Montag, 17. September 2012

A. E. Hotchner / Papa Hemingway (1)



Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre

Gestern Abend habe ich die Biografie zu Ende bekommen und der Schluss stimmte mich besonders traurig und nachdenklich.
Im hohen Alter von einundsechzig Jahren wird Hemingway von einer schweren psychischen Krise gepackt, aus der sich Hemingway nicht mehr erholte und diese ihn durch einen Suizid in den Tod trieb. Er litt unter einer depressiven-paranoiden Psychose. Hemingway befand sich wiederholt in den Händen von Experten plus Klinikeinweisungen, allerdings ohne sichtbaren therapeutischen und pharmakologischen Erfolg. Nun kann ich sein freiwilliges Ausscheiden aus dem Leben besser nachvollziehen als zu Beginn der Lektüre. Schon auf den ersten Seiten wird Hemingways Angriff gegen sich selbst beschrieben, ohne auf die Ursachen eingegangen zu sein. Wohl mit Absicht.

Seine größte Angst war damals, nie wieder schreiben zu können und ohne das Schreiben hat Hemingway sämtlichen Lebenssinn verloren, auch nachdem sein enger Freund Hotchner ihm alle Hobbys und Fähigkeiten aufzählte, die ihm das Schreiben ersetzen hätten können. Doch Hemingway blieb untröstlich:
"Was, glaubst du, passiert einem Menschen, der ins zweiundsechzigste geht, wenn er merkt, dass er nie wieder Bücher und Geschichten schreiben wird, die er sich selbst versprochen hat? Dass er auch alles andere, dass er sich in den guten Zeiten erhofft hat, nicht mehr durchführen kann? (…) Hotch, wenn ich nicht mehr unter meinen eigenen Bedingungen leben kann, dann ist für mich das Leben unmöglich. (…) So habe ich immer gelebt, so muss ich leben - oder nicht mehr leben."

Diese Textstelle, die am Schluss auftaucht und ich sie nun  an den Anfang setze, hat in mir eine echte Traurigkeit bewirkt, ich Hemingway aber durchaus auch zu verstehen in der Lage bin. Ich bewundere sogar seinen Entschluss und die Fähigkeit, über sein Leben selbstbestimmt zu entscheiden. Obwohl er noch so viele andere Fähigkeiten und Hobbys besaß, so konnte nichts sein Schreiben ersetzen, was ich wiederum auch äußerst schade fand.

Hemingway war viermal verheiratet, und selbst mit seiner vierten Frau, Mary, war er nicht wirklich glücklich, obwohl er sie sehr liebte. Eine vierte Scheidung habe Hemingway nicht vollzogen, fand sich zu alt, diese auch noch durchzustehen. Und er fürchtete die Konsequenzen, die Mary ihm zu spüren geben würde. Zum Schluss ist aber Mary diejenige gewesen, die ihm die Treue hielt und ihm während seiner schweren psychiatrischen Erkrankung an seiner Seite blieb. 

Hemingway war in meinen Augen in Multitalent. Ein  großer Kopf, nicht nur physisch gemeint.  Was er alles an einem einzigen Tag schaffte. Er stand morgens um sechs Uhr auf. Begann mit seiner Schreibarbeit, die er mittags um zwölf Uhr beendete. Er ging Abenteuer nach, las Bücher und jede Menge fremdsprachige Tageszeitungen. Er verfügte über zusätzliche Sprachen wie z.B. spanisch, italienisch, französisch... .

Was sein Schreiben anbelangt, so erinnerte mich Hemingway stark an Tolstoi. Ohne dass sie ihre Erfahrungen 1:1 wiedergeben, packen sie allerdings ihre Erlebnisse in ihre fiktiven Romane und Erzählungen, so dass die Wahrheit, was sie letztendlich sei, stückweit relativiert wird:

Alle guten Bücher haben eines gemeinsam: Sie sind wahrheitsgetreuer, als wenn es wirklich passiert wäre, und nachdem man eines gelesen hat, hat man das Gefühl, dass das alles passiert ist, und dann besitzt man es für alle Zeit: das Glück und das Unglück, das Gute und das Böse, die Ekstase und den Kummer, das Essen, den Wein, die Betten, die Menschen und das Wetter.(...) Sein Ziel hat man erreicht, wenn das Verhältnis zehn zu eins ist - d.h., wenn das, was man geschrieben hat, zehn mal wahrer und möglicher ist als die ursprüngliche Wirklichkeit, aus der man geschöpft hat.

Hemingway erhielt mehrere Nobelpreise, fühlte sich aber elend, dass er auf diese nicht verzichten konnte, ähnlich wie es der Existentialist Sartre getan hatte, der alle literarische Preise abgelehnt hatte. Hemingway befürchtete, durch die Preisverleihung den Verlust seiner Schreibqualität:

Keiner der Hurensöhne, die jeden Nobelpreis gewonnen haben, hat danach noch etwas lesenswertes geschrieben. (…) Wie oft sprach Ernest mit Neid von Jean-Paul Sartre, der in weiser Voraussicht den Nobelpreis abgelehnt hatte.

Hemingway verglich den Nobelpreis mit einer Hure, als er von Sartre mit Hotchner spricht:

"Ich glaube, Sartre hat gewusst, (…) dass dieser Preis eine Hure ist, die dich verführen und dir eine unheilbare Krankheit bringen kann. Früher wusste ich das auch, aber jetzt habe ich sie, und sie hat mich. Weißt du, wer sie ist, diese Hure namens >Ruhm<?  die kleine Schwester des Todes."

Ein interessanter Vergleich mit der Hure, was nichts anderes bedeutet, als sich selbst zu verkaufen, nur des Ruhmes wegen.

Doch Hemingway machte sich nicht allzu viel Druck, was das Versagen betrifft. Auch hier äußert er gegenüber seinem Freund Hotchner, der selbst schriftstellerisch tätig ist, einen interessanten Ratschlag, um mit Misserfolgen fertigzuwerden:

Hab keine Angst vor dem Versagen, und miss dem Erfolg nicht zu viel Bedeutung bei.
Das war ein Grundsatz, nach dem er gelebt hat, und ein Vermächtnis, das mir sehr wertvoll ist.

Hemingway ist am 21.07.1899 geboren, einen Tag vor meinem Geburtstag, vierundsechzig Jahre später. Auch Fallada wurde am 21.07.geboren, aber 1893, ein paar Jahre vor Hemingway.

Überaus sympathisch habe ich seine Maskottchen empfunden. Er konnte ohne Talismann nicht auskommen. Seine Glücksbringer waren keine Gegenstände von hohem Wert, nein, es waren Gegenstände aus der Natur, die er in seiner Tasche trug, wie z.B. eine Kastanie, die ihm auf dem Kopf gefallen ist. Seinen Freunden riet er, nie den Glauben zur Mystik zu verlieren. Obwohl  Heminggway kein Kirchgänger war, hatte er auch seinen ganz individuellen Glauben.

Hemingway ist bekannt für seine Liebe zu Katzen. Über zwanzig lebten bei ihm, so dass seine Frau Mary dies zu viel wurde, und sie extra für die Katzen einen Turm errichten ließ, und sie die Katzen dort untergebracht hatte. Der Turm wurde mit vielen schönen gemütlichen Ecken und Zimmern ausgeschmückt, so dass sie nicht vernachlässigt wirkten. Hemingway trieb auch Tierkommunikation,  was mir imponierte. Die Katzen wurden oft mit löblichen Worten angesprochen, andere Tiere, wie z.B. Bären, beleidigte er vielmehr:

Ernest fuhr fort, den Hals der braunen Katze zu kraulen, und erklärte ihr mit leiser, aufrichtiger Stimme, wie schön sie sei.

Das hatte mich so sehr berührt.

Hemingway war auch ein Abenteurer. Während er die Katzen so sehr liebte und seinen Hund Black Dog ebenso, gab es andere, in der Wildins lebende Tiere, die er jagte und tötete. Seine Tierliebe war demnach begrenzt, sie dehnte sich nicht aus auf alle Tiere. Auch Bären erlegte er, was zu seiner Zeit auch normal war. Und dass er Profi im Angeln war, das muss ich nicht extra erwähnen. Das liest sich ja schon aus seinem Roman Der alte Mann und das Meer heraus.


Ich beende nun hier meine Aufzeichnung mit einem kurzen Zitat von Hemingway, das sich auch auf sein Lebensende widerspiegelt und seine Sicht zu seinem Kräfteabbau:

Der Mensch ist nicht für die Niederlage geschaffen. Der Mensch kann vernichtet, aber nicht besiegt werden.

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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

Gelesene Bücher 2012: 66
Gelesene Bücher 2011: 86

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