Montag, 9. Januar 2017

Astrid Lindgren / Kati in Amerika Italien Paris (1)

Lesen mit Anne


Ein Veriss …

Nun habe ich alle drei Bände zu Ende gelesen, und ich muss sagen, dass ich ein wenig enttäuscht bin. Das Buch wimmelt geradezu von Klischees, Stereotypen und jede Menge Vorurteilen. In Amerika und in Italien sind es überwiegend negative Klischees, während Paris ausschließlich mit positiven Klischees betrachtet wird.

Die junge Protagonistin Kati umschwärmt Paris dermaßen, wie sie diese Stadt aus der Reisebeschreibung und aus belletristischen Büchern erfahren hat. Von Italien und von Amerika waren die Beschreibungen eher negativ besetzt, von denen Kati und ihre Freundin Eva stark beeinflusst waren, ohne wirklich die Hintergründe eines Landes zu kennen.

Kati und Eva machen sich schon von vornherein mit einer stark selektierten Wahrnehmung auf die Auslandseisen.

ItalienerInnen? Ein albernes, fröhliches Volk? Viele wissen gar nicht, wie schwer es die Menschen dort unter der Führung einer ewig korrupten Regierung haben und wie hart das Leben dort in Wirklichkeit ist.

Außerdem versuche ich mir das Land Italien vorzustellen, in dem es nur kleine Leute gibt, allesamt dunkelhäutig, fast schwarzhäutig, alle wild gestikulierend, alle heißblütig, alle unehrlich, ItaliernerInnen, die sogar, mal ganz salopp gesagt, zu blöd sind, Spaghetti auf die Gabel zu schaufeln … Nein, so ein Italienbild ist mir absolut fremd. Habe ich doch als Kind meine Sommerferien in Italien zugebracht, und die Menschen waren alle sehr verschieden, sowohl vom Äußeren her, blond, braun, schwarzhaarig etc.  als auch vom Auftreten her … Aber diese Klischees bekommt man einfach nicht aus den Köpfen raus, weil sie zu sehr in den Medien verankert sind, auch in vielen Büchern, in denen die Welt nur in Schwarz-Weiß-Facetten beschrieben wird. Und die meisten Menschen favorisieren diese Klischees, es ist bequem, mit ihren naiven Theorien ihr Weltbild verständlich zu machen. 

In Amerika vergleicht Kati schwarze Kinder mit kleinen Ferkelchen. In ihrer Heimat hielt sie die Ferkelchen für die süßesten Tiere, bis sie schließlich in Amerika zum ersten Mal kleine schwarze Kinder trifft, die sie für noch süßer hielt als die Ferkelchen. Hier hätte ich das Buch schon längst zugeklappt, wenn es eine andere Autorin geschrieben hätte …
Auch in Amerika sind nicht alle Menschen gleich. Nicht alle sind Millionäre, nicht alle lassen sich liften, nicht alle sind Rassisten, nicht alle sind kühl von ihrem Temperament her ... Und auch in Amerika gibt es sehr viele Menschen, die hart für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen.  Auch in Amerika ist die Obdachlosenquote recht hoch …
Anfangs waren Anne und ich erfreut von dem Humor, den man in den Büchern vorfand, aber schließlich verschwand unsere Begeisterung recht schnell, weil sich der Humor hauptsächlich auf Kosten anderer Menschen belief.


Mein Fazit zu dem Buch?

Kathi und Eva bereisen fremde Länder, wie es die meisten Menschen tun. Sie haben im Kopf jede Menge Vorstellungen, was sie von dem fremden Land erwarten. Viele vergleichen die fremden Länder mit den eigenen Maßstäben. Dadurch können sie aber einem fremden Land niemals gerecht werden. Sie stehen dem fremden eher kritisch und dem eigenen Land unkritisch gegenüber.

Damit wird die eigene Kultur verherrlicht, während die andere Kultur, die sich erheblich von der eigenen Kultur unterscheidet, abgewertet wird.

Es hat ein paar Tage gedauert, bis Anne und ich uns gegenseitig eingestanden haben, von diesen Lindgren-Büchern enttäuscht zu sein.

Ich hätte das Buch längst abgebrochen, wären diese drei Bände nicht von meiner Lieblingsautorin Astrid Lindgren geschrieben worden. In Zukunft halte ich mich nur noch an ihre Kinderbücher. Und diese vorliegenden Reisebände würde ich keinem Jugendlichen zukommen lassen. Können wir, Anne und ich, nicht empfehlen.

Ich wünsche jedem Menschen, der gerne reist, sich frei zu machen von den vielen Vorstellungen, die er im Kopf mit sich trägt. Und selbst wenn die Erfahrungen in einem Land schlecht ausfallen sollten, sollte man nicht alle Menschen dieses Landes für diese unschönen Erfahrungen verantwortlich machen. In jedem Land leben verschiedene Menschen, in jedem Land gibt es schöne Orte und weniger schöne Orte. Liegt an jedem selbst, diese differenziert zu entdecken. Wem das nicht gelingt, der sollte am besten zu Hause bleiben. In der Psychologie sagt man, man trifft die Menschen, die zum eigenen Weltbild passen. Wenn jemand denkt, dass alle Menschen schlecht sind, dann trifft dieser auch nur Menschen, die schlecht sind, damit sein Welt- und Menschenbild jederzeit bestätigt wird. 😂

Besäße ich eine schriftstellerische Begabung, dann würde ich mit der Feder ein buntes Italien porträtieren, so wie ich dieses Land als Kind erlebt habe. Da ich aber diese Begabung nicht habe, möchte ich wenigstens auf diese Missstände in den Büchern als kritische Leserin aufmerksam machen.

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
0 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
0 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus


Ich gebe dem Buch sechs von zehn Punkten.


Und hier geht es zu Annes Buchbesprechung. 



2 Kommentare:

Anne hat gesagt…

Ja, liebe Mira, das war eine Enttäuschung. Dass Astrid Lindgren so eine Denkweise an ihre jungen Leser weitergibt, hätte ich nicht gedacht.

Querleserin hat gesagt…

Liebe Mira,
da sieht man mal, wie unkritisch ich als junges Mädchen war. Habe die Romane als 12-oder 13-jährige gelesen und sie sehr gemocht. Würde sie heute sicherlich nicht mehr so gut finden.
Liebe Grüße,
Tina