Sonntag, 13. März 2016

Roger Willemsen / Kleine Lichter (1)


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich schon letzten Donnerstag ausgelesen ...

Jede Menge geistige Ergüsse, von denen ich bis zur Hälfte des Buches sehr angetan war. Es beschlich mich eine große Anfangseuphorie, bis ich irgendwann müde wurde von zu vielen guten Gedanken, die immer mehr inflatierten. Hat sich angefühlt wie ein Willemsen-Burn-out :-).

Das Buch umfasst 240 Seiten im Miniformat. Dicker hätte es nicht sein dürfen. 240 Seiten Monologe, die aufgingen in Selbstreflexionen und Selbstgespräche. Natürlich galten diese Gedanken, wie schon aus dem Klappentext hervorgeht, einem komatösen Liebhaber namens Rashid. Diese Gedanken wurden auf Kassette gesprochen und dem Patienten aufgelegt, wenn Valerie, dessen Geliebte, nicht am Krankenbett  sein  konnte. Die Kassetten sind aus meiner Sicht verseucht mit zu vielem intellektuellen Bla, Bla, Bla …

Wäre ich dieser Patient, da wollte ich nicht wieder aufwachen, wenn ich mit so vielen Gedanken erschlagen werden würde. Die Icherzählerin Valerie sieht das aber anders, denn sie ist der Auffassung, dass die Gedanken über die Liebe ihrem Geliebten guttun würden:
 Ich habe dir nichts zu sagen, denkst du, oder immer dasselbe. Doch du bist geduldig, du lässt die Schwestern die Kassetten einlegen, wieder und wieder, hörst es dir an, nicht wahr, es macht nichts, dass du es kennst, nicht wahr? Es sickert in dich ein. Es springt dir das Herz, langsam wie das Wasser, das in den Stein dringt. 
Nun ja, wenn aber der komatöse Patient als eine Metapher zu verstehen ist, s. S. 68, dann bezeichnet Valerie damit die Liebhaberinnen und Liebhaber, die körperlich, geistig und seelisch zu taub sind für die Liebe:
Also liegen alle Geliebten immer im Koma - der Gewohnheit, der Pflichterfüllung, der Abstumpfung. Ach, ich weiß noch, wie ich weinen musste, als ich eines Morgens in der Zeitung den Satz eines Selbstmörders, geschrieben im Abschiedsbrief an seine Frau: >>Unsere Ehe war immer so schön.<<
Ein bisschen makaber, denn weshalb hat der Suizident sich das Leben genommen, wenn die Ehe so schön verlaufen wäre? Eine Ironie der Liebe …

Demnach galt für mich das Buch als eine Denkschrift über die Liebe. Manchmal sehr empathisch und manchmal intellektuell sehr geistreich.

Trotz der Überfrachtung an Gedanken konnte sich Willemsen als Mann sehr gut in die Protagonistin und Icherzählerin hineinversetzen. Es ist ihm schon gelungen, sich in das Frauengeschlecht zu denken, indem er ihr die Stimme verleiht. Die Gedanken, auch zur Sexualität, wirken sehr natürlich und passend. Willemsen zählt für mich zu den wenigen männlichen Autoren, die wissen, was so ungefähr im Innenleben einer Frau abgehen kann. Er konnte nur keinen Punkt finden, und es beschleicht mich das Gefühl, er dreht sich mit seinen Gedanken im Kreis.

Natürlich ist das Thema brisant und interessant, aber wenn der Mensch zu viel über die Liebe spricht, wie wird er sie   genießen können? Wie will er sie erfahren können? Es haben sich schon ganz andere Köpfe darüber heiß geredet, ohne dass es tatsächlich bei den Menschen etwas verändert hätte. Die Probleme sind diesbezüglich immer dieselben. Ganz gleich, aus welchem Jahrhundert der Mensch kommt. Sexuelle Gefühle können sehr primitiv sein, überhaupt das emotionale Leben. Aus meiner Sicht sollte man die Liebe nicht zerreden, man kann sie auch im Stillen genießen … Man muss Liebe nicht erklären, und nicht intellektualisieren und sie muss das bleiben, was sie ist. Ein Gefühl. Ein hohes Gefühl, ein niedriges Gefühl, ein primitives Gefühl, kommt ganz auf die Person darauf an, auf welcher emotionalen Entwicklungsstufe sie sich befindet               …
Manchmal beginnt die Liebe einfach mit der Lust auf die Liebe.Andererseits: Wie viele Familien hat die Liebe ruiniert! Wie viele Lebensläufe haben ihren Knacks bekommen durch die Liebe. Wenn dies so ist, kann ich gut darauf verzichten, das hätte ich wissen sollen. 
Ja, dem stimme ich auch zu ...                                                

Soeben blättere ich durch meine vielen mit Zettelchen behafteten Seiten und finde meinen Gedanken bestätigt:
Liebe muss glauben, ahnen, tasten, irren, sie darf bloß nicht wissen, sonst fällt sie in sich zusammen.  
Ist das nicht ein schönes Bild? Und der Gedanke, dass Liebe nicht wissen darf … finde ich passend ausgedrückt.

Ein Zitat folgt nun über das Verliebtsein:

Verliebtheit ist eine Suchterscheinung, Suchtgefährdete leben anders, bedürftiger, im Grunde hilflos. Und was für eine Sucht! Süchtig nicht nur nach Gesicht und Körper, Stimme und Haltung, sondern danach, unvernünftig zu sein, gehört zu werden, jeden Moment zu multiplizieren mit dem Liebsten, der Liebsten. 

Wobei jeder Mensch auf seine Weise liebt.   
Massenhaft verblöden Menschen, nur weil die Liebe sie dazu bringt, in der Schnulze zu leben, und mitten darin fällt mir der Satz La Rochefoucaulds ein: >>Wer weiß, wie viele Menschen nie verliebt gewesen wären, wenn sie nicht von der Liebe hätten reden hören.<< Ja, und alle haben sich dieselbe Liebe dabei vorgestellt und dabei ist sie dumm, stumpf und süßlich geworden. 
Dabei denke ich an die schnulzigen Schlagertexte ... Die Gefühle können reif sein, oder auch nicht. Je reifer die Gefühle, desto reifer und freier kann die Liebe aus meiner Sicht sein … Das hat nichts mit dem Intellekt zu tun.

Es ist nicht neu, dass Liebe oftmals nicht selbstlos ist, und dass sie Suchtpotenzial hat und voller Besitzansprüche sein kann. Nur hat Willemsen eben diese Thematik in gute Gedanken verpackt. So wirklich etwas Neues erfährt man dazu allerdings nicht, wenn man diese Thematik aus der Verpackung schält.

Dass manche Frauen sich im Geschlechtsverkehr immer sehr anstrengen müssen, ihn wie eine Leistung erleben kann, damit der Mann danach zufrieden und ausgeglichen ist, ist eigentlich auch nichts Neues:
Das Vögeln war eine Sache, bei der ich mir immer wieder Mühe geben musste, sie gut zu machen. Denn, ist man nicht gut im Bett, sind Männer hinterher unleidlich, kritteln an allem herum, wollen telefonieren oder etwas im Internet nachsehen und bringen es fertig, sich nie wieder zu melden, so tief sitzt die Erinnerung an dieses schlechte Vögeln, das sie nun mal nicht leiden können. Weißt du, es ist diese Instant-Sex-Mentalität, von der ich selbst allmählich immer mehr angenommen habe. Was erwartest du bei diesem Personal! 
Auch kritische Gedanken zur Ehe sind in dem Text zu finden, die für mich sehr einleuchtend sind. Dazu folgendes Zitat:
Es ist gut, dass die Ehen vor die Hunde gehen. Dazu sind sie da. Niemand sollte denken, dass es Sicherheiten gäbe. Niemand soll sich auf etwas anderes verlassen als auf sich. Wenn überhaupt.  
Heute schreibt größtenteils keiner mehr Liebesbriefe, weder Mann noch Frau, doch wenn ein Mann Liebesbriefe schreibt, lach, so würde er all die Vokabeln melken, vor denen ihm immer bange ist. 

So, und hier beende ich meine Buchbesprechung, habe selber viel zu viel darüber intellektualisiert. Willemsen hat mich eben angesteckt. Viele meiner Gedanken habe ich allerdings auch wieder gelöscht.

Nichts destotrotz finde ich Willemsen eine sehr begabte Persönlichkeit, die über sehr viel Schreibtalent verfügt. Er schafft es gut, seine Gedanken in fantasievolle Bilder zu kleiden, mit einer gut ausgewählten Sprache ausschraffiert. Ich bin neugierig auf die anderen Bücher von ihm.

Mein Fazit?

Ich tue mich schwer mit Büchern, die monologisieren. 240 Seiten Monologe fand ich auf Dauer monoton. Mir hat die Abwechslung von Perspektiven über andere Figuren einfach gefehlt. Es gab mir zu wenig Reibungsfläche. Nur eine Sichtweise war mir zu wenig.

Außerdem habe ich jetzt von der Thematik her nichts wirklich Neues erfahren ...

Das Buch erhält daher von mir nur neun von zehn Punkten.
___________
Wer sich im Vertrauten verirrt
oder in der Fremde verloren geht,
braucht nur eine fürsprechende Seele,
um sich gerettet zu fühlen.
(Petra Oelker)


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