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Dienstag, 16. Oktober 2012

Anchee Min / Madame Mao (1)

Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre

Ich habe das Buch soeben beendet und es hat mir ganz gut gefallen. Hauptsächlich auch weil ich von Maos Frau so noch gar nichts wusste. 

Ich habe Mao in der Familie nicht so brutal erlebt wie in der Gesellschaft. Er hatte durchaus warme und väterliche Züge, aber die hatte Hitler ja auch... . Maos Politik wurde viel von Hitlers Politik abgeguckt... . Erstaunlich, dass Politiker dieser Art nicht nur etwas Abschreckendes haben, sondern für manch Andere gelten diese als Vorbild, weil sie selbst mit solchen zerstörerischen inneren Potentialen behaftet sind. 


Das Buch beginnt mit einem Prolog, endet aber nicht mit einem Epilog. 


Der Prolog wird in der Ich-Perspektive von Madame Mao gesprochen, siehe dazu weiter unten im Blog - Post  "Buchvorstellung".


Nach dem Prolog wechseln sich ErzählerIn und Protagonistin ab, um das Leben der Madame Mao darzustellen.

Diesen Schreibstil fand ich nicht uninteressant aber doch gewöhnungsbedürftig, weil man immer wieder springen musste, von der Madame Mao zur Erzählerin und umgekehrt.

Ich nenne sie hauptsächlich Madame Mao, da sie schon so viele Namen gewechselt hat, was in China üblich ist, Identitäten zu wechseln. Vor Mao nannte sie sich Lan Ping.


Auf den ersten einhundertfünfzig Seiten erfährt man ausschließlich über die Kindheit und Jugendzeit der Protagonistin, die alles andere als rosig war. Schon das Leben ihrer Mutter war dermaßen vorbelastet und trist, was sich in ihr Leben quasi fortsetzte. Die Mutter war nicht mehr als eine Konkubine, eine Geliebte des Vaters des Mädchens, der sie verließ und das Kind  ihn nicht einmal kannte. Hätte die Mutter einen Sohn geboren, wäre die Wahrscheinlichkeit größer gewesen, von dem Mann nicht verstoßen zu werden. Und so wurde es schwierig für die Mutter, für sich und für das Kind zu sorgen.


Das Leben einer Frau in China war keineswegs einfach. Viele Männer rächten sich an ihren Frauen, wenn sie ihnen keinen Sohn geboren haben, so auch die Mutter von der Madame Mao. In China gibt es ein Sprichwort, das sich hauptsächlich Frauen zu Herzen nehmen. Frauen sind wie Gras und nur dazu da, damit man auf sie drauf tritt. 


Lan Ping, die 1919 zur Welt kam, war schon als Kind irgendwie etwas Besonderes, indem sie anfing, sich gegen sinnlose Bräuche und Traditionen aufzulehnen. Im Alter von zwei Jahren bereitete ihre Mutter sie vor, ihre kleinen Mädchenfüße in ein für Mädchenfüße vorgesehenes, schmerzehaftes Raster zu stecken, um das Wachstum zu verhindern. Die Kinderfüße waren über mehrere Wochen quasi eingesperrt. Das Mädchen wehrte sich und befreite sich eigenmächtig von der Qual. Die Tortour sollte die Füße klein halten und Symbol dafür sein, dass die zukünftige Frau bereit sei auf ein demutsvolles Laben als Ehefrau, und als Mutter ... .


Lan Ping verlor nach ein paar Jahren den Kontakt zur Mutter, da sie nicht mehr in der Lage war, sich und das Kind zu ernähren. Das Kind wurde den Großeltern übergeben, während die Mutter die Familie verließ.


Als das Kind über die Art und Weise erfährt, wie ihre Mutter ihr Geld verdient, denkt sie recht abfällig von ihr. Erst Jahre später entwickelt sie der Mutter gegenüber Mitgefühl, als sie selbst an der eigenen Haut zu spüren bekommt, wie schwer es Frauen in der chinesischen Gesellschaft haben zu existieren.



Ich weine mitten in einem Akt. Was unterscheidet mich von den Prostituierten auf der Straße.? Solche Gedanken kommen mir dabei. Ich habe meiner Mutter Unrecht getan. Ich dachte immer, ihr Leben sei verpfuscht, weil sie etwas falsch gemacht hat. Jetzt weiß ich, dass eine Frau alles richtig machen kann, und ihr Leben ist trotzdem verpfuscht.

Nach dem etwas aus der Kindheit geschildert wurde, erfahre ich recht viel über ihr Liebesleben. Sie ging vier Ehen ein, die vierte war die mit Mao. Sie war ein Leben lang auf der Suche nach Liebe, nach Wertschätzung und nach Anerkennung:


1930 fühlt sie sich als Pfau unter Hühnern. Ihr Leben ist der Beweis. Manchmal, sagt sie sich, muss man sich in einen Hühnerstall stecken lassen, um Wertschätzung und Anerkennung zu finden.

Ich finde diese Bilder so schön, diese Vergleiche empfinde ich als recht ausdrucksstark. 

Die junge Frau möchte Schauspielerin werden und gibt alles, was sie nur geben kann. Sie erhält kurzfristig die Hauptrolle von Ibsen Nora oder Ein Puppenhaus. Sie identifiziert sich mit Nora, spielt dadurch ihre Rolle ausgezeichnet. Sie vergleicht China mit Torvald, sieht jede Menge Parallelen. Torvald, der Ehemann von Nora. Er infantilisiert Nora, liebt sie nicht wie eine Ehefrau, sondern mehr wie eine Tochter. Er verniedlicht sie oft und macht sie von sich abhängig  Nora will sich von dieser Abhängigkeit befreien, und sehnt sich danach, gleichberechtigt als Frau neben ihm zu stehen. Wenn man das Theaterstück kennt, kann man diesen Vergleich Torvald zu China ziemlich gut nachvollziehen, und ich finde, dass der Vergleich tatsächlich gut gewählt ist. 


Bald ist "Nora oder Ein Puppenhaus" Stadtgespräch in Shanghai. Das Stadtgespräch des Jahres 1935. Lan Ping lässt sich von der Woge ihres Ruhms tragen und beginnt sich der Filmindustrie anzunähern. Aber sie ist dort nicht erwünscht. Es ist ein anderer Kreis, eine andere Clique. Sie muss wieder bei Null anfangen. Tagsüber sieht sie sich nach Möglichkeiten beim Film um, abends spielt sie die Nora. Das Publikum wächst, und die Regierung fühlt sich durch die politische Wirkung des Stücks bedroht. Nach vier Wochen wird der Theaterintendant von der Zensurbehörde aufgefordert, die Aufführung zu entpolitisieren. Als er die Truppe zum Protest aufruft, wird das Stück abgesetzt.In einem offenen Brief kritisiert die Truppe das Vorgehen der Regierung. Lang Pings Unterschrift steht an erster Stelle. Mit gleicher Leidenschaft, im gleichen Ton wie auf der Bühne spricht sie im Rundfunk und auf Kundgebung. Sie nennt die Regierung "Torvald".

Später werden diese Vergleiche noch weiter bekräftigt, als Lan Ping  Mao Zedong zu ihrem Mann nimmt. Noch immer war Lan Ping auf der Suche nach Liebe und Anerkennung und sehnte sich nach der Macht ihres Mannes, wollte als politische Frau neben ihm stehen und mitagieren, doch außer väterliche Gefühle konnte er sie nicht zu seiner politischen Partnerin machen. Doch diese väterliche Gefühle reichten ihr vorerst voll und ganz aus, später dagegen fühlte sie sich nicht mehr wirklich befriedigt und als Frau ignoriert. 


Er ist eine Vaterfigur für mich. Er ist alles, was ich mir immer von einem Mann gewünscht habe. Als Vater ist er weise, liebevoll und Respekt einflößend. Als ich ihn fragte, warum er sich entschlossen hat, mich zu heiraten, lautete seine Antwort, dass ich einen Hahn dazu bringen könnte, Eier zu legen. (…) Später, viele Jahre später wird mir klar, dass er lieber mit der Fälschung lebt als mit dem Original. Als junge Frau aber war ich schlicht und begeisterungsfähig. Ich muss nicht alles verstehen diesen Gott, dessen Wesenskern außerhalb meiner Reichweite liegt.

Die Manipulationen an das Volk verstärken sich immer mehr. Wenn ein Gefolterter stirbt und die Wächter nicht haben das erwartete Geständnis herauspressen können, so hieß es, den Geist des Toten zu weiter foltern.
Bei den Lebenden war Maos Ziel, den Geist des Volkes zu tätowieren. Auch hier finde ich die Vergleiche recht ausdrucksstark. 

Eigentlich ist die Philosophie Maos gar nicht so schlecht,  nur wenn sie dogmatisch und diktatorisch wird, ist es kriminell. Der Hintergrund seiner Ideen war nichts anderes, als Bauern und Arbeiter mit den Reichen gleichzustellen und ihnen die gleichen Rechten zugestehen. Sie sollten für ihre harte Knochenarbeit gegenüber den Akademikern auf Lohnebene nicht weiter benachteiligt werden.



Mao startet eine Kampagne mit Hilfe der Medien. Die Kulturrevolution muss ein Seelen-Reinigungsprozess sein (...). Die alte Ordnung muss abgeschafft werden. Ein Arbeiter sollte kostenlos in die Oper gehen können; der kranke Sohn eines Bauern sollte  die gleiche medizinische Behandlung bekommen wie sein Provinzgouverneur; ein Waisenkind sollte die beste Ausbildung erhalten; Alte und Behinderte sollten in den Genuss kostenloser ärztlicher Versorgung kommen.

An an diesen Ideen finde ich nichts Anstößiges auszusetzen. Nur leider hat sich Mao verkalkuliert und Akademikern zu seinen Feinden gemacht. 

Doch sowohl die Bauern, als auch die Arbeiter wurden durch seine Macht immer ärmer und Akademiker hat er versucht auszurotten, wenn sie  in Arbeitslagern nicht umzuerziehen waren. Große Vorurteile herrschte zwischen den Arbeitern, Bauern zu den Akademikern. Die Arbeit der Akademiker wurde nicht als Arbeit verstanden. Diese Vorurteile findet man noch heutzutage auch in europäischen Gefilden. Geistige Arbeit wird auch heute noch von vielen Menschen nicht als Arbeit verstanden. Maos Vater war selbst Bauer und sehr autoritär. Mao besuchte nicht lange die Schule und eignete sich später vieles autodidaktikisch an. Neidisch auf die Bildung der Gebildeten? Neidisch auf deren Löhne und Gehälter? Große Vorbilder fand Mao in Marx und Lenin... . Im Folgenden ein Beispiel, wie Mao zu Büchern steht:



Ich nehme solche Bücherwürmer nicht all zu ernst (…). Was kennen solche Leute schon? Wörterbücher? Was ist ein Wörterbuch anderes als eine Ansammlung von Seiten voller toter Wörter? Können sie Reisschößlinge von Unkraut unterscheiden? Bücherwurm kann jeder werden, aber Koch oder Metzger nicht! Ein Buch hat keine Beine, man kann es jederzeit auf- oder zuklappen. Ein Schwein hat Beine, mit denen es laufen, und eine Stimme, mit der es schreien kann. Der Metzger muss es einfangen und Schlachten. Der Koch muss aus dem stinkenden Fleisch einen leckeren Braten machen. Das sind echt Talent.

Madame Mao bezeichnet den Diktator als ein wissenschaftlicher Analphabet. Auch dieser Vergleich finde ich gut.
Nach ein paar Jahren fühlt sich Lan Ping (Madame Mao) in der Ehe mit Mao nicht mehr ausgefüllt. Sie hungert nach Macht. Sie sehnt sich danach, Chinas stärkste Frau zu sein. Mao verweigert sich noch immer, sie als politisierende Partnerin dem Volk vorzustellen. 


Er liegt mit geschlossenen Augen da. Sie redet weiter. Beschreibt ihre Gefühle - dass sie sich vorkommt wie unter Wasser; ihr Herzschlag bildet Ringe an der Oberfläche. Dass sie nicht weiß, was aus der Liebe geworden ist, für die sie lebt. Sie redet und redet, als müsste sie zusammenbrechen, wenn sie aufhört. Ich bin ein sterbender Same in einer Frucht. Alle sind höflich zu mir, weil ich deine Konkubine bin. Eine Konkubine - keine Revolutionärin, keine Soldatin, nichts dergleichen. Deine Leute haben keinen Respekt vor mir. Ich bin alles, und doch bin ich nichst. Ich bin dir wie ein Hund gefolgt. Mehr habe ich nicht zu bieten. Mein Körper und meine Seele sind dein Rastplatz.

Madame Mao war an sich kein böser Mensch, denn auch sie brachte einige Menschen in die Folterklammer, wenn bestimmte Personen sie als ihre Rivalen sah... Rivalen, die ihr das Glück zerstören hätten können, etwas, was sie nie besaß. Autorität und Anerkennung. Macht. Macht setzte sie mit Liebe gleich. Sie war ein Leben lang auf der Suche nach Liebe, und ist niemals gesättigt worden. Sie hat die Erziehung ihrer Tochter vernachlässigt  weil sie selbst als ein bedürftiges Wesen zu sehr mit sich beschäftigt war. Auch vom Volk wollte sie geliebt werden, da Geliebtsein für sie gleichgesetzt war mit Gefühlen der Anerkennung und der Wertschätzung. Liebe hatte einen hohen Preis, den man nicht selbstlos erhielt, aber sie erhielt die Liebe auch nicht durch Kampf, den sie ein Leben lang führte.


Menschen, die als Kinder nicht mit Liebe genährt wurden, bleiben größtenteils ein Lebenlang suchende Wesen. Viele verlagern ihre Suche nach außen hin, suchen unbewusst einen Mutter- oder Vaterersatz. Die wenigstens gehen nach innen, um sich selbst Mutter oder Vater zu werden, auch um im Inneren eine eigene Quelle der Liebe zu finden. Wer diese Quelle im  Inneren  findet, wird nicht mehr enttäuscht werden, während die Liebe im anderen Menschen gesucht keine Garantie für Beständigkeit ist. Der liebende Mensch im Außen bleibt immer unberechenbar. 
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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

Gelesene Bücher 2012: 73
Gelesene Bücher 2011: 86


Freitag, 12. Oktober 2012

Anchee Min / Madame Mao




Gebundene Ausgabe: 347 Seiten

Verlag: Scherz (2002)

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3502104719





Klappentext



Im Gedächtnis vieler Menschen ist sie die weißknöchrige Teufelin, ehrgeizig, unversöhnlich und grausam. Wer Madame Mao wirklich war, bleibt Phantasie und Geheimnis. Dieser Roman erzählt auf unvergleichlich brillante Weise die Geschichte einer Frau, die wie keine andere in China eine ganze Generation geprägt hat und zu den faszinierendsten Frauen des 20. Jahrhunderts gehört. Anchee Min blickt tief in Madame Maos Seele und verleiht einer überaus talentierten, leidenschaftlichen, zornigen Frau eine Stimme.»Liebesgeschichte und politisches Epos zugleich. Die Geschichte der Madame Mao, einer stolzen Schönheit, die zur mächtigsten, meist gefürchteten und schließlich geächteten Frau in China wurde.« (ELLE) 

 Das Buch habe ich bei Oxfam für 3,50 € entdeckt und musste es unbedingt mitnehmen. Viel habe ich schon gelesen über den Diktator Mao Zedong, und seine Kulturrevolution in China aber noch gar nichts über seine langjährige Frau. Ich habe den Prolog schon mal gelesen und ich finde es interessant  dass Maos Frau 38 Jahre lang gebraucht hat, bis sie ihn durchschaut hatte. Eigentlich erst nach seinem Tod.


Madam Mao, die gerade im Gefängnis sitzt, und der das Todesurteil wiederholt hinausgeschoben wurde mit der Hoffnung, sie werde über ihre Straftat Reue zeigen. Sie bat stattdessen ihre Tochter darum, eine Biografie über ihr Leben zu schreiben, um der Öffentlichkeit zu zeigen, wer sie wirklich war und wie sie die Lügen ihres Mannes noch durchschauen konnte. Doch die Tochter, die ihre Mutter als Feindin sieht, verweigerte sich.

Es hat sich jemand anderes gefunden, Anchee Min, die diese Aufgabe übernahm. 

Das wird nun meine neue Wochenendlektüre. Ich habe zwar am Wochenende ausnahmsweise wenig Zeit zum lesen, habe aber dafür bis Dienstag Abend Zeit, das Buch durchzubekommen.