Sonntag, 1. März 2015

Jim Knipfel / Blindfisch (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Also, vom Hocker hat mich das Buch nicht gerissen. Ich bin auch nicht wirklich der Typ, der Brigitte-  oder Elke Heidenreich-Empfehlungen nachgeht.           

Besonders von Interesse ist das Buch sicher für LeserInnen, die unter derselben Problematik leiden, wie es der Autor tut. Mich hat das Thema eigentlich schon angesprochen, denn sonst hätte ich es mir nicht zugelegt. Bin selbst extrem kurzsichtig in der Form, dass ich oftmals trotz Sehhilfe auf den Straßen auch bei kürzeren Entfernungen bekannte Personen nicht erkenne, oder ich zum Lesen viel Licht benötige. Als Kind hatte ich mich im Leben auch irgendwie durchgeschlagen, da ich die damaligen hässlichen kassengestellte Kinderbrillen nicht aufsetzen wollte, um in der Grundschule nicht weiter als Brillenschlange verspottet zu werden … aber von der Blindheit bin ich wohl noch weit entfernt. Der Autor hat eben Pech, da er unter einer besonderen Augenerkrankung leidet, die sich Retinitis pigmentosa nennt.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext ein: 
Jim Knipfel leidet an einer unheilbaren Krankheit, die ihm langsam das Augenlicht raubt. Aber er lamentiert nicht - er lacht. Über die überforderten Eltern und Freunde und teilnahmslosen Therapeuten. Das Leben des jungen Mannes aus gutem Hause gerät aus den Fugen - bis er das Schreiben entdeckt. Mit schwarzem Humor und einzigartigem Blick lässt Knipfel die Leser teilhaben: an seinem Leben, seiner Angst und seiner Hoffnung. 
Mal schauen, was ich aus dem Buch herausholen kann.

Als Knipfels Augenleiden immer bedrohlicher zu werden schien, begibt er sich in therapeutische Hände. Auch einen Suizidversuch hatte er hinter sich. Der Therapeut empfiehlt Knipfel folgende Vorgehensweise im Umgang mit seiner Wut: 
Sie müssen der Wut, den ganzen Hass, der in Ihnen steckt, eine andere Richtung geben. Sie müssen aufhören, sich selbst zerstören zu wollen. Kehren Sie diesen Wunsch nach außen und versuchen Sie, stattdessen die Welt zu zerstören.  
Diese Wut und den Hass spürt man über das ganze Buch hindurch. Wenn man nur ganz langsam zu erblinden droht, innerhalb von dreißig Jahren, ist es auch nochmals schwer, zu lernen, die Erkrankung anzunehmen und zu akzeptieren. Ich kann mir vorstellen, dass man diesen Prozess der Auseinandersetzung aufschiebt. Das ist in der Tat auch kein einfaches Los.

Der Autor lebt recht gesellschaftskritisch, gerät aber auch immer mit Personen in Kontakt, die ihn zu einer kritischen Haltung bewegen. Das Krankenhauspersonal zum Beispiel würde mittellose Menschen eher zweitrangig und völlig unprofessionell behandeln.

Knipfel wird Universitätsprofessor, und seine Erfahrung  als Akademiker mit anderen Akademikern hat mich ziemlich erstaunt. Knipfel steigt durch ein bestimmtes Erlebnis aus diesem Kreis aus, denn er wollte sich diesem Spießertum nicht weiter unterwerfen:

Der Direktor der Universität zu Knipfel: 
>>Im Grunde genommen sind alle zufrieden mit Ihrer Arbeit hier. John hat Ihr Eraserhead-Papier sehr gefallen, und alles, was Sie bei mir abgegeben haben, ist wirklich erstklassig.<<
>>Jaaaa …? Das >>Aber was?<< danach konnte ich mir sparen. Das beantwortete er schon von selbst. >>Aber wir fanden, dass Ihr … Lebensstil … einem Akademiker einfach nicht angemessen ist.<< 
Als die Erblindung immer weiter fortschreitet, wendet sich Knipfel an den Blindenverein, den er auch ein wenig für korrupt hält. Er bekommt eine Mindestförderung statt eine Vollförderung wie z. B. die Bereitstellung von Trainingspersonen, Blindenstock, Einweisung in die Blindenschrift-Braille, Anschaffung von Lesegeräten etc.

Die TrainingspartnerInnen wirkten ein wenig skurril und absurd in ihrer Handlungsweise. Der Alltagstrainer gibt andere Tipps als die Trainerin mit dem Stock:
>>Sie leben nun in einer ganz neuen Welt. Alles ist anders, und Sie werden alles mit den Fingern sehen.<< 
Dazu denkt sich Knipfel:
Aber die Stockfrau hat gesagt, ich würde alles mit den Ohren sehen und solle nicht so sehr die Finger benutzen, weil die dann verletzt werden und brechen könnten.
Traurig fand ich, als Knipfel sich von seiner Homebibliothek trennt. Als blinder Mensch würden ihm die Bücher wie Ballast vorkommen.
Im Angesicht des Unausweichlichen beschloss ich, meine Bibliothek wegzugeben. Auf sie war ich immer sehr stolz gewesen, daher wollte das genau überlegt sein. Aber ich musste sie loswerden, so schmerzhaft es auch sein würde.Mit den Jahren war meine Bibliothek für die wenigen, die ich meine Freunde nenne, zu einer festen Bezugsgröße geworden. Sie fragten mich etwas, und auch wenn ich die Antwort nicht gleich parat hatte, wusste ich doch, dass sie irgendwo in den Regalen zu finden war, und meistens wusste ich auch, wo. Wann genau wurde Bruno Hauptmann hingerichtet? Das haben wir gleich. Wie sind diverse Übersetzer mit Nietzsches unangenehmeren Zeiten umgegangen? Hier steht´s. Wenn ich nicht mehr sehen und lesen konnte, ging das nicht mehr. Die Bücher würden mich nur noch verhöhnen. Die Erstausgaben, die Bücher mit Widmung, das alles würde mich nur noch tieftraurig stimmen. 
Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Dieser Verlust, der nicht nur auf die Bücher, sondern  auch auf die Musik zu übertragen ist. Kaum vorstellbar, wenn ich nicht mehr musizieren könnte.

Knipfel hadert mit seinem Schicksal. Boykottiert z. B. Hilfsmittel wie den Blindenstock:
Indem ich den Stock aus der Tasche zog und aufflappern ließ, veränderte sich die Lage von Grund auf. Ich verkehrte die Regeln. Während der Jahre davor war ich mit der ganzen Anmut eines verkrüppelten Lammes die Straße entlanggeschlürft, immer in Abwehrhaltung, immer in Angst davor, gegen wen oder was ich beim nächsten Schritt laufen würde. Ich wich Schatten aus, donnerte aber gegen einen Mülleimer. Ich trat auf Tiere, ich trat auf Menschen und musste mich dann rechtfertigen. Ich wurde angebrüllt und ausgelacht. Alles nur, weil mein Stolz mich hinderte zuzugeben, dass ich eine Hilfe benutzen musste. Ich weigerte mich sozusagen, einen Hammer zu benutzen, um einen Nagel einzuschlagen, und beharrte darauf, dass es mit der Stirn genauso gut ging. Na schönen Dank auch. 
Knipfel geht oft mit Galgenhumor an sein Problem heran. Sein Ausdruck ist dominant verbalaggressiv. Und doch lässt er sich nicht unterkriegen, auch wenn  dieser Lernprozess recht lange andauern wird. Wahrscheinlich wird er niemals abgeschlossen sein.

Wer mehr wissen möchte, so verweise ich auf das Buch.
_________
Die Welt ist eine Metapher.
(H. Murakami)


Gelesene Bücher 2015: 10
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Keine Kommentare: