Donnerstag, 26. Dezember 2013

Margaret Mazzantini / Das Meer am Morgen (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Es ist ein politisches Buch und passt wunderbar in die Gegenwart, was die Flüchtlingsproblematik Italiens betrifft. Wie aus dem Klappentext zu entnehmen ist, begeben sich Menschen aus Afrika mit einem Boot auf die Flucht, wohl wissend, dass sie auf offener See ihr Leben riskieren. Und trotzdem sind die Menschen voller Hoffnung, dass sie in Europa empfangen werden, und sich dort eine neue Zukunft aufbauen können.

Das sind Wunschbilder. In Wirklichkeit sind sie überhaupt nicht erwünscht. Man übersieht die Flüchtlinge sogar absichtlich, wenn ein Schiff aus Europa an ihnen vorbei zieht, obwohl die Flüchtlinge um Hilfe rufen.

Zur Erinnerung noch einmal der Klappentext:
Farids Weg über das Meer – ein Schicksal Libyen, Sommer 2011: Jamila entgeht knapp Gaddafis Truppen. Mit ihrem kleinen Sohn Farid flieht sie quer durch die Wüste bis ans Meer. Ihre Ersparnisse überlässt sie einem Schlepper, der sie in ein überfülltes Boot verfrachtet. Jamila hofft auf eine Zukunft in Europa, doch schon bald mangelt es an Trinkwasser und Benzin. Schließlich hat sie nur noch einen Wunsch: länger durchzuhalten als ihr Sohn, um ihn nicht allein sterben zu lassen. Auf Sizilien geht der achtzehnjährige Vito am Strand spazieren und findet eine Kette, wie sie arabische Kinder tragen. Er denkt an seine Mutter Angelina, die in Libyen aufgewachsen ist. Als Gaddafi an die Macht kam, musste sie nach Italien fliehen, aber die Sehnsucht nach der früheren Heimat lässt ihr keine Ruhe: Sie reist nach Tripolis und macht sich auf die Suche nach Ali, ihrer ersten großen Liebe. Doch Ali ist inzwischen beim libyschen Geheimdienst. Bestürzt kehrt Angelina nach Italien zurück, wo sie den Ausbruch des Bürgerkriegs und die Bombardements der NATO am Bildschirm verfolgt.
Farid wartet auf den Sonnenaufgang. Wartet auf Italien. Dort laufen die Frauen ohne Kopfbedeckung herum, und im Fernsehen gibt es unendlich viele Sender. Sie werden im Scheinwerferlicht von Bord gehen, irgendwer wird Fotos von ihnen schießen. Man wird ihnen Spielzeug schenken, wird ihnen Coca - Cola schenken und Pizza. (34)
Diese Vorstellung, dass Menschen vierzehn Tage und vierzehn Nächte sich auf offener See bewegen, stimmt mich betroffen. Habe Gänsehaut bekommen bei dem Bild, dass die Flüchtlinge nichts anderes vor Augen hatten als nur Wasser. In der Nacht verwandelt sich die Wasserwelt in ein rabenschwarzes Monster, das, wenn das Wetter schlecht ist, laufen die Flüchtlinge Gefahr, von den starken Wellen verschlungen zu werden. Bei diesem Bild bekam ich echt Gänsehaut. Das Meer schwarz wie die Nacht.

Wer würde sich schon freiwillig auf solch ein Abenteuer begeben? Hauptsächlich Menschen, die sich in einer existenziellen Not befinden. Andere Seereisende begeben sich auf ein Schiff.

Farid ist der Protagonist dieses Romans. Ein Kind, das sich mit seiner Mutter auf dieses Boot begibt. In der Heimat dieser Menschen herrscht Krieg, der, wie alle anderen Kriege auch, kein Halt vor der zivilen Bevölkerung macht. Nicht vor Kindern, nicht vor Frauen, nicht vor Männern, die nichts mit dem Krieg zu tun haben. Ihre Wohnstätte wird in wenigen Sekunden platt gemacht. Nichts existiert mehr für diese Menschen. Ihnen bleibt nur die Flucht.

Es gibt auch italienische Flüchtlinge, die während des Zweiten Weltkriegs einst in die arabischen Länder geflohen sind. Viele darunter waren Juden. Sie kehren nach Italien zurück, als der Krieg vorbei ist. Doch auch diese Menschen sind nicht erwünscht, als sie sich den italienischen Behörden vorstellten:
Wozu seid ihr denn zurückgekommen? Um den anderen Italienern die Arbeit wegzunehmen, den richtigen Italienern, die hier geboren und aufgewachsen sind? Um in den Arbeitslosenstatistiken ganz nach vorn zu kommen? (73)
Dieses Zitat fand ich recht interessant. Hier wird Rassismus gegen das eigene Volk betrieben.

Eines Nachts erkrankt ein Somalier auf dem Schiff und entwickelte Aggressionen gegenüber der westlichen Welt:
Der Somalier spuckt ins Meer, brüllt, schuld an seiner Krankheit sei das Meer, sei der weiße Dreck, der auf dem Wasser von Mogadischu schwimme, sei der Abfall, der von den Schiffen der reichen Welt tonnenweise verklappt werde. (111)
Menschen, die nirgendwo dazugehören, die nirgendwo zu Hause sind, Menschen, denen man die Heimat geraubt hat. Menschen, die niemand haben will und niemand sie vermisst, sollten sie auf der See verunglücken.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten. Es ist von der politischen Sachebene klar beschrieben, und auch der literarische Sprachstil ist gut getroffen.

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Man muss dem Schicksal Zeit geben, sein letztes Wort zu sagen
(Metin Arditi)

Gelesene Bücher 2013: 80
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

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