Sonntag, 23. November 2014

Siri Hustvedt / Der Sommer ohne Männer (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Das Buch habe ich soeben beendet und es ging gar nicht an mich. Es ist ein relativ dünnes Buch von 350 Seiten, weshalb ich es zu Ende lesen konnte, ansonsten hätte ich es abbrechen müssen. Ich habe mich ein wenig bis zur letzten Seite gequält.

Nicht, dass es an den Themen lag, nein, die Themen fand ich o. k. Mir war der ganze Stoff einfach nur zu trocken und mit keine der Figuren konnte ich wirklich warm werden.

Nichtsdestotrotz gab es die eine oder andere Textstelle, die ich mir gerne herausschreiben möchte.

Bei Der Sommer ohne Männer lässt schon der Titel erahnen, was sich dahinter verbirgt.

Frauenthemen wie z. B. Emanzipation, weibliche Sexualität, Belletristik, die den Stempel Frauenliteratur aufgedrückt bekommt, und natürlich steht die Ehekrise als das Hauptthema im Vordergrund, obwohl sich die anderen Themen immer wieder dem Hauptthema aufdrängen. 

Ich gebe zur Erinnerung noch einmal den Klappentext rein:
Eine Ehekrise hat die New Yorker Dichterin Mia Fredricksen aus der Bahn geworfen. Am Ende eines langen Sommers in Minnesota hat sie ihr Gefühlschaos geordnet und sich und das Leben neu entdeckt. Ein wunderbar inspirierter Roman über das Glück und das Unglück der Frauen. Der Sommer ohne Männer (jetzt neu als Taschenbuch) zeigt Siri Hustvedt von einer ungewohnten Seite – verspielt und äußerst komisch.
Mia Fredricksen unterrichtet sieben junge halbwüchsige Mädchen in Dichtung und Literatur. 

Des Weiteren gibt es einen Lesezirkel, der auch nur von Frauen besucht wird …

Interessant finde ich ihre Gedanken zur Belletristik:
Tatsächlich wird das Lesen von Belletristik heutzutage oft als Frauenkram angesehen. Viele Frauen lesen Romane. Die meisten Männer nicht. Frauen lesen Romane von Frauen und Männern. Die meisten Männer nicht. Schlägt ein Mann einen Roman auf, hat er gern einen männlichen Namen auf dem Cover, das ist irgendwie beruhigend. Man weiß ja nie, was mit diesem äußeren Genital passieren könnte, wenn man in eine imaginäre Welt eintaucht, die von jemandem ausgeheckt wurde, bei dem sich die beweglichen Sachen innen befinden. Zudem geben Männer gern mit ihrer Nichtbeachtung von Romanen an: >>Ich lese keine Romane, aber meine Frau.<< Die zeitgenössische literarische Vorstellungswelt verströmt anscheinend ein eindeutig weibliches Parfüm. 
Eine schöne Metapher mit dem Parfüm.

Ihr Ehemann Boris stellt sie vor vollendete Tatsachen, trennt sich von ihr, um eine Ehepause einzulegen … Mia erlebt einen psychischen Zusammenbruch und wird in eine Psychiatrie eingewiesen.

Eine Wortspielerei mit dem Begriff Pause, Mia analysiert diesen Begriff philosophisch und linguistisch ...

Sie erholt sich von dem Zusammenbruch und versucht, wieder ihrem geregelten Tagesablauf nachzugehen …

Mia ist Mitte fünfzig und ist die Jüngste ihrer Frauenrunde und wird von den älteren Damen wegen des großen Altersunterschieds als Kind bezeichnet. Die anderen sind weit über siebzig. Wie gehen Frauen ihres Alters mit dem Leben um? Wie gehen sie überhaupt mit dem Alter um, mit dem Altsein an sich? Mia stellt alte und junge Menschen gegenüber, um zu begreifen, was Zeit ist, was Altsein bedeutet. Für die jungen Leute zählt nur die Zukunft, während die Alten die Zukunft schon verlebt haben und stehen dem Tod am nähesten.

Mia hat es gut drauf, junge Leute in der Dichtkunst zu inspirieren und sie zu fördern. Sie bewundert das Alter, mit dem sie Literatur entdecken: 
Die Schülerin Alice, hübsch, große Zähne mit Brackets, las, als ich reinkam, und las still weiter, bis die Stunde anfing. Als sie das Buch zuklappte, sah ich, dass es Jane Eyre war, und verspürte einen Moment lang Neid, den Neid auf das erste Entdecken. 
Diesen Gedanken kann ich sehr gut nachvollziehen.

Ihre Schülerin Alice brachte folgende Zeilen zustande, die auch mir gefallen haben: 
Schweigen ist ein guter Nachbar und ich sah mein missmutiges Ich fortgehen. 
Mia notiert sich sehr viele Gedanken. Über Begriffe, über Bedeutungen, über Metaphern … Und auch über Sex. Sex in einer Bibliothek:
Es begann in der Bibliothek mit Kant. Bibliotheken sind sexuelle Traumfabriken. Das kommt von der Schläfrigkeit. Der Körper muss Haltung annehmen - ein Bein über das andere geschlagen, das Kinn auf eine Hand gestützt, gestreckter Rücken; aber der Körper tut nichts. Es kommt vom Lesen und Aufblicken; der Geist verlässt das Buch und schlängelt sich zu einem Oberschenkel oder Ellbogen - real oder vorgestellt. Es kommt vom Dunkel der Bücherstapel mit seiner Andeutung von etwas Verborgenem. Es kommt vom trockenen Duft des Papiers und der Einbände und höchstwahrscheinlich vom Geruch vom alten Leim. Es war der nicht schwierige Kant: Die Kritik der praktischen Vernunft, viel leichter als die Reine Vernunft aber ich war zwanzig, und die praktische war schon schwierig genug, und er beugte sich über mich, um zu sehen, welches Buch es war. Sein warmer Atem, sein Bart, ganz nah. Professor B. in seinem weißen Hemd, seine Schulter nur wenige Zentimeter von meiner. Mein ganzer Körper versteifte sich, und ich sagte nichts. Dann las er leise, aber das einzige Wort, woran ich mich erinnere, ist Vormundschaft. Er sagte es langsam, sprach jede Silbe deutlich aus, und ich war sein. Es endete schlecht, wie man so sagt, wer immer >>man<< ist, aber seine Augen, die mich beim Ausziehen beobachteten - nein, erst deine Bluse. Jetzt den Rock. Langsam -, seine langen Finger, die in meine Schamhaare krochen, sich zurückzogen, mich scharfmachten, mich zur Verzweiflung brachten - diese frevelhaften Lüste in der Bibliothek, nachdem sie geschlossen hatte, bewahre ich sicher in meiner Erinnerung. 
Was ich so ja gar nicht wusste, ist, dass Mark Twain weiblichen intellektuellen Autorinnen so gar keinen Respekt entgegenbringen konnte, wobei ich mir das eigentlich auch hätte denken müssen, was ich bisher so von ihm habe in Erfahrung bringen können:
>>Jede Bibliothek, die kein Buch von Jane Austen hat, ist eine gute Bibliothek<<, sagte Amerikas literarischer Liebling Mark Twain, >>auch wenn sie kein anderes Buch enthält.<< Carlyle nannte ihre Bücher>>kläglichen Schund<<. Doch auch heute noch wird sie der >>Beschränktheit<< und >>Klaustrophobie<< bezichtigt und als Schriftstellerin für Frauen abgetan. Das Leben in der Provinz, nicht lesenswert? Die Mehrzahl von Frauen, unwichtig? Es geht natürlich in Ordnung, wenn es Flaubert ist. Mitleid mit den Dummköpfen. 
Ich hatte Flaubert damals im Deutsch-Leistungskurs gelesen und seine Themen, hauptsächlich die in Madame Bovary, haben sich von Jane Austen nicht sonderlich unterschieden. Beide schreiben sehr gesellschaftskritisch, besonders was der Status einer Frau in der Gesellschaft des 18. und 19. Jahrds. betrifft. Madame Bovary war eine Figur, die die Ehe monoton erlebt hatte und um aus dieser auszureißen, begann sie einen Seitensprung mit bösen Folgen. Der Ehegatte, Landarzt von Beruf, langweilte sie, da ihm der gesellschaftliche Status und ein geregelter Lebensablauf das Wichtigste für ihn waren.

Damit ich nicht zu viel verrate, mache ich hier nun Schluss. Es sind tatsächlich sehr viele Themen, mit denen sich die Autorin in diesem Buch befasst.

Das Ende bezieht sich wieder auf das Ehepaar Mia und Boris.

Auch wenn mir diese Lektüre nicht gut gefallen hat, ich möchte fair sein, ist es doch ein literarisch sehr anspruchsvolles Buch.
Viele schöne Gedanken sind fantasievoll ausgedrückt. Dazu sind ihre Gedanken recht differenziert dargestellt.

Deshalb erhält das Buch von mir zehn von zehn Punkten.
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Jedes Böse hat auch sein Gutes.
(Isabel Allende)

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