Sonntag, 19. Juli 2015

Haruki Murakami / Sputnik Sweetheart (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hatte sich während des Lesens doch noch in eine andere Richtung bewegt, sodass ich sagen kann, dass es mir recht gut gefallen hat, wenn auch die ersten zweihundert Seiten mich vom Inhalt her recht deutlich an das Buch Naokos Lächeln erinnert hatte.

In diesem Roman bekommt man wieder jede Menge Geschichten zu lesen, die nicht unbedingt einen Bezug zur Hauptthematik haben. Man merkt eben, dass Murakami viel zu erzählen hat, und so erzählt er eben auch recht viel, mit dem Risiko, dass das Niveau dadurch ein wenig abflacht.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Cooler Realismus und Fantastik verbinden sich in der Geschichte von Sumire und Miu. Die eine ist eine junge weltfremde und romantische Möchtegernautorin, die andere eine siebzehn Jahre ältere erfolgreiche Geschäftsfrau. Unempfänglich ist Miu für das Begehren der jungen Frau, von der sie „süßer Sputnik" genannt wird. Auf einer Reise durch Frankreich und Italien bis auf eine kleine griechische Insel verschwindet Sumire plötzlich – alle Spuren ihres Schicksals verlieren sich. Ein junger Lehrer, der die betörende Sumire liebt, findet Aufzeichnungen bizarrer Vorfälle und Geschichten in Geschichten, die auch ein Geheimnis von Miu in der Schweiz aufdecken. Mit Haruki Murakamis neuem Roman „Sputnik Sweetheart" geraten wir an die Ränder der Wirklichkeit, aber auch wenn die Menschen auf getrennten Umlaufbahnen einsam wie ein Sputnik ihre Bahnen ziehen, gibt es noch eine andere Seite des Lebens: „Wir brauchen nur zu träumen."

Diese Geschichte nahm surreale Formen an, was ja typisch für Murakami ist, und ich dies eigentlich auch liebe. Sie hat mich recht nachdenklich gestimmt, wobei es Szenen gab, die sich mir tatsächlich auch als kafkaeske erwiesen haben …

Im Kafka am Strand waren es die Katzen, die von einem Menschen schwerst malträtiert werden. Ich vergesse nicht mehr dieses Bild, indem die Figur das Herz seiner getöteten Katze im Munde zergehen lässt ... Und im hiesigen Band? Belege ich gleich mit einem Zitat:
Ich stellte mir ein paar ausgehungerte Katzen in einer Einzimmerwohnung vor. Kleine, flauschige Fleischfresser. Ich - mein wirkliches Ich - war tot, und sie lebten. Sie aßen mein Fleisch, nagten an meinem Herzen, tranken mein Blut. Wenn ich aufmerksam lauschte, hörte ich wie von weit her, wie sie mein Gehirn ausschlürften. Drei geschmeidige Katzen, die meinen zerbrochenen Schädel umringen und die graue schlammige Suppe meiner Gehirnmasse schlürften. Mit ihren roten, grauen Zungenspitzen legten sie die weichen Falten meines Bewusstseins aus. Und bei jedem Zungenschlag flackerte es noch einmal auf, bis es sich ganz in heiße Luft aufgelöst hat.
Der Erzähler, der leider nicht mit Namen vorgestellt wird, ist der junge Mann, Grundschulpädagoge von Beruf, der sich in Sumire verliebt hat. Die Geschichte mit den Katzen soll sich nach Sumires Angaben bei einer anderen Person tatsächlich zugetragen haben. Der junge Lehrer war so entsetzt über diese Geschichte, dass er sie nicht wieder vergessen konnte …

Hier steht auch wieder die Einsamkeit verschiedener Menschen im Vordergrund, und der junge Lehrer stellt sich dazu folgende Fragen:
Warum müssen die Menschen so einsam sein? Wozu soll das gut sein? Stets sind wir auf der Suche nach der Nähe der anderen, und dennoch sind wir so allein. Wozu? Dreht sich dieser Planet nur, um die Einsamkeit des Menschen zu nähren?
Hauptsächlich lesende Menschen sind am stärksten von der Einsamkeit betroffen.

Doch mit Sumire zusammen durchlebte er die Einsamkeit auf eine ganz besondere Art, wobei mir diese Art von Einsamkeit eine angenehme wäre:
Sumire und ich waren einander sehr ähnlich. Zu lesen war für uns beide beinahe eine natürliche Körperfunktion, wie das Atmen. Auch ich zog mich in jeder freien Minute allein in eine ruhige Ecke zurück und verschlang Seite um Seite. Ich las alles, was ich in die Finger bekam -japanische Romane, ausländische Romane, neue und alte, Avantgarde-Literatur, Bestseller - solange es nur den geringsten intellektuellen Reiz besaß. Wie Sumire. In der Stadtbücherei waren wir wie zu Hause und konnten zudem ganze Tage damit verbringen, in Kanda durch die Antiquariate zu streifen. Ich war noch niemals einem anderen Menschen begegnet, der ebenso leidenschaftlich und ausschweifend las wie ich und ich glaube, Sumire geht es genauso. 
Ha, da hat wohl dieser Mensch die Bekanntschaft mit mir noch nicht gemacht :)…

Sumires Traum ist, Schriftstellerin zu werden, doch als sie schließlich die reife Miu kennenlernt, die ebenso eine sehr einsame Figur darstellt, gerät ihr Leben ins Wanken. Sie empfindet eine starke sexuelle Zuneigung zu dieser Frau, die allerdings nicht erwidert wurde, und so entwickelt Sumire eine massive Schreibblockade ...

Eine Szene zu Miu möchte ich gerne noch festhalten. Miu fährt spät abends Riesenrad. Eine letzte Runde, bevor die Kirmes schließen sollte. Sie ist die einzige Fahrerin. Nach dieser Runde vergisst der Schausteller die Frau wieder aus der Gondel rauszulassen, als das Riesenrad noch eine halbe Umdrehung schwingt, und es schließlich abgeschlossen wird. Miu sitzt ganz oben in der Gondel und kann nicht glauben, dass sie vergessen wurde. Wie verbringt Miu nun die Zeit in dieser Gondel? Sie packt ihr Fernglas aus:
Miu konnte nicht mehr klar denken. Ich bin hier und beobachte durch ein Fernglas meine Wohnung. Und wen sehe ich? Mich selbst in meinem Schlafzimmer! Mehrmals stellte Miu die Schärfe des Fernglases nach, doch die Frau, die sie sah, war und blieb eindeutig sie selbst. Sie trug sogar die gleiche Kleidung. (Den kürzlich kennengelernten Spanier) Ferdinando umarmte sie und hob sie aufs Bett. Unter Küssen entkleidete er Miu zärtlich, zog ihr die Bluse aus, den BH, den Rock. Er küsste ihren Hals und liebkoste dabei mit den Händen ihre Brüste. Darauf streifte er ihr geschickt das Höschen ab. Es war genau das gleiche, das sie im Augenblick trug. Miu rang nach Luft. Was ging dort drüben in ihrer Wohnung vor? 
Ist das nicht eine interessante Szene? Da sitzt eine verheiratete Frau in der Gondel fest und sieht sich parallel dazu in ihrer Wohnung durch die Entfernung mit ihrem Liebhaber wieder. Miu führt keine erfüllte Ehe, man kann ihre Ehe vielmehr als eine Zweckgemeinschaft bezeichnen. Was sie durch ihr Fernglas sieht, ist eher eine Rückspiegelung ihrer sexuellen Träume und Sehnsüchte. Sie sehnt sich nach einem temperamentvollen Südeuropäer, einem Latino, und so ist auch Murakami nicht vor Klischees gefeit. 
Ferdinandos langer Penis wurde steif wie ein Stock. Ein sehr großer Penis. Einen so großen hatte sie noch nie gesehen. Er nahm Mius Hand und legte sie darum. Dann leckte und liebkoste er ausgiebig jeden Winkel von Mius Körper. 
Ich kann mir nicht vorstellen, dass es keinen Japaner gibt mit demselben sexuellen Temperament. Solche Draufgänger gibt es doch überall en masse auf der Welt.

Sumire ist verschwunden. Auch der junge Verehrer begibt sich durch Mius Bitte auf die Suche. Selbst die Polizei konnte Sumire nicht finden, bis der Verehrer erfährt, dass Sumire in ihrer Traumwelt verschwunden ist und so versucht er, in diese Traumwelt einzudringen. Nur wie? Wie käme man dorthin?
Nehmen wir also einmal an, es handele sich um eine Tür. Ich schloss die Augen und stellte mir diese Tür konkret und plastisch vor. Eine ganz gewöhnliche Tür in einer ganz normalen Wand. Sumire entdeckte diese Tür, drehte den Türknauf und schlüpfte hinaus - von dieser Seite auf die andere. In einem dünnen Pyjama und Badeschlappen. 
Lebt Sumire mit Miu zusammen? Der Verehrer möchte dazugehören, ist sogar bereit, den zweiten Platz neben Miu einzunehmen:
Ob es drüben auch einen Platz für mich gab? An dem ich mit den beiden zusammen sein könnte? Während die beiden sich leidenschaftlich liebten, könnte ich in einer Zimmerecke sitzen und Balzacs gesammelte Werke lesen. Wenn Sumire dann geduscht hätte, könnten wir beide einen langen Spaziergang unternehmen (….). Konnte eine solche Beziehung überhaupt Bestand haben? War so etwas überhaupt natürlich? (…) Doch wie sollte ich jemals auf die andere Seite gelangen? Ich strich mit der Hand über die glatte, steinerne Oberfläche der Akropolis und dachte an die lange Geschichte, die darin eingeschlossen war. Ob es mir gefiel oder nicht, als Mensch war ich dem Fluss der Zeit unterworfen und konnte ihm nicht entkommen. 
Es gibt noch viele interessante Szenen …

Das Buch erhält von mir sieben von zehn Punkten …
_____
Nur Tote bleiben für immer siebzehn.
(Haruki Murakami)

Gelesene Bücher 2015: 38
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