Montag, 25. April 2016

Michael Degen / Der traurige Prinz (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch fand ich sehr spannend. So viele interessante Themen und Gedanken wurden darin angeschnitten und besprochen. Als es allerdings um die Schauspielerei ging, zwei Profis, die sich über ihr Metier austauschen, war ich ein wenig überfordert, ich konnte diesbezüglich so gar nicht mitreden …

Zwei Schauspielkollegen verbringen die ganze Nacht zusammen mit reichlich viel Wein in der Wohnung von Oskar Werner und betreiben dort Konversation, wobei Michael Degen eher dazu gezwungen wurde, die Nacht mit dem schroffen und leidigen Werner dialogisch und monologisch auszuharren ...

Allerdings die Lebensbeschreibungen, wenn auch eher in Fragmenten, fand ich zu beiden recht interessant. Wobei Michael Degen sich eher bedeckt hielt. Ihm war es wichtig, sich über seinen Kollegen auszutauschen, aber manchmal brachte O. W. ihn doch dazu, etwas von sich zu offenbaren, und so gab Degen von sich ein paar wenige, aber sehr bedeutende Lebensereignisse preis.

Ich habe die Buchvorstellung auf Facebook, in unseren Literaturkreis, gepostet. Eine Userin machte mich daraufhin auf den Film Fahrenheit 451 aufmerksam, in dem Oskar Werner die Hauptrolle spielt. Ich kannte den Film bisher nicht, habe aber das Buch von Ray Bradbury vor langer Zeit gelesen. Ich habe mir sogleich auf Amazon die DVD bestellt und freue mich sehr darauf.

Ein paar Seiten später sprechen die beiden Schauspieler sogar selbst über diese Buchverfilmung. War ja eigentlich zu erwarten.

Oskar Werner war in seinem Beruf als bedeutender österreichischer Film- und Bühnenschauspieler recht erfolgreich. Mit fünfzehn Jahren bekam er seine erste Rolle im Wiener Burgtheater. Aber er wirkte in dem Gespräch mit Michael Degen ein wenig verbittert, und er schien ein schwer umgänglicher Zeitgenosse gewesen zu sein. Am Leben gescheitert? Oskar Werner hatte keine besonders schöne Kindheit. Er ist kein Wunschkind gewesen, was ihm schwer zu schaffen machte. Seine suizidgefährdete Mutter hätte ihn abgetrieben, würde es ihre Konfession zulassen. Die Eltern, die keine glückliche Ehe führten, trugen ihren Zwist vor dem Jungen aus. Das Kind verkroch sich unter den Tisch, während sie sich stritten … Auch der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg hinterließen zusätzlich Spuren in Werners Seele. Er wurde 1922 geboren, ein Jahr vor Hitlers Putschversuch ... Das Leben bezeichnete er selbst als die reine Hölle und zitiert Dantes Inferno, das im Vergleich dazu nichts dagegen sei.

Während des Zweiten Weltkriegs, als er noch ein junger Mann war, sah er sich als Nazigegner gezwungen, zu desertieren, auch wenn er damit sein Leben riskierte. Gefangengenommene Deserteure wurden von den Nazis kurzerhand niedergeknallt, wie dies aus den Gesprächen zu entnehmen war. Aber Werner hatte Glück, er und seine junge Familie konnten diese schweren Zeiten überleben … Psychisch gesehen hatte aber Oskar Werner durch die vielen schlechten Lebensumstände einen Schaden genommen und um diesen nicht zu spüren, griff er zum Alkohol, mit dem er bis zu seinem Tod, 1984, sein Leben ein wenig erleichtern wollte ... Beruflicher Erfolg kann zum inneren Frieden beitragen, ersetzt aber keine anderen inneren Werte, die der Mensch braucht, um zu einem glücklichen Leben zu kommen.

Oskar Werner bedeutete seine Schauspielerei alles. Mit dem Theater sei er verheiratet, der Film aber sei seine Geliebte. Diese Vergleiche fand ich sehr schön und sie zeigen, wie sehr er mit seinem Beruf verbandelt war.

Probleme hatte er mit seinem Familiennamen Bschließmayer, mit dem er sich keine Karriere als Schauspieler vorstellen konnte:
Wie beginnt man denn sein Leben, wenn man mit dem Namen Oskar Josef Bschließmayer auf die Welt kommt? Wenn ich heute darüber nachdenke, wäre ich am liebsten gleich wieder in den Mutterleib zurückgekrochen. Was für eine Karriere hätte man mit einem solchen Namen schon machen können, wenn man, einmal angenommen, kein Komödiant hätte werden wollen? 
Dieses Zitat musste ich unbedingt rausschreiben. Die Sehnsucht, wieder zurück in den Mutterleib zu kehren, ist für mich psychologisch gesehen sehr prägnant und zeigt die innere Not, die dieser Mensch ein Leben lang erlitten hat.

Oskar Werner sollte also sein Künstlername werden. 1946 wurde der Name amtlich beglaubigt. Wie er zu dem Namen Werner kam, das lasse ich offen, da ich nicht zu viel verraten darf. Hat aber etwas mit Werner Kraus zu tun …

Auch wenn mir manche Gespräche über die Schauspielerei zu hoch waren, konnte ich doch auch für mich Interessantes finden, vor allem als Oskar Werner sich gedanklich zu anderen SchauspielerInnen äußert. Zum Beispiel sei Werner Kraus Schauspieler geworden, um nicht er selbst zu sein. Das fand ich irgendwie psychologisch interessant. Ein Mensch, der nicht er selbst sein möchte, und permanent in andere Identitäten flüchtet. Ich versuchte, mir so eine Persönlichkeit vorzustellen. Anders bei O. W., der nur eine Rolle wirklich gut spielen konnte, wenn er einige ihrer Charakterzüge bei sich selbst wiederfinden konnte.

Außerdem bezeichnete O. W. Werner Kraus politisch als einen Nazimitläufer … Vielleicht aber hatte Werner Kraus keinen Mut, diese antisemitischen Rollen zu boykottieren … Ein Mensch, der vor sich selber flieht, ist nicht stabil genug, sich gegen Autoritäten zu widersetzen. Und schon gar nicht gegen so eine Verbrecherregierung, wie das Nazideutschland sie war, in dem alle Menschen eliminiert wurden, die nicht in dieses System passten. Vielleicht ist Werner Kraus doch kein Antisemit gewesen, er hatte eben nur Angst vor einer Hinrichtung …

Ein weiteres Zitat, das zu meinem obigen Gedanken passt, möchte ich unbedingt festhalten. Gedanken aus der Sicht von O. W.:
Wenn jemand gut ist und ein Nazi, dann ist er nicht intelligent. Wenn jemand intelligent ist und ein Nazi, dann ist er nicht gut. Und wenn jemand gut und intelligent ist, dann ist er kein Nazi. 
Richtig spannend fand ich auch zusätzlich die vielen provokativen Fragen, die O. W. an seinen Gesprächspartner Michael Degen gestellt hat. Ich musste so schmunzeln, als er fragte, ob Michael Degen nicht neidisch auf ihn gewesen sei, wegen der besseren Rollen, die ihm zugewiesen wurden? Oder wegen seiner erfolgreichen Filme in Hollywood? Ich fand, dass Degen sehr souverän diese Fragen beantworten konnte …

Ja, zwischen diesen beiden Schauspielern schien O. W. der Erfolgreichere gewesen zu sein, aber der Glücklichere war für mich nach meiner Beobachtung durch dieses Buch auf jeden Fall Michael Degen. Er wirkte viel gelassener und ausgeglichen. Ein jüdisches Kind, das den Nationalsozialismus überlebt hat. Auch er war Opfer seiner Zeit. Aber Degen kommt aus einem stabileren Elternhaus, in dem er sich geliebt gefühlt hat ...

Hier mache ich nun Schluss. Jedem Fan von Michael Degen und Oskar Werner kann ich zu diesem Buch raten. Ein paar wenige Gedanken habe ich herausgeschrieben, aber zu entdecken gibt es noch jede Menge weitere.


Mein Fazit?

Mich stimmt das Buch noch immer sehr nachdenklich. Traurig fand ich, als O. W. seine Schauspielkarriere durch den Alkohol beenden musste. Er schaffte es nicht, seinen inneren Frieden zu finden. Eine große Blamage auf der Bühne führte durch verschiedene geistige Aussetzer zu seinem letzten Auftritt ... Ich hatte tiefes Mitgefühl, als sich die Zuschauer über ihn lustig machten und ihn auf der Bühne auslachten. Andere Besucher ergriffen in der Pause regelrecht die Flucht ...

Michael Degen ist es sehr gut gelungen, diese Konversation zwischen ihnen beiden zu porträtieren. Ich bin auf seine weiteren Werke gespannt. Hauptsächlich autobiografische.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.


Weitere Informationen zu dem Buch:


Ich möchte mich recht herzlich für dieses zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar beim Rowohlt-Bücherverlag bedanken.

  • Taschenbuch: 256 Seiten
  • Verlag: Rowohlt Taschenbuch Verlag (22. April 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3499242052
  • ISBN-13: 978-3499242052

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Ich hätte zwei Leben gebraucht,
doch ich habe nur eines gehabt.
(Spruch auf einem Grabstein)
(Bernardo Atxaga)

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