Sonntag, 14. April 2013

Landgericht / Ursula Krechel (1)

Eine von zwei Buchbesprechungen zur o. g. Lektüre


Das Buch habe ich soeben ausgelesen und es hat mich zum Schluss hin richtig betroffen gestimmt, obwohl es recht sachlich geschrieben ist. Keine Dramatik, obwohl ausreichend Gründe zur Dramatik vorhanden wären. In einer Zeit wie dieser, konnte man sich einfach keine Sentimentalität  leisten und man war gezwungen, streng rational zu handeln, sonst wäre man an den Entscheidungen und den Handlungen regelrecht zerbrochen. Oftmals liest sich das Buch wie eine Dokumentation aber nicht emotionslos. Mich wird das Buch noch eine Weile beschäftigen.

Die Autorin hat souverän recherchiert und ihre Recherchen hat sie recht authentisch wiedergegeben und sie erhält von mir zehn von zehn Punkten. Ich habe vor, mir noch weitere Werke von Krechel anzuschauen, und evtl. zu lesen.

Was mich immer wieder erstaunt, ist,  wie viel belletristische Literatur es zum Nationalsozialismus schon gibt und wie viel neu geschrieben wird. Aber besser Bücher schreiben, Bücher schreiben, Bücher schreiben, als zu verstummen.

Es gab mehrere Punkte, die mich zum Staunen gebracht haben, obwohl mir die Erkenntnisse dazu nicht neu sind.
Erstaunlich, dass Zeitgenossen zu der damaligen Zeit den Hitlerwahn nicht begreifen konnten und glaubten nicht zu wissen, dass es Nazi-Opfer, Nazi-Verbrechen gab. Menschen, die gezwungen waren, das Land zu verlassen, wenn sie überleben wollten, war für viele Deutschen nicht nachvollziehbar. Und wenn Menschen ins Exil flüchteten und nach Kriegsende wieder nach Deutschland reemigrierten, dann wurden viele ähnlich wie Deserteure bezeichnet, die zu feige gewesen wären, in den Krieg zu ziehen.

Erstaunlich, wenn man die eigenen Kinder wegschicken muss, es waren meist Kinder gut situierter Familien, um deren Leben zu retten. Kinder, die äußerlich wohlgenährt und gut gekleidet in England ankamen, hatte man dort erst die Nöte dieser Kinder aus Deutschland nicht wirklich abgenommen.

In diesem Buch geht es um die Familie Kornitzer, Richard und Claire und deren beiden Kinder Georg(e) und Selina. Beide Kinder wurden nach England geschickt, um ihr Leben zu schützen. In England gab es die Quäker, eine Organisation, die verfolgte Kinder aufnahm, und sie schützte.

Richard Kornitzer, Jurist von Beruf, Richter im Zivilrecht, ist auf dem Papier Jude, seine Frau Claire ist Protestantin. Richard K. emigrierte nach Kuba ins Exil, seine Frau Claire sollte nachkommen, aber das Nachreisen durch verschärfte Gesetze misslang und so wurde auch das Ehepaar auseinandegerissen und entfremdet. Durch die Nürnberger Gesetze galt Claire als unrein, und wurde von der Gestapo während eines Verhörs gefoltert.

In Kuba, ein ziemlich korruptes Land Mittelamerikas,  galt Kornitzer als Deutscher und die Deutschen wurden wegen ihrer Präzision in der Arbeit gern gesehen... . Er musste für das Visum nicht nur viel Geld hinlegen, nein, er musste auch Patente nahweisen und an Kuba weiterreichen.

Die Familie Kornitzer war zehn lange Jahre getrennt und hatten sich auseinandergelebt, als der Krieg schließlich vorbei war. Die Kinder, die in einer englischen Pflegefamilie lebten und groß geworden sind, konnten ihre Eltern nicht mehr als Eltern ansehen, zu lange ist es her, als sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Sie begriffen die Nöte nicht, dass die Eltern gezwungen waren, das Leben ihrer Kinder in die Auswanderung zu geben, um sie zu retten. Der Sohn George, das ältere Kind, nahm mit 18 Jahren die englische Staatsbürgerschaft an, und wollte mit Deutschland und dem Nationalsozialismus nichts zu tun haben. Zu grauenvoll waren für die Kinder die Verbrechen. Grauenvoll, dass die Eltern sie in ein fremdes Land schickten und sie dort alleine ließen. Es müssen viele Jahre vergehen, bis die Kinder die Reife erlangen , um das elterliche Verhalten zu begreifen.

Richard Kornitzer hat durch seine Frau wieder zurück nach Deutschland gefunden. Claire hatte beim Roten Kreuz eine Vermisstenanzeige aufgegeben.

Nach dem Krieg beantragte Kornitzer bei der Wiedergutmachungsbehörde Schmerzensgeld in Form von Wiedergutmachung, das vielen Juden, die als Nazi-Opfern gelten, zustand. Bei den Behörden sei man allerdings der Meinung, dass ein Drittel der Antragsteller Betrüger seien, so dass der Antrag in vielen Fällen abgelehnt wurde. Kornitzer wurde zwar nicht als Betrüger hingestellt, aber seine Beweggründe auf Antragstellung wurden relativiert, so dass der Antrag erstmal nicht bearbeitet werden konnte. Wenn solche Menschen wie Kornitzer kein Anrecht auf Wiedergutmachung haben, wer denn sonst sollte dieses Schmerzensgeld erhalten?

Wie viele Bücher müssen noch geschrieben werden, um das Unglaubliche, das Unfassbare endlich zu verstehen?

Da ich nun schon soviel von meinen Eindrücken geschrieben habe, ohne meine Zitate einzufügen, werde ich zu dem Buch noch eine zweite Buchbesprechung anschließen.

_________

Manchmal muss die Wahrheit erfunden werden
(Siegfried Lenz)

Gelesene Bücher 2013: 26
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86






Keine Kommentare: