckte an einer bestimmten Stelle, und ich las los. Und las. Und dann versteckte ich das Buch scheu an seinem alten Platz, ich schämte mich, dass Vater das gelesen hatte, und ich schämte mich noch mehr, dass ich wusste, Vater hat dies gelesen ...

Hier hat der junge Hans aufgehört, seinen Vater zu idealisieren aber hier beginnt sein Leben als erwachsener Mann ... , und Fallada diese neue Lebensphase als recht schmerzvoll erlebt.

An dieser Stelle mache ich Schluss und ich bleibe weiterhin dran mit einigen Fragen, die mir noch offen geblieben sind. Lücken, die ich gerne noch schließen möchte.

*****************

Ich gebe dem Buch neun von zehn Punkten. Deshalb neun und nicht zehn, weil manche Infos nur angedeutet wurden und ich Vermutungen anstellen musste, die sich bis zum Schluss der Lektüre nicht aufklären ließen.

Neun Punkte und nicht weniger aus dem Grunde, weil Fallada in verschiedene Erzählstränge wechseln konnte, ohne dass die Autobiografie, wie ich schon an anderer Stelle erwähnte, keine Chronologie aufwies, und man trotzdem nicht die Orientierung verliert. Ich fühlte mich als Leserin gut in dem Buch geführt. Das Buch war sehr interessant erzählt und wirkte auf mich recht authentisch. Es hat mich neugierig gemacht, weitere Biografien zu lesen. Ich fange gleich morgen an zu bestellen.
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"Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen." (T. Fontane)

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Remarque: Der schwarze Obelisk
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

Gelesene Bücher 2012: 36

Hans Fallada / Damals bei uns daheim 6




Verlag: Aufbau Tb 2011
Seitenzahl: 383
9,99 €
ISBN-10: 3746627893


Weiter geht´s mit der Buchbesprechung Fallada, und es geht zum Endspurt zu, habe noch sechsunddreißig Seiten vor mir, ich aber das Buch ungern wieder verlassen werde… :). Aber es warten ja noch zwei andere (Auto)Biografien auf mich, die ich allerdings zeitversetzt lesen werden. Und vielleicht erfahre ich ja dort, weshalb die Karl May Bände verboten wurden. Ich gebe ja nicht auf :D. 

In dem vorliegenden Band beschreibt Junior Fallada so viele Familienanekdoten, die recht schön zu lesen sind, wenn sie auch vom Verhalten her was Tanten, Onkel, und Großeltern betrifft, arg eigensinnig und auch ein wenig absurd erscheinen. Aber trotzdem witzig zu lesen, besonders wenn man nur Leserin ist statt Angehörige, und man sich über gewisse Buchszenen mehr amüsiert als ärgert.

Arthur Fallada ist achtzehn Jahre älter als seine Frau Louise. Er lernte sie kennen, als Louise achtzehn Jahre alt war. Louise stammt ebenso aus einer sechsköpfigen Familie, doch als der Vater starb, sie war gerade mal acht Jahre alt, wurde sie von der Mutter zum Onkel gebracht, der sie aufziehen sollte. Ein anderes Geschwisterkind wurde zu anderen Angehörigen gebracht, da die Mutter zu arm war, für alle Kinder zu sorgen. Louises Onkel lernte seine Nichte zwar zu lieben, aber auch dieser war so eigen in seinem Verhalten, das sich stark auf das Kind übertrug, so dass Louise quasi eine Außenseiterin wurde und ohne Freunde aufwuchs… . Eigentlich war Arthur Fallada ihre Rettung, der sie aus dem Hause des Onkels herausholte. Ein großer Altersunterschied, aber der Bund wurde aus Liebe geschlossen. Es war also keine Zweckheirat.

Die Autobiografie liest sich nicht chronologisch. Mal ist Junior Fallada dreizehn, vierzehn Jahre alt, mal wieder zehn und dann wieder achtzehn. Aber das Buch ist keineswegs verwirrend geschrieben. Der rote Faden ist immer leicht erkennbar.

Kurz beschreibt Hans, dass der Vater nun auf Eduard (Ede) seine ganze Hoffnung setzt, Jurist zu werden und in seine Fußstapfen tritt. Aber Ede will Medizin studieren und als es mit dem Studium so weit war, wird er in den Krieg eingezogen. Ede schafft es, die Familie einmal zu besuchen. Ein zweites Mal gab es nicht, Ede fällt im Krieg und die Eltern diesen Verlust für den Rest ihres Lebens nicht verwunden haben. Ede war das Kind, das eher den Vorstellungen des Vaters entsprach, aber die Geschwister es ihm nie nachgetragen hatten, da Ede von seiner Persönlichkeit her sich so gab wie er war. Kein Einschleichen bei den Eltern und den Geschwistern … .

So, nun folgen ein paar Zitate aus den letzten fünfzig Seiten.

Ich möchte eine besonders tragische Jugendszene festhalten, die mich geistig und emotional arg berührt hat.

Hans tritt der Freizeit – Reise – und Jugendgruppe Wandervogel bei. Hans ist zu dieser Zeit vierzehn Jahre alt und entwickelt sich in der Gruppe zu einem totalen Außenseiter. Die Gruppe hatte seine Fähigkeiten nicht anerkannt und verspotteten ihn regelrecht. Hans erträgt es mit großer Tapferkeit, er aber bemüht ist, bei den Jungens anzukommen. Die Jugendgruppe befindet sich in Holland auf Reisen. Ecau ist ein zwanzigjähriger Student und Gruppenführer und versagt aber völlig, die Gruppe zu lenken. Ihm ist es auch zu verdanken, dass Hans verspottet und ausgestoßen wird.

Die Jugendlichen befinden sich gerade am Strand und während die Gruppe eine Exkursion starten will, wird Hans dazu verdonnert, zurückzubleiben und sich um das Essen zu kümmern. Hans fühlte sich nicht wohl, teilte dies aber der Gruppe nicht mit, weil er ihnen nicht noch mehr zur Last fallen wollte. Er fühlte sich ein wenig fiebrig und in seinem ganzen Unwohlsein verschüttete Hans versehentlich das Kochwasser, das auf dem Lagerfeuer brutzelte und nun im Sande verläuft. Hans wusste nicht, wie er aus dieser Lage wieder herauskommen konnte, da kein Wasser mehr zur Verfügung stand. Also begab er sich an den Strand und füllte den Topf mit Meereswasser und kochte darin die Zutaten. Als Hans das Essen kostete, musste er sich erwürgen und es war, als würde er die Galle herausbrechen. Nun versuchte er das Essen zu retten, indem er den Geschmack mit Zucker zu neutralisieren versuchte. Also packte er seinen Zucker und den Zucker seiner Kameraden zusammen und vermischte es mit dem Gekochten. Das Essen schmeckte nach wie vor zum Erbrechen und Hans musste sich geschlagen geben und sich den Jungens stellen. Als die Kameraden von der Exkursion völlig ausgehungert wieder einkehrten, so stürzten sie sich ans Essen und ließen alle ihre Löffel fallen und würgten das Gegessene wieder heraus. Hans musste gestehen und so begab sich die Gruppe in das nächste Dorf, vierzehn Kilometer entfernt, um dort in einer Kneipe einzukehren. Mit Hans sprach keiner mehr, nun erst recht nicht und der Verdacht galt ihnen als bestätigt, dass Hans zu nichts tauge. Am nächsten Tag entfernte sich Acer von der Gruppe, als die anderen Jungens sich bei Hans rächten und sie ihn in das Meer warfen und ihn dort bis zur völligen Ohnmacht ertränkten mit dem Ziel, er solle eine Salzsuppe trinken. Daraufhin wurde Hans noch viel kränker und so musste der Gruppenführer Hans wieder nach Hause fahren und lieferte ihn zu Hause ab. Noch bevor die Eltern die Haustüre öffneten, war Acer schon wieder abgezogen.

Zu dem Erlebnis schreibt Fallada:


Ich habe mein ganzes Leben hindurch solche Menschen getroffen, die mich instinktiv hassten, oft noch ehe sie mich überhaupt kannten. Es ist die alte Geschichte von dem Kurhaus, der zwischen dem einen und dem anderen Samen eingesetzt ist. Ich habe Ihnen diesen Hass aber immer redlich zurückgezahlt!

Welches Nachspiel diese Szene noch hatte, so verweise ich auf das Buch. Aber es stimmt, Fallada konnte sich rächen... .

Wiederholt fällt mir auf, dass Fallada von einem Doppelgänger spricht:


Es hat sich nun herausgestellt, dass es diesen Jungen wirklich gab. Es gab den Jungen, der alles so schwer nahm und immer dachte: mir geht doch alles schief, ich habe nie Glück, und es gab den andern, gewissermaßen amüsiert zuschauenden Jungen, der sagte: Du nimmst aber eigentlich alles fürchterlich tragisch! Warte nur, es kommt noch anders. Und da es mittlerweile wirklich anders gekommen ist, habe ich fast nur vom Gesichtspunkte dieses zweiten Jungen erzählen können.

Frage: haben wir nicht alle so ein doppeltes Ich in uns? Aus meinen Studien und aus meiner Berufspraxis heraus bejahe ich diese Frage, ohne sie zu pathologisieren, solange diese Doppelgänger nicht ins Extreme abdriften, und eine gespaltene Persönlichkeit nach sich ziehen. Dies geht aber aus den Fallada - Büchern (noch) nicht hervor. Ich habe ja nicht alle Bände gelesen. Bekannt ist aber, dass er alkoholabhängig war.

Eine letzte Szene möchte ich auf diesen Seiten noch festhalten, die für den Erlebten zwar tragisch verlaufen ist, aber für mich als Leserin tragisch und amüsiert zugleich.

Hans steht auf dem Balkon, mit dem Kopf zwischen zwei Gitterstäben, er dürfte ca. acht oder neun Jahre alt sein, als er hinunter spuckt genau zu der Zeit, als sein Vater mit einem Juristenkollegen ankommt. Natürlich zeigt sich sein Vater völlig verärgert, da ihm dieser Fehltritt vor dem Kollegen unsagbar peinlich ist. Er schreit dem Jungen hinterher, Hans versucht auszureißen, doch dafür ist es eigentlich schon zu spät:


Da sind schon die Rächer, zur Flucht ist es zu spät, und so stimme ich für alle Fälle ein klägliches Geheul an. Denn einmal bekomme ich den Kopf nicht frei, zum andern droht mir Strafe.

Hans konnte den Kopf nach wie vor nicht wieder hinausziehen. Der Kopf steckte fest und blieb auch stecken. Die Mutter versuchte es mit gutem Zureden, damit Hans sich wieder entkrampfen konnte, doch nichts half. Der Kopf blieb nach wie vor stecken. Die Mutter lockte ihn schließlich mit Schokolade, natürlich nicht im Sinne des Vaters, der ihn ja für die Spuckerei bestrafen wollte. Und nun bekommt er statt der Strafe Schokolade.

Vater stand - ein stummer, aber schreiender Protest - dabei.
Ich aber brüllte nur noch heftiger, wenn das nach den vorangegangenen sehr beträchtlichen Leistungen überhaupt noch möglich war. Denn nun war ich fest überzeugt, dass ich nie wieder aus diesen Stäben befreit werden würde, dass ich mein ganzes Leben lang auf die roten Fliesen des Erdgeschosses werde hinab starren müssen, und ich verweigerte sogar die Schokolade, weil mir schien, Mutter wolle mich an eine Ernährung durch Gitterstäbe gewöhnen.


Die Gitterstäbe mussten durchsägt werden, nur so konnte Hans von seiner Gefangenschaft wieder befreit werden.


Völlig verbrüllt und verschmiert blickte ich blöde lächelnd in lauter freundlich lächelnde Gesichter - Mit einem Schlage war mein Gebrüll verstummt. Dann sammelte ich mich, streckte die die Hand zur Mutter aus und verlangte: „Meine Lade, Mutti!"
Mein Vater, noch des Spuckens eingedenk, machte eine abwehrende Bewegung, aber es war schon zu spät: Ich hatte die Schokolade und aß sie auch schon. Dass hiernach an irgendein Strafgericht nicht mehr zu denken war, versteht sich.
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Gelesene Bücher 2012: 35

Sonntag, 27. Mai 2012

Hans Fallada / Damals bei uns daheim 5



Verlag: Aufbau Tb 2011
Seitenzahl: 383
9,99 €
ISBN-10: 3746627893

In der Familie Fallada gibt es so viele rührende Szenen, und möchte gerade mit einer beginnen. Hans befindet sich mit seiner Familie im Sommerurlaub an der See. Als die Kinder draußen in der Natur spielten, geriet Hans in eine ganz entsetzlichen Lage. Mit seinen Geschwistern spielte er mit Steinen und ein Stein davon war mehr ein runder Felsen, den Hans durch die Gegend drehte und dabei seine drei Finger der rechten Hand sich unter dem Fels zerquetschte. Er schrie ganz entsetzlich, doch die Geschwister rannten völlig hysterisch und aus purer Hilflosigkeit eher kopflos davon, statt dem Bruder zu helfen, was später durch den Vater ein Nachspiel hatte, ich aber darauf nicht eingehen werde.

Der Vater hörte den Schrei und kam schließlich angerannt, und erlöste seinen Sohn von der schweren Qual. Nun möchte ich den dazu folgenden Dialog zwischen Vater und Sohn gerne festhalten:

"Es tut verdammt weh, Vater", sagte ich. „Aber ich will nicht mehr weinen." Und mit plötzlichem Schrecken: "die Finger werden doch nicht abgenommen werden?"
"Nein, bestimmt nicht!" sagte Vater beruhigend. "Freilich, diese drei Nägel, die jetzt ganz blau - schwarz aussehen, wirst du erst einmal verlieren. Aber ich denke doch, sie werden wieder nachwachsen. Aber, wie ist denn das?" plauderte er fort und zog mich dabei unmerklich gegen das Haus, "es ist ja die rechte Hand, die du dir verletzt hast, Hans! Das ist aber schlimm für dich, da wirst du gar keine Schularbeiten während dieser Ferien machen können! Das ist ja furchtbar traurig für dich!"
Wieder schielte ich nach Vater. Ich sah die Fältchen um seine Augen, und nun brach ich trotz aller Schmerzen doch in ein Lachen aus. " Ja, ich bin schrecklich traurig, Vater", sagte ich lachend. "Ich wollte eigentlich jeden Tag mindestens drei Stunden arbeiten?" :Lachen:
"Daraus wird nun freilich nichts", sagte Vater. "Nun, ich hoffe, du wirst auch das wie ein Mann tragen."

Ich finde diese Textstelle so erheiternd und man merkt regelrecht, wie sehr der Vater seinen Sohn des Schmerzes wegen bemitleidet und er ihn mit den ausbleibenden Schularbeiten aufzubauen und aufzuziehen versucht, um damit seinen Schmerz ein wenig zu lindern.

Natürlich wollte Hans keine drei Stunden am Tag lernen und das wussten sowohl Vater als auch Sohn.

Eine weitere schöne Familienszene spielt sich zur Vorweihnachtszeit und zu Weihnachten ab. Die Kinder wünschen sich wie jedes Jahr einen schönen Weihnachtsbaum, keinen kleinen, sondern einer, der bis zur Decke hoch reichte. Fast tagtäglich begibt sich der Vater auf die Suche nach einem schönen aber billigen Weihnachtsbaum. Die Kinder sind enttäuscht, als er allabendlich ohne den Baum wieder zurückkehrte. Er tröstete sie mit immer neuen Geschichten. Wie gesagt, der Vater hatte großen Respekt vor Geld, und wollte keineswegs verschwenderisch sein. Doch die Gesichter der Kinder wurden immer trauriger. Man schrieb schon den vierundzwanzigste Dezember und immer noch kein Baum in Sicht. Nun begannen die Weihnachtsvorbereitungen und die Kinder wurden zum Spielen raus geschickt und durften nicht vor 18:00 Uhr zu Hause eintrudeln. In anderen Häusern sahen sie durch die Fenster die Weihnachtsbäume schon brennen und die Kinder waren traurig, dass sie dieses Jahr Weihnachten ohne einen Weihnachtsbaum feiern mussten. Als sie nach Hause kamen, klang aus dem Bescherungszimmer hinter der verschlossenen Tür eine raue Stimme: "Seid ihr auch alle artig?"
Wir brüllten begeistert:" Ja!"
Es folgten noch weitere Fragen, bis es hinter der Tür wieder still wurde.

Aber ein Geruch von brennenden Kerzen und Tannennadeln hat sich doch auf dem Flur verbreitet. Unsere Aufregung kann nun nicht mehr höher steigen. Ich tanze auf einem Bein wie ein Irrwisch umher, Ede sieht bleich vor Aufregung aus. Plötzlich geht er, fast finster vor Entschlossenheit, auf die Haushälterin Christa zu, nimmt ihre Hand und küsst sie!
Christa wird rosarot und reißt ihm die Hand fort. Die anderen brechen in ein verblüfftes Lachen aus.
"Warum hast du das denn bloß gemacht, Ede?“ ruft Mutter verwundert.
"Nur so!" Antwortete er ohne alle Verlegenheit. "Irgendetwas muss man doch tun, und mir war grade so! Man wird ja verrückt vor lauter warten!"

Mir hat diese Szene sehr gut gefallen, und ich hier einen Vater vorfinde, den sich wohl viele Kinder wünschen. Eine größere Freude hat der Vater seinen Kindern mit dem Baum gar nicht machen können, und damit so viel Liebe verbreitet, selbst bei dem kleinen Ede, der Christas Hand küsst. Und die Geschenke waren noch nicht mal ausgepackt... .

Jawohl, es ist doch wieder ein Weihnachtsbaum geworden, wie er sein soll, vom Fußboden bis zur Decke. Vater hat uns also doch wieder reingelegt, denn diesen Baum hat er bestimmt nicht erst in den letzten Stunden gekauft! Wo er ihn doch wohl nur so lange versteckt haben mag?! Im nächsten Jahr falle ich aber bestimmt nicht wieder darauf rein!

Aber dem Vater gelang es jedes Jahr, seine Kinder in eine große Spannung zu versetzen. Er war sehr fantasievoll und es fielen ihm immer tolle Ideen und Geschichten ein. Schön fand ich auch, dass die Kinder ihre Geschenke erst erraten mussten, indem der Vater zu jedem Geschenk eine Rätselfrage stelle.

Die Kinder wurden zu ihrem Wohle immer sehr gefordert, und die Fantasie angeregt, das war den Eltern sehr wichtig. Es gab also vor der Bescherung noch ein Vorspiel... . Man stellt sich vor, wie sehr die Beziehung unterhalb der Familienmitglieder in Liebe wuchs.

Es ist wieder Urlaubszeit und diesmal befindet sich Hans allein mit seiner Mutter auf einer kurzen Reise, die zu Hans´Großmutter führte, die Mutter seiner Mutter. Es war aber alles andere als ein Erholungsurlaub. Die Großmutter besaß solche antiquierten Vorstellungen, die recht eigen waren und sie damit nicht nur Hans, sondern auch seine Mutter überforderte... .

Auf einer gesellschaftlichen Veranstaltung lernte Hans ein sechsjähriges Mädchen kennen, mit dem er auf einem Spielplatz rannte und die Kleine durch eigenes Verschulden von der Wippe fiel und damit ihr rosa Kleidchen beschmutzte. Heulend rannte sie zu ihrer Familie und ließ dabei Hans zurück. Natürlich war Hans nun der Schuldige, der Böse und dies nicht nur in den Augen des Mädchens, sondern auch in den Augen der Erwachsenen. Hans kehrte nicht zu der Gesellschaft zurück, sondern hielt sich aber in deren Nähe auf. Hans´ Mutter ging auf ihn zu und verlangte von ihm, sich sowohl bei dem Mädchen, als auch bei dessen Angehörigen zu entschuldigen, zumindest aus Liebe zur Mutter.

Auf dem Rückweg kämpften Jungenstolz und Liebe zur Mutter in mir. Schließlich aber siegt die Liebe, trotzdem es mich hart ankam, meinen Stolz so vor einer ganzen Kaffeetafel zu demütigen. Unser Erscheinen wie meine ungeschickte Entschuldigung bei der Mutter des Mädchens wurden mit frostigem Schweigen aufgenommen. Großmutter schnüffelte kummervoll und sagte, auf Zustimmung hoffend: "Er ist doch ein lieber Junge!"
Aber niemand stimmte zu. (...)
"Und entschuldige dich doch bei dem Mädchen, Hans!“ sagte Mutter.
Ich gab dem kleinen verdreckten, rosenroten Äffchen die Pfote und sagte mein Verschen. Während ich dies tat, streckte mir der Fratz triumphierend die Zunge heraus. Die anderen konnten es nicht sehen, weil ich vor ihr stand. Ich war völlig davon überzeugt, dass alle Weiber minderwertige Geschöpfe seien, irgend einer Beachtung durch richtige Jungens nicht wert. (Mutter war natürlich ausgenommen. Aber Mutter war auch kein Weib. Mutter war Mutter!) :-) :-) :-)

Ich komme nun wieder auf die Familienbräuche zurück, da Fallada dem ein ganzes Kapitel gewidmet hat. Ich beschränke mich aber auf den Gebrauch von Büchern. Die Familie besitzt knapp fünftausend Bücher, davon dreitausend der Vater, tausend die Tochter Elisabeth, achthundert der Sohn Eduard und der Rest verteilte sich auf die anderen beiden Kinder. Elisabeth war eine eifrige Leserin, sie las so viel, dass andere Pflichten völlig zu kurz kamen, wie zum Beispiel Schule und Familie. Tausend Bücher für eine Jugendliche, das ist schon enorm. Doch nun folgt eine Textpassage über den Umgang und Haltung zu und mit den Büchern, die mir auch recht gut gefallen hat:

Bei uns wurden Bücher nicht nur gesammelt, sondern auch gelesen. Um sie zu diesem Zweck jederzeit auffinden zu können, mussten sie in Reihen übersichtlich aufgestellt werden. Schon Doppelreihen waren verpönt, so sehr auch Platzmangel die Tiefe mancher Regale dazu verlocken mochten. Das Auge musste alle Schätze stets vor sich haben, es genügte nicht, sie im Dunkeln hinter einer anderen Bücherreihe vegetierend zu wissen. Auch Bücher hinter Glas oder gar hinter Schranktüren durften nicht sein, ein Buch wollte nicht gesucht werden, es musste für die Hand bereitstehen. All diese Leitsätze der Bücheraufstellung waren vom Vater praktisch erprobt, er konnte auch sehr fließend darüber sprechen, wie Bücher zu ordnen seien…
infolge dieser etwas weitläufigen Ausstellung breiteten sich auch bei uns die Bücher allmählich über die ganze Wohnung aus, es gab in jedem Zimmer welche, und mein Auge hat sich von Kind auf so daran gewöhnt, dass mir noch heute ein Zimmer ohne Bücher nicht so sehr nackt wie viel mehr unbekleidet vorkommt.

Die Familie hielt auch mehrere Bedienstete im Haus, und eine davon machte sich heimlich an die Bücher heran, die sie aus der Bibliothek ausleihend entwendet hatte, um sie draußen bei Ihren Freunden und Bekannten gegen Entgelt auszuleihen. Sie brachte die Bücher immer wieder zurück, nahm sich dafür wieder andere. Damit sparten diese Leute die Ausleihgebühr in Bibliotheken, die sie ja nun nicht mehr aufzusuchen brauchten. Irgendwann fliegt alles mal auf, so auch hier der Bücherraub auf Raten, als die Familie Verdacht schöpfte, der auf die Bedienstete fiel und sie geschickt aufgelauert wurde. Natürlich hatte diese Frau alle Bücher wieder zurückzugeben und sie wurde fristlos entlassen. Dazu der Vater Fallada:

"Der eine Gedanke aber tröstet mich", sagte Vater nachdenklich. "All diese Leser haben aus unserer Leihbibliothek nicht ein schlechtes Buch bekommen. Damit stehen wir hoch über der ganzen Konkurrenz.

Ich komme wieder auf die verbotene Lektüre Karl Mays zurück. Nicht nur mir, sondern auch Hans ist unverständlich geblieben, weshalb Karl May zu der verbotenen Literatur gehörte. Auch hierzu möchte ich eine längere Textstelle wiedergeben:

Übrigens Karl May - es ist mir heute noch unverständlich, warum ein sanfter, nicht gerne etwas verbietender Vater eine so tiefe Abneigung gerade gegen diesen Autor hatte. Er war darin unerbittlich. Wir durften uns nie einen Karl May ausleihen, und als Onkel Albert dem Ede und mir ein paar Bände Karl May geschenkt hatte, mussten wir sie beim Familienbuchhändler in schicklichere Lektüre umtauschen.
Vater hat damit nur erreicht, dass meine Liebe zu Karl May immer weiter unter der Asche schmierte. Als ich dann ein Mann geworden war und ein bisschen Geld hatte, habe ich mir alle fünfundsechzig Bände Karl May auf einmal gekauft. Während ich dies schreibe, stehen sie grün golden aufmarschiert in der Höhe meines rechten Knöchels. Ich habe sie nun alle gelesen, nicht nur einmal, sondern mehrere Male. Jetzt bin ich gesättigt von Karl May, ich werde sie kaum wieder lesen.
Ich kann nur vermuten, woher dieses Verbot rührt, da ich aber meine Vermutung an keiner Textstelle festmachen kann, und mir dadurch Beweise fehlen, behalte ich diese für mich.
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Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

Gelesene Bücher 2012: 35