Donnerstag, 17. April 2014

Herta Müller / Atemschaukel (1)

Eine von zwei Buchbesprechungen zur o. g. Lektüre

Das Buch von der Autorin Herta Müller mit dem Titel Atemschaukel zählt zu den heftigsten Büchern, die ich bisher gelesen habe. Große fantastische Wortspielerei macht das Buch aber noch lange nicht zart und nicht gefügig. Es erstarrte manchmal vor meinen Augen. Hat mich betroffener gestimmt, als einst alle Werke von Kafka. Ich konnte das Buch nicht durchweg lesen, immer wieder waren größere Pausen nötig, ich fühlte mich geistig gefoltert. Habe mir demnach Zeit mit dem Buch gelassen.

Das Cover passt aus meiner Sicht gar nicht zu dem Inhalt. Ich hätte es eher kafkaesk gestaltet. Die Kriegs- und die Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs, Anfang 1945 bis 1950, war eine dunkle Zeit der deutschen Rumänen, und die Sprache ist auch dunkel, dunkel wie die Nacht. Wer diese Zeit im russischen Lager überlebt hat, der gehörte zu den Starken.

Die oder der Ich – Erzähler/in gestaltete sich vor meinen Augen als eine Frau und so wurde ich überrascht, als ich erfuhr, dass sie ein Er ist, ein Mann namens Leopold Auberg, abgekürzt Leo, obwohl auf der Seite 13 männliche Utensilien mit in den Koffer gepackt wurden. Trotzdem setzte sich der männliche Ich-Erzähler nicht durch. Liegt es an der Sprache, dass sich mir eine erzählende Frau auftat? Ich weiß es nicht genau. Doch selbst die männliche Person auf dem Cover konnte mich scheinbar nicht inspirieren. Die erzählende Frau kehrte immer weider zu mir zurück.


Die Sprache ist sehr fantasievoll, viele Dinge wurden personifiziert, manchmal seitenlang, das war mir an einigen Stellen zu viel:
Der Sommer quält sein Laub, der Herbst seine Farben, der Winter uns. (206)  
Dass der Winter Menschen quälen kann, ... eher der Mensch kann sich selber schaden, wenn er sich der Beschaffenheit des Schnees nicht anzupassen weiß. Und der Sommer quält sein Laub … hm.
Eine andere Figur spricht von ihrer Angst, sich im Tod zu langweilen.

Der Ich-Erzähler spricht durchweg monologisch und zeigt sich in seinen Handlungen stets selbstreflektiv.

Die Autorin behandelt ihr Thema so, als habe sie es selbst erlebt. Als ich den Anhang gelesen habe, bestätigte sich mein Verdacht, dass die politische Epoche und deren Ereignisse aus den Erzählungen ihres Familienkreises stammen würden. Die Autorin scheint diese Informationen wie ein Schwamm in sich aufgenommen zu haben. Man spürt die hohe Sensibilität hinter jedem geschriebenen Satz.

Es gibt Theorien, die besagen, dass die Kriegserlebnisse sich bis in die dritte Generation hineinwirken können. Herta Müller war ein Nachkriegskind, 1953 geboren, demnach haben ihre Eltern und Großeltern den oder die Kriege erlebt.

Leider kenne ich mich mit der Geschichte Rumäniens gar nicht aus, auch literarisch bin ich mit dem Land nicht verwachsen, und ich war überrascht, dass die Befreiung der Inhaftierten mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges trotzdem kein Ende nahm. Ich zitiere die Autorin aus dem Anhang:
Als im Sommer 1944 die Rote Armee nach Rumänien vorgerückt war, wurde der faschistische Diktator Antonescue verhaftet und hingerichtet. Rumänien kapitulierte und erklärte dem bis dahin verbündeten Nazideutschland völlig überraschend den Krieg. Im Januar 1945 forderte der sowjetische General Vinogradov im Namen Stalins von der rumänischen Regierung alle in Rumänen lebenden Deutschen für den >>Wiederaufbau<< der im Krieg zerstörten Sowjetunion. Alle Männer und Frauen im Alter zwischen 17 und 45 Jahren wurden zur Zwangsarbeit in sowjetische Arbeitslager deportiert.Auch meine Mutter war fünf Jahre im Arbeitslager.Weil es an die faschistische Vergangenheit Rumäniens erinnerte, war das Thema Deportation tabu. Nur in der Familie und mit engen Vertrauten, die selbst deportiert waren, wurde über die Lagerjahre gesprochen. Und auch dann nur in Andeutungen. Diese verstohlenen Gespräche haben meine Kindheit begleitet. Ihre Inhalte habe ich nicht verstanden, die Angst aber gespürt. (299)
Auch in dem Roman wurde kaum über die Lagererfahrungen gesprochen, als Leo nun nach fünf Lagerjahren endlich wieder nach Hause zurückkehren konnte. Er war für die Familie ein Fremder, niemand fragte seine Erfahrungen ab, Gefühle waren das Letzte, was zu äußern gewünscht war, weil das Leid einfach zu groß war. Leo ging mit 17 Jahren aus dem Haus und kam mit 22 Jahren wieder zurück. In der Zwischenzeit seiner Abwesenheit bekamen seine Eltern einen weiteren Jungen, der von Leo als der Ersatzbruder bezeichnet wird. Traurig darüber, dass sein Platz nun ein anderes Kind eingenommen hat.

Ich widme nun dem Buch eine zweite Buchbesprechung, weil es so vieles gibt, was ich noch mit in meinen Aufzeichnungen aufnehmen möchte.

Ich gehe nun in meine zweite Buchbesprechung über, zu finden auf ein separates Posting innerhalb dieses Blogs.
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Wie können die Toten wirklich tot sein, solange sie noch durch unser Herz wandern?
(C. McCullers zitiert aus einer alten Indianerlegende).

Gelesene Bücher 2014: 27
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


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