Montag, 28. April 2014

Adalet Agaoglu / Sich hinlegen und sterben

 Klappentext
Die Dozentin Aysel steckt in einer privaten Lebenskrise und zieht sich, zum Sterben entschlossen, in ein Hotelzimmer zurück. Denn der Konflikt zwischen gesellschaftlichen Pflichten und ihren eigenen Bedürfnissen spitzt sich zu und zwingt sie zu dieser Entscheidung. Ihren Tod vor Augen lässt sie noch einmal ihr Leben Revue passieren, erinnert sich an ihre Schulzeit in der anatolischen Provinz und die Universitätsjahre in Ankara. Sie selbst gehörte zu der kleinen Schar von Jungen und Mädchen, den Kindern der Republik, die der Lehrer Dündar nach seinen kemalistischen Idealen zu einer pflichtbewussten »Armee des Wissens« erziehen wollte. Ihm hat sie, die Krämerstochter, es zu verdanken, dass sie studieren durfte. Heute aber will sie nur noch aus ihren eintönigen Verhältnissen ausbrechen und beginnt eine Beziehung zu einem ihrer Studenten. Einen Abend nur hatte sie ungezwungen und pflichtvergessen mit ihm verbracht, nun spürt sie neues Leben in sich keimen. Soll sie die Herausforderung annehmen?
Dieser facettenreiche Bilderbogen umspannt dreißig Jahre republikanische Geschichte auf höchstem literarischem Niveau, geschrieben von einer der bedeutendsten Autorinnen der Türkei.

Autorenporträt
Adalet Agaoglu, geboren 1929 in Nallihan in der Provinz Ankara, studierte französische Sprache und Literatur in Ankara. Schon seit 1948 veröffentlicht sie Gedichte, Theaterstücke und Hörspiele, zudem war sie als Übersetzerin sowie als Damaturgin tätig. Adalet Agaoglu zählt zu den bedeutendsten Erzählerinnen der zeitgenössischen türkischen Literatur, die zentralen Themen in ihren Werken sind die Entfremdung der Menschen und der Wandel traditioneller Werte.
Das Buch habe ich bei Jokers entdeckt. Da ich mich schon auch für ausländische Literatur interessiere, konnte ich den Laden nicht mehr verlassen, ohne das Buch gekauft zu haben. Die ersten einhundert Seiten habe ich schon durch. Die hundert Seiten habe ich benötigt, um in das Geschehen reinzukommen.

Mehr dazu, wenn ich das Buch durch habe ...





Sonntag, 27. April 2014

Elizabeth Strout / Mit Blick aufs Meer (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir recht gut gefallen. Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
In Crosby, einer kleinen Stadt an der Küste von Maine, ist nicht viel los. Doch sieht man genauer hin, ist jeder Mensch eine Geschichte und Crosby die ganze Welt. Und Olive Kitteridge, eine pensionierte Mathelehrerin, sieht sehr genau hin. Sie kann stur und boshaft sein, dann wieder witzig, manchmal sogar eine Seele von Mensch. Auf jeden Fall kommt in Crosby keiner an ihr vorbei … Mit liebevoller Ironie und feinem Gespür für Zwischenmenschliches fügt die amerikanische Bestsellerautorin die Geschichten um Olive und Crosby zu einem unvergesslichen Roman.
Olive Kitteridge ist die Heldin dieses Romans. Sie ist Mathematiklehrerin an einer Highschool gewesen, und mittlerweile pensioniert und lässt kein gutes Haar an den Charakteren ihrer Mitmenschen. Ist sehr eigen und recht kritisch im Urteil zu anderen Leuten. Selbst ihr eigener Ehemann Henry, Apotheker von Beruf, und der recht diplomatisch auf ihre Launen zu sprechen war, konfrontierte sie einmal mit ihren Schwächen und fragte sie, ob sie sich erinnern könne, jemals einem Menschen um Verzeihung gebeten zu haben … Ja, Olive ist ein wenig eigen, hin und wieder ein wenig destruktiv im Urteil, dennoch war sie eine interessante Persönlichkeit.

Henry und Olive haben einen Sohn, Christopher, der recht schüchtern war, hauptsächlich geprägt durch seine dominante Mutter. Es vergingen Jahre, nachdem Chris erwachsen wurde, bis er schließlich eine Frau fand, die er auch heiratete. Olive und Henry hatten dem Sohn einst ein Haus gebaut, nah am Meer, und sich beide die Zukunft mit ihm, mit der angehenden Schwiegertochter und den Enkelkindern ausgemalt, doch der Sohn zog von der Ortschaft seiner Eltern fort. Christophers Ehe ging in die Brüche, doch er heiratete neu und in diesen Szenen erfährt man mehr über die marode Beziehung zwischen Chris und seiner Mutter und den Grund seines Fernbleibens seiner Heimatstadt. Da ich nicht zu viel vorwegnehmen möchte, halte ich mich hierin bedeckt.

Henry war verglichen mit seiner Frau Olive eine recht umgängliche und gutmütige Persönlichkeit und besaß eine wesentlich höhere Toleranzgrenze andersartigen Menschen gegenüber. Einem Bekannten, dessen Tochter homosexuell ist und er schwer daran zu knabbern hat, riet er, dass man die Kinder so nehmen müsse, wie sie sind. Doch als sein Sohn Christopher von der ersten Ehe geschieden wurde, erleidet Henry kurze Zeit darauf einen Schlaganfall, dem er kurze Zeit später erlag. Olive vermutete, dass er Christophers Scheidung nicht verkraftet habe.

In dem Buch treten nicht nur Familie Kitteridge auf, nein, jede Menge andere Persönlichkeiten nach jedem neuen Kapitel, die ebenfalls ihre Geschichten mitbringen und erzählen. Manchmal war mir das zu viel, die Gesichter von Kapitel zu Kapitel wieder fallen zu lassen, weil wieder neue hinzukamen, und alte nicht wieder aufgetreten sind. Die Zeitsprünge waren mir manchmal zu schnell. Hätte mich gerne noch ein wenig mit bestimmten Figuren befasst …

Olive durchlebt nach dem Tod ihres Mannes und der Ferne ihres Sohnes eine große Einsamkeit. Sie lernt einen Mann ihres Alters kennen, der ebenfalls Witwer ist:

Ein Zitat möchte ich dazu anbringen, ein Zitat, das mir am besten gefallen hat, Gedanken, die Olive zur Weisheit führten:
Was doch die Jungen alles nicht wussten, dachte Olive, als sie sich neben diesen Mann legte und er sie an der Schulter berührte, am Arm, oh, was die Jungen alles nicht wussten. Sie wussten nicht, dass unförmige, alte, Körper so hungrig waren wie ihre eigenen festen Leiber; dass Liebe nicht leichtsinnig abgewiesen werden durfte, als wäre sie ein Törtchen mit einem Teller voller Süßigkeiten, der immer wieder herumgereicht wird. Nein, wenn Liebe zu haben war, dann griff man entweder zu, oder man griff nicht zu. Und ihr Teller war randvoll gewesen von der Güte Henrys, aber sie hatte darüber die Nase gerümpft, hatte immer wieder entnervt ganze Brocken weggeworfen, alles nur, weil sie nicht begriff, was eigentlich jeder Mensch begreifen sollte: dass so Tag um Tag unter den Fingern zerrann.(…) Sie ließ die Augen zu, und durch ihr müdes Hirn rollten Wellen der Dankbarkeit - und der Trauer. Hinter ihren Lidern sah sie das sonnige Zimmer, die sonnenübergossene Mauer draußen, den Lorbeer. Ein Rätsel, diese Welt. Noch war sie nicht fertig mit ihr. (475f) 
Hier beende ich nun meine Aufzeichnung und das Buch erhält von mir neun von zehn Punkten. Manche Szenen waren mir nicht einleuchtend genug, speziell der Überfall im Krankenhaus.
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Wie können die Toten wirklich tot sein, solange sie noch durch unser Herz wandern?
(C. McCullers zitiert aus einer alten Indianerlegende).

Gelesene Bücher 2014: 30
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Mittwoch, 23. April 2014

Elizabeth Strout / Mit Blick aufs Meer

Klappentext
In Crosby, einer kleinen Stadt an der Küste von Maine, ist nicht viel los. Doch sieht man genauer hin, ist jeder Mensch eine Geschichte und Crosby die ganze Welt. Und Olive Kitteridge, eine pensionierte Mathelehrerin, sieht sehr genau hin. Sie kann stur und boshaft sein, dann wieder witzig, manchmal sogar eine Seele von Mensch. Auf jeden Fall kommt in Crosby keiner an ihr vorbei … Mit liebevoller Ironie und feinem Gespür für Zwischenmenschliches fügt die amerikanische Bestsellerautorin die Geschichten um Olive und Crosby zu einem unvergesslichen Roman.

Autorenporträt
Elizabeth Strout wurde 1956 in Portland, Maine, geboren. Nach dem Jurastudium begann sie zu schreiben. Ihr erster Roman »Amy & Isabelle« wurde für die Shortlist des Orange Prize und den PEN/Faulkner Award nominiert und wurde ein Bestseller. Für »Mit Blick aufs Meer« bekam sie 2009 den Pulitzerpreis. Elizabeth Strout lebt heute in New York.
Nach meiner letzten Lektüre, die sich mir literarisch als enttäuschend erwies, habe ich wieder ein Buch vor mir, das anspruchsvoll ist.
Der Klappentext liest sich vielversprechend und die Seiten, die ich gekostet habe, bestätigen meine Erwartung. Möchte aber nicht zu früh jubeln.

Später dazu mehr.


Montag, 21. April 2014

Peter Henning / Die Ängstlichen (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Der Autor gebraucht zwar jede Menge Fremdwörter, das zeichnet das Werk nach meinem Geschmack aber noch lange nicht als literarisch bedeutsam aus. Literarisch hat es meiner Meinung nach recht wenig Anspruch.

Selten erlebte ich ein Buch, in dem mir komplett alle Literaturfiguren unsympathisch waren. Auch ihre Handlungen waren oftmals wenig authentisch und leicht zu durchschauen. 

Zur Erinnerung gebe ich nochmals den Klappentext rein:
Ein letztes Mal wollen die Jansens zusammen feiern, doch ihr Fest endet fatal. Hennings Chronik einer musterhaften Familie ist eine aberwitzige, rabenschwarze menschliche Komödie, ein Mosaik aus Hoffnung, Glück, kleinen und großen Schrecken – ein Buch des Lebens.Über Taunus und Rhön gehen sintflutartige Regenfälle nieder. Sie sind Vorboten eines Orkans, der die Familie Jansen mit aller Zerstörungskraft trifft: Weil Johanna Jansen, die 80-jährige Patriarchin, in ein Wohnstift ziehen will, möchte sie ihre Kinder noch einmal um sich versammeln. Doch der Lebensabend wird für sie zur Sonnenfinsternis: Plötzlich verschwindet ihr Lebensgefährte, und ihr ältester Sohn sieht sich von einer tödlichen Krankheit bedroht, während sein jüngerer Bruder aus der Psychiatrie flieht. Auch Johannas Tochter begibt sich auf eine Reise, die für sie und ihren untreuen Mann zur Tortur gerät, derweil ihr Enkel um die Liebe seines Lebens kämpft. Als die Jansens ein letztes Mal zusammenfinden, ziehen erneut dunkle Wolken auf. Es sind die Schatten des Kleinmuts und der Angst, der Geltungssucht und Lieblosigkeit – die Schatten einer deutschen Familie.  
Besonders klug kamen mir die Leute nicht vor. Zum Beispiel wurde ein Suizid vonseiten einer Person künstlich initiiert, und die Frau dieser Person kam nicht mal dahinter, dass an dem sog. Suizid etwas faul sein könnte, während mir das schnell klar wurde und ich auch die Abläufe des sogenannten Suizidenten durchschaut hatte. Besonders seine Frau erwies sich mir diesbezüglich als besonders dümmlich.

Des Weiteren war recht auffallend, dass die Personen sehr oft in ihren trivialen sexuellen Handlungen beschrieben wurden. Ich weiß nicht, weshalb ich wissen muss, dass jemand auf die Toilette muss, um seinen Darm zu entleeren? Warum muss man geistig dabei sein, wenn der Darm entleert wird und welches Klopapier dieser Jemand benutzt?

Eine andere verspürt gerade einen Harndrang, und um den Weg abzukürzen, rennt sie schnell auf die Gästetoilette und sieht, dass darin noch der Kot ihres Mannes lag, der vergessen hatte, die Spüle zu tätigen. Auch er hatte es eilig.
Sie rennt nun schnell nach oben auf die Toilette, zog ihren Schlüpfer herunter … Man könnte daraus eine Komik machen, aber dafür war es nicht komisch genug.

Bei einem anderen bestand der Verdacht auf Blasenkrebs, permanente Blutspuren im Urin.

Eine andere kämpfte mit Bakterien im Unterleib.

Der Beispiele gibt es noch genügend und verweise auf das Buch ...

Und der Ton in dieser Familie, den ich konstant als aufbrausend, unfreundlich und hinterhältig empfand.

In jeder Handlung denkt ein Gesprächspartner destruktiv über den anderen. Selbst gegenüber von Freunden.

Sollten diese Figuren das Abbild der neuen deutschen Gesellschaft sein?

Also, mich hat es nicht überzeugt.

Die Themen erwiesen sich mir alle als recht gewöhnlich und alltäglich. Das Leben ist gewöhnlich und alltäglich, das ist wohl wahr, aber es kommt darauf an, wie man die Themen verpackt, dass sie trotzdem interessant und spannend wirken, und man Lust bekommt, das Buch zu lesen.

Das Buch liest sich recht locker, also, sich nicht wegen der vielen Fremdwörter abschrecken lassen. 

Tja, die Frankfurter Rundschau hat das Buch im Klappentext so hochgelobt und da sieht man, dass man auf Werbeslogans nicht viel geben sollte.


Fazit:

Mich hat das Buch einfach nur enttäuscht. Menschlich haben die Figuren alle durchweg versagt. 
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Wie können die Toten wirklich tot sein, solange sie noch durch unser Herz wandern?
(C. McCullers zitiert aus einer alten Indianerlegende).


Gelesene Bücher 2014: 29
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Freitag, 18. April 2014

Peter Henning / Die Ängstlichen

Klappentext
Ein letztes Mal wollen die Jansens zusammen feiern, doch ihr Fest endet fatal. Hennings Chronik einer musterhaften Familie ist eine aberwitzige, rabenschwarze menschliche Komödie, ein Mosaik aus Hoffnung, Glück, kleinen und großen Schrecken – ein Buch des Lebens.Über Taunus und Rhön gehen sintflutartige Regenfälle nieder. Sie sind Vorboten eines Orkans, der die Familie Jansen mit aller Zerstörungskraft trifft: Weil Johanna Jansen, die 80-jährige Patriarchin, in ein Wohnstift ziehen will, möchte sie ihre Kinder noch einmal um sich versammeln. Doch der Lebensabend wird für sie zur Sonnenfinsternis: Plötzlich verschwindet ihr Lebensgefährte, und ihr ältester Sohn sieht sich von einer tödlichen Krankheit bedroht, während sein jüngerer Bruder aus der Psychiatrie flieht. Auch Johannas Tochter begibt sich auf eine Reise, die für sie und ihren untreuen Mann zur Tortur gerät, derweil ihr Enkel um die Liebe seines Lebens kämpft. Als die Jansens ein letztes Mal zusammenfinden, ziehen erneut dunkle Wolken auf. Es sind die Schatten des Kleinmuts und der Angst, der Geltungssucht und Lieblosigkeit – die Schatten einer deutschen Familie. 

Autorenporträt
Peter Henning, geb. 1959 in Hanau, arbeitet seit über 20 Jahren als Journalist. Er hat Romane und Erzählungen publiziert, die sowohl ausgezeichnet worden sind als auch von der Kritik viel Lob ernteten. 2009 erschien »Die Ängstlichen« (atb 2681-9), »Der Roman zur Zeit«, so Der Spiegel. Jetzt als Taschenbuch: »Tod eines Eisvogels« (atb 2741-0). www.peter-henning.com»Da, wo wir schwach werden, sind wir authentisch, bei dem angekommen, was wir wirklich sind.«

Ich hatte Glück, dass ich noch eine gebundene Ausgabe für wenig Geld bekommen habe. Im Restsellerladen Jokers. Im Preis eines Taschenbuches.

Ich habe nun die ersten fünfzig Seiten durch und es gefällt mir recht gut. Nun bin ich auf Weiteres gespannt.










Donnerstag, 17. April 2014

Herta Müller / Atemschaukel (2)

Zweite von zwei Buchbesprechungen zur o. g. Lektüre

Ich gebe zur Erinnerung erneut den Klappentext rein:
Rumänien 1945: Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende. Die deutsche Bevölkerung lebt in Angst. "Es war 3 Uhr in der Nacht zum 15. Januar 1945, als die Patrouille mich holte. Die Kälte zog an, es waren -15º C." So beginnt ein junger Mann den Bericht über seine Deportation in ein Lager nach Russland. Anhand seines Lebens erzählt Herta Müller von dem Schicksal der deutschen Bevölkerung in Siebenbürgen. In Gesprächen mit dem Lyriker Oskar Pastior und anderen Überlebenden hat sie den Stoff gesammelt, den sie nun zu einem großen neuen Roman geformt hat. Ihr gelingt es, die Verfolgung Rumäniendeutscher unter Stalin in einer zutiefst individuellen Geschichte sichtbar zu machen.
Der Hunger durchläuft personifiziert zentral durch alle Gänge des Romans hindurch und wird als der Hungerengel bezeichnet, der ständige Begleiter der Menschen aus dem Arbeitslager. Eine starke Metapher, die so gewaltvoll auf mich eingewirkt hat, dass es mich manchmal lähmte. Wer solch ein Erlebnis hinter sich hat, wird für den Rest seines Lebens gezeichnet sein …
Immer ist der Hunger da.Weil er da ist, kommt er, wann er will und wie er will. Das kausale Prinzip ist das Machwerk des Hungerengels. Wenn er kommt, dann kommt er stark. Die Klarheit ist:1 Schaufelhub = 1 g Brot. Ich bräuchte die Herzschaufeln nicht. Aber mein Hunger ist auf sie angewiesen. Ich wünschte, die Herzschaufel wäre mein Werkzeug. Aber es ist mein Herr. Das Werkzeug bin ich. Sie herrscht, und ich unterwerfe mich. (…) Der Hunger ist meine Richtung, wenn es nicht seine ist. Der Engel lässt mich vor. Er wird nicht schüchtern, er will nur nicht gesehen werden mit mir. Dann wollte ich den Rücken, wenn es nicht seiner ist. Meine Gier ist hoch, meine Hände sind wild. Es sind meine Hände, Abfall fasst der Engel nicht an. Ich schiebe die Kartoffelschalen in den Mund und ließ beide Augen, so spüre ich sie besser, süß und Klassik, die gefrorenen Kartoffelschalen. (…) Er greift sich den Puls wie eine Meute Klaxons. Ich bin kurz vor dem Zusammenbruch, im süßen Gaumen schwillt mir das Zäpfchen. Und der Hungerengel hängt sich ganz in meinen Mund hinein, an meinen Gaumensegel. Es ist seine Wangen. Er setzt meine Augen auf, und die Herzschaufel wird schwindlig, die Kohle verschwindet. Der Hungerengel stellt meine Wagen Wangen auf sein Kinn. Er lässt meinen Atem schaukeln. Die Atemschaukel ist ein Delirium und was für eins. Der Hummerengel sucht Spuren, die nicht zu löschen sind, und löscht Spuren, die nicht zu halten sind. (…) Und es kommt der Abend und alle kommen von der Arbeit heim. Und alle steigen in den Hunger. Er ist ein Bettgestell, wenn ein Hungriger den anderen Hungrigen zuschaut. Aber das täuscht, ich spüre an mir, der Hunger steigt in uns hinein. Wir sind das Gestell für den Hunger. Wir alle essen mit geschlossenen Augen. Wir füttern den Hunger die ganze Nacht. Wir mästen ihn hoch auf die Schaufel. Ich esse einen kurzen Schlaf, dann wache ich auf und esse den nächsten kurzen Schlaf. Ein Traum wie der andere, es wird gegessen. (86ff)
Damit man eine Vorstellung von dem Hungerengel hat, war es mir wichtig, diese Episode aufzuzeichnen.

Leo ging nach der Arbeit ins Russendorf, um zu betteln auf vornehme Art. Er trifft eine alte Frau, die Leo zu sich ins Haus zieht, da sie die Nachbarn fürchtet. Lieber redet sie mit Hühnern, als mit den Nachbarn.
Die alte Frau redete eine Weile. Ich verstand nur hie und da ein Wort, spürte aber, worum es ging. Dass sie Angst vor den Nachbarn hat, dass sie schon lange mit zwei Hühnern allein ist, aber lieber mit den Hühnern redet, als mit den Nachbarn. Dass sie einen Sohn in meinem Alter hat, dass er Boris heißt und von zu Hause so weit weg ist wie ich, in der anderen Richtung, in einem Lager in Sibirien, in einem Strafbataillon, weil ein Nachbar ihn denunziert hat. Vielleicht habt ihr Glück, du und mein Sohn Boris, sagte sie, und dürft bald nach Hause. Sie zeigte auf den Stuhl, und ich setzte mich an die Tischdecke. Sie nahm mir die Mütze vom Kopf und legte sie auf den Tisch. Sie legte einen Holzlöffel neben die Mütze. (76f)
Und Leo hat mit der Frau Glück, Glück, dass er sie an ihren Boris erinnert. Er bekommt von ihr an dem Tisch reichlich zu essen, zum Abschied noch ein weißes Taschentuch geschenkt:
Was da geschah, ging weit über das Geschäftliche des Hausierens und mich und sie und ein Taschentuch hinaus. Es betraf ihren Sohn. Und mir tat es gut und auch wieder nicht, sie oder ich oder wir beide waren ein Stück zu weit gegangen. Sie musste etwas tun für ihren Sohn, weil ich da war und er von zu Hause so weit weg wie ich. Mir war es peinlich, dass ich da war, dass ich nicht er war. Und dass sie das auch spürte und sich darüber hinwegsetzen musste, weil sie die Sorgen um ihn nicht mehr aushielt. Auch ich hielt es nicht mehr aus, zwei Menschen zu sein, zwei Verschleppte, das war mir zu viel, das war nicht so einfach wie auf dem Hocker zwei Hühner nebeneinander. Ich war mir doch selber schon um eine Last zu viel. (77f)
Das hat mir sehr gut gefallen, wie die Autorin diese Nöte beschrieb und sie ausdrückte.

Leopold nahm vier Bücher von Zuhause mit. Nietzsches Zarathustra, Goethes Faust, ein Buch von Weinheber und ein Gedichtband. Wie kamen diese Bücher im Lager zum Einsatz?
Meine mitgebrachten Bücher habe ich im Lager nie gelesen. Papier ist streng verboten, den ersten halben Sommer habe ich meine Bücher hinter der Baracke unter Ziegelsteinen versteckt. Und dann verschachert. Für 50 Seiten Zarathustra-Zigarettenpapier habe ich 1 Maß Salz bekommen, für 70 Seiten sogar 1 Maß Zucker. Für den ganzen Faust in Leinen hat Peter Schiel mir einen eigenen Läusekamm aus Blech gemacht. Die Sammlungslyrik aus acht Jahrhunderten habe ich in Form von Maismehl und Schweineschmalz gegessen und den schmalen Weinheber in Hirse verwandelt. Davon wird man nicht delikat, nur diskret. (116f)
Ich bin immer interessiert zu wissen, welche Bücher von den Romanfiguren präferiert werden, und welche ich davon selbst kenne. Romane wollte Leo keine mitnehmen, da sie in der Regel nur ein Mal gelesen werden würden.

Wenn Leo sich einsam fühlte, an sein Zuhause denkt, fällt ihm immer wieder seine Großmutter ein, die ihm, als er von der Patrouille abgeholt wurde, mit auf dem Weg gab; ich weiß, du kommst wieder.

Immer wieder zelebrierte Leo diesen Satz seiner Großmutter, bis er eines Tages ein Foto, auf dem sein neugeborener Bruder abgebildet war, zugeschickt bekam:
Meine Eltern haben sich ein Kind gemacht, weil sie mit mir nicht mehr rechnen. So wie die Mutter geboren mit GEB. abgekürzt, würde sie auch gestorben mit Gest. abkürzen. Sie hatte es schon getan. Schämt sich Mutter nicht mit ihrer akkuraten Steppnaht aus weißem Zwirn, dass sich unter der Zeile lesen muss:
>>Meinetwegen kannst du sterben, wo du bist, zu Hause würde es Platz sparen.<< (213)
Mich hat diese Szene sehr betroffen gestimmt. Kann mir schwer eine Mutter vorstellen, die so schnell ihr Kind aufgibt. Aber die Angst vor dem Verlust muss hier größer gewesen sein als die Hoffnung. Leos Platz ist nun an ein anderes Kind vergeben. Trotzdem kommt er nach fünf Jahren heim. Er fühlt sich nicht wirklich willkommen, kaum einer fragt, was er erlebt hat. Er wird wie ein Fremder aufgenommen:
Seit ich wieder daheim war, hatte alles Augen. Alles sah, dass mein herrenloses Heimweh nicht wegging. Vor dem größten Fenster stand die Nähmaschine mit dem verfluchten Schiffchen und dem weißen Zwirn unter ihrem Holzdeckel. Das Grammofon war wieder in mein abgenutztes Köfferchen eingebaut und stand auf dem Ecktisch wie immer. Dieselben grünen und blauen Gardinen ließen sich hängen, dieselben Blumenmuster schlängelten sich in den Teppichen, die verfilzten Fransen säumten sie immer noch ein, die Schränke und Türen quietschten beim Öffnen und Schließen wie eh und je, die Fußböden knarrten an derselben Stelle, der Handlauf der Verandatreppen war noch an derselben Stelle rissig, jede Treppenstufe ausgetreten, am Geländer baumelte derselbe Blumentopf in seinem Drahtkorb. Nichts ging mich was an. Ich war eingesperrt in mich und aus mir heraus geworfen, ich gehörte nicht ihnen und fehlte mir. (272)
Eine sehr traurige Szene, besonders der letzte Satz.
Wie hat Leopold das schwere Schicksal nur ertragen können? Die schwersten Szenen stehen im Buch, habe sie nicht übernommen, einfach zu schwer, sie geistig, emotional zu ertragen. Ich weiß, das ist nicht fair gegenüber diesen Menschen, die real dem Geschehen ausgesetzt waren, und vor der Realität nicht fliehen konnten, wie ich es als Leserin getan habe.

Viele Menschen glauben, dass Leute, die schnell weinen, emotionslos sind. Auch Leo fragte sich, zu welcher Sorte Mensch er gehörte, um sein Schicksal zu ertragen:
Ich rede mir ja immer ein, dass ich wenig Gefühle habe. Wenn ich mir etwas zu Herzen nehme, ergreift es mich nur mäßig. Ich weine fast nie. Ich bin nicht stärker als die mit den nassen Augen, sondern schwächer. Sie trauen sich. Wenn man nur Haut und Knochen ist, sind Gefühle tapfer. Ich bin lieber feig. Der Unterschied ist minimal, ich nutze meine Kraft, um nicht zu weinen. Wenn ich mir mal ein Gefühl leiste, drehe ich den wunden Punkt um eine Geschichte, die trocken auf der Heimwehlosigkeit verharrt. (…) Ich habe meinem Heimweg schon lange trockene Augen beigebracht. Und jetzt möchte ich noch, dass mein Heimweh auch herrenlos wird. Dann sieht es nicht mehr meinen Zustand hier und fragt nicht mehr nach denen von Zuhause. Dann sind auch in meinem Kopf keine Personen mehr daheim, nur noch Gegenstände. Dann schiebe ich sie auf dem wunden Punkt hin und her, wie man die Füße schiebt bei der Paloma. Gegenstände sind klein oder groß, manche vielleicht zu schwer, aber sie haben ein Maß.Wenn mir das auch noch gelingt, ist mein Heimweh nicht mehr empfänglich für Sehnsucht. Dann ist mein Heimweh nur noch der Hunger nach dem Ort, wo ich früher einmal satt war. (190)
Auch die Gefühle werden hier personifiziert, ebenso die Sehnsucht. Ich finde nun in dem Zitat eine Antwort darauf, weshalb so viele Dinge wie Menschen beschrieben werden und so kann ich es jetzt mit Hilfe dieses Zitates besser nachvollziehen. Es drückt aus meiner Sicht ein gewisses Maß an menschlicher Einsamkeit aus. 
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Das Buch hat sehr viel Tiefgang. Literarisch und sprachlich ist es zudem recht anspruchsvoll. Es erhält von mir zehn von zehn Punkten.

Mein Appell an andere LeserInnen:

Habt Mut, das Buch selbst zu lesen, in der Hoffnung, dass diese Form der Geschichte sich nicht noch einmal wiederholt.
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Wie können die Toten wirklich tot sein, solange sie noch durch unser Herz wandern?
(C. McCullers zitiert aus einer alten Indianerlegende).


Gelesene Bücher 2014: 28
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Herta Müller / Atemschaukel (1)

Eine von zwei Buchbesprechungen zur o. g. Lektüre

Das Buch von der Autorin Herta Müller mit dem Titel Atemschaukel zählt zu den heftigsten Büchern, die ich bisher gelesen habe. Große fantastische Wortspielerei macht das Buch aber noch lange nicht zart und nicht gefügig. Es erstarrte manchmal vor meinen Augen. Hat mich betroffener gestimmt, als einst alle Werke von Kafka. Ich konnte das Buch nicht durchweg lesen, immer wieder waren größere Pausen nötig, ich fühlte mich geistig gefoltert. Habe mir demnach Zeit mit dem Buch gelassen.

Das Cover passt aus meiner Sicht gar nicht zu dem Inhalt. Ich hätte es eher kafkaesk gestaltet. Die Kriegs- und die Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs, Anfang 1945 bis 1950, war eine dunkle Zeit der deutschen Rumänen, und die Sprache ist auch dunkel, dunkel wie die Nacht. Wer diese Zeit im russischen Lager überlebt hat, der gehörte zu den Starken.

Die oder der Ich – Erzähler/in gestaltete sich vor meinen Augen als eine Frau und so wurde ich überrascht, als ich erfuhr, dass sie ein Er ist, ein Mann namens Leopold Auberg, abgekürzt Leo, obwohl auf der Seite 13 männliche Utensilien mit in den Koffer gepackt wurden. Trotzdem setzte sich der männliche Ich-Erzähler nicht durch. Liegt es an der Sprache, dass sich mir eine erzählende Frau auftat? Ich weiß es nicht genau. Doch selbst die männliche Person auf dem Cover konnte mich scheinbar nicht inspirieren. Die erzählende Frau kehrte immer weider zu mir zurück.


Die Sprache ist sehr fantasievoll, viele Dinge wurden personifiziert, manchmal seitenlang, das war mir an einigen Stellen zu viel:
Der Sommer quält sein Laub, der Herbst seine Farben, der Winter uns. (206)  
Dass der Winter Menschen quälen kann, ... eher der Mensch kann sich selber schaden, wenn er sich der Beschaffenheit des Schnees nicht anzupassen weiß. Und der Sommer quält sein Laub … hm.
Eine andere Figur spricht von ihrer Angst, sich im Tod zu langweilen.

Der Ich-Erzähler spricht durchweg monologisch und zeigt sich in seinen Handlungen stets selbstreflektiv.

Die Autorin behandelt ihr Thema so, als habe sie es selbst erlebt. Als ich den Anhang gelesen habe, bestätigte sich mein Verdacht, dass die politische Epoche und deren Ereignisse aus den Erzählungen ihres Familienkreises stammen würden. Die Autorin scheint diese Informationen wie ein Schwamm in sich aufgenommen zu haben. Man spürt die hohe Sensibilität hinter jedem geschriebenen Satz.

Es gibt Theorien, die besagen, dass die Kriegserlebnisse sich bis in die dritte Generation hineinwirken können. Herta Müller war ein Nachkriegskind, 1953 geboren, demnach haben ihre Eltern und Großeltern den oder die Kriege erlebt.

Leider kenne ich mich mit der Geschichte Rumäniens gar nicht aus, auch literarisch bin ich mit dem Land nicht verwachsen, und ich war überrascht, dass die Befreiung der Inhaftierten mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges trotzdem kein Ende nahm. Ich zitiere die Autorin aus dem Anhang:
Als im Sommer 1944 die Rote Armee nach Rumänien vorgerückt war, wurde der faschistische Diktator Antonescue verhaftet und hingerichtet. Rumänien kapitulierte und erklärte dem bis dahin verbündeten Nazideutschland völlig überraschend den Krieg. Im Januar 1945 forderte der sowjetische General Vinogradov im Namen Stalins von der rumänischen Regierung alle in Rumänen lebenden Deutschen für den >>Wiederaufbau<< der im Krieg zerstörten Sowjetunion. Alle Männer und Frauen im Alter zwischen 17 und 45 Jahren wurden zur Zwangsarbeit in sowjetische Arbeitslager deportiert.Auch meine Mutter war fünf Jahre im Arbeitslager.Weil es an die faschistische Vergangenheit Rumäniens erinnerte, war das Thema Deportation tabu. Nur in der Familie und mit engen Vertrauten, die selbst deportiert waren, wurde über die Lagerjahre gesprochen. Und auch dann nur in Andeutungen. Diese verstohlenen Gespräche haben meine Kindheit begleitet. Ihre Inhalte habe ich nicht verstanden, die Angst aber gespürt. (299)
Auch in dem Roman wurde kaum über die Lagererfahrungen gesprochen, als Leo nun nach fünf Lagerjahren endlich wieder nach Hause zurückkehren konnte. Er war für die Familie ein Fremder, niemand fragte seine Erfahrungen ab, Gefühle waren das Letzte, was zu äußern gewünscht war, weil das Leid einfach zu groß war. Leo ging mit 17 Jahren aus dem Haus und kam mit 22 Jahren wieder zurück. In der Zwischenzeit seiner Abwesenheit bekamen seine Eltern einen weiteren Jungen, der von Leo als der Ersatzbruder bezeichnet wird. Traurig darüber, dass sein Platz nun ein anderes Kind eingenommen hat.

Ich widme nun dem Buch eine zweite Buchbesprechung, weil es so vieles gibt, was ich noch mit in meinen Aufzeichnungen aufnehmen möchte.

Ich gehe nun in meine zweite Buchbesprechung über, zu finden auf ein separates Posting innerhalb dieses Blogs.
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Wie können die Toten wirklich tot sein, solange sie noch durch unser Herz wandern?
(C. McCullers zitiert aus einer alten Indianerlegende).

Gelesene Bücher 2014: 27
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Dienstag, 15. April 2014

Herta Müller / Atemschaukel

Klappentext
Rumänien 1945: Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende. Die deutsche Bevölkerung lebt in Angst. "Es war 3 Uhr in der Nacht zum 15. Januar 1945, als die Patrouille mich holte. Die Kälte zog an, es waren -15º C." So beginnt ein junger Mann den Bericht über seine Deportation in ein Lager nach Russland. Anhand seines Lebens erzählt Herta Müller von dem Schicksal der deutschen Bevölkerung in Siebenbürgen. In Gesprächen mit dem Lyriker Oskar Pastior und anderen Überlebenden hat sie den Stoff gesammelt, den sie nun zu einem großen neuen Roman geformt hat. Ihr gelingt es, die Verfolgung Rumäniendeutscher unter Stalin in einer zutiefst individuellen Geschichte sichtbar zu machen.

Autorenporträt
Herta Müller, 1953 in Nitzkydorf/Rumänien geboren, lebt seit 1987 als Schriftstellerin in Berlin. Ihr Werk erscheint bei Hanser. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und ist die Literaturnobelpreisträgerin 2009.
Die Autorin ist mir unbekannt. Habe das Buch gebraucht bei Buch - Oxfam entdeckt und eingekauft. Die ersten einhundert Seiten habe ich durch, und es ist stark monologisch aufgebaut, stark selbstreflektierend der Protagonistin, die Ich-Erzählerin dieses Romans, deren Namen ich nicht kenne.
Harter Stoff, harte Erlebnisse, so waren die Zeiten des Nationalsozialismus. Aber sehr fantasievoll geschrieben.








Sonntag, 13. April 2014

Carson McCullers / Uhr ohne Zeiger (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir sehr gut gefallen, lediglich der Klappentext hat mich ein wenig irritiert. Ich bin mit der Vorstellung in die Lektüre gegangen, es mit einem an Krebs erkrankten Menschen zu tun zu haben. Ja, diesen Menschen gibt es in der Geschichte, aber er ist bei Weitem nicht die Hauptperson des Romans. Wie dieser Mensch mit seiner tödlichen Erkrankung umgeht, fand ich recht spärlich, und für mich nur eine Nebendarstellung, die im großen Ganzen des Romans dazugehört. Das ist aber nicht die Schuld der Autorin, sondern desjenigen Lesers, der den Umgang mit der Krankheit und dem Tod ins Zentrum gerückt hat, wobei der Buchtitel, fällt mir gerade auf, doch eher auf das Thema Sterben und Tod hinweist.

Hat die Autorin vielleicht doch zu viele Themen reingepackt? War das Ausgangsthema erst ein anderes, und sich das Thema in eine andere Richtung entwickelt hat? 

Parallel dazu finden noch viele andere Geschichten statt, die nicht weniger bedeutsam sind. Aber ich war darauf nicht vorbereitet. Siegfried Lenz hat den Klappentext geschrieben, auch wenn er im Anhang etwas ausführlicher ausholt, gleicht er das Missverständnis wieder aus, indem er die Handlungen der anderen Protagonisten mit dem des Sterbenden miteinander verbindet.

Carson McCullers ist eine Autorin, die die Figuren authentisch aufleben lässt, sie kann menschliche Charaktere in ihren Handlungen wahnsinnig gut beschreiben.

Trotzdem bin ich ein wenig orientierungslos gewesen. Nicht nur Lenz mit seinem Klappentext hat mich auf die falsche Fährte gebracht, sondern auch der Buchtitel. Mit Rassismus, das ist das eigentliche Hauptthema, hätte ich den Buchtitel niemals in Verbindung gebracht.

Im Folgenden noch einmal der Klappentext: 
In ihrem letzten Roman thematisiert Carson McCullers die Unabwendbarkeit des Todes: Dem Apotheker Malone wird von seinem Arzt eröffnet, daß er nur noch ein gutes Jahr zu leben hat. Ist das genug Zeit, sich vom Vergangenen zu verabschieden und das Sterben zu akzeptieren?
Für mich war nicht der Krebskranke der Protagonist, sondern der Richter, sein Neffe und ein schwarzer Junge.

Das Buch beginnt zwar mit der Thematik Sterben und Tod, aber sehr bald kommt die Wende und man hört lange nichts mehr davon.

Marlone heißt die Figur, die von ihrem Arzt gesagt bekommt, dass sie an Leukämie erkrankt sei und nur noch wenige Monate zu leben habe.  
Marlone verschweigt seiner Familie die Diagnose, versucht sich aber bei seinem eher oberflächlichen Freund, der Richter ist, auszusprechen. Marlone ist Mitte vierzig, der Richter weit über neunzig. Doch auch der Richter ist von Krankheit und Tod gebeutelt, er selbst hatte Glück und konnte seinen Infarkt überleben. Aber sein Sohn hatte sich das Leben vor mehr als siebzehn Jahren genommen. Auch seine Frau verstarb.

Der Tod lauert also überall …

Marlone fühlt sich von dem Richter nicht ernst genommen, da er versuchte, ihm die Diagnose auszureden …

Und so versucht Marlone, alleine mit der Erkrankung, mit seinem Sterben und mit seinem bevorstehenden Tod umzugehen. Er gibt sich plötzlich Gedanken hin, die ihm vor seiner Erkrankung niemals gekommen wären ... Marlone denkt an all die Menschen, die vor ihm gegangen waren, darunter befanden sich auch Kinder.
Mit jeder Stunde rückt jedes Lebewesen seinem letzten Stündlein näher - aber wie oft denken wir daran?
Zwischendrin nimmt man immer mal wieder Teil an Marlones Gedanken. Zum Ende hin wird es richtig konkret, während er zuvor noch lange in seiner Apotheke beschäftigt ist. Das Jahr war schon längst rum, und Marlone lebt immer noch.
Die größte Gefahr - sein Ich zu verlieren - kann sich so still vollziehen, als wäre es nichts; jeder andere Verlust - von einem Arm oder Bein, von fünf Dollar, von einer Ehefrau usw.- fällt einem bestimmt auf. (262)
Ich wechsle nun über zu den eigentlichen Protagonisten. Das wären der Richter Clane, sein Neffe Jester und der schwarze Junge namens Sherman.

Sherman ist ein Waisenkind, mittlerweile siebzehn Jahre alt. Ein Schwarzer, der blaue Augen hat. Er leidet unter Identitätsproblemen, da er nicht weiß, wer seine eigentlichen Eltern sind und erfindet welche in seinen Träumen. Er zeigt sich arrogant und ist schwer zugänglich. Einerseits will er sich rächen, weil die Schwarzen schlecht behandelt werden, und andererseits glaubt er etwas Besseres zu sein, weil er blaue Augen hat, und sich nicht zu den Schwarzen zählt.
Sherman ist im Haus des Richters tätig …

Sherman befindet sich in einer Phase, wo er, wie jeder Jugendlicher auch, noch seinen Platz in der Gesellschaft sucht. Bei einem Schwarzen dauert solch ein Selbstfindungsprozess weitaus länger. Richter Clare weiß, wer die Eltern des Jungen sind, spricht es aber nicht aus. Er sieht, wie der Junge leidet. Erst als der Junge durch Zufall die Namen seiner Eltern herausfand, rastet der Junge ganz aus und möchte sich an dem Richter rächen, unterlässt es dann schließlich doch und rächt sich an Jesters Hund, indem er den Hund an einem Baum erhängt, als Jester nicht zu Hause war. Jester ist geschockt, den Hund aufgehängt vorzufinden und hat sofort Sherman in Verdacht, den er zur Rede stellt. Shermans Reaktion:
>>Und ich sehe, wie du mit dem Hund von´nem weißen Gassi gehst, wie du dir ne´schicke weiße Sommerhose anziehst und in die Schule für die Weißen gehst. Aber um mich kümmert sich keiner. Ich tue das, aber keiner merkt es. Was Gutes oder was Gemeines, aber keiner merkt es. Die Leute streicheln den verdammten Hund, aber mich sehen sie nicht. Und dabei ist er bloß ein Hund.<< (358)
Armer Hund, der sogar Sherman immer abgeschleckt hatte; wo für den Hund alle Menschen gleich sind, weiß wie schwarz, so musste er nun für den Rassismus bezahlen.

Der Richter Clane ist der absolute Rassist. In seinem Dienst als Richter hat er immer dafür gesorgt, dass die schwarzen Angeklagten verurteilt wurden, auch, wenn sie im Recht waren. Schwarze Menschen waren schon dadurch im Unrecht, weil sie existierten und die Diskrepanz liegt allerdings darin, dass sie doch auch von den Weißen gebraucht und ausgebeutet wurden. Seit knapp hundert Jahren kämpfen die Schwarzen um Gleichbehandlung, die auch im Gesetz schließlich geregelt wird.

Richter Clane hält eine öffentliche Rede, als es darum ging, gegen die Schwarzen zu sprechen und merkte nicht, wie er sich mit seiner Rede blamierte:
Vor siebenundachtzig Jahren, (…) gründeten unsere Väter auf diesem Kontinent eine neue Nation, in Freiheit gezeugt und dem Grundsatz geweiht, dass alle Menschen gleich geschaffen sind. Jetzt stehen wir in einem großen Bürgerkrieg, um zu erproben, ob diese oder jene andere so gezeugte Nation dauerhaft bestehen kann. (396)
… dass alle Menschen gleich geschaffen sind. Er wusste nicht, wo die Blamage lag, das bedeutet, die Schwarzen zählte er nicht zu den Menschen. Denn das war ja das Ziel der Neuamerikaner, Freiheit allen Menschen.

Der Neffe Jester, auch siebzehn Jahre alt, geht noch zur Schule mit der Perspektive, Jurist wie sein Vater zu werden. Aber nicht wie sein Großvater. Sein Vater nahm sich das Leben, als Jester sich im Kleinkindalter befand. Johnny war anders als sein Vater; er setzte sich für die Schwarzen ein.
Er nahm sich das Leben, und Jester erfährt erst recht spät, weshalb sich der Vater suizidierte. Jester favorisierte seinen Großvater, als er noch klein war. Doch später, in der Adoleszent, rebelliert er gegen den Großvater und entwickelt sich in die andere Richtung. Jester setzt sich für die Schwarzen ein. Er hält Freundschaft mit Sherman, auch wenn Sherman seine Freundschaft nicht erwidern konnte.

Richter Clare ist dermaßen narzisstisch eingestellt, dass er von seinem Neffen die permanente Bewunderung in seinem Denken und in seinen Handlungen benötigt. Auch von seinem Sohn erwartete er das Nacheifern. Richter Clare wollte sich dadurch unsterblich machen. Er konnte seinen Sohn nur lieben, solange er das machte, was seinen Vorstellungen entsprach. Immer wieder spricht er davon, dass sein Verhältnis zu seinem Sohn eher brüderlich war, eher zwillingshaft. Nein, Jester glaubte nicht alles, was er über seinen Vater erzählt bekommt. Jester sieht die Unterschiede zwischen Vater und Sohn ... 

Zum ersten Mal spricht Clare mit Jester über den Sohn Johnny, indem er die Dialoge zwischen Vater und Sohn wiedergibt:
Einmal, in Johnnys erstem Jahr in der Anwaltspraxis, hatte der Vater laut gesagt: >>Mir ist oft aufgefallen, Johnny, dass Männer, die sich zu sehr mit der Unterschicht befassen, leicht selber untergehen.<<
Johnny hatte nur mit den Schultern gezuckt.
Der Großvater, der Richter, spricht nun aus eigener juristischer Erfahrung, als er in Johnnys Alter war:
>>Ich bin den Armenprozessen, die einem jungen Anwalt zuerst aufgehalst werden, aus dem Weg gegangen. Meine Kanzlei lief gut, und bald konnte ich als Verteidiger Fälle übernehmen, die mir beträchtlichen finanziellen Gewinn eintrugen. Finanzieller Gewinn und politisches Prestige, das sind schon immer die ausschlaggebenden Erwägungen gewesen.<<
>>So ein Anwalt bin ich nicht<<, hatte Johnny gesagt. (308)

Auch vor Gericht brachte Johnny seinen Einsatz, der für die schwarzen Menschen sprach:
>Meine Herren Geschworenen, in Fällen wie diesem hier ist es die Verfassung, die unter Anklage steht.< Johnny zitierte die Präambel und die Zusätze, die allen Sklaven Freiheit garantierte und sie zu Staatsbürgern mit gleichen Rechten machte. (325)
Richter Clare ist nicht nur rassistisch, sondern auch materiell. Er tat alles, um in seinem Beruf schnell aufzusteigen und sich Reichtürmer anzuhäufen. Er bezeichnete sich und Marlone als bedeutende, überaus wichtige Bürger ihres Viertels. Marlone fühlt sich geehrt, als der Richter ihn miteinbezogen hatte:

Der Richter im Gespräch:
>> Und noch etwas<<, fuhr der Richter fort. >> Du und ich, wir haben unsere Grundstücke und unsere Stellung und unsere Selbstachtung. Was aber hat Sammy Lank, außer einen Haufen Kinder? Sammy Lank und andere arme Weiße wie er haben nichts als ihre Hautfarbe. Keinen Besitz, keine finanziellen Mittel und keinen, auf den sie herabsehen können - das ist der Schlüssel zu der ganzen Sache. Es ist ein trauriger Zug der menschlichen Natur, aber jedermann muss jemand haben, auf den er herabsehen kann. Und die Sammy Lanks dieser Welt haben nur die Nigger, auf die sie herabsehen können.<< (363)
Nichts haben als die weiße Haut … Fand ich absurd, die Haut wie einen losen Gegenstand zu betrachten.

Mein Fazit zu dem Buch:

Eigentlich hatte ich gar nicht vor, so viel über den Rassismus zu schreiben, da ich schon so viel darüber gelesen habe. Ich habe mir auch erst viel später im Buch die Zitate angemerkt, weil sie mir doch als recht bedeutsam erschienen sind.

Ich bin sicher, dass wir die Befreiung der Sklaverei auch McCullers zu verdanken haben, die in ihren Büchern sich für die Schwarzen eingesetzt hat, wobei die Sklaverei zu ihrer Lebzeit schon längst abgeschafft war, Ende des 19. Jhrd., wie man dies auch aus dem Kontext ihres Romans entnehmen kann, aber die Gesetze wurden noch nicht eingehalten. Die Weißen beachteten sie einfach nicht. Nach wie vor wurden die Schwarzen auch juristisch weiterhin in ihren Menschenrechten missachtet. 

Das Buch erhält von mir neun von zehn Punkten. Neun aus dem Grund, weil der Buchtitel und der Klappentext irreführend war. Sonst wären es zehn gewesen.

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Wie können die Toten wirklich tot sein, solange sie noch durch unser Herz wandern?
(C. McCullers zitiert aus einer alten Indianerlegende).

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Donnerstag, 10. April 2014

Carson McCullers / Uhr ohne Zeiger



Klappentext
Aus dem Englischen von Elisabeth SchnackIn ihrem letzten Roman thematisiert Carson McCullers die Unabwendbarkeit des Todes: Dem Apotheker Malone wird von seinem Arzt eröffnet, daß er nur noch ein gutes Jahr zu leben hat. Ist das genug Zeit, sich vom Vergangenen zu verabschieden und das Sterben zu akzeptieren?


Autorenporträt
Carson McCullers, geboren 1917 in Columbus (Georgia), gestorben 1967 in Nyack (New York), dort begraben. McCullers wollte eigentlich Pianistin werden. Mit 500 Dollar fuhr sie 18-jährig alleine nach New York, um an der renommierten Juilliard-Musikschule zu studieren. Das Geld verschwand auf mysteriöse Weise, doch sie blieb in New York, arbeitete als Sekretärin, Kellnerin, Barpianistin und beschloss, Schriftstellerin zu werden. Der Erfolg ihres Erstlings, ›Das Herz ist ein einsamer Jäger‹, machte die 23-Jährige zum literarischen ›Wunderkind‹. Mit 23 erlitt sie den ersten von drei Schlaganfällen, ihr Leben wurde bestimmt durch die Krankheit, der sie ihr Werk abrang, und durch Einsamkeit, besonders nach dem Selbstmord ihres Mannes 1953.
Die Autorin zählt zu meinen Favoriten. Gelesen habe ich von ihr Das Herz ist ein einsamer Jäger. Das Buch führte dazu, dass ich mir noch weitere Werke von der Autorin angeschafft habe, und die werde ich in zeitlichen Abständen nach und nach lesen. Das nächste Buch von ihr wird die Autobiographie sein, die ich lesen werde.

Die ersten einhundert Seiten habe ich schon durch und es liest sich genauso spannend wie das letzte, das ich von ihr gelesen habe.  Unter Spannung verstehe in in diesem Fall die gesellschaftskritischen Themen, die McCullers wieder in ihr Buch gepackt hat. Auch der Rassismus bekommt hier seinen Raum.

Freue mich auf mehr ...





Mittwoch, 9. April 2014

Voltaire / Candide oder der Optimismus (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Viele interessante und philosophische Lebensfragen, um die ich mir selbst schon den Kopf heiß gedacht habe, werden in dem Buch gestellt, aber die Art und Weise, wie sie behandelt wurden, hat mir nicht zugesagt. Werde also nicht allzu viel dazu schreiben …

Schön fand ich den humoristischen Stil, ein wenig Galgenhumor kommt bei mir immer gut an, sowie auch die Absurdität in bestimmten Handlungen.

Die Hauptfragen, die sich die Protagonisten in dem Werk stellen, sind, ob das Leben einen Sinn habe, wenn in der Welt so viel Böses existiere? Auf den ersten Seiten wird man mit einer vollen Ladung menschlicher Schwächen konfrontiert, Schwächen, die anderen schaden, wie z. B. Mord, Diebstahl, Intrigen u.v.m. Der Philosoph namens Pangloss vertritt die Auffassung, dass des Menschen Tuns eher gelenkt wird durch höhere Mächte, das heißt, der Mensch handelt schicksalshaft, unterworfen von Ursache und Wirkung. Candide, die Hauptfigur, kann das nicht so recht glauben, und fragt, ob der Mensch nicht einen freien Willen habe? Pangloss bejaht diese Frage. Es wäre beides. Schicksal und freier Wille.

Und diese Streitgespräche über das moralische und das physische Elend in der Welt begleiteten mich das ganze Buch hindurch.

Candide wird als die sanftmütigste Seele bezeichnet, doch auch er schafft es, drei Morde zu begehen, lach.

Richtig laut lachen musste ich bei einer Textstelle; Candide und sein Kamerad Cacambo befinden sich in einer Kneipe. Obwohl Candide gut betucht ist, bezahlt er seine Getränke und seine Speisen mit Kieselsteinen. Der Wirt ganz verwundert und lacht mindestens so laut wie ich:
>>Meine Herren<<, sprach der Wirt, >> ganz offensichtlich seid ihr Fremde, und wir sind hier keine gewohnt. Verzeiht, dass wir so gelacht haben, aber wir fanden es gar zu komisch, dass Sie mit Kieselsteinen bezahlen wollten, wie sie tausendfach auf unseren Straßen herumliegen.<<
Der Philosoph Pangloss hat für alles Schlechte eine Antwort parat. Candide fühlt sich dadurch ein wenig genervt:

>>O Pangloss!<<, entfuhr es Candide. >>Solche Gräuel kamen in deiner Philosophie nicht vor! Nun reicht es. Bis hierher und nicht weiter. Ich mag nicht mehr wissen von deinem Optimismus!<< - >> Was ist Optimismus?,<< fragte Cacambo.
>>Ach<<, antwortete Candide, , >>das ist die Sucht, alles gut zu finden, wenn es einem schlecht geht.<< (90)
Martin ist eine Figur, die nur das Schlechte sieht, das Gute schlupft durch ihn durch, wäre ihm noch nie begegnet, (98).

Candide ist eher die suchende Figur, während die anderen festgelegt sind in ihren Charakteren, die eher symbolisch zu deuten sind; in Optimismus, Pessimismus und den Neutralen. Candide befasst sich mit beiden Eigenschaften.

Tja, was ist nun die Antwort dieser Frage? Der oder die Suchende sollte das Buch selbst lesen.

Über die Aktionen der Figuren habe ich nichts geschrieben, richtige Dramen befinden sich darunter, haben mir nicht wirklich imponiert, außer über die Art und Weise, wie Pangloss gehängt wurde. Eigentlich hätte er auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden sollen, aber durch den Regen war das Heu zu nass, so wurde Pangloss stattdessen gehängt. Aber auch darin verbirgt sich eine Wende. Lustig und ernst zugleich?

_______
Wozu wurde dieses sonderbare Tier namens Mensch geschaffen?
(Voltaire)

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Montag, 7. April 2014

Voltaire / Candide oder der Optimismus


Klappentext
Ist die Welt, in der wir leben, tatsächlich, wie Leibniz behauptet, „die beste aller möglichen“, oder ist sie ein Ort, aus dem Gott sich längst zurückgezogen, ja mehr noch, den er nie betreten hat? Am Beispiel des einfältigen Candide beantwortet Voltaires auf den Index gesetzte Romansatire diese Fragen mit der radikalen Demontage von Leibniz’ philosophischem Optimismus, denn Candide erlebt auf seiner abenteuerlichen Reise die infernalischsten Schrecken und absurdesten Zufälle. Geläutert kommt er am Ende zu der Erkenntnis, dass dem Menschen letztlich nichts bleibt, als ,seinen Garten zu bestellen’.


Autorenporträt
Der französische Schriftsteller und Philosoph Voltaire (François Marie Arouet, 1694-1778) ist die bedeutendste Persönlichkeit der europäischen Aufklärung im 18. Jahrhundert. In seinen philosophischen und literarischen Werken formulierte er die Werte der Vernunft, Toleranz, Menschenrechte und Menschenwürde. Er setzte sich vehement für das Verbot der Leibeigenschaft ein und engagierte sich mehrfach in Justizverfahren, die durch religiösen Fanatismus einseitig beeinflusst wurden. Da ihm in Paris die Beisetzung verweigert wurde, beerdigte man Voltaire in Sellières. Als die Revolution ab 1789 tobte, verlegte man den Verstorbenen 1791 ins Panthéon. Auch das Herz des Philosophen wurde konserviert und wird in der Bibliothèque Nationale aufbewahrt.
Von Voltaire habe ich einige Bücher in meinem Regal stehen, aber noch nichts von ihm gelesen.
Der vorliegende Band ist recht humorvoll, lustig verfasst.






Sonntag, 6. April 2014

Kate Pullinger / Eine Liebe in Luxor (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mich gefesselt. Bisher hatte ich noch nichts von der Autorin gelesen und wusste auch nicht, dass sie das Buch Das Piano auch geschrieben hat, und ich lediglich die Verfilmung dazu kenne. Die Autorin schafft es auch hier, historische Ereignisse bestimmter Personen einzubauen, untermalt mit einer recht außergewöhnlichen und exotischen Liebesgeschichte. Das Piano war ähnlich aufgebaut. Mir haben die Literatursprache und der Erzählstil sehr gut gefallen.

Zur Erinnerung gebe ich noch mal den Klappentext hier rein:
England, 1862. Als Lady Duff Gordon von ihrem Arzt nach Ägypten geschickt wird, um dort im trockenen, warmen Klima ihre Tuberkulose auszuheilen, bedeutet das auch für ihr Dienstmädchen Sally ein Exil auf unbestimmte Zeit. So begeben sich die beiden, schwankend zwischen Staunen und Angst vor der exotischen Fremde, gemeinsam auf eine Flussfahrt den Nil hinauf. Begleitet werden sie von Omar, einem erfinderischen Dragomanen und begnadeten Koch. Als Lady Duff Gordon in Luxor ihr Korsett gegen Männerkleider eintauscht, Arabisch lernt und zu wöchentlichen Salons einlädt, beginnt auch Sally, eine ungeahnte Freiheit zu genießen. Doch diese Freiheit hat ihre Grenzen ...
Aus dem Anhang konnte entnommen werden, dass Lady Duff Gordon tatsächlich existiert hatte, so wie auch deren Zofe Sally Naldrett. Eine reine biografische Erzählung ist das Buch aber nicht. Details und Inhalt sind mit eigenen Ideen und Fantasien der Autorin umwoben.

Sally Naldrett ist die Icherzählerin dieses Romans und auch die Hauptfigur.

Sally Naldrett wurde schon im Alter von zwölf Jahren in den Dienst der Hausbotin gesteckt. Sie und ihre Schwester, als ihre Eltern von einem Zugunglück tödlich erfasst wurden, und die Tante für die Mädchen nicht aufkommen wollte.

Eine eigene Persönlichkeit konnte Sally dadurch nicht entwickeln. Sie war ganz für ihre Herrin da. Mittlerweile ist Sally schon über dreißig.
In Wahrheit war ich für sie kein richtiger Mensch.Ich war kein vollständiger Mensch, und es war dieser Gedanke oder diese Gedankenlosigkeit, die sie trieb und handeln ließ, wie sie es tat. Sie liebte mich, ohne Frage, das wusste ich und hatte mich darin sicher gefühlt, bis mir aufging, dass sie mich liebte, wie man ein gehätscheltes Haustier liebt. Ich gehörte zum Hintergrund, war Teil der Kulisse und, wenn sie Gäste unterhielt, ein nützliches Bühnenrequisit. Sie behandelte ihre Angestellten gut, und ich stand ihr am nächsten; in jenen späten Jahren habe ich alles für sie getan. Ich wurde ausgewählt, sie auf ihrer letzten langen Reise zu begleiten. Dennoch war ich für sie kein richtiger Mensch, keine lebendige Seele mit all ihrem Vermögen, den Stand der Gnade oder des Scheiterns zu erfahren. Es war mein Fehler, das nicht erkannt, nicht von Anfang an verstanden zu haben. Als ich Unrecht handelte, wurde ich entlassen, ich war nicht länger von Nutzen für sie. Nein, schlimmer noch: ich wurde entfernt, rausgeschnitten, als wäre ich Teil einer furchtbaren Krankheit, ein faulender, bösartiger, überflüssiger Auswuchs, den man loswerden musste. (7)
Diese Zeilen stehen schon auf den ersten Seiten und konnte noch nicht Richtiges damit anfangen. Erst später war klar, was damit gemeint war. Die Engländer waren dafür bekannt, Hausangestellte zu halten, die ganz für ihre Bedürfnisse da sein mussten. Natürlich war dies zwar eine bezahlte Beschäftigung, dennoch hatten die Bediensteten kein eigenes Leben. Hat mich ein wenig an das Sklavenleben in Amerika erinnert. Nur ein wenig in abgeschwächter Form. Die Dienstboten besaßen auch keine eigene Wohnung. Einmal im Monat hatten sie einen freien Tag.

Ein recht emanzipiertes Buch, als schließlich beide Frauen sich von ihrem Korsett befreien und sich in Männerkleidung begeben, da die trockene Hitze in Ägypten unerträglich wurde.

Sally ahmt, was die Kleiderordnung betrifft, ihrer Herrin nach:
Seit meiner Kindheit war ich nicht mehr ohne Korsett aus dem Haus gegangen. Zum ersten Mal hatte ich es zur Beerdigung meiner Eltern getragen; damals hatte ich das Gefühl, von dem Kleidungsstück zusammengehalten und gestützt zu werden, und mich seither darauf verlassen. Hier in Luxor fühlte ich mich ohne nun vollkommen entblößt und glaubte, alle Welt würde mich anstarren. Auch unter dem steifen Insulinkleid erschienen mir die Schultern und Arme locker und freier, ein eigenartiges Gefühl, als hätte ich mit dem Korsett auch mein Rückgrat abgelegt und mich in ein quallenartiges Geschöpf verwandelt, biegsam und durchlässig. (62)
Das Hauptthema des Buches ist die Liebesgeschichte zwischen Sally und dem Dragomanen Omar. Ihr erstes Liebeserlebnis, ihre erste Beziehung. Sally wurde von Omar schwanger. Beide beschließen, zu heiraten. Sally wäre dann die zweite Frau von Omar. Sally verschweigt ihrer Herrin die Schwangerschaft. Bis zur Entbindung konnte die Schwangerschaft verheimlicht werden:
Ich blicke mit einer gewissen Verwunderung auf jenen Herbst in Kairo zurück. Da war ich hochschwanger, und niemand hat es bemerkt. Nicht einmal meine Schwester Ellen. Wie ihre Herrin Mrs. Ross war meine Schwester nicht damit einverstanden, wie meine Lady und ich lebten, nicht damit einverstanden, wie wir uns kleideten und die einheimischen Bräuche angenommen hatten, wie ich mit Omar auf dem Markt einkaufen ging und wir gemeinsam mit unserer Lady auf dem Boden um ein Silbertablett sitzend aßen, und diese Missbilligung machte sie so blind, dass sie mich nicht richtig sehen konnte. Selbst der neue englische Arzt meiner Lady, der mir nur wenige Tage vor der Geburt meines Kindes in Kairo begegnet war, hat nicht das geringste vermutet; er war zu sehr über die Gesundheit meiner Lady besorgt und damit beschäftigt, unseren Medizinschrank aufzufüllen (…) (141)
Lady Gordon wurde vor vollendete Tatsachen gestellt, als es schon zu spät war, und Sally in den Wehen lag. Omar half Sally bei der Entbindung, und als er nicht weiter wusste, rief er Lady Gordon zu Hilfe. Es war mitten in der Nacht, und die Lady musste geweckt werden.

Nun beginnt hier das Drama. Lady Gordon meidet nun jeglichen Kontakt zu ihrer Zofe und beabsichtigt, sie wieder zurück nach England zu schicken, während der Säugling zu den Eltern Omars abgegeben werden sollte, wo seine erste Frau und die gemeinsame Tochter leben. Sally will ihr Kind behalten. Sie liebt es abgöttisch …
Lady Gordon macht Sally für diese Beziehung allein verantwortlich. Sally sei schmutzig und verdorben. Sie allein habe Omar verführt. Diese Worte gebrauchte sie auch Omar gegenüber.

Mittlerweile waren Sally und Omar verheiratet. Lady Gordon erkennt die Ehe mit Omar nicht an und möchte sie annullieren lassen, wendet sich auch an den Bürgermeister und den Scheich von Kairo.

Lady Gordon zu Omar:
Das englische Recht erkennt nur deine erste Ehefrau an, sie allein, deine Ehe mit Sally wird nie offiziell anerkannt werden. In den Augen des englischen Rechts ist Sally,Naldrett eine Ehebrecherin. (…)
Der Bürgermeister kluckste, ohne den Blick zu bemerken, mit dem Scheich Yussuf ihn bedachte. >>Das ist unnötig, Lady Gordon, (...) das englische Recht gilt in Ägypten nicht. Hier müssen sie sich um den Khediven Sorgen machen, und Ismael Pascha wird es nicht allzu sehr bekümmern, dass Omar Abu Halawy zwei Ehefrauen hat.<<
Omar, der von Lady Gordon abhängig ist, der Verdienst in ihrem Haus geht an seine Familie und an seine Eltern, bei der seine Frau und die kleine Tochter untergebracht sind.
Omar stand, die Fäuste hinterm Rücken geballt, ruhig und gefasst da und sagte nichts. (165)
Sally kämpft um die Beziehung mit Omar, kämpft vor allem auch um ihr Baby. Sie kämpft um ihr Bleiberecht.

Ein letztes Zitat, lest dann selbst, wie die Geschichte sich weiter entwickeln und wie sie ausgehen wird.
Am Anfang war mir die Leidenschaft fremd. Mir war die Liebe an sich fremd. Und ich gebe zu, ich war gierig; nachdem ich beides gekostet hatte, hatte ich Hunger auf mehr. Nach dem Tod meiner Eltern konnte meine Tante Klara nicht für mich und meine Schwester sorgen; ich wurde früh in Stellung geschickt, und niemand auf der Welt kümmerte sich um mich. (167)

Mein Fazit

Ich konnte nicht glauben, was sich reiche Leute anmaßen, Menschen zu besitzen und über ihr Leben zu bestimmen. Sie besitzen das Leben anderer Leute für ihre eigenen egoistischen Zwecke, weil sie zu bequem sind, sich ihr Leben selbst auszurichten.

Nichts Neues, erstaunt mich aber immer wieder aufs Neue.

War es nicht Sally gewesen, die alles gab und das Leben ihrer Herrin mehr als einmal zu retten pflegte?

In dem Buch wird natürlich auch einiges über die Kultur Ägyptens behandelt. Schön, die Bootsfahrten mitzuerleben, über den Nil und deren Landschaft drumherum. Auch fand ich es rührend, als Sally und Lady Gordon selbst wie Araberinnen aussahen, die nicht nur wegen ihrer angepassten Kleidung, auch durch die Haut, stark sonnengebräunt war… Das milde Klima verglichen mit dem nassen England tat der Lady gut. Und sich in einer anderen Kultur zu bewegen, galten beide Frauen in Ägypten schon fast assimiliert. Allerdings hatte Sally anfangs große Schwierigkeit, mit der fremden Kultur zurechtzukommen. Alles war exotisch, selbst der Himmel, die Sterne und der Mond waren anders als in England, *lach*.. 

Und  Lady Gordon schaffte es, ihr Leben im Ausland um sieben weitere Jahre zu verlängern. In England wäre sie schon längst an ihrer Lungenkrankheit gestorben. Vieles war ihrer Zofe Sally zu verdanken, die einen großen Einsatz zeigte und über jede Menge medizinische und praktische - chirurgische Kenntnisse verfügte. Sally hat es eigentlich nicht verdient, von ihrer Herrin verstoßen zu werden.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.

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In der Musik spricht man mit Gott
(Erik Fosnes Hansen)

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Donnerstag, 3. April 2014

Kate Pullinger / Eine Liebe in Luxor

Klappentext

England, 1862. Als Lady Duff Gordon von ihrem Arzt nach Ägypten geschickt wird, um dort im trockenen, warmen Klima ihre Tuberkulose auszuheilen, bedeutet das auch für ihr Dienstmädchen Sally ein Exil auf unbestimmte Zeit. So begeben sich die beiden, schwankend zwischen Staunen und Angst vor der exotischen Fremde, gemeinsam auf eine Flussfahrt den Nil hinauf. Begleitet werden sie von Omar, einem erfinderischen Dragomanen und begnadeten Koch. Als Lady Duff Gordon in Luxor ihr Korsett gegen Männerkleider eintauscht, Arabisch lernt und zu wöchentlichen Salons einlädt, beginnt auch Sally, eine ungeahnte Freiheit zu genießen. Doch diese Freiheit hat ihre Grenzen ...


Autorenporträt
Kate Pullinger im kanadischen Cranbook geboren, lebt seit 1982 in London. Sie ist Autorin mehrere Romane, darunter Das Piano. Eine Liebe in Luxor gewann 2009 den renommierten kanadischen Governor General´s Award und war für den Giller Prize nominiert.