Sonntag, 16. Dezember 2012

Ernest Hemingway / Paris, ein Fest fürs Leben (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Buches 
Papa Hemingway von A. E. Hotcher hat mir besser gefallen. Das obige Buch besteht aus unfertigen Manuskripten, Fragmente, da Hemingway sich vorzeitig das Leben nahm, was ich so schade finde. Ich denke, dass in ihm immer die Angst ausbrach, nicht mehr schreiben zu können. Dem ist im Buch sogar ein ganzes Kapitel gewidmet. Seinen Enkelkindern haben wir es zu verdanken, dass wenigsten diese unfertigen Schriftstücke sinnvoll zusammengebracht, bearbeitet und diese publiziert haben. Ohne sie wäre das Buch nie zustande gekommen.

Man hat es hier mit einem recht jungen Hemingway zu tun, Hemingway im jungen erwachsenen Alter. Er war mit Hadley verheiratet und beide hatten ein Kind im Säuglingsalter. Seine Frau rief Hemingway oft mit dem Spitznamen Tatie.
In dem Buch spricht Hemingway oft in der zweiten Person Singular.

In Paris lernte die junge Familie viele Künstler und Schriftsteller kennen, auf die ich später noch zurückkommen werde. Manche Textstellen sind so schön, dass ich die Zitate rausschreibe, aber ohne sie weiter mit dem Inhalt kommentieren zu müssen. Man kann etwas auch zerreden und man verliert sich in überflüssige Erklärungen.

Es war kalt in Paris, und der ein wenig philosophisch gestimmte Hemingway, der recht verfroren ist, wartet sehnsüchtig auf den Frühling, allerdings in großer Sorge:

Manchmal schlug ein stürmischer kalter Regen den Frühling wieder zurück, so dass es schien, als käme er nie und du könntest eine Jahreszeit deines Lebens einbüßen. Das war die einzige wirklich traurige Zeit in Paris, weil sie nicht der Natur entsprach. Im Herbst hast du erwartet, traurig zu werden. Jedes Jahr starb ein Teil von dir, wenn die Blätter von den Bäumen fielen und ihre Zweige kahl in den Wind, in das kalte Winterlicht ragten. Aber du wusstest, immer würde es wieder Frühling werden, so wie du wusstest, dass der zugefrorene Fluss einmal wieder fließen würde. Wenn der kalte Regen anhielt und den Frühling tötete, kam mir das wie das grundlose Sterben eines jungen Menschen vor. Am Ende kam der Frühling in jenen Tagen aber immer; doch war es beängstigend, dass er es beinahe nicht geschafft hätte.

Hemingway war von Beruf Journalist, den er aber an den Nagel gehängt hat, um sich ganz seinem literarischen Schaffen passiv und aktiv widmen zu können. Wenn er länger an seinen Texten gearbeitet hatte, so suchte er danach Abstand über literarische Werke anderer Autoren. Hemingway schrieb also nicht nur viel, er las auch viel.

Um mich nach der Arbeit abzulenken, las ich manchmal Schriftsteller, die meine Zeitgenossen waren, Aldous Huxley, zum Beispiel, oder D. H. Lawrance oder andere, deren Bücher du in Silvia Beachs Leihbücherei bekommen konntest (...).

In Paris lernte Hemingway Getrude Stein kennen, die Künstlerin ist und in Paris ihr Atelier besitzt. Hemingway suchte nach harter getaner schriftstellerischer Arbeit ihre Nähe auf, um sich von seiner Arbeit ablenken zu können.

Wenn ich schrieb, musste ich nach dem Schreiben immer etwas lesen, um meine Gedanken von der Geschichte abzulenken, an der ich gerade arbeitete. Wenn du ständig darüber nachdachtest, ging es für dein Schreiben verloren, bevor du am nächsten Tag weitermachen konntest. Ich musste mich auch sportlich betätigen, mich körperlich erschöpfen, und es tat sehr gut, mit einer Frau zu schlafen, die du liebtest. Das war besser als alles andere. Aber hinterher, wenn du leer warst, musstest du lesen, um nicht zu denken oder dich wegen deiner Arbeit zu sorgen, bis du wieder weitermachen konntest. Ich habe bereits gelernt, den Brunnen meines Schreibens nie zu erschöpfen, sondern stets aufzuhören, wenn im tiefen Teil des Brunnens noch etwas übrig war, und ihn über Nacht von Quellen, die ihn speisten, wieder füllen zu lassen.

Auch in diesem Zitat steckt soviel Weisheit, psychologisches Wissen und Symbole, aber auch die Sorge um seine Arbeit.

Die Künstlerin Gertrude Stein riet Hemingway von Aldous Huxley ab, da Huxley ein toter Mann sei:

"Huxley ist ein toter Mann", sagte Miss Stein. "Wozu wollen Sie einen toten Mann lesen? Können sie nicht sehen, dass er tot ist?"
Ich konnte damals nicht sehen, dass er ein toter Mann war, und sagte, seine Bücher amüsierten mich und hielten mich vom Denken ab.
"Sie sollten nur lesen, was wirklich gut ist oder was rundheraus schlecht ist."
Ich habe den ganzen Winter und auch den ganzen Winter davor wirklich gute Bücher gelesen und werde auch nächsten Winter wieder welche lesen, und rundheraus schlecht Bücher mag ich nicht.
"Warum lesen Sie diesen Schund? Das ist aufgeblasener Mist, Hemingway. Von einem toten Mann."
"Mich interessiert, was die schreiben", sagte ich. "Und solange ich lese, muss ich nicht an mich selber denken".
Doch Gertrude Stein fand auch an D. H. Lawrence etwas auszusetzen, der wie ein Kranker schreiben würde, der zu sentimental und grotesk sei.

Später, Hemingway war vier Jahre mit der Künstlerin befreundet, durchschaute er sie und es wurde langsam auffällig, dass Gertrude Stein an jedem guten Autor etwas auszusetzen hatte.
Auch aus anderen Gründen beendete Hemingway die Freundschaft zu ihr... .

D. H. Lawrence und Hexley habe ich auch gelesen und von Lawrence, den ich mal vor mehr als zwanzig Jahren gelesen hatte, war ich angetan.

Die Gespräche zu anderen Autoren und deren Werke hörte aber damit nicht auf. Paris, nicht nur eine Weltstadt, sondern auch die Stadt der Künstler, gerät man immer wieder in Künstlerkreisen, wenn man selbst Künstler ist.

Da Hemingway seinen Journalismus aufgegeben hatte, fehlte ihm die Einnahmequelle. Familie Hemingway bezeichnete sich dadurch als arm, wobei diese Art von Armut für mich eher als eine relative Armut und nicht als eine absolute Armut zu bezeichnen ist. Haben sich die Eheleute zuvor teure Gemälde und teure modische Kleider geleistet, so mussten sie nun hierbei Abstriche machen.
Durch die relative Armut konnte sich Hemingway keine Bücher kaufen. Also besuchte er regelmäßig  die Sylvia Beach Leihbibliothek. Hemingway hatte noch nicht einmal das Geld, um die Ausleihgebühr zu bezahlen, doch Sylvia Beach zeigte sich Hemingway gegenüber recht wohlwollend, indem sie Hemingway anbot, die Gebühr erst dann zu bezahlen, wenn er dazu in der Lage sei. Er durfte trotzdem Bücher ausleihen.

Aus dieser Bibliothek leihte er sich alle Bücher, die wir heute als Klassiker bezeichnen. Gogol, Tolstoi, Dostojewski u. v. m. . Ich gehe nicht auf alle Autoren ein, zu dem Hemingway sich eine Meinung gebildet hatte. Interessant fand ich die Meinung, beispielsweise seine Erfahrung mit den Büchern von Dostojewski:

Bei Dostojewski gab es Glaubhaftes und Nichtglaubhaftes, aber manches war so wahr, dass es beim Lesen einen anderen Menschen aus dir gemacht hatte; bei ihm konnte man Schwäche und Wahnsinn, Verruchtheit und Heiligkeit und den Irrsinn des Glücksspiels kennenlernen (...).

Ich selbst besitze noch einige ungelesene Dostojewskibücher, so bin ich natürlich durch Hemingway sehr neugierig geworden, und ich nun die Absicht habe, ihn in der nächsten SuB-Spielrunde  zur Auswahl dazu zu nehmen.

Zur Abwechslung möchte ich nun eines Szene wiedergeben, die mich als Katzenliebhaberin sehr erfreut hat. Wie allgemein bekannt, ist Hemingway ein großer Fan von Katzen. Auch in Paris, allerdings nicht in so einer zahlreichen Schar, wie dies in seiner Heimat der Fall gewesen ist. In Paris versorgte er nur eine Katze, die sich auch als Babysitterin einsetzen ließ. Zu der damaligen Zeit war es noch nicht üblich, Kleinstkinder fremden Leuten zur Betreuung anzuvertrauen. Es gab so etwas wie Babysitting noch nicht. Die Katze F. Puss übernahm diese Funktion für das Baby namens Bumby. Es war wieder sehr kalt in Paris, und Ernest Hemingway flüchtete mit seiner Frau zum Arbeiten in Cafés, um sich dort aufzuwärmen. Die Pariser Wohnung war nicht ausreichend geheizt.
Sie konnten aber das Kind nicht immer mit in das Café nehmen, denn:

(...) es war nicht richtig, das Baby im Winter mit ins Café zu nehmen; auch nicht ein Baby, das niemals schrie und alles um sich her beobachtete und sich niemals langweilte. Damals gab es kein Babysitter, und Bambi blieb zufrieden in seinem hohen Gitterbett mit seiner wunderbaren großen Katze, die F.Puss hieß. Manche Leute sagten, es sei gefährlich, ein Baby mit einer Katze allein zulassen. Die am wenigsten Ahnung und am meisten Vorurteile hatten, sagten, Katzen würden einem Baby den Atem wegsaugen und es töten. Andere sagten, Katzen würden sich auf das Baby drauflegen und es mit ihrem Gewicht erdrücken. F. Puss lag neben Bumby in dem hohen Gitterbett und beobachtete mit seinen großen gelben Augen die Tür und ließ niemanden in seine Nähe kommen, wenn wir nicht da waren und Marie, die fémme de menage, einmal weggehen musste. Wir brauchten keinen Babysitter. F. Puss war der Babysitter.

Hemingway war besonders tierlieb, er versuchte sich auch für Schlachttiere einzusetzen, in dem er  ein humanes Schlachten propagierte.
Aber man weiß auch, dass er sehr gerne an Pferdewetten und in Spanien an Stierkämpfen teilnahm.

Als er mit seiner Familie zum Skilaufen fuhr, befand sich auch ein Hund in ihren Kreisen:
Es gab einen Hund, der hieß Schnauz und schlief am Fußende unseres Bettes und begleitete uns gern auf unseren Skiwanderungen, und wenn ich bergab fuhr, trug ich ihn auf dem Rücken oder über der Schulter.
Ich finde, das ist ein schönes Bild.

Hemingway macht Bekanntschaft mit dem amerikanischen Schriftsteller Scott Fitzgerald, der mir durch verschiedene gelesene Werke auch bekannt ist.

Hemingway war nicht so sehr von ihm begeistert, seine Frau ebenso nicht.
Fitzgerald erwies sich Hemingway gegenüber als eine recht komplizierte Persönlichkeit. Er neigt zu Alkohol und zu eingebildeten Krankheiten. Krankheiten, wie z.B. Lungenentzündung, die man sich nur in Europa einfangen konnte, so die These Scotts. Hemingway und Fitzgerald befinden sich in ein Hotel auf dem Rückweg von Lyon nach Paris. Fitzgerald packte die Angst, an einer Lungenentzündung erkrankt zu sein. Obwohl Hemingway seinen Freund durchschaut hatte, tat er alles, was ihm geheißen wurde. Scott bildete sich Fieber ein und hielt Hemingway dadurch auf Trapp.

"Woher willst du wissen, dass ich keine Temperatur habe?"
"Deine Temperatur ist normal, und ich habe gefühlt, dass du kein Fieber hast."
"Das hast du gefühlt", sagte Scott hämisch. "Wenn du wirklich mein Freund  bist, besorg mir ein Thermometer."
"Ich bin im Pyjama."
"Lass eins bringen." Ich klingelte nach dem Zimmerkellner. Er kam nicht und ich klingelte noch einmal und ging dann auf den Flur, ihn zu suchen. Scott lag mit geschlossenen Augen im Bett, atmete langsam und vorsichtig und sah mit seinen wachsbleichen, vollkommenen Zügen aus wie ein kleines totes Kreuzfeuer. Ich hatte das Schriftstellerleben allmählich satt, wenn das, was ich hier tat, dass Schriftstellerleben sein sollte, und schon jetzt fehlte mir meine Arbeit, und ich empfand jede Todeseinsamkeit, die am Ende jedes Tages kommt, den man in seinem Leben vergeudet hat. Ich hatte Scott und diese alberne Komödie satt, aber ich fand den Kellner und gab ihm Geld, ein Thermometer und ein Röhrchen Aspirin zu kaufen (...).

Es ging noch eine ganze Weile so weiter.

Französische Ärzte bezeichnete Scott als miefe Quacksalber.

Fitzgerald verachtete Europa; erst die Italiener, dann die Franzosen, Engländer... , welche Meinung er von den Deutschen und den Österreichern hatte, das konnte Hemingway nicht in Erfahrung bringen. Wahrscheinlich hatte er mit Deutschen und den Österreichern noch nichts zu tun gehabt, so die Vermutung Hemmingways.

Es gab Probleme mit dem Auto, der Motor müsste neu geölt werden, und Fitzgerald weigerte sich, mit der Begründung, dass amerikanische Autos nicht geölt werden müssten, nur schlechte, französische Autos müssten nachgeölt werden.
Sein Auto war ein amerikanisches.

Damals hasste Scott die Franzosen, und da praktisch die einzigen Franzosen, zu denen er regelmäßig Kontakt hatte, Kellner waren, die er nicht verstand, Taxifahrer, Automechaniker und Vermieter, hatte er reichlich Gelegenheit, sie zu beleidigen und zu beschimpfen.

Über die Schriftstellerrei tauschten sich Hemingway und Fitzgerald aus, in der Thematik, ob man sich den Erwartungen der Verlage beugen solle oder nicht. Hemingway gebraucht den Begriff "Hurerei", wenn Schriftsteller in ihren Werken nicht authentisch bleiben und er zeigte sich ein wenig entsetzt, als er hörte, dass Scott sich den Erwartungen der Verlage beugte:

Ich versuchte, ihn dazu zu bringen, seine Geschichten so gut zu schreiben, wie er konnte, und keine Tricks anzuwenden, nur damit sie in  irgendein Schema passten, was er, wie er mir einmal gesagt hatte, meistens tat.

Da ich ja von Fitzgerald selbst auch schon Bücher gelesen habe, ist dies eine interessante Information für mich, dass er zu den Autoren gehört, die sich den Erwartungen der Leserschaft und den Verlagen anzupassen wusste.

Scott sagte, natürlich sei das "Hurerei", aber er müsse das machen, da er das Geld von den Zeitschriften brauche, um anständige Bücher schreiben zu können. Ich sagte, ich glaubte nicht, dass irgendjemand etwas anderes als das Allerbeste, dessen er fähig sei, schreiben könne, ohne sein Talent zu zerstören. Er sagte, er habe gelernt, die Geschichten für die Zeitschrift so zu schreiben, dass sie ihm nicht schadeten. Zuerst schreibe er die eigentliche Geschichte, sagte er, und die Zerstörung und Veränderung schade ihm nicht. Ich konnte das nicht glauben und wollte ihm dies ausreden, brauchte aber einen Roman, der meinen Glauben stärken würde und den ich ihm zum Beweis vorzeigen könnte, und so einen Roman hatte ich noch nicht geschrieben."

Hemingway hätte ihm so gerne einen guten Roman als Beispiel von sich selbst gezeigt. Seine Erwartungen allerdings waren so hoch, dass ich schon fast sicher bin, dass dieses hohen  Erwartungen die plagenden Schreibblockaden, unter denen er so sehr liebt, hervorrief:

Seit ich angefangen hatte, alles, was ich schrieb, in seine Einzelteile zu zerlegen und alles gefälliger auszumerzen und mich auf das Wesentliche zu beschränken, statt es zu beschreiben, war das Schreiben eine wunderbare Sache. Aber es war sehr schwierig, und ich hatte keine Ahnung, wie ich jemals etwas so Langes wie einen Roman schreiben sollte. Oft brauchte ich einen ganzen Vormittag, um einen einzigen Absatz zu schreiben.

Seine Schreibblockaden waren dermaßen stark, dass sich ihm innerlich im Stillen sein negatives, destruktives Gewissen meldete, das ihn vom Schreiben abzuhalten versuchte:

Plötzlich hörtest du jemanden sagen: Hallo, Hem. Was soll das denn werden? Du schreibst im Café? Deine Glückssträhne war zu Ende, und du klappst das Notizbuch zu. Das war das Schlimmste, was dir passieren konnte. Hättest du Ruhe bewahren können? Wäre das besser gewesen, aber ich war nicht gut darin, Ruhe zu bewahren, und sagte: "Du verdammter Hurensohn, was haste denn hier zu suchen?"
"Du brauchst nicht ausfallend werden, nur weil du dich wie ein Exzentriker ausführen willst."
"Halt die Fresse und verzieh dich."
" Das ist ein öffentliches Café. Ich darf hier genauso sein wie du." (…)
" Stell dir vor, du möchtest Schriftsteller sein und spürst das in allen Knochen, und es kommt einfach nichts."

Ein wenig schmunzeln musste ich, als die Gegenstimme ihm vorschlug, Rezensionen zu schreiben, denn da bräuchte er keine Angst mehr zu haben, dass ihm Ideen ausfielen... und er würde immer Leser haben.

Ich schrieb weiter, und allmählich hatte ich Glück und auch noch dieses andere. Stell dir vor, es hat dich einmal fortgerissen wie ein unaufhaltsamer Strom, und plötzlich ist da nichts mehr, und du bist stumm und still.

Und der Dialog geht monologistisch noch weiter. Recht interessant mitzuerleben, wie Hemingway der dunklen Seite in sich eine Stimme leiht.

"... und du bist stumm und still" und ich denke dabei an seinen Tod (Suizid)

____________________________________________
„Es gibt zu viele Erklärer und zu wenige gute Schriftsteller“
         (Ernest Hemingway)

Gelesene Bücher 2012: 89
Gelesene Bücher 2011: 86

Keine Kommentare: