Montag, 24. Februar 2014

Anita Shreve / Weil sie sich liebten (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mich dermaßen gefesselt, dass ich nicht mehr aufhören konnte zu lesen, bis ich die letzte Seite erreicht habe. Es hat mich auch sehr nachdenklich gestimmt. Es war ein harter Stoff, den die Autorin behandelt hat.

Ich gebe noch einmal zur Erinnerung den Klappentext rein:
Mike Bordwin ist stolz, Direktor der renommierten Avery Academy zu sein. Doch ein kurzer Moment genügt, um seinen Lebenstraum zu zerstören: Ein Video gerät an die Öffentlichkeit, auf dem sich drei Schüler mit einem deutlich jüngeren Mädchen amüsieren und dabei maßlos über die Stränge schlagen. Ein aufwühlender Roman über Leidenschaft und Treue, Begierde und die Zerbrechlichkeit des Glücks.

Am Schluss der Handlungen wurde mir klar, was Anita Shreve mit dem Titel Weil sie sich liebten sagen wollte.

Die fünf Jugendlichen veranstalten in einem Eliteinternat eine Sexorgie, die zu einem Skandal führt. Sienna, 14 Jahre alt, war die Jüngste und das einzige Mädchen unter den fünf Jugendlichen, die es schaffte, durch ihr stark sexuelles Auftreten junge Männer auf der Schule zu verführen. Ein Junge beschreibt das Mädchen Jahre nach dem Skandal folgendermaßen:
Manchmal denke ich an das Mädchen und wie es ihr jetzt wohl geht. Ich habe sie vorher nicht gemocht, und ich mag sie auch jetzt nicht. Sie war krank, sie war verrückt nach Sex und hat genau gewusst, wie sie uns auch verrückt nach Sex machen kann. Ich verstehe nicht, dass wir uns überhaupt nicht geschämt haben. Ich weiß nicht, wo das Schamgefühl geblieben ist. Wahrscheinlich nimmt einem das der Alkohol. Wahrscheinlich ist der Sinn des Trinkens, alle Gefühle und Gedanken und allen Anstand zu betäuben, bis man nur noch Körper ist und tut, was der Körper will. Aber manchmal muss ich an sie denken. Sie war zu jung, und dann frage ich mich, ob sie sich schämt. Ja, bestimmt schämt sie sich, außer sie kann sich nicht erinnern, und das wünsche ich ihr, dass sie sich nicht erinnern kann. (226)
Bestätigt wurde diese Beschreibung auch von Siennas gleichaltriger Mitzimmerbewohnerin.
Das soll aber nicht heißen, dass Sienna Schuld ist an dem ganzen Akt.

Die Sexorgie wurde von einem Mittäter gefilmt und als Pornofilm auf Youtube gebracht. Dadurch, dass Sienna noch minderjährig war, wurden die anderen Jugendlichen angezeigt wegen Verführung Minderjähriger. Sienna wirkte in der Orgie wie ein Profi. Alle Jungs sagten aus, dass die frühreife Sienna den Sex auch haben wollte, und so wurde ihnen vonseiten der Erwachsenen trotzdem vorgehalten, das Mädchen daran nicht gehindert zu haben. Die Jugendlichen waren alle alkoholisiert.

Als das Video gefunden und publik wurde, führte es zu einer skandalösen Kettenreaktion mit dramatischen Folgen. Ich gehe auf die Einzelheiten nicht ein, verweise auf das Buch. Die Eltern, die von dem Schulleiter über die Sexorgie unterrichtet wurden, konnten sich nicht vorstellen, dass gerade ihr Kind zu so etwas fähig sei. Und jeder suchte den Schuldigen.

Das Buch ist so aufgebaut, dass jede Romanfigur zu Wort kommt und ihre Gedanken aus deren Perspektive geschildert werden. Deshalb habe ich lange gebraucht, bis ich mir zu dem Konfliktthema eine eigene Meinung bilden konnte. Jede hatte auf ihre Weise recht. Es gibt manchmal einfach auch mehrere Wahrheiten.

Aus der Sicht eines Vaters namens Matthew, der auch von seiner Frau Michelle spricht, gibt es folgenden Bericht: 
Für Michelle war das besonders schlimm gewesen. Es war eher leicht, den Müttern an allem die Schuld in die Schuhe zu schieben. Als hätten sie es nicht geschafft, ihren Söhnen die richtigen Werte mitzugeben. Dabei kannte Matthew keine Frau, die eine bessere Mutter war als Michelle. (…) Matthews Meinung nach mussten junge Männer Dampf ablassen. Man hoffte, dass es beim Basketball geschah, aber diese jungen Leute standen unter enormem Druck, da musste man ihnen einen gelegentlichen Ausrutscher verzeihen. Und nach dem, was Matthew  auf College-Ebene gesehen hatte, erschien ihm dieser Vorfall an einer Privatschule vergleichsweise harmlos. (59)
Michelles Sicht zu ihrem Jungen James, mit dem sie überfordert ist, weil er sie ständig mit Lügen konfrontiert:
Zuerst kamen die Geschichten von den Müttern seiner Schulkameraden. Die Siebtklässler tränken, behaupteten sie. Die Achtklässler rauchten Marihuana. Ich konnte das nicht glauben. Wir leben in einer Kleinstadt, es gibt allerdings das College, und ich nehme an, dass daher Marihuana und Alkohol leicht zu beschaffen sind, selbst für Schüler. Aber es war offensichtlich, dass keine der Mütter ihrem eigenen Kind so etwas zutraute. Ich jedenfalls traute es James nicht zu. (...)
Manchmal habe ich es mit Humor versucht. Manchmal war ich streng. Ich konnte mich zur Verbündeten machen, dachte ich, oder auf den Tisch hauen. Ich konnte die Regeln ändern oder ich konnte mich anpassen. Ich konnte mir aussuchen, welche Kämpfe ich ausfechten wollte. Ich sprach mit meinem Mann und erzählte ihm von meinem Verdacht, dass James log und Alkohol trank. Das ist nur eine Phase, sagt mein Mann. Söhne müssen sich von ihren Müttern abnabeln. Ich sei überfürsorglich und hätte ständig etwas an ihm auszusetzen. Übernehme nicht dauernd die Verantwortung für ihn, sagte mein Mann, dann wird er anfangen, sie selbst zu übernehmen. Das schien mir vernünftig. Der Junge ist ein anständiger Kerl, fügte mein Mann hinzu. Hat jemals ein Lehrer bei uns angerufen? Hat der Direktor sich jemals gemeldet? Hat von den Eltern irgendwann mal jemand angedeutet...? (63ff)
Es gibt den Jungen Silas, der von der Beschreibung her im Internet korrekt in seinem Auftreten gewesen sein sollte. Und trotzdem war gerade auch Silas in dem Fall mitverwickelt:
Aber wenn es in der Schule einen gegeben hat, der von zu Hause die richtigen Werte mitbekommen hatte, dann war das Silas. (72)
Der Schulleiter Michael Bordwin hatte versucht, den Vorfall unter den Tisch zu kehren. Dadurch, dass er mit Silas´ Eltern gut im privaten Kontakt stand, konnte er selbst nicht glauben, dass Silas an der Sexorgie beteiligt war und bagatellisiert den Vorfall, während er bei den anderen Jungen sich ein schriftliches Geständnis zu dem Ereignis hat geben lassen. Mike begeht einen Fehler nach dem anderen. 

Silas hat eine Freundin. Beide lieben sich innig. Silas wird mit dem Video, das gefunden wurde, nicht fertig. Das ist Gesprächsthema Nummer eins auf der Schule, ist allerdings noch nicht bis zu seiner Freundin vorgedrungen. Silas beendet die Beziehung über einen Brief:
Du hast gesagt, du würdest mich ewig lieben. Ich glaube, das geht jetzt nicht mehr. Eigentlich kann niemand einem anderen versprechen, dass er ihn ewig lieben wird, weil man ja nie weiß, was passieren kann, zu was für schrecklichen Sachen der Mensch, den man liebt, vielleicht fähig ist. Wie ist das, wie fühlt man sich, wenn man jemanden auf einmal nicht mehr liebt? Heute liebst du ihn noch und morgen nicht mehr, weil du ihn auf einem Band gesehen hast? Wohin verschwindet die ganze Liebe? Verpufft sie mit einem Schlag, oder wird dir, jedes Mal, wenn du dir das Band vorstellst, qualvoll ein Stück Liebe herausgerissen, bis nichts mehr übrig ist? Aber auch wenn du mich nicht lieben kannst, weiß ich, dass ich dich immer lieben werde, obwohl ich dir nie ewige Liebe hätte schwören sollen, weil ich das, was ich getan habe, bestimmt nicht getan hätte, wenn ich dich in dem Moment geliebt hätte. (225)
 Aus diesen Zeilen entnehme ich, wie sehr sich diese jungen Menschen nach ihrer Tat schuldig fühlen und sie kaum einen Ausweg daraus finden. Da denke ich wieder an den Titel zurück: Weil sie sich liebten... 


Mein Fazit

Am Ende des Buches kam mir das Problem so mickrig vor, das, auch von der Presse, so unnötig aufgebauscht wurde. Letzten Endes waren es Jugendliche, die sich in ihrer hormonellen Entwicklung befanden. Wohin mit den Hormonen, wenn diese verrückt spielen? Mit dem Eintreten der Volljährigkeit sind die jungen Menschen noch lange nicht fertig mit ihrer körperlichen – seelischen und geistigen Entwicklung. Man hätte das Problem anders anpacken sollen, anstatt ihnen mit Sanktionen zu drohen, und sie mit dem sexuellen Delikt alleine zu lassen. Delikt? War es überhaupt ein sexuelles Delikt?

Wenn man Kinder erzieht, weiß niemand, was am Ende der Erziehung dabei herauskommt. Für mich gibt es aus diesem Grund keinen wirklichen Schuldigen.

Ich mache hier nun Schluss. Ich habe viele wichtige Ereignisse verschwiegen, denn sonst ist die Spannung weg, die ich jedem anderen Leser auch gönne, wie ich sie selbst erlebt habe.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten. Es ist sehr authentisch geschrieben und es wurden mehrere Blickwinkel zu dem Problemthema dargestellt.
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Es gibt in unserer Seele Dinge, an denen wir mehr hängen, als wir selbst wissen.
(Marcel Proust)

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